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Deutschland Tod mit 54

Guido Westerwelle hatte die Hoffnung nie aufgegeben

Politischer Korrespondent
Guido Westerwelle mit 54 Jahren gestorben

Guido Westerwelle ist tot. Der ehemalige Außenminister und frühere FDP-Vorsitzende starb im Alter von 54 Jahren in der Universitätsklinik Köln an den Folgen seiner Leukämie-Erkrankung.

Quelle: Die Welt

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Der frühere Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle ist mit 54 Jahren gestorben. Stets polarisierte der Liberale – und kämpfte leidenschaftlich wie wenige andere für seine Überzeugungen.

Zu seinem 50. Geburtstag hatte Guido Westerwelle im Jahr 2011 einen kleinen Apfelsinenbaum geschenkt bekommen. Er pflanzte ihn in den Garten seines Ferienhauses auf Mallorca. Doch der Baum verkümmerte. Westerwelle pflanzte ihn um, in einen großen Tontopf, und schnitt all die ausgetrockneten Äste ab, sodass kaum etwas von dem Bäumchen übrig blieb. Und siehe da, die Blätter kamen zurück – der Apfelsinenbaum berappelte sich.

Die kleine Geschichte ist am Ende von Westerwelles Buch über seine Leukämie zu lesen. Es ist unschwer, darin eine Parabel auf sein Leben zu erkennen. Im Juni 2014 war die Blutkrebserkrankung des FDP-Politikers bekannt geworden. Nach schweren Monaten der Chemotherapie und einer Knochenmark-Transplantation hatte er wieder Hoffnung geschöpft, Hoffnung auf ein zweites Leben nach der Leukämie. Es blieb ein Hoffnungsschimmer.

Die Trauerbekundung auf der Website der Westerwelle Foundation
Die Trauerbekundung auf der Website der Westerwelle Foundation
Quelle: http://westerwelle-foundation.com

An diesem Freitag ist Guido Westerwelle in der Kölner Universitätsklinik im Alter von 54 Jahren an den Folgen seiner Leukämieerkrankung gestorben. Sein Körper hatte das neue Knochenmark abgestoßen. Die Ärzte versuchten noch eine Medikamentenumstellung. Am Ende vergeblich.

Mit seinem Buch „Zwischen zwei Leben“, das Anfang November 2015 erschienen war, hatte Westerwelle noch versucht, anderen Betroffenen Mut zu machen. Es sei sein Anliegen, schrieb Westerwelle, mit dieser Beschreibung der dunkelsten Stunden seines Lebens, den Qualen der Therapie, zu vermitteln: Niemand ist vor Schicksalsschlägen wie der akuten myeloischen Leukämie gefeit. Aber es lässt sich dagegen kämpfen, solange man an sich selbst glaubt und die Hoffnung nicht aufgibt.

Nun schrieb die Westerwelle Foundation, die von ihm nach seinem Ausscheiden aus der Politik gegründete Stiftung, auf ihrer Homepage: „Wir haben gekämpft. Wir hatten das Ziel vor Augen. Wir sind dankbar für eine unglaublich tolle gemeinsame Zeit. Die Liebe bleibt.“

Wenige kämpften wie er für klare Positionen

Guido Westerwelle hat die Hoffnung nie aufgegeben; er hat bis zuletzt gekämpft. So wie er das auch in seinem Leben als Berufspolitiker stets getan hat, allen Anfeindungen zum Trotz. Ja, der Politiker Westerwelle vermochte zu polarisieren wie nur wenige andere: als kecker Vorsitzender der Jungen Liberalen, als polternder Generalsekretär, als über zehn Jahre amtierender FDP-Vorsitzender.

Sogar als Außenminister – in diesem staatstragenden Amt, das eigentlich alle seine Inhaber mit über die Parteigrenzen hinausgreifender Beliebtheit ausstattet – hat Guido Westerwelle Widerstand provoziert. Zeit seines Lebens gehörte der Anwaltssohn aus Bonn zu den Leuten, über die die Meinungen weit auseinandergingen: bewundert, bejubelt, verspottet, verhasst.

