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Panorama Cornelia und Mildred Scheel

„Ich habe ihr lauter Schwiegersöhne präsentiert“

Cornelia Scheel 1969 mit ihrer Mutter Mildred: „Ich bin heute wirklich fröhlicher und glücklicher. Ich habe ein noch besseres Verhältnis zu meiner Mutter, wenn ich an sie denke, jeden Tag.“ Cornelia Scheel 1969 mit ihrer Mutter Mildred: „Ich bin heute wirklich fröhlicher und glücklicher. Ich habe ein noch besseres Verhältnis zu meiner Mutter, wenn ich an sie denke, jeden Tag.“
Cornelia Scheel 1969 mit ihrer Mutter Mildred: „Ich bin heute wirklich fröhlicher und glücklicher. Ich habe ein noch besseres Verhältnis zu meiner Mutter, wenn ich an sie denke, je...den Tag.“
Quelle: picture alliance / dpa
Cornelia Scheel konnte ihrer Mutter zu Lebzeiten nie sagen, dass sie lesbisch war. Auch nicht, als die sie mit ihrer Reitlehrerin im Bett erwischte. Trotzdem widmet sie ihr jetzt eine Liebeserklärung.

Seit 30 Jahren ist Mildred Scheel, die Gründerin der Deutschen Krebshilfe, schon tot, und doch: Ihre Tochter beginnt noch fast jeden Tag mit ihr gemeinsam. Cornelia Scheel, 52, durch ihre Beziehung zu Hella von Sinnen und ihr Engagement für die Rechte Homosexueller selbst eine öffentliche Person, blickt auf die Löwenmähne ihrer Mutter, sobald sie die Augen aufschlägt. Denn direkt gegenüber vom Bett an der Schlafzimmerwand hängt dieser Andy-Warhol-Siebdruck mit Diamantenstaubauflage, prächtig, farbenfroh, die Farbe Lila dominiert.

Das wertvolle Porträt ihrer Mutter, vom berühmten Pop-Art-Künstler angefertigt, erinnert unweigerlich an diesen traurigen Tag kurz vor Weihnachten 1984, als Mildred Scheel ihr das Bild regelrecht aufdrängte. Damals war die Frau von Altbundespräsident Walter Scheel („Hoch auf dem gelben Wagen“) mit Cornelia zu einer Kölner Galerie kutschiert und hatte verlangt: „Such’ einen Rahmen aus, ich will dir das zu Weihnachten schenken.“

Es war Mildred Scheels Art, Abschied zu nehmen. Sie ahnte, dass wohl ihr letztes Weihnachtsfest bevorstand: Sie hatte Darmkrebs. Der Öffentlichkeit verschwieg sie das bis zuletzt, denn sie hatte Angst, dass Patienten den Mut verlieren könnten und Spender ihre Börse schließen würden. Ihre älteste Tochter jedoch wusste Bescheid, seit die Diagnose anderthalb Jahre zuvor gekommen war. Und in diesem Moment in der Galerie begann Cornelia zu ahnen, dass das Ende nahte. Den Warhol wollte sie in diesem Moment auf keinen Fall haben