Vor Jahrzehnten erschossen zwei Polizisten vor seinen Augen die Eltern und den besten Freund: Nun ist Fahrlehrer Rupert Seidlein (Matthias Brandt) mit seiner Frau Anja (Silke Bodenbender) in seinen Heimatort im Rheinland zur�ckgekehrt, um diese tragische Erinnerung auszul�schen. In dem Krimidrama „Wir w�ren andere Menschen“ (Akzente Film & Fernsehproduktion / ZDF) nach Friedrich Anis Erz�hlung „Rupert“ l�uft insbesondere Schauspieler Matthias Brandt als verst�rter Mann mit Rachegedanken zur H�chstform auf. Jan Bonnys ungesch�nter Regie-Stil verst�rkt die bedr�ckende Wirkung der Handlung in dem trostlosen Provinzkaff. Zu viel offenbar f�rs ZDF, das den Film bedauerlicher Weise nicht in der Primetime, sondern am sp�ten Abend – dazu im Sommerloch – versendet.
Foto: ZDF / Martin Valentin MenkeSieht so ein M�rder aus? Nach "Gegen�ber" (2007) und dem "Polizeiruf – Der Tod macht Engel aus uns allen" (2013) l�uft Matthias Brandt als vermeintlich harmloser Fahrschullehrer von nebenan unter Jan Bonnys Regie mal wieder zur Hochform auf.
Rupert Seidlein steuert mit seiner jungen Fahrsch�lerin einen Ort mit Blick �bers Rheintal an. Dort, wo er sich in seiner Jugend mit Freunden getroffen hat, ger�t er r�ckblickend ins Schw�rmen. Doch als die junge Frau ein wenig vorlaut entgegnet „Sie waren nie cool“, reagiert er gereizt und unfreundlich. Seidleins Jugend wurde durch ein tragisches Ereignis j�h beendet, was Regisseur Jan Bonny in einer R�ckblende bereits fr�hzeitig im Krimidrama „Wir w�ren andere Menschen“ erz�hlt: Zwei junge Streifenpolizisten werden zu einem Einsatz in Seidleins Elternhaus gerufen. Die Sache l�uft furchtbar aus dem Ruder. Weil sich die Polizisten in dem eskalierenden Streit bedroht f�hlen, schie�en sie um sich. Seidleins Eltern und auch sein bester Freund, der mit einem Messer bewaffnet im Wohnzimmer auftaucht, werden get�tet. Mehrfach setzt Bonny diese R�ckblenden ein, schlie�t sie in Parallelmontagen mit der Gegenwart kurz. Man sieht, wie Polizisten am Tatort den jungen Rupert mit Suggestivfragen bedr�ngen, damit er die Notwehr-Version der Kollegen best�tigt. Und man sieht, wie Rupert als Zeuge vor Gericht kein Wort herausbringt.
Foto: ZDF / Martin Valentin MenkeAlkoholexzesse und physische Gewalt bis zum bitteren Ende Josef B�umler (Paul Fa�nacht) hat als Polizist die Eltern von Ruper Seidlein (Matthias Brandt) erschossen.
Stockend, nuschelnd und sprachlich oftmals unbeholfen formt auch Fahrlehrer Seidlein Jahrzehnte sp�ter Worte und S�tze. Matthias Brandt spielt den in seinen traumatischen Erinnerungen gefangenen Mann mit ungelenker, leicht geduckter K�rperhaltung. Seidlein wirkt verunsichert, verst�rt, aber harmlos. Ein scheuer Typ, dem man keinen Rachefeldzug zur pers�nlichen Erl�sung zutrauen w�rde. „Er hat Ihnen doch l�ngst verziehen“, sagt auch seine Frau Anja (Silke Bodenbender) zum misstrauischen Josef B�umler (Paul Fa�nacht), einem der beiden mittlerweile pensionierten Polizistent�ter, die die Seidleins ernsthaft zu einem privaten Grillfest einladen wollen. Mit dem zweiten, Christoph Horn (Manfred Zapatka), und dessen Freundin Tina (Ricarda Seifried) verbringen sie sogar einen feucht-fr�hlichen Abend im Clubheim eines �rtlichen Sportvereins. Eine beklemmende Szene voller falscher Freundlichkeiten und trunkenem �bermut. Bei einer scheinbar zuf�lligen Begegnung am Rhein �berredet Rupert seinen neuen Duzfreund Christoph schlie�lich zu einem gemeinsam Bad im Fluss – und t�tet ihn. Be�ngstigend gut spielt Matthias Brandt auch diesen Sekundenwandel vom vermeintlichen Kumpel zum entschlossenen Racheengel.