Aber wahr ist auch: Es gibt sehr wenige deutsche Politiker, die mit ähnlicher Ausdauer für klar umrissene Positionen gekämpft und dafür gestanden haben wie Guido Westerwelle.

Die bewegendsten Momente von Guido Westerwelle

Seit den 80er-Jahren gehörte Guido Westerwelle zu den prägenden Figuren der deutschen Politik. Zwischen 2009 und 2013 war er Bundesaußenminister. Ein Porträt über das bewegende Leben des langjährigen FDP-Chefs Westerwelle.

Quelle: Die Welt

Eine kleine Erinnerung an den Bundestagswahlkampf von 1994 soll das belegen. Damals war Westerwelle 33 Jahre jung und gerade Generalsekretär der FDP geworden. Der WDR versammelte Politiker in der Manege eines Zirkuszeltes. Der Souverän – die Bürger – saß auf den Rängen. In Bochum war das, im Herzen des Ruhrgebiets, wo gerade Massenentlassungen in einem Stahlbetrieb die Lage bestimmten.

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Während die Politiker von Rot, Schwarz und Grün nicht müde wurden, die Entlassungen wortreich zu beklagen und den Arbeitern Hilfe zu versprechen, tat Westerwelle das nicht. Unbeirrt führte er aus, dass es erstens sinnlos, zweitens unsozial und drittens zukunftsbehindernd wäre, Arbeitsplätze retten zu wollen, an denen nicht mehr rentabel gearbeitet werden kann.

Auf den Rängen wurde gegrölt, gepfiffen, gelacht, gehöhnt. Doch Westerwelle wurde nicht müde, sein Argument immer und immer wieder darzulegen. Ein Erhalt der Arbeitsplätze wäre ein Pyrrhussieg, er hülfe euch nicht.

Und siehe da: Das Blatt wendete sich zwar nicht, der Souverän liebte ihn nicht; am Ende aber bekam Westerwelle halbwegs freundlichen Beifall. Denn die Leute hatten begriffen: Der sagt das nicht, weil er herzenskalten Marktliberalismus durchpeitschen will. Er sagt es, weil er es wirklich meint und für vernünftig hält.

Nach der Politik übte er Kritik an sich selbst

Es war diese oft an Sturheit grenzende Beharrlichkeit, die den Liberalen 15 Jahre später den größten Wahlerfolg ihrer Geschichte bescherte – mehr als 14 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 – und eine schwarz-gelbe Bundesregierung möglich machte, samt dem Außenminister Westerwelle. Es ist seine Tragik, dass er es nicht verstand, aus seinem größten Erfolg etwas Dauerhaftes zu machen. Im Gegenteil: 2013 stürzte die FDP aus der Regierung direkt in die außerparlamentarische Opposition.

Zu diesem Zeitpunkt war er längst nicht mehr Parteivorsitzender; er war gestürzt geworden, von Parteifreunden, deren politische Fähigkeiten nicht an seine heranreichten. Geschichte. Ob die FDP jemals wieder die Bedeutung erlangt, die sie unter ihm hatte, bleibt eine offene Frage.

Nach seiner politischen Karriere, schon im Angesicht der Krankheit, hat Westerwelle gesagt, er habe Lehren aus seinen Erfahrungen gezogen. Er wolle Fehler offener eingestehen, sich und anderen. Als Beispiele nennt er Politclownereien wie die „mit Prozentzahlen bemalten Schuhe“ oder seinen „überflüssigen Spruch von der spätrömischen Dekadenz“. Er wolle seine Verschlossenheit überwinden, den „Panzer um mein Ich“, auch seinen „Hang zur vorlauten Klappe, zum verletzenden Kommentar“.

Das wäre schade gewesen. Denn was immer man von seiner Interpretation des Freiheitsbegriffs, seiner Lesart des Liberalismus halten mag: Politiker wie Guido Westerwelle, die rhetorisch brillant für ihre Überzeugungen kämpfen und sich von Widerstand nicht schrecken lassen, die gibt es nicht mehr so oft.

Er wird fehlen.

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