Anders als der Titel zu verstehen gibt, geht es in „Erschütternde Wahrheit“ weniger um eine Wahrheit, die erschüttert, als um die Wahrheit über eine Erschütterung – die Gehirnerschütterung, um genau zu sein, die sich Footballspieler in der Ausübung ihres Sports quasi routinemäßig zuziehen.
Erschütternd ist an dieser Wahrheit allenfalls, dass die amerikanische Footballliga NFL jahrzehntelang der Öffentlichkeit einreden konnte, die Schläge auf den Kopf seien gesundheitlich ohne weitere Bedenken.
Wobei es sich nicht einfach nur um Schläge handelt: Wenn Spieler, die rund 100 Kilo schwer sind und mit etwa 30 km/h aufeinander zu rennen, können beim Aufprall Impulse mit einer Stärke von fünf Millionen Newton entstehen. Ein sehr großer Blauwal hat etwa die Gewichtskraft von 1,9 Millionen Newton.
Ein großer Blauwal seines Fachs ist auch der Footballspieler Mike Webster. Er ist 50, als er auf dem Tisch der Pathologie der Universität Pittsburgh landet. Der diensthabende Pathologe ist an jenem Tag im September 2002 der Nigerianer Bennet Omalu, der in den USA gerade ein Forschungsstipendium absolviert und von Football natürlich keinen Schimmer hat.
Will Smith spielt ihn als grundgütigen und frommen Mann, der, bevor er eine Leiche aufschneidet, stets ihre Hand nimmt und im Fall von Webster zum Beispiel Sachen sagt wie: „Mike, du musst mir helfen. Wir schaffen das nur zusammen. Bitte hilf mir herauszufinden, was mit dir geschehen ist.“
Ja, was war mit Mike Webster geschehen? Er absolvierte 245 Profispiele, gewann vier Mal mit den Pittsburgh Steelers den Super Bowl und war eine Sportlerlegende. Leider litt er im Anschluss an seine Karriere unter starken Depressionen, Sprachstörungen und Demenz.
Chronisch-traumatische Enzephalopathie
Er entwickelte akute Knochen- und Muskelschmerzen, die er eigenhändig mit einer Elektroschockpistole behandelte. Er wohnte in seinem Auto, zog sich mit der Zange die Zähne und setzte sie hinterher mit Superkleber wieder ein.
Als Todesursache wurde bei ihm Herzinfarkt attestiert, doch Bennet Omalu will das nicht glauben. Er geht der Sache auf den Grund und findet eine Krankheit namens Chronisch-traumatische Enzephalopathie, kurz CTE. Die NFL ist alarmiert, das Drama beginnt.
Wie „The Revenant“, „The Big Short“ und kommende Woche „Spotlight“ folgt auch „Erschütternde Wahrheit“ von Peter Landesman dem aktuellen Hollywood-Trend, neben Superhelden-Geschichten vorzugsweise wahre Begebenheiten nachzuerzählen.
Das Leben hat meist keine ordentliche Dramaturgie
Sie sind die logische Fortführung der Biopics, die in den vergangenen Jahren Konjunktur hatten, bis man bemerkte, dass eine Biografie nicht zwingend eine gute Handlung hat, dem Leben fehlt es ja meist an einer ordentlichen Dramaturgie.
Nun gibt es in der Geschichte um den Pathologen Omalu, CTE und die NFL eigentlich Drama genug: Omalu ist ein faszinierender Außenseiter, der als Nigerianer mit seiner Entdeckung die Grundfesten des amerikanischen Nationalsports erschüttert, es geht um ein Milliardengeschäft und Ansehen und Macht sowie um eine Krankheit, die Sportstars in bemitleidenswerte Irre verwandelt.
Doch Regisseur und Drehbuchautor Landesman setzt gleich von Beginn derart auf Pathos, dass die Geschichte leider nicht weiter berührt, weil der Film dem Zuschauer mit jeder Einstellung zu verstehen gibt, dass er berührt zu sein hat.
Immer und immer wieder erklärt Omalu, dass es sein größter Wunsch ist, Amerikaner zu werden, was bedeutet, dass man versuchen muss, die beste Version von sich selbst zu sein. Wäre er die beste Version seiner selbst, wenn er dem Druck der NFL nachgäbe?
Damit Omalu jemanden hat, dem er seine Gedanken erzählen kann, wird ihm eine Gattin zur Seite gestellt, bei der es sich eigentlich nur um eine Drehbucherfindung handeln kann, so gut und keusch und weise und fleißig und schön und gottesfürchtig, wie sie ist.
Die NFL bleibt als großer Widersacher hingegen nur bloße Behauptung. Dass man sich den Film dennoch anschauen mag, liegt allein an Will Smith.
„Erschütternde Wahrheit“ läuft seit dem 18. Februar in den deutschen Kinos