Foto: ZDF / Martin Valentin MenkeKommissar Wackwitz (Andreas D�hler) r�ckt Seidlein (Matthias Brandt) auf die Pelle. Die Methoden des Ermittlers und die Reaktionen des psychisch gest�rten M�rders entsprechen nicht den TV-�blichen "realistischen" Befragungssituationen.
Anja leidet mit ihrem Mann, verzweifelt an seiner unbeholfenen Verschlossenheit und kompensiert das – besonders nach zu viel Alkoholgenuss – mit einem �berma� an Lachen und Lautst�rke. Silke Bodenbender wirkt dabei nicht immer �berzeugend, dennoch ist die Verfilmung von Friedrich Anis Erz�hlung „Rupert“ nach einem Drehbuch von Ani und Ina Jung auch eine Art Liebesgeschichte. Allerdings eine ohne jeden Gef�hlskitsch. Bonnys Regie-Stil setzt auf einen Look der Wahrhaftigkeit. Er verzichtet auf satte Farben, reduziert den Einsatz von k�nstlichem Licht und Musik und l�sst seinem Ensemble Raum f�r Improvisation. So klingen die Dialoge holprig wie im echten Leben, und so grau wie in der Realit�t sieht auch dieses rheinische Provinzkaff aus, mit seinen schlichten H�userreihen, den Plastikm�beln und der trostlosen Ungem�tlichkeit im Clubheim. Die Schaupl�tze bilden die passende Kulisse f�r die bedr�ckende Geschichte.
„Bald ist hier nichts mehr“, sagt eine Passantin zu Beginn zu Rupert Seidlein, dessen R�ckkehr in den Heimatort vor einem Jahr immerhin f�r etwas Gespr�chsstoff gesorgt hat. Die tragischen Ereignisse sind auch im Dorf nicht vergessen. Die Skatrunde hinter Ruperts R�cken tuschelt, und nach dem Tod von Christoph Horn, den Seidlein als Unfall ausgibt, muss er sich Fragen und Vorw�rfe anh�ren. Und dann taucht Kriminalkommissar Wackwitz (Andreas D�hler) auf, der ihm penetrant auf die Pelle r�ckt. Jan Bonnys unverwechselbare Regie-Handschrift und Matthias Brandts imposantes Spiel machen aus Friedrich Anis Erz�hlung ein kraftvolles filmisches Werk, das aus dem Fernsehkrimi-Allerlei herausragt. Zu viel offenbar f�rs ZDF, das den Film bedauerlicher Weise nicht in der Primetime, sondern am sp�ten Abend – dazu noch im Sommerloch – versendet. (Text-Stand: 16.7.2020)
Foto: ZDF / Martin Valentin MenkeIhr Mann ein M�rder? Anja Seidlein (Bodenbender) ist v�llig verunsichert. Saufen allein ist auch keine L�sung. Obwohl, drei Frauen im Film finden im Suff zueinander.
Thomas Gehringer, freiberuflicher Journalist aus K�ln, schreibt f�r epd medien, den "Tagesspiegel" und andere regionale Tageszeitungen, Mitglied in Jurys und Nominierungskommissionen des Grimme-Preises.