5.1 Rio: Der Urknall

Im Jahr 1972 hat sich die Welt erstmals zu einer „UN Konferenz über die Umwelt des Menschen“ getroffen. Auf Veranlassung der UNCHE in Stockholm. 1200 Vertreter aus 112 Staaten (ohne die Ost-Staaten) waren zu dieser ersten Bestandsaufnahme zusammengekommen. 1979 kam es zur 1. Weltklimakonferenz mit 300 Experten in Genf.

1983 beriefen die Vereinten Nationen 19 internationale Sachverständige zur WCED (World Commission on Environment and Development) mit Sitz in Genf. Den Vorsitz führte Gro Harlem Brundtland, die frühere Umweltministerin und damalige Ministerpräsidentin von Norwegen. Die Kommission veröffentlichte 1987 ihren Zukunftsbericht „Our Common Future“ (Brundtland-Report). Dieser wurde zum Programm gebenden Dokument des UN-Weltgipfels für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro. „Rio“ gilt als Geburtsstunde der nationalen Nachhaltigkeitsstrategien, mithin der globalen Transformation zu einer nachhaltigen Welt (Agenda 21).

5.2 Die Weltgipfel

Seit 1972 haben inzwischen mehr als 50 Weltkonferenzen mit jeweils mehreren tausend Teilnehmern und mit großer Medienpräsenz (bis zu je 3000 Journalisten) stattgefunden (s. Abb. 5.1). Es gab Konferenzen für Umwelt und Entwicklung, den Millennium Gipfel 2000, Konferenzen für Entwicklungsfinanzierung, Weltbevölkerungskonferenzen, Weltfrauenkonferenzen, Weltsiedlungsgipfel, Weltgipfel zur Informationsgesellschaft, die Weltmenschenrechtskonferenz 1993, den Weltgipfel für soziale Entwicklung, einen Welternährungsgipfel und eine Weltrassismuskonferenz 2001 sowie inzwischen (beginnend 1995 in Berlin) 27 UN-Klimakonferenzen (COP Conferences of Parties 1–27) mit teilweise über 20.000 Vertretern. Besonders hervorgehoben seien die Konferenzen 1997 (COP 3) in Kyoto/Japan („Kyoto-Protokoll“) und 2015 (COP 21) in Paris („Weltklimaschutzabkommen“) (Vieweg 2019, S. 229 ff.). In Katowice/Polen (COP 24) hat sich die Welt 2018 ein Regelbuch für den Klimaschutz gegeben. Nach COP 28 Anfang Dezember 2023 in Dubai wird jetzt COP 29 in Baku, Aserbaidschan, vorbereitet.

Abb. 5.1
figure 1

Zeitstrahl der globalen Meilensteine

Auf dem UN Sustainable Development Summit Ende September 2015 haben die Vereinten Nationen in New York beschlossen, auf die bis dato 8 Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) (United Nations 2015, S. 7, 52–61), die vom Jahr 2000 bis 2015 die Marschrichtung vorgaben, im Rahmen der Agenda 2030 die neuen Sustainable Development Goals (SDGs, United Nations 2016) folgen zu lassen. Diese sollen jetzt global eine wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung vereinen. Die SDGs bestehen aus 17 Einzelzielen (und 169 Unterzielen), wobei die Ziele Nr. 7, 8, 9 und 12 nachhaltiges Wirtschaften betreffen und wie folgt lauten:

SDG 7:

Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern

SDG 8:

Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern

SDG 9:

Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung (s. Deutsche Bundesregierung 2021, S. 246 ff. sowie 2022, S. 19) fördern und Innovationen unterstützen

SDG12:

Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen

Der frühere US-Präsident Barack Obama bemühte sich in seiner zweiten Amtsperiode vermehrt um einen effektiveren Umweltschutz in seinem Land, in dem einzelne Staaten, insbesondere Kalifornien, in Sachen Umwelt und Nachhaltigkeit schon seit Jahren eine Vorreiterrolle innehaben. Dann hatten die USA auf Geheiß von Präsident Donald Trump ab November 2020 das Pariser Klimaschutzabkommen verlassen. Sein Nachfolger Joe Biden hat bereits an seinem ersten Amtstag die Rückkehr des Landes in den Pariser Klimavertrag angeordnet. Im August 2022 hat Biden zudem den IRA Inflation Reduction Act durch den Kongress gebracht und unterzeichnet. Primär geht es dabei um eine Förderung einer nachhaltigen Energienutzung; durch das 433 Mrd. Dollar schwere Investpaket soll die US-amerikanische Industrie klima- und zukunftsfest gemacht werden. China sieht sich insbesondere als eine Folge seiner rasanten wirtschaftlichen Entwicklung massiven Umweltproblemen gegenüber… und handelt; bis 2050 will das riesige Land klimaneutral sein. Insbesondere als Reaktion auf den IRA und die massiven Subventionen Chinas in klimafreundliche Technologien stellte, um wettbewerbsfähig zu bleiben und um ihre Fit-For-55-Klimaziele zu erreichen, die EU-Kommissions-Präsidentin, Frau von der Leyen, in Aufstockung des Green Deal 2019 im Februar 2023 den Green Deal Industrial Plan vor; die geplante Finanzierung durch einen EU-Souveränitätsfonds ist allerdings zunächst nicht zustande gekommen. Japan soll bis 2050 klimaneutral werden; dies will die Regierung durch eine digitale und grüne Wachstumsstrategie erreichen. Auch in Indien ist in den letzten Jahren ein Umdenken im Gange; Indien will bis 2070 die Klimaneutralität erreichen und arbeitet in Fragen der Umweltpolitik verstärkt mit Deutschland zusammen. Unter der erneuten Präsidentschaft von Luiz Inácio Lula da Silva (ab 2023) haben zwar Umwelt- und Klimathemen sowie der Schutz des Regenwaldes einen neuen Stellenwert erhalten, aber Brasiliens Regierung tut sich mit ihrer Umweltagenda weiterhin schwer. Ähnlich hat Mexiko entsprechende Reformen mit der Intention einer nachhaltigen Entwicklung eingeleitet. Kanada will unter Premierminister Justin Trudeau bis 2050 klimaneutral werden, hat 2018 eine CO2-Bepreisung eingeführt und 2021 sein Netto-Null-Emissionsziel gesetzlich verankert.

Die Welt ist in Bewegung, man hat ein gemeinsames Projekt: den Klimawandel, genauer: den Klimaschutz… und die Welt spricht miteinander. Soll die nachhaltige Welt gelingen, dann ist die Staatengemeinschaft gehalten, sich in dieser Sache nolens volens zusammenzufinden. Als Nebeneffekt der Corona-Pandemie hatte sich die Klimabelastung leicht abgeschwächt. Aber Kriege (z. B. der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine) und die aktuelle geopolitische Situation, verbunden mit den aktuell weltweiten Aufrüstungstendenzen sind hinsichtlich der globalen Nachhaltigkeitsziele absolut kontraproduktiv. Vielmehr gehören Nachhaltigkeit und Abrüstung zusammen und müssen verstärkt thematisiert werden. Nachhaltigkeit braucht Frieden (SDG 16), Konsens und Kooperation. Frieden ist nicht nur ein Nachhaltigkeitsziel, sondern – ganz entscheidend – eine Voraussetzung, nachgerade eine condition sine qua non für Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit durch Frieden und Frieden durch Nachhaltigkeit.

5.3 Andere Institutionen. Die Religionen. Der Papst

Auf europäischer Ebene haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union 2012 verpflichtet, „zur Entwicklung von internationalen Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der Qualität der Umwelt und der nachhaltigen Bewirtschaftung der weltweiten natürlichen Ressourcen beizutragen, um eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen“ (EU 2012, Art. 21, Abs. 2 f.).

