AfD: Wut über Krah-Affäre bedroht Weidel und Chrupalla

In der AfD gibt es zwei Arten von Wut über die Krah-Affäre: Beide bedrohen Weidel und Chrupalla

Die Vorwürfe gegen ihre Spitzenkandidaten haben die AfD kalt erwischt. Nun wird über die richtige Strategie gestritten. Das Vorfeld der Partei mischt sich ein.

Die Vorwürfe gegen Maximilian Krah könnten für die AfD-Chefs auch persönlich zum Problem werden. 
Die Vorwürfe gegen Maximilian Krah könnten für die AfD-Chefs auch persönlich zum Problem werden. Fotomontage: Berliner Zeitung Foto: dpa

Mit früheren Krisen sei das nicht vergleichbar, sagt einer, der schon lange dabei ist in der AfD-Bundestagsfraktion. Und wenn mal wieder der Vorwurf von Rechtsextremismus im Raum gestanden habe, hätte das ohnehin kaum noch jemanden interessiert. Daran seien nicht nur die Wähler gewöhnt, sondern auch Abgeordnete und Mitarbeiter.

Doch diesmal sei es anders. Plötzlich ist von „Landesverrat“ die Rede.

Die Anschuldigungen gegen den Europaparlamentarier Maximilian Krah und den Bundestagsabgeordneten Petr Bystron, die beiden Spitzenkandidaten bei der Europawahl, bringen Unruhe in die AfD. Sie stellen das patriotische Selbstbild infrage, sorgen für Chaos in der Kommunikation. Und drohen vor allem für die Partei- und Fraktionsspitze zum Problem zu werden.

Guten Morgen, Berlin Newsletter
Vielen Dank für Ihre Anmeldung.
Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.

Vorwürfe gegen Krah: „Schmutzkampagne des Spiegel“

Vor rund zwei Wochen hatte der Generalbundesanwalt einen Mitarbeiter von Krah festnehmen lassen. Jian G. wird verdächtigt, im Europaparlament für den chinesischen Geheimdienst spioniert zu haben. Beiden Politikern werden Verbindungen zu prorussischen Netzwerken vorgeworfen, es laufen Vorermittlungen wegen möglicher Geldzahlungen aus Russland. Bei Krah wird außerdem geprüft, ob wegen möglicher Zahlungen aus China ermittelt werden soll, ob ein Anfangsverdacht besteht.

Die AfD-Spitzenkandidaten bestreiten, russisches oder chinesisches Geld angenommen zu haben. Sie und ihre Unterstützer unterstellen ein Komplott von politischen Gegnern, Medien und Geheimdiensten. Es sei kein Zufall, dass die Behörden gerade jetzt aktiv würden, nur wenige Wochen vor der Europawahl. Manche sprechen von einer „Schmutzkampagne des Spiegel“. Bystron vermutet gar „eine von der Nato betriebene Kampagne“.

Bewiesen ist tatsächlich nichts, weder die Spionagetätigkeit von Jian G. noch Geldflüsse aus dem Ausland. Und der Zeitpunkt einzelner Anschuldigungen ist wirklich bemerkenswert. Immerhin war zumindest Krahs Mitarbeiter kein Unbekannter für die deutschen Geheimdienste. Er selbst hatte sich dem Bundesnachrichtendienst vor Jahren als Spitzel angeboten, der sächsische Verfassungsschutz nutzte Informationen von Jian G. Trotzdem sei er nicht gewarnt worden, sagt Krah.

Rechtlich gesehen sind die beiden Europakandidaten daher unbescholten. Doch die Vorwürfe gegen sie haben vor allem politische Sprengkraft. Sie werden zum Test für die Krisenresilienz der AfD.

AfD verliert in Umfragen: „Jetzt kommt die Quittung“

Denn die Berichte über Krah und Bystron scheinen sich auf die Umfragewerte für die Europawahl auszuwirken. Nach einem langen Hoch verliert die AfD derzeit an Boden. Das sorgt für Nervosität in der Partei. Mitunter steht sie bei nur noch 15 Prozent – wobei das immer noch deutlich stärker wäre als bei der letzten Europawahl. In internen Chats wird über die Gründe für die sinkenden Werte diskutiert.

In der privaten Facebookgruppe „Berliner AfD Salon“ etwa beklagt ein Parteifreund „offene Flanken“. Der Markenkern der AfD sei „die vermeintliche Unbestechlichkeit, das Eintreten für deutsche Interessen und die der deutschen Bürger“. Verliere man diesen Ruf, sei „halt ne Menge verloren“. Ein anderer warnt indes vor einer „Eskalationsspirale Richtung Pessimismus“.

Der „Salon“, wie die Gruppe in der AfD genannt wird, zählt mehr als 500 Mitglieder, darunter führende Parteileute und Abgeordnete. Ein beliebtes Forum für parteiinterne Debatten. Magdeburg sei die „Initialzündung“ gewesen, schreibt ein Mitglied. „Jetzt kommt die Quittung.“

In Magdeburg machte die AfD Maximilian Krah zu ihrem Spitzenkandidaten.
In Magdeburg machte die AfD Maximilian Krah zu ihrem Spitzenkandidaten.Carsten Koall/dpa

Umgang mit der Krise: Chrupalla steht unter Beobachtung

In Magdeburg hatte die AfD im vergangenen Sommer ihre Liste für die Europawahl aufgestellt. Maximilian Krah wurde Spitzenkandidat, Petr Bystron die Nummer zwei. Dass Krah die Partei in den Wahlkampf führen würde, störte schon damals viele, vor allem in der Bundestagsfraktion.

Und das nicht nur wegen Krahs chinafreundlichen Positionen. Über den promovierten Juristen mit einem Abschluss von der Columbia-Universität in New York sagen Parteikollegen, er sei unseriös. Von manchen wird er „Schampus-Max“ genannt. Letztlich sei die Tragweite der Entscheidung manchem Parteitagsdelegierten aber gar nicht bewusst gewesen, mutmaßen manche. Schließlich ginge es ja nur um Europa. Da unterscheidet sich die AfD nicht von anderen Parteien.

Wie sehr sich Weidel und Chrupalla einen Spitzenkandidaten Krah wünschten, ist unklar. Einige sagen, die Parteichefs hätten aktiv für den Mann aus Sachsen geworben, er sei auch ihr Favorit gewesen. Andere meinen, Weidel und Chrupalla hätten sich schlichtweg nicht ernsthaft mit der Kandidatenfrage befasst. Am Ende sei Krah eben „passiert“. Er erhielt nur knapp 66 Prozent der Delegiertenstimmen, und das gegen einen völlig unbekannten Mitbewerber. Krah ist ein Mann der völkisch-nationalen Strömung der Partei. Bystron kam, allerdings ohne Konkurrenten, auf 82 Prozent.

Nun aber müssen Weidel und Chrupalla Rede und Antwort stehen, sie sind die Parteichefs, Krah und Bystron ihre Kandidaten. Ihr Umgang mit den Anschuldigungen, sowohl intern als auch öffentlich, sorgt jedoch für weitere Spannungen in der AfD, auch bei Unterstützern der Partei. Das gilt vor allem für Chrupalla.

Chrupalla in der ARD: Hat Krah sein Buch selbst geschrieben?

In den vergangenen Wochen war der AfD-Chef ein begehrter Talkshow-Gast. Tino Chrupalla saß bei Caren Miosga in der ARD und Maybrit Illner im ZDF. Zu den Themen gehörten nicht nur die Vorwürfe gegen die Europakandidaten der AfD, sondern auch Passagen aus Maximilian Krahs Buch „Politik von rechts“.

Darin beruft sich Krah etwa auf eine Studie, wonach unter Frauen „weniger Gering-, aber auch weniger Hochbegabte als bei den Männern“ seien. Deshalb sei es keine Diskriminierung, dass es weniger weibliche Mathematikprofessoren oder DAX-Vorstände gebe. Im Bundesvorstand habe man mit Krah darüber diskutiert, sagte Chrupalla, man habe das sicherlich nicht für gut befunden. Überhaupt wisse er nicht, ob Krah das Buch selbst geschrieben habe. „Auch das müsste man ihn vielleicht mal fragen.“ Sein Geschmack sei es jedenfalls nicht.

So etwas sorgt für Gelächter im Studiopublikum. Dass ein Parteichef vor Millionen Zuschauern die Autorenschaft seines Spitzenkandidaten infrage stellt. Im sogenannten Vorfeld der AfD, bestehend aus Medien, Aktivisten und Denkfabriken, erregen solche Rechtfertigungen jedoch Unmut. Dort spricht man dann von „Distanzeritis“, fordert Geschlossenheit. Es sei nicht nur falsch, sondern auch aussichtslos, einem Kartell aus Mainstream-Medien und „Altparteien“ gefallen zu wollen – und dabei den eigenen Leuten in den Rücken zu fallen.

So schrieb etwa der neurechte Verleger Götz Kubitschek, kein AfD-Politiker sollte sich von „irgendjemandem, der außerhalb der Partei steht, in eine Abgrenzung zu denjenigen Parteifreunden treiben lassen“, die demnächst als Spitzenkandidaten zur Wahl stünden. Diejenigen, die einem in Parlamenten oder „Filmstudios“ begegneten, seien für den Wahlausgang „völlig irrelevant“. Kubitschek ist einer der Gründer des Instituts für Staatspolitik, das tief hineinwirkt in die AfD. In seinem Verlag Antaios erschien Krahs Buch.

In einer Videoanalyse des Magazins Compact wurde Chrupallas Auftritt als „sehr, sehr schwach“, „schwammig“ und „weich“ verrissen. Ob er etwa sagen wollte, dass Krah „zu blöd“ sei, um dieses Buch zu schreiben. Dabei hätte sich der Parteichef doch mit breiter Brust vor seinen Spitzenkandidaten stellen müssen.

Das sei ein „böses Foul“ von Compact gegen Chrupalla gewesen, heißt es in der AfD-Fraktion. In der Vergangenheit war der Partei- und Fraktionschef allerdings auch intern für Aussagen kritisiert worden; sei es zur Bundeswehr oder zum Nahostkonflikt. Da liegt die Frage natürlich nahe, warum er sich in einer so heiklen Lage in eine öffentlich-rechtliche Talkshow setzt.

Eine Antwort darauf ist womöglich eine Episode aus dem Jahr 2021. Jörg Meuthen war in der Sendung von Markus Lanz zu Gast, als damaliger Vorsitzender der AfD. Er beschwerte sich, dass seine Partei so selten in die Show eingeladen werde. Doch Lanz hielt dagegen. Die Redaktion habe Fraktionschefin Weidel mehrmals angefragt und „Woche für Woche Abfuhren kassiert“.

In der AfD-Fraktion heißt es heute, Weidel hätte sich später intern für ihre Absagen rechtfertigen müssen. Schließlich ist es doch die AfD selbst, die sich routiniert darüber entrüstet, von den öffentlich-rechtlichen Sendern ignoriert zu werden. Ein Dilemma: Einerseits will man die große Bühne. Andererseits läuft man Gefahr, durch ungeschickte Auftritte Teile der eigenen Partei gegen sich aufzubringen.

Nähe zu China: Immer wieder Kritik am Arbeitskreis Außen

In der Fraktion ist die Stimmung angespannt, viele seien verunsichert, sagen Abgeordnete und Mitarbeiter. Kommen mehr Details zu Krah und Bystron ans Licht? Verlassen weitere Abgeordnete die Partei, so wie kürzlich Thomas Seitz, der einen „blauen Filz“ beklagte? Seit Beginn der Legislaturperiode ist die AfD von 82 auf 77 Mandatsträger geschrumpft. Geht das so weiter, droht sie auch Sitze in Ausschüssen zu verlieren.

Wann immer es zuletzt hitzig wurde in der Fraktion, ging es meist um die Außenpolitik. Der tonangebende Arbeitskreis Außen habe ein Faible für Autokratien, sagen seine Kritiker, für Iran, Russland, China. Das gelte für die allermeisten seiner Mitglieder, unter anderem für Petr Bystron.

Dabei sind zumindest chinafreundliche Positionen nicht immer durchsetzbar in der Fraktion. Wie andere Parteien im Bundestag ist auch die AfD kein homogener Block, auch sie ringt in Sachfragen intern.

In der vergangenen Legislatur etwa entstand im AK Außen ein Papier zur Chinastrategie. Es liegt der Berliner Zeitung vor. Gelobt wird darin, dass es in Peking weder Proteste wegen MeToo noch Rassismusvorwürfe gegen eigene Sicherheitskräfte gegeben habe. „Nicht weil diese unterdrückt wurden, sondern weil entsprechende Meldungen als irrelevant eingeordnet werden und als Versuch, die Welt durch die Brille der USA zu zeigen.“ Im Abschnitt zu Menschenrechten schreiben die Autoren von „Kampagnen gegen Chinas Vorgehen in Xinjiang oder Hongkong“. Es gehe darum, „dem deutschen Publikum etwas möglichst Spektakuläres über China zu erzählen“, was zu einer „realitätsfeindlichen Wagenburgmentalität“ führe.

Viele der Positionen ähneln denen des Europaabgeordneten Krah, der einem Bericht der Welt am Sonntag zufolge selbst Einfluss auf die Chinapolitik der AfD im Bundestag nehmen wollte. Am Ende fiel das Papier in der Fraktion durch, Kollegen anderer Arbeitskreise verweigerten die Zustimmung. Heute sagen viele, Krahs Standpunkte seien lange bekannt gewesen, man habe gewusst, worauf man sich einließ. Dass das Thema China für Probleme sorgen könnte.

Der Abgeordnete Petr Bystron spricht von einer Kampagne der Nato.
Der Abgeordnete Petr Bystron spricht von einer Kampagne der Nato.imago/M. Popow

Auch Unterstützer sagen: Krahs Politik ist problematisch

Wie ungemütlich es für Weidel und Chrupalla wird, hängt vor allem vom Ergebnis der Europawahl ab. Jeder verlorene Prozentpunkt kostet einen Abgeordneten im Europaparlament, so lautet die Faustregel. An jedem Kandidaten hängen Mitarbeiter, die nach Brüssel wollen, aber auch Netzwerke in der Partei. Da ist Frust programmiert, wenn einige wegen der womöglich missglückten Kandidatenwahl auf der Strecke bleiben.

In der Fraktion droht künftig zumindest Chrupalla ein Dämpfer. Dort wird schon lange über einen Wechsel auf eine Einzelspitze diskutiert. Ein entsprechender Antrag verfehlte im Oktober nur knapp die Mehrheit. Da Weidel den meisten als kommende Kanzlerkandidatin gilt, als Liebling der Basis, müsste wahrscheinlich Chrupalla weichen.

AfD-Bundesparteitag in Essen: Was macht Björn Höcke?

Manche AfD-Politiker blicken nun auf den kommenden Bundesparteitag im Juni. In Essen, wo einst der Vorsitzende Bernd Lucke stürzte, soll auch der Vorstand neu gewählt werden.

Es sei unwahrscheinlich, dass Weidel oder Chrupalla auf dem Parteitag ernsthaft zittern müssten, sagen selbst interne Kritiker. Dafür müsste das Ergebnis bei der Europawahl schon sehr schlecht ausfallen. Eher würde der Thüringer Parteichef Björn Höcke, das Gesicht der Völkisch-Nationalen, einen weiteren Getreuen aus seinem Landesverband im Vorstand installieren wollen. Dieses Gerücht kursiert derzeit in der AfD.

Es wird spannend sein zu beobachten, wie sich die Parteispitze im Wahlkampf verhält. Dass Weidel sich nach den Berichten über ein Treffen von AfD-Mitgliedern und Rechtsextremisten in Potsdam von ihrem Referenten Roland Hartwig trennte, tragen ihr viele Parteifreunde nach. Ähnliches wird sie nun vermeiden wollen.

Chrupalla trat am Mittwoch in Dresden auf, bei einem Fest seiner sächsischen AfD. Genauso wie Maximilian Krah. Ihren Wahlkampfauftakt hatte die Partei noch ohne den Spitzenkandidaten bestritten. Chrupalla und Krah sprachen auf dem Neumarkt vor rund 1000 Menschen.

Ein gemeinsames Gruppenfoto gab es jedoch nicht. Offenbar versucht man es erstmal mit „Distanzeritis light“. Und nach der Wahl wären Krah und Bystron ja ohnehin in Brüssel, weit entfernt von Sachsen, Thüringen und Brandenburg, wo im Herbst wegweisende Wahlen anstehen.