Willy Brandt ist �mit einer alleinstehenden, berufst�tigen Mutter aufgewachsen� – Quotenmeter.de
Interview

Willy Brandt ist �mit einer alleinstehenden, berufst�tigen Mutter aufgewachsen�

von

Jan Peter und Sandra Naumann haben die vierteilige Dokumentation �Willy � Verrat am Kanzler� produziert, die am 24. April 2024 in die ARD Mediathek kommt.

Warum eine erneute Doku zu Willy Brandt?
Jan Peter /Sandra Naumann: Wir besch�ftigen uns mit Geschichte, weil wir etwas �ber uns im Hier und Heute erfahren wollen. Und so erz�hlt jede Generation neu, wie und warum die Welt, die uns umgibt, so wurde, wie sie ist. In einer gewissen Weise ist das auch ein Test f�r die Wirkm�chtigkeit der Story selbst: L�sst sich im Damals noch etwas wieder-finden von unseren gegenw�rtigen Fragen, Zweifeln, �ngsten und Hoffnungen?

Bei der Aff�re um den Kanzlerspion G�nter Guillaume und den von ihm ausgel�sten, wenn auch vielleicht nicht allein verursachten Sturz Willy Brandts, gibt es Vieles, was es wert ist, wieder und neu erz�hlt zu werden. Zum einen sind da die neuen M�glichkeiten seriellen Er-z�hlens und eine Dramaturgie, die sich weniger am t�glichen Polit-Klein-Klein als an dem gro�en, emotionalen Getriebensein der Handelnden orientiert.

Wir erz�hlen diesen Fall als eine Parallelgeschichte zweier � oder mit Einbeziehung von Christel Guillaume eher dreier � deutscher Leben mitten in diese Teilung Deutschlands hin-ein. Es ist viel mehr zugespitztes Drama als eine rein faktische Nacherz�hlung. Zum anderen ist gerade die legend�re Ostpolitik Willy Brandts, aber auch die Durchdringung der bundes-deutschen Politik und der Sicherheitsorgane mit Agenten feindlicher M�chte, heute auf eine ganz andere, dramatischere Weise aktuell, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall zu sein schien.

Durch die �ra Willy Brandt haben sich die Rechte der Frauen deutlich ver�ndert. War seine Politik der Durchbruch f�r die Gleichstellung von Mann und Frau?
Sandra Naumann: Mal ganz davon abgesehen, dass wir von einer tats�chlichen Gleichstellung noch immer weit entfernt sind, waren die Reformen des Eherechts und des Paragrafen 218, die gleich zu Beginn der �ra Brandt in Angriff genommen wurden, ganz we-sentliche Schritte auf dem Weg dorthin. So durften zum Beispiel verheiratete Frauen in der BRD ab 1958 immerhin ohne explizite Zustimmung des Ehemanns arbeiten, aber eben nur dann, wenn das �mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar� war. Das �nderte sich dann mit der neuen Gesetzgebung, die beiden Eheleuten das Recht auf Berufst�tigkeit zu-sprach � und �brigens auch die Pflicht sich an der Haushaltsf�hrung zu beteiligen. Die SPD hat diese wegweisenden Ver�nderungen in den 1970ern politisch umgesetzt; sie sind aber letztlich ein Verdienst der Frauen, die jahrzehntelang daf�r gek�mpft haben.

Jan Peter: Grunds�tzlich muss zu unserem Projekt noch gesagt werden, dass es ja keine filmische Biographie Willy Brandts darstellt. Eine solche w�re sicher unter heutigen Gesichtspunkten ebenfalls eine sehr reizvolle Aufgabe � wer wei�, falls die Abrufzahlen stimmen, kommt es ja dazu. Aber unsere Serie erz�hlt im Wesentlichen eine Spionagestory, und eine Geschichte von Intrigen, Auslassungen und Fehlern, die letztlich zum Sturz des deutschen Bundeskanzlers Brandt f�hren. Es ist, wenn Sie so wollen, vor allem eine True Spy Story, nat�rlich vor dem Hintergrund von Willy Brandts Lebensweg.

Die Frauen- und Familien-Politik unter Brandt war sehr bemerkenswert. Denken Sie, dass er seine Ideen von seiner Familie auf den Weg bekam, ins Ausland schaute oder ein-fach nur ein kluger Denker war?
Sandra Naumann: Ich bin keine Brandt-Expertin, aber soweit ich das beurteilen kann, mag es sicherlich eine Rolle gespielt haben, dass er mit einer alleinstehenden, berufs-t�tigen Mutter aufgewachsen und in seinem Leben immer wieder unabh�ngigen, politisch engagierten Frauen begegnet ist. Dar�ber hinaus hat Brandt aber auch immer Impulse aus der Gesellschaft aufgenommen � Es ist ja die Zeit der Studierendenbewegung, der Frauen-bewegung - aber auch Gespr�chen mit den Menschen, die er getroffen hat, lie� er sich inspi-rieren. Die Journalistin Heli Ihlefeld, eine unserer Interviewpartnerinnen, erinnert sich bei-spielsweise sehr gerne daran, dass sie mit Brandt �ber aktuelle Herausforderungen von be-rufst�tigen M�ttern gesprochen hat und er sehr interessiert an Themen wie diesem war. Und vermutlich hat Brandts Frauen- und Familienpolitik auch zu seiner Popularit�t unter der weiblichen W�hlerschaft beigetragen.

F�r Willy Brandt war es wichtig, dass die B�rger m�ndig und selbstbewusst an der Willens-bildung im Staat und Gesellschaft teilnehmen sollten. Die fr�here Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde als stetige K�mmerin �Mutti� genannt und Olaf Scholz beschwichtigt das Volk. W�re nicht eine klare Ansprache an das Volk viel wichtiger, um die Demokratie zu st�rken?

Sandra Naumann: Ansprache an das Volk impliziert ja in gewisser Weise �die da oben� und �wir hier unten�, was vielleicht auch ein wenig bequem ist. Dabei kommt es na-t�rlich auch auf die Erwartungshaltung an, die wir an die Politik und vor allem an unsere Demokratie haben. Willy Brandt sprach in seiner Antrittsrede als Bundeskanzler im Jahr 1969 davon, dass es um Mitbestimmung, aber auch um Mitverantwortung geht. Und davon, dass es f�r die demokratische Ordnung �Geduld im Zuh�ren und au�erordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen� braucht. Demokratie ist nie perfekt, sie ver�ndert sich und muss immer wieder neu ausgehandelt werden. Das ist manchmal auch m�hsam.

Was k�nnen die Zuschauer in dieser Dokumentation neu f�r sich mitnehmen? Mit ei-nem Vierteiler wollen Sie doch auch die junge Generation ansprechen?
Jan Peter: Willy Brandt ist ja gerade wieder in aller Munde. Und diesen Namen mit Leben und mit Emotionen zu f�llen, dass ist es, was wir anbieten. Wir wollen nicht belehren, keine herk�mmliche Geschichtsstunde abhalten. Wir erz�hlen eine spannende, teils absur-de, teils tragische Story � nicht nur mit dem L�becker Willy Brandt �brigens, sondern auch mit dem Ostberliner G�nter Guillaume und der aus Ostpreu�en stammenden Christel Guillaume. Die Schicksale dieser Menschen verweben sich zu einer wahrhaft deutsch-deutschen Saga.

Sandra Naumann: Angesichts dessen, dass die Einflussnahme von Geheimdiensten heute allgegenw�rtig ist, ist es sicherlich auch interessant zur�ckzublicken, welche Konse-quenzen diese ganz konkret haben kann und welche Gefahren sie in sich birgt.

Hinter dem Projekt stehen ausschlie�lich Frauen. Warum denn das?
Jan Peter/Sandra Naumann: Was beim Schauen des Archivmaterials der 1960er- und fr�hen 1970er-Jahre aus der Bundesrepublik, in dem aus der DDR etwas weniger, aber grunds�tzlich auch sofort auff�llt, ist die nahezu vollst�ndige Abwesenheit von Frauen und ihrer Perspektive im Politikbetrieb und in den Berichten dar�ber. Sie werden als �Arabeske" (so w�rtlich in einem ARD-Beitrag), als �h�bsche Objekte" manchmal ins Bild ger�ckt, aber sie bekommen nahezu nie eine eigene Stimme zugesprochen. �BER sie aber wird ununter-brochen geredet, gewitzelt, geraunt � sie sind buchst�blich Objekte der Begierde einer Ge-neration von Politikern, f�r die �die Aff�re" wie selbstverst�ndlich zu ihrer Existenz in Bonn dazuzugeh�ren schien.

Diese Diskrepanz wollten wir im Sinne der Devise �show, not tell� sicht- und vor allem f�hl-bar machen. Wie wollen aber auch zeigen, wie sehr sich Wahrnehmung und Gesellschaft in den vergangenen f�nfzig Jahren eben doch gewandelt haben. So erz�hlen und kommentie-ren vor der Kamera ausschlie�lich Frauen, aus vier Generationen, die Geschichte. Sie eint in ihrer Unterschiedlichkeit doch eben eines: Ihre Kompetenz, ihre Durchdringung des Themas und ihre einzigartige Zeitzeugenschaft.

Die M�nnerperspektive fehlt ja keineswegs; Willy Brandt und G�nter Guillaume kommen im Archivmaterial selbst zu Wort. Die Erz�hlhaltung wird vielmehr vollst�ndig gemacht durch die Stimmen der Frauen.

Wie haben Sie die richtigen G�ste f�r das Thema ausgesucht? Sind nicht schon wichtige Zeitzeugen verstorben?
Jan Peter/Sandra Naumann: Wir haben zuerst unmittelbare Zeitzeuginnen der dra-matischen Ereignisse angefragt. Zu sehen sind so die Journalistin Heli Ihlefeld oder die gro�e Brandt-Unterst�tzerin Katja Ebstein, aber auch eher kritischere Zeitzeuginnen wie die ehe-malige CDU-Bundestagsabgeordnete und vehemente politische Gegnerin Brandts Roswitha Verh�lsdonk. Eine weitere Stimme ist Lilli P�ttrich, die seit den 1970ern f�r den Osten spio-nierte.

Hinzu kommen Historikerinnen, Journalistinnen, Podcasterinnen, die aus ihrem Wirken her-aus eine tiefe inhaltliche und/oder emotionale Verbindung zu Willy Brandt und dem Wirken der Guillaumes entwickeln. Uns ging es dabei immer um die Verbindung von Sachkenntnis und pers�nlicher Leidenschaft in Bezug auf unser Thema.

Auch auf eine ausgewogene Darstellung der West- wie Ost-Perspektiven kam es uns an. Ge-rade uns, als aus der ehemaligen DDR stammenden Filmmenschen, ist es immer wichtig, die Geschichte beider deutscher Staaten als ein gleichberechtigtes, nicht von vornherein einan-der verdammendes Nebeneinander zu erz�hlen.

So steht z.B. die Ostberlinerin Eva-Maria Lemke als Host des �u�erst erfolgreichen Geheim-dienst-Podcasts �Dark Matters� ebenso vor unserer Kamera wie die ostdeutsche Bestseller-autorin und Historikerin Katja Hoyer, die K�lner ZEIT-Journalistin und Podcast-Queen Yasmi-ne M'Barek und die aus Niedersachsen stammende Leiterin der Forschungsabteilung des Stasi-Unterlagen-Archivs Daniela M�nkel.

Brandt soll seine Frau hintergangen haben. Warum nahmen Sie sich dieses Thema so an?
Sandra Naumann: Es geht uns gar nicht so sehr um die Frage, ob und wie Brandt seine Frau betrogen hat, sondern vielmehr darum, wie sein Privatleben von politischen Geg-nern � und Boulevardpresse � genutzt wurde, um ihn zu diskreditieren.

Unser fr�herer Bundeskanzler mache einen historischen Kniefall in Warschau und gene-rierte damit entsprechende Bilder. Konnte damit eine Auss�hnung von den Polen erfol-gen?
Sandra Naumann: Der Kniefall war auf jeden Fall eine wichtige Geste, die Brandts Anliegen einer Auss�hnung mit Polen ganz ohne Worte auf ber�hrende und einpr�gsame Weise deutlich gemacht hat.

W�rde ein Willy Brandt in das Jahr 2024 passen? Oder w�re er zum Teil schon wegge-cancelt worden?
Sandra Naumann: Wie unsere Interviewpartnerin Yasmine M�Barek in ihrem Buch �Radikale Kompromisse� schreibt, k�nnten wir heute durchaus einen Politiker wie Brandt brauchen, einen Realpolitiker der bereit ist, im Interesse der Menschen, der Gesellschaft, auch jenseits parteipolitischer Interessen L�sungen zu suchen und Kompromisse einzuge-hen. Auch hat er sich in seiner politischen Laufbahn immer wieder f�r Auss�hnung, Verst�n-digung und Ausgleich eingesetzt, nicht nur mit den europ�ischen Nachbarn, sondern zum Beispiel auch mit Israel und dem globalen S�den. �Cancel Culture� ist ja mitunter auch eine Diffamierung f�r die durchaus berechtigte Kritik an �berkommenen Sicht- und Handlungs-weisen. So wie ich Willy Brandt einsch�tze, h�tte er Kritik durchaus angenommen � er hat sie als Element des demokratischen Prozesses ja auch immer wieder eingefordert � und sei-ne Auffassungen hinterfragt.

Jan Peter: Wenn ich mich recht erinnere, beginnt ja ein ber�hmtes Manifest Sarah Wagenknechts inklusive eines Angriffs auf den (angeblich) herrschenden Zeitgeist mit den Worten, dass Willy Brandt heute in seiner eigenen Partei �gecancelt" werden w�rde. Grund-s�tzlich versuchen ja gerade wieder alle m�glichen politischen Akteure, mit Willy Brandt als eine Art Totem zu agieren.

Der reale Willy Brandt war aber ein komplexes, widerspr�chliches Wesen, wie wir alle. Ja, er hatte sich der Wahrung des Friedens verschrieben � aber aus einer Position der St�rke her-aus mit einer f�r heutige Zeiten unvorstellbar hochger�steten, fest in der NATO verankerten Bundeswehr. Ja, er trat f�r Auss�hnung mit der DDR ein, ohne z.B. jemals von seiner �ber-zeugung abzuweichen, dass diese Schritte immer dem Ziel der deutschen Wiedervereinigung dienen sollten.

Ein Willy Brandt heute w�re ja vor allem ein lebendiger, streitbarer, kluger Mensch, der sich sicher im Umfeld der sozialen Medien neu erfinden w�rde und sich damit nicht allzu leicht �canceln" lassen w�rde.

Vielen Dank f�r Ihre Zeit!

�Willy � Verrat am Kanzler� ist ab 24. April in der ARD Mediathek verf�gbar.

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