Eine EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung wurde bereits 2001 ins Leben gerufen (EC 2001), 2006 überarbeitet (Europäischer Rat 2006) und zuletzt 2009 überprüft (EC 2009). Seit 2010 ist die nachhaltige Entwicklung ein Querschnittsanliegen der von dieser Kommission bekräftigten Strategie „Europa 2020“ (EC 2010), die auf Bildung und Innovation („intelligent“), den Abbau von Kohlenstoffemissionen, Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel und positive Umweltfolgen („nachhaltig“) sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Abbau der Armut („inklusiv“) abzielt (EC 2016; S. 2 f.).

Die EU hat an der Agenda 2030 der UN, verabschiedet im Dezember 2015, entscheidend mitgewirkt. Letztere deckt sich voll und ganz mit den Vorstellungen der EU und dient jetzt als Blaupause für die weltweite nachhaltige Entwicklung. Die EU ist fest entschlossen, unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips bei der Umsetzung der Agenda 2030 und den Nachhaltigkeitszielen zusammen mit den Mitgliedstaaten eine Vorreiterrolle zu übernehmen (EC 2016, S. 3 ff.).

Die Eurostat erstellt alle 2 Jahre auf der Basis von über 100 Indikatoren, gegliedert nach 10 Themenbereichen, einen Fortschrittsbericht und kontrolliert, ob die EU in ihrer avisierten nachhaltigen Entwicklung wie geplant vorankommt (Eurostat 2023, 7th edition). Nach der EU-Plastiktüten-Richtlinie (EU 2015) betreibt die EU darüber hinaus konsequent eine Verringerung der Vermüllung der Ozeane und Meere mit Plastikartikeln (EC 2018a, b). Erwähnenswert ist auch die EU-Kunststoff-Richtlinie über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt und natürlich der bereits angesprochene Green Deal von Ende 2019, das Maßnahmengesetzes-Paket „Fit for 55“ (EU 2023) und der Green Deal Industrial Plan 2030. Im März 2024 verabschiedete die EU ihr Lieferkettengesetz. Aus politischen Gründen stufte im Juli 2022 allerdings die EU Atomkraft und Erdgas als nachhaltig ein (Taxonomie); Klagen dagegen vor dem EuGH blieben ohne Erfolg. Europa ist in Klimasachen trotz allem recht energisch unterwegs und will 2050 als der erste THG-neutrale Kontinent dastehen.Footnote 1   

Die OECD, die auf dem Gebiet der Nachhaltigen Entwicklung auch sehr aktiv ist, fordert, als Erkenntnis einer Studie aus 2015 (OECD 2015) die Subventionen in fossile Energien zu stoppen und die dadurch freiwerdenden Finanzmittel in mehr Klimaschutz zu investieren. Eine gewisse Tendenz hierzu ist festzustellen, denn die meisten Länder reformieren sich diesbezüglich und streben nach einer wirtschaftlich nachhaltigeren Politik, indem sie gezielt ihre Subventionen in fossile Energien zurücknehmen. Im aktuellen Wirtschaftsbericht 2023 fordert die OECD Deutschland zu deutlich mehr Tempo beim Klimaschutz auf (OECD 2023). 

Über die vorgenannten global agierenden, staatlichen Organisationen hinaus gibt es zahlreiche weitere global auftretende, nicht-staatliche Institutionen und Netzwerke, auf die hier im Einzelnen nicht näher eingegangen werden soll (s. Abb. 5.2). Hingegen sei an dieser Stelle ausdrücklich die weltumspannende Nachhaltigkeitsarbeit der großen Weltreligionen angesprochen. Speziell vermittels der weltweiten Alliance of Religions and Conservation (ARC 2017) wird dieses Bemühen koordiniert. Die Initiative hierfür ging von HRH Prinz Philipp, damals Präsident des WWF International, aus, der 1986 hohe Vertreter der 5 großen Weltreligionen – Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam und Judentum – nach Assisi/Italien einlud, um miteinander darüber zu reden, wie die einzelnen Glaubensrichtungen helfen können, die natürliche Welt zu bewahren.

