Vor 50 Jahren - Erstes Treffen von Willy Brandt und Willi Stoph

Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Vor 50 Jahren
Erstes Treffen von Willy Brandt und Willi Stoph

Es war das erste Treffen der deutsch-deutschen Regierungschefs. Am 19. März 1970 wurde der damalige Bundeskanzler Willy Brandt vom Ministerpräsidenten der DDR, Willi Stoph, empfangen. Brandt reiste dafür mit einem Sonderzug nach Erfurt. Das Treffen war der Beginn des „Wandels durch Annäherung".

Von Otto Langels | 19.03.2020
    Bundeskanzler Willy Brandt besuchte erstmals im März 1970 die DDR und traf sich in Erfurt mit Willi Stoph , dem Ministerpraesidenten der DDR.
    Bundeskanzler Willy Brandt (3.v.l) besuchte erstmals im März 1970 die DDR und traf sich in Erfurt mit Willi Stoph (Mitte), dem Ministerpräsidenten der DDR (picture alliance - Klaus Rose)
    "Ich danke Ihnen sehr für die Begrüßung, auch dafür, dass Sie gutes Wetter besorgt haben. / Daran soll es nicht liegen. / Danke sehr."
    Am Morgen des 19. März 1970 empfing Willi Stoph, Ministerpräsident der DDR, Bundeskanzler Willy Brandt auf dem Erfurter Hauptbahnhof. Eine etwas steife Begrüßung, die dem Anlass entsprach. Zum ersten Mal seit Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 trafen sich die Regierungschefs zu einem Meinungsaustausch. Jahrzehntelang hatten alle vorherigen Bundesregierungen die völkerrechtliche Existenz der DDR bestritten und Deutschland außenpolitisch allein vertreten wollen, ohne dadurch dem Ziel der deutschen Wiedervereinigung näherzukommen.
    Daher entschloss sich die erste sozialdemokratisch geführte Bundesregierung unter Willy Brandt im Jahr 1969, eine neue Ostpolitik einzuleiten. Egon Bahr, Brandts engster politischer Berater, war damals Staatssekretär im Kanzleramt.
    "Wir hatten im Sinn, sich dem Osten zuzuwenden, sich ihm zu öffnen und damit ihn zu öffnen und dann die Voraussetzungen zu schaffen, um die Situation zu ändern, d.h. einen langen, langen Weg zur deutschen Einheit, nachdem der direkte Weg kaputtgegangen war."
    Willy Brandt im Sonderzug nach Erfurt
    Nach längeren Vorgesprächen einigten sich schließlich beide Seiten auf Erfurt als Treffpunkt. Willy Brandt reiste mit einem Sonderzug an. Nach der offiziellen Begrüßung gingen die Regierungschefs zu Fuß zum nahegelegenen Tagungsort – dem Hotel "Erfurter Hof", von Tausenden DDR-Bürgern hinter Sperrgittern mit Sprechchören begleitet.
    "(Sprechchöre) Die Bevölkerung ruft ‚Willy, Willy‘. Sie hören es, meine Damen und Herren."
    Volkspolizisten und zivil gekleidete Stasi-Mitarbeiter versuchten die Menge im Zaum zu halten; vergeblich. Der Fernsehreporter Gert Ruge war einer von mehreren hundert Journalisten, die sich für das Treffen akkreditiert hatten.
    "Hier am Bahnhofsplatz hat die Menge die Polizeisperre durchbrochen, zuerst hatte ein kleiner Teil von Polizisten sie zurückhalten können, es gab aber mehr Gedränge, Geschiebe, Gerufe, dann wurde eine Straßenbahn vorgefahren, die Leute wurden endgültig unruhig, und nun ist die Polizeisperre durchbrochen, nachdem die Straßenbahn zurückgezogen werden musste."
    Die Hoffnungen der DDR-Bürger
    Die DDR-Bürgerinnen und -Bürger waren ohne übergroße Hoffnungen nach Erfurt gekommen. Neun Jahre nach dem Mauerbau lebten sie in einem repressiven System, ohne durchlässige Grenzen nach Westen.
    "Was erhoffen Sie persönlich von der Begegnung der beiden Regierungschefs? / Eigentlich nicht viel, ich hoffe nur, dass etwas Gutes dabei rauskommt. / Ich glaube, es kommt nicht viel bei raus. / Erst mal menschliche Erleichterung und Anerkennung."
    Gleichwohl erschien der Bundeskanzler den Menschen als Hoffnungsträger. Sie jubelten ihm zu und forderten in Sprechchören sein Erscheinen.
    "Willy Brandt, Willy Brandt ans Fenster",
    "Brandt zeigt sich am Fenster, Willy Brandt zeigt sich jetzt, und das Volk winkt ihm begeistert zu, Hüte fliegen, Mützen werden geschwenkt."
    Um die Gastgeber nicht zu brüskieren, reagierte Willy Brandt nur mit dezenten Gesten auf die jubelnde Menge.
    Aufnahme diplomatischer Beziehungen gefordert
    Die Verhandlungen verliefen in nüchterner Atmosphäre. Beide Seiten konstatierten, wie kaum anders zu erwarten, tiefgreifende politische Gegensätze. Willy Stoph hob den friedliebenden Charakter der DDR hervor, verwies auf reaktionäre Kräfte im Westen und forderte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Ost-Berlin und Bonn.
    "Wenn es allein an uns läge, so könnte schon das heutige Erfurter Treffen dazu beitragen, diese Besprechungen in echte Verhandlungen über die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland auf völkerrechtlicher Grundlage hinüberzuleiten."
    Dem Bundeskanzler ging es dagegen vor allem um konkrete humanitäre Maßnahmen. Die Teilung Deutschlands könne man nicht ungeschehen machen, wohl aber deren Folgen mildern, so Brandt. Er drängte daher auf weitere Treffen, um Besuchsmöglichkeiten für die Menschen in beiden deutschen Staaten zu erreichen.
    "Das eigentliche Ergebnis besteht in zweierlei: Wir treffen uns wieder am 21. Mai in Kassel. Und wir haben doch wohl beide, hoffe ich, etwas mehr verstanden von der Argumentation des anderen."
    Das Treffen von Erfurt war ein erster Schritt des "Wandels durch Annäherung", wie Brandts Vertrauter Egon Bahr es formuliert hatte: die Entfremdung zwischen Ost und West aufzuhalten und trotz Mauer und Stacheldraht die Einheit der Nation zu bewahren. Dass sie zwei Jahrzehnte später Realität werden sollte, ahnte damals wohl keiner der Beteiligten.