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Wolfgang Gerhardts Angriff auf die eigene Partei

Wolfgang Gerhardt, Guido Westerwelle Wolfgang Gerhardt, Guido Westerwelle
Für seinen neuen Vorstoß wird Wolfgang Gerhardt (r.) wohl kaum Applaus von Guido Westerwelle (l.) bekommen - ein Bild vom FDP-Parteitag im September 2005
Quelle: dpa
Er war Parteichef, er war Fraktionschef. Heute hat Wolfgang Gerhardt bei der FDP kein Amt mehr inne, doch still sein mag er deshalb noch lange nicht. Mit einem 18-Punkte-Papier greift er die Führung der FDP deutlich an. Bei der Parteibasis dürfte er auf Zustimmung stoßen.

Wolfgang Gerhardt schien schon abgetaucht. Nach der Bundestagswahl 2005 hatte ihn FDP-Chef Guido Westerwelle aus seinem letzten Spitzenamt gedrängt, dem Fraktionsvorsitz. Heute ist Gerhardt Chef der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Ausgerechnet zum traditionellen Jahresauftakt der Liberalen, dem Dreikönigstreffen, meldet sich der frühere Parteichef nun zurück: Gerhardt legt einen eigenen Politikentwurf vor. Das 18 Seiten starke Papier ist nicht revolutionär. Doch mit seinen strategischen Überlegungen katapultiert sich Gerhardt zurück auf die Bühne des Stuttgarter Staatstheaters. Er stört die Regie der neuen Parteiführung, die die alljährliche Grundsatzrede Westerwelles zum großen Ereignis der Dreikönigskundgebung in der baden-württembergischen Landeshauptstadt machen will.

Für die Liberalen steht 2008 viel auf dem Spiel. Schon zu Jahresbeginn finden Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg statt. Später wird der Wahlkampf für die Bundestagswahl 2009 eröffnet. Im Bund liegt die Partei den Umfragen zufolge zwischen acht und elf Prozent. Fraglich ist, ob sie ihre Regierungsbeteiligung in Niedersachsen verteidigen und in Hessen auf die Regierungsbank zurückkehren wird. In Hamburg kämpfen die Liberalen um den Wiedereinzug in die Bürgerschaft – ein noch schwierigeres Unterfangen. Der Dreikönigskundgebung Westerwelles misst man angesichts der für die FDP so wichtigen Wahltermine deshalb besondere Bedeutung zu.


Und nun Gerhardts Zwischenruf, den man innerparteilich als Provokation in Richtung Westerwelle interpretieren wird. Während man den FDP-Chef trotz seiner zahlreichen Wahlerfolge fortwährend kritisch beäugt, ist Gerhardt ungeachtet seiner oft beklagten Zögerlichkeit seit je ein Sympathieträger. Seine neue Rolle als unabhängiger Stiftungschef will der sanfte Hesse nutzen, sich als Vordenker zu profilieren – und gegebenenfalls auch Unmut über den Zustand der Partei zu äußern. „Derzeit schöpfen wir das Potenzial, das eine freiheitliche Partei in Deutschland erreichen kann, nicht aus“, sagt Gerhardt.

Gerhardts Programm: "Für Freiheit und Fairness"

Er stört sich im Wesentlichen daran, dass die FDP derzeit zu kühl, zu oberflächlich ist. Zwar würden permanent neue Strategiepapiere erarbeitet und veröffentlicht, doch die Aufmerksamkeit der Bürger damit nicht geweckt, ihre Seele nicht gerührt. „Das Deutschlandprogramm der Partei ist gut und wichtig“, sagt Gerhardt im Gespräch mit WELT ONLINE. „Aber die FDP wird nur Wahlen gewinnen können, wenn sie den Menschen auch ihre innere Philosophie erläutert.“ Den programmatischen Papieren der Liberalen vom Deutschlandprogramm über die Großstadtoffensive bis zum Nettokonzept fehle der intellektuelle Überbau.

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Den will Gerhardt jetzt selbst liefern. „Für Freiheit und Fairness“ lautet der Titel seines Entwurfs. Ein freiheitliches Politikangebot, so heißt es darin, müsse ein Bewusstsein für die Herausforderungen der Zukunft schaffen, eine Haltung zu deren Bewältigung ausstrahlen, eine den Aufgaben entsprechende öffentliche Meinung herstellen – und so das gesellschaftliche Bewusstsein prägen. „Ich möchte mit dem Papier einen identitätsstiftenden Beitrag leisten, der den Menschen deutlicher als bisher vor Augen führt, dass die FDP ihnen mehr anbietet als alle anderen Parteien“, erläutert Gerhardt.

Vier Politikfelder stellt der frühere Parteichef in den Mittelpunkt seines Entwurfs: Marktwirtschaft, Bildung, Außenpolitik und Bürgerrechte. „Es reicht nicht, wenn wir zum Beispiel beim Mindestlohn sagen, dass wir dagegen sind. Wir müssen erklären, warum dieses Versprechen unredlich ist“, so Gerhardt. Es gehe darum, eine Vernunftlücke zu schließen, dabei aber Interesse am Schicksal der Betroffenen zu zeigen: „Sonst werden wir in der Gerechtigkeitsdebatte nicht wahrgenommen.“

Ein Bündnis mit der SPD kommt für Gerhardt nicht in Frage

Gerhardt greift mit seinem Vorstoß ein bei vielen Liberalen verbreitetes Unbehagen an der eigenen Führung auf. Neben der wenig ausgeprägten programmatischen Arbeit des Generalsekretärs Dirk Niebel stößt so manchem Abgeordneten der Anspruch des Vorsitzenden Westerwelle sauer auf, die Partei bei allen wichtigen Themen quasi allein zu verkörpern. „Die Partei weiß, was verbessert werden muss. Das weiß die Spitze ebenso wie ich selbst und die Mitglieder“, sagt Gerhardt. Er regt an, die Außendarstellung künftig auf mehrere Schultern zu verteilen. Früher sei die FDP mit Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff und Walter Scheel als eine „Mannschaft mit vielen kompetenten Spielern“ wahrgenommen worden. Heute gebe es zwar ausreichend Leute, die Führungsverantwortung wahrnehmen könnten, die Partei gebe ihnen aber zu wenig Raum. Gerade angesichts der anstehenden Landtagswahlen müssten die Liberalen den Wählern ihr ganzes Personalangebot präsentieren. 2009, im Jahr der Bundestagswahl, sei es dafür zu spät.

Die Koalitionsfrage im Bund hält Gerhardt für längst entschieden: Die FDP könne nur mit der Union ein Bündnis schließen. „Angesichts des Linkskurses von SPD-Chef Kurt Beck darf es keine Öffnung hin zu den Sozialdemokraten geben“, sagt Gerhardt und fügt hinzu: „Wir können nicht mit fünf Wahlzielen in den Wahlkampf ziehen.“


Gerhardt steigt also noch einmal in die politische Arena. Eigentlich wollte er nach Ablauf der Legislaturperiode sein Bundestagsmandat niederlegen. Überraschend kündigte er nun an, wieder kandidieren zu wollen: „Ich werfe meinen Hut in den Ring.“

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