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Willy Brandt tritt zurück

Es geschah vor 36 Jahren: Am 6. Mai 1974 erklärte Bundeskanzler Willy Brandt seinen Rücktritt. Damit übernahm der Sozialdemokrat die Verantwortung dafür, dass einer seiner engsten Mitarbeiter, Günter Guillaume, als Agent der DDR enttarnt worden war. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Affäre nicht der alleinige Grund für die Demission des amtsmüden Kanzlers war. Am Tag darauf stellten sich im ZDF-Studio Bonn Spitzenpolitiker den Fragen von Journalisten: der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner, der mitregierende FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick sowie die Oppositionsvertreter Franz Josef Strauß (CSU-Vorsitzender) und Helmut Kohl (CDU-Vorsitzender). Wir dokumentieren einige Antworten.

War die Entlarvung eines Spions ein hinreichender Anlass für einen für die Bundespolitik so bedeutsamen Schritt?

Wehner: Der Respekt vor Willy Brandt und vor seiner Entscheidung gebieten es mir zu sagen, dass es sinnlos ist, daran herumzudeuteln, dass er geschrieben hat in seiner Rücktrittsbegründung, dass er die politische Verantwortung für Fahrlässigkeiten in Zusammenhang mit dieser Affäre übernimmt. Ich halte das für eine große, anständige Haltung.

Die Sicherheitsorgane haben versagt. Warum hat der zuständige Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) keine Konsequenzen gezogen?

Mischnick: Ich halte die Behauptung, dass die Sicherheitsorgane versagt haben, für falsch. Erstens einmal sind wir noch mitten in der Überprüfung, ob Fehler bei der Einstellung geschehen sind. Zweitens: Es ist gelungen, wenn auch zu einem sehr späten Zeitpunkt, den Betreffenden zu entlarven, obwohl er seit 1956 bis zum Zeitpunkt seiner Verhaftung tätig gewesen ist. Es ist also am Anfang das Versagen gewesen, nicht zu diesem Zeitpunkt. Der Minister hat seine Aufgaben voll wahrgenommen und erfüllt, und deshalb bestand für ihn kein Grund, zurückzutreten.

Wo liegt das Versagen des Bundeskanzlers im Fall Guillaume?

Strauß: Ich lasse einmal offen, welche Kette von Ereignissen in der Vorgeschichte, die mit der Affäre gar nichts zu tun haben, zum Schluss dann doch diesen Entschluss des plötzlichen Rücktritts ausgelöst haben. Wie kommt ein Mann, gegen den immerhin Bedenken nachweislich erhoben worden sind, dazu, in der engen Umgebung des Kanzlers angesiedelt zu werden? Wenn man einen Parteifunktionär unterbringen will, was leider mehr und mehr Mode wird, dann gibt es andere Möglichkeiten. Die Empfehlungen des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes hat man einfach in den Wind geschlagen.

Es heißt, die Opposition plante, Informationen aus der Privatsphäre des Bundeskanzlers ins Spiel zu bringen.

Kohl: Zunächst einmal ist schon allein die Unterstellung, dass eine Partei wie die CDU/CSU solches tun will, eine ungeheure Anmaßung. Wir haben in diesen entscheidenden und für unser Land bedrückenden Stunden immer wieder gesagt, und das ist der Maßstab, dass hier eine kritische Lage unseres Landes, unseres Staates entstanden ist, und dass überhaupt kein Grund besteht, dass irgendjemand Schadenfreude hat. Diejenigen, die jetzt davon reden, dass Willy Brandt das Opfer einer Verleumdungskampagne ist, die sollen Ross und Reiter nennen. Die Angelegenheit Guillaume ist ja nur der Anstoß für den Rücktritt.

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