Abb. 5.2
figure 2

Meilensteine anderer Institutionen und Weltreligionen

Vom 24.05.2015 datiert die Enzyklika „Laudato si! Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ von Papst Franziskus (2015, vgl. hierzu auch Misereor 2016). In Ziff. 16 seiner Enzyklika ruft der Papst auf, nach einem anderen Verständnis von Wirtschaft und Fortschritt zu suchen. Er schreibt gegen die grenzenlose Ausbeutung unseres Planeten, gegen einen fehlgeleiteten Konsum (Wegwerfkultur) und verlangt von den Menschen einen anderen Lebensstil. Er prangert den modernen Anthropozentrismus (Ziff. 115–123) an und bezeichnet ihn als eine Teilursache der bestehenden ökologischen Krise. Im Rahmen einer ganzheitlichen Ökologie fordert er eine generationsübergreifende Gerechtigkeit (insb. Ziff. 159). Im 5. Kapitel der Enzyklika („Einige Leitlinien für Orientierung und Handlung“) geht der Papst ausführlich auf den Dialog zwischen Politik und Wirtschaft zu einer vollen menschlichen Entfaltung ein (Ziff. 189–198).

Nachhaltigkeit ist gewiss keine moderne Ersatzreligion. Wir müssen sachlich bleiben. Ganz entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass es der Menschheit durch Bildung, insbesondere der Mädchen, durch Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, durch Aufklärung und Verhütung weltweit gelingt, das Bevölkerungswachstum, das ein wesentlicher Treiber der globalen Probleme darstellt, abzudämpfen. Menschenwürdig kann das nur über die Ratio und auf freiwilliger Basis erfolgen.

5.4 Unternehmen, CRS, Freiwilligkeit/Soft Laws

Die globalen, europäischen und nationalen Bemühungen zu einer nachhaltigen Welt sind längst in den Unternehmen angekommen. Insbesondere international tätige Konzerne haben das Nachhaltigkeitsprinzip verinnerlicht. Ein gut ausgebautes, integriertes Nachhaltigkeitscontrolling ist die Basis für die interne und externe Nachhaltigkeitsberichtserstattung und diese wiederum ist die Arbeitsgrundlage für ein systematisches Nachhaltigkeitsmanagement (s. Abb. 5.3) sowie für eine externe Nachhaltigkeitsbewertung (-rating). Seit Oktober 2011 existiert der DNK (Deutsche Nachhaltigkeitskodex); zwischenzeitlich mehrfach überarbeitet. Die Anwender reporten über 20 DNK-Kriterien und veröffentlichen in einer Datenbank auf der DNK-Website jedes Jahr eine Entsprechenserklärung (analog zu § 161 AktG) unter Rückgriff auf ein Set an GRI- und EFFAS-Indikatoren.

Abb. 5.3
figure 3

Zeitstrahl der Meilensteine bezüglich der Unternehmen

Größere Kapitalgesellschaften (>500 Mitarbeiter) sind durch das CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz (CSR-RLUG; Deutscher Bundesrat Drs. 201/17 vom 10.03.2017) seit dem Geschäftsjahr 2017 verpflichtet, auch über zur Bewertung ihres Geschäftsverlaufs wesentliche, nichtfinanzielle Aspekte (gemäß §§ 289b/c und 315c HGB) – unter Androhung von Ordnungs- und Strafgeldern – Bericht zu erstatten.

Ideal wäre natürlich, wenn alle betreffenden Unternehmen dem entwickelten Nachhaltigkeitsreporting freiwillig und umfassend nachkämen. Das würde zudem zum Ausdruck bringen, dass die Unternehmen dem Nachhaltigkeitsgedanken durchweg den angemessen hohen Stellenwert einräumen und dabei sind, das erforderliche Nachhaltigkeitsbewusstsein und die angestrebte Nachhaltigkeitskultur zu entwickeln. Freiwilligkeit und Selbstverpflichtungen sind allerdings nur bei ca. der Hälfte der Unternehmen im ausreichenden Maß anzutreffen. Deshalb ist hierbei auch der Gesetzgeber gefordert und immer mehr Vorgaben werden obligatorisch. Allerdings sind die einzelnen Normenwerke und Indikatorensysteme aufeinander abzustimmen, damit nicht in den Unternehmen unnötige Doppelarbeit induziert wird. Außerdem ist nach Rechtsform, Kapitalmarktbezug und die Unternehmensgröße zu differenzieren sowie auf die Wesentlichkeit der zu berichtenden, branchenspezifischen Einzelaspekte abzustellen. Die Wesentlichkeit der Berichtsdetails erlangt immer mehr an Bedeutung, denn sonst nimmt die Vielzahl der unterschiedlichen Berichtserfordernisse überhand und überfordert die Unternehmen sowie die Berichtsadressaten. Auch KMUs berichten bereits freiwillig über ihre Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit. Das schafft Wettbewerbsvorteile, z. B. im Marketing, ergo beim Produktimage, bei der Rekrutierung junger Nachwuchstalente und mehr und mehr auch bei der Kapitalbeschaffung.

Schließlich: Wer nicht hören will, der muss fühlen… Wenn Gebote und Soft Laws nicht verfangen, dann muss es über das Portemonnaie gehen. Dann muss man versuchen, über eine pretiale, fiskalische Lenkung (z. B. durch CO2-Preise, CO2-Steuer und in der EU ab 2023 durch CBAMFootnote 2), über Buß- und Strafgelder das gewünschte Verhalten zu induzieren. Bei alledem sind allerdings soziale Nebenwirkungen fein auszubalancieren und ggf. angemessen zu kompensieren.

Was zunächst auf freiwilliger Basis als Ökobilanz bzw. als Umweltbericht begann, wurde inzwischen auch – zunächst im Rahmen der (internationalen) Konzernrechnungslegung (gem. § 315a HGB) – gesetzlich geregelt. Der revidierte DRS 20, der für Geschäftsjahre nach dem 31.12.2012 gilt, verlangt im Konzernlagebericht (gem. § 315 HGB) 17 Angaben über eine Entwicklung zur Nachhaltigkeit (DRSC 2012, TZ 110–115). Laut DRS 20 TZ 112 kann der Bezug zur Nachhaltigkeit dadurch hergestellt werden, dass für einzelne Kennzahlen der Zusammenhang zu ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen beschrieben wird. Für das Nachhaltigkeitsreporting können allgemein anerkannte Rahmenwerke, wie z. B. die GRI-G4-Richtlinie, die Vorgaben des IIRC, der Deutsche Nachhaltigkeitskodex, die ISO 26000, der UN Global Compact, das Umweltmanagement und -betriebsprüfungssystem EMAS (ggf. in Verbindung mit ISO 14001), die OECD-Leitlinie für multinationale Unternehmen und die Dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik der ILO (International Labour Organization) verwendet werden.

5.5 Veränderungen in der Zivilgesellschaft

Nicht nur das Umfeld der Unternehmen wandelt sich seit 1992 im Zuge der globalen Transformation zu mehr Umwelt- und Klimaschutz und zu einem verstärkten Nachhaltigkeitsbewusstsein. Auch jeder Einzelne tendiert mehr und mehr zu einem nachhaltigeren Leben. Menschen verstehen immer mehr die Zusammenhänge, auf die es ankommt, und entwickeln eine entsprechende Sensibilität. Sie nutzen ihre Flexibilität, sie improvisieren und probieren mehr und suchen neue Vorbilder. Man will nicht nur technisch smarter konsumieren, sondern bewusster und weniger. Luxus und Statussymbole jeder Art werden vermehrt hinterfragt… und auch zurückgenommen. Es ist den Menschen klar, dass es mit der Überfluss- und Wegwerfgesellschaft so nicht weitergehen kann. Das Über-seine-Verhältnisse-Leben ist gewiss kein Menschenrecht (Paech 2015, S. 13 ff.). Die Bäume wachsen nirgendwo in den Himmel und überbordendes Wachstum ist in allen Fällen pathologisch.

Vieles ändert sich bereits freiwillig auf der Basis eines verinnerlichten Verständnisses, aber an einigen Stellen muss der Gesetzgeber für zusätzliche Schubkraft und Klarheit sorgen. Vermehrt in den letzten Jahren sind diverse Gesetze novelliert und auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene neue Gesetze und Verordnungen erlassen worden, die nicht nur die Wirtschaft sondern auch jede/n Einzelne/n im Lande betreffen (s. u. Abb. 5.4).

Abb. 5.4
figure 4

Deutsche Gesetze zur Nachhaltigkeit

Der Einzelhandel und die Getränkeindustrie hatten zunächst die Einführung des Einwegpfands versucht, gerichtlich zu verhindern. Ohne Erfolg. Zunächst wurde das „Dosenpfand“ (seit 2003) nur noch veralbert und mittlerweile hat sich jeder daran gewöhnt. Allgemein gilt die 3R-Formel (Pauli 2010, S. 134 f.): Reduce, Reuse, Recycle. Oberster Grundsatz: Vermeiden! Weniger ist mehr! Auch sollte man die Nutzungsperioden etwa durch Secondhand, Reparieren, bessere Qualität verlängern; in 5/2023 hat das EU-Parlament eine Richtlinie hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken (z. B. geplante Obsoleszenz) und bessere Informationen beschlossen (EP 2023a). Leihen statt kaufen. Sharing Economy. Die 3 F’s: Fleisch, Fahrten, Flüge sind heutzutage schlicht üblich (Normalitätsvorstellung), wenn man sie sich leisten kann (Ekardt 2017, S. 67). 15 % der weltweit anthropogen verursachten Emissionen gehen auf den Fleischkonsum zurück, wobei der Konsum von Fleisch und Wurst in Deutschland in den letzten Jahren stagniert bzw. leicht zurückgeht. Die Einkaufs- Verzehrgewohnheiten ändern sich (s. BMEL Ernährungsreport 2022, S. 29), wenngleich langsam. Inzwischen gab es 2022 in Deutschland 7,9 Mio. Vegetarier (+0,5 Mio. gg. 2021) und 1,57 Mio. Veganer (+0,17 Mio.), mit weiter steigender Tendenz.Footnote 3 Vegetarische und vegane Wurst wird auch den in Bezug genommenen Lebensmitteln tierischen Ursprungs insbesondere in Aussehen und Mundgefühl immer ähnlicher und von daher bei den Konsumenten immer beliebter. Die Industrie arbeitet daran, In-Vitro-Meat („Stammzellen-Burger“) in wenigen Jahren zur Marktreife zu bringen. „Flexitarier“ werden auch als flexible Vegetarier bezeichnet. Sie lehnen die Massentierhaltung ab, schützen die Umwelt, möchten ihre Gesundheit fördern und trotzdem nicht ganz auf hochwertiges, biologisch produziertes Fleisch verzichten. Laut einer Forsa-Studie gibt es in Deutschland rund 42 Mio. solche „Teilzeitvegetarier“ und es werden immer mehr. Definiert wurden die Flexitarier bei dieser Umfrage als Personen mit einem Fleischverzicht an mindestens drei Tagen pro Woche. Man respektiert verbreitet, dass Tiere keine Wegwerfware sind. Deswegen ändert sich auch unser Umgang mit diesen Geschöpfen. Es gibt allerdings immer noch eine Menge zu tun, was nicht nur den Tieren sondern auch direkt dem Menschen zugutekommt. Ab April 2019 hat die „Initiative Tierwohl“ (LIDL, ALDI/Nord/Süd, REWE/Penny/Wasgau und EDEKA/Netto) ein Qualitätssiegel eingeführt, ein staatliches Tierwohlsiegel gibt es ab August 2023, das Aufzucht, Ställe, Transporte und Schlachtung von Rindern, Schweinen und Geflügel betrifft. Allgemeines Ziel ist es, die Qualität des Frischfleischangebots in den nächsten Jahren weiter erheblich zu verbessern. Zusätzliche Transparenz bietet dem Verbraucher seit 2020 die freiwillige Nährwertkennzeichnung „Nutri-Score“.

Zum nachhaltigen, klimaneutralen Leben gehört auch eine möglichst ressourcenschonende und emissionsarme Mobilität und klimaneutrales Reisen. Verstärkt werden elektrische Antriebe entwickelt und E-Autos (BEV, PHEV und HEV) angeboten und die Ladeinfrastruktur ausgebaut; alternativ arbeitet man an Wasserstoff-getriebenen Motoren und an Fahrzeugen mit Brennstoffzellenantrieb (FCEV). Möglichst wären unnötige Fahrten und Reisen überhaupt zu vermeiden, unumgängliche Transporte (Personen und Güter) sollten dann CO2-kompensiert erfolgen. Wie gesagt: Kompensieren ist gut, vermeiden ist besser. Hier gibt es einige Öko-Reiseportale (wie z. B. atmosfair, ClimateFair)Footnote 4, die klimaneutrale Reisen, insbesondere klimaneutrale Flugreisen anbieten; das Ziel ist neben dem Abbau von jeglichem Overtourism die Realisierung von sanftem, fairem, naturnahem bzw. nachhaltigem Tourismus. Auch die Regierungs-Mobilität und die An- und Abreisen zu den großen Weltkonferenzen (s. Abschn. 5.2) werden inzwischen durchweg klimaneutral durchgeführt. Die Triebwerkshersteller arbeiten an immer sauberen und effizienteren Flugzeugtriebwerken; auch Wasserstoff-Triebwerke sind in der Projektierung und Erprobung, dito werden alternative, synthetische Flugkraftstoffe getestet. Die ICAO International Civil Aviation Organization, der 191 Luftfahrtnationen angehören, hat in 2016 ein Abkommen (CORSIA Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) verabschiedet, wonach ab 2020 dieser Luftverkehr nur noch CO2-neutral wachsen soll, bei einem jährlichen Verkehrszuwachs von ca. 5 %. Kreuzfahrtschiffe werden sukzessive auf Gasbetrieb umgestellt; die IMO (International Maritim Organization) hat sich vorgenommen, bis 2050 die Treibhausgasemissionen des Seeverkehrs zu halbieren.

Schon immer hat es Menschen gegeben, die bedingt durch ihren Glauben ein einfacheres Leben bevorzugen, das auf Luxus und die Nutzung von Technik weitgehend verzichtet (z. B. die Amischen). Zeitgeistig haben sich die Zielgruppen der LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability) und LOVAS (Lifestyles of Voluntary Simplicity) herausgebildet.

Erneuerbare Energieträger werden (on- und off-shore) forciert ausgebaut, der Atomausstieg wurde 2022 mit dem Abschalten der letzten 3 deutschen Atomkraftwerke vollzogen und der Kohleausstieg (per Gesetz bis spätestens 2038, lt. Koalitionsvertrag möglichst bis 2030) ist weitgehend Konsens, trotz Beendigung der Öl- und Gasimporte aus Russland; der Bund unterstützt den Strukturwandel der betroffenen Kohleregionen. Als Energieträger der Zukunft gilt vermehrt Wasserstoff. Zum koordinierten Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft hat im Juni 2020 die Bundesregierung die erste Nationale Wasserstoffstrategie vorgelegt; im Juli 2023 folgte deren Fortschreibung. Wir bauen Niedrigenergiehäuser („Passivhäuser“), zumindest werden immer mehr Gebäudeteile gedämmt und Solar- oder Photovoltaikpanels auf unsere Dächer bzw. Balkone montiert. Wir drängen konsequent den Verpackungsmüll (Plastik) zurück und kämpfen gegen die immense LebensmittelverschwendungFootnote 5, die immer noch ein großes Problem darstellt: Rund ein Drittel aller hergestellten Lebensmittel landen nicht auf den Tellern/in den Bäuchen der Menschen sondern im Abfall, obwohl gleichzeitig immer noch 735 Mio. Menschen (UN 2022) auf der Welt hungern oder unter Mangelernährung leiden. Auf der anderen Seite sind bio-, regionale und saisonale Produkte im Vormarsch. Bio-Supermärkte nehmen zu; Bio-Umsätze haben sich in den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt, mit einem kleinen Corona-bedingten Rückgang… und weiterem Anstieg ab 2. Quartal 2023.Footnote 6   

Bei den Jugendlichen (14–22-Jährige) zählen, wie die letzte BMU-Jugendstudie 2021 ausweist, Umwelt- und Klimaschutz weiterhin zu den wichtigsten gesellschaftlichen Themen. Nachhaltigkeit gehört bei ihnen zum Alltag (BMUV 2022, S. 32). Sorgen um die Umwelt und das Klima belasten Zukunftsperspektiven, Lebensgefühl und Gerechtigkeitsempfinden junger Menschen (BMUV 2022, S. 21).  Das Thema wird immer stärker emotional aufgeladen: Angst, Trauer, Mitleid und/oder Wut spielen zunehmend eine Rolle (BMUV, S. 18). Junge Menschen sind unzufrieden damit, was die Bundesregierung, die Industrie und Wirtschaft sowie jede und jeder Einzelne für den Umwelt- und Klimaschutz tun. Sie selbst verhalten sich eher beim Konsum nachhaltig, als sich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Jedoch zeigt gerade die Klimabewegung, dass es zivilgesellschaftliches Engagement braucht, um weitreichende Veränderungen zu erreichen (BMUV, S. 37). Insgesamt: Es tut sich viel in Richtung nachhaltige Umwelt… und die Entwicklung nimmt weiter an Fahrt auf. Allerdings müssen wir darauf achten, dass man positive Entwicklungen in Richtung Nachhaltigkeit nicht durch Nachlässigkeiten an anderer Stelle – weil man ja besser geworden ist – wieder zunichtemacht („Rebound-Effekte“; Paech 2015, S. 75 ff., 84 ff.). Angekommen im Anthropozän fordert Stefan Brunnhuber deshalb zu Recht, in sämtliche Nachhaltigkeitsanstrengungen vermehrt auch Psychologen einzuschalten (Brunnhuber 2016, S. 280), denn es geht dabei nicht nur um technische, geophysikalische und geochemische, (macht-)politische und finanzielle Fragen, sondern um gravierende, überhaupt nicht triviale Verhaltensänderungen in jedem von uns. Es nützt nichts, wenn wir wissen, wie’s geht bzw. gehen könnte, aber wir es einfach nicht hinbekommen (s. Markus 14:37–38, Luther Bibel 1545). Wir kennen alle das Schicksal unserer guten Vorsätze zum Jahreswechsel…

Fazit: Die Menschheit braucht für diese gemeinsame Problematik eine gemeinsame Einsicht. Es geht nicht, wenn jeder das auf Biegen und Brechen verteidigt, von dem er persönlich überzeugt ist. Oder wenn man der vermeintlichen Gegenseite vorhält, sie würde Dinge in Anspruch nehmen, die sie anderen nicht gönnt. Solche ‚klimabesorgten Klimasünder‘ predigen Wasser und trinken selber Wein… und fahren SUV und jetten um die Welt, als gäbe es kein Morgen (Plickert 2019). Kontroversen, Neiddebatten und das Desavouieren des Anderen helfen nicht weiter. Auch demokratisch erzielte Mehrheiten sind nur bedingt eine (nachhaltige) Lösung, da eigentlich alle an einem Strang ziehen müssten. Wir brauchen die IrenikFootnote 7, die Müller-Armack damals bei der Formulierung der Sozialen Marktwirtschaft ins Spiel gebracht hat. Wir müssen verstehen, dass wir alle Menschen der globalen Transformation sind und gemeinsam in dieser Transition stecken. Denn im Moment wollen noch zu viele das bewahren, was ihrs ist. Andere sind innerlich zerrissen, kämpfen gegen ihren inneren Schweinehund und leiden unter diesem Multilemma. Wieder andere wähnen sich bereits als in der nachhaltigen Utopia angekommen. Keine Frage: Die Klammer für alle diese komplexen Verwerfungen ist das Prinzip der Nachhaltigkeit, das schließlich alle Lebensbereiche irenisch durchdringen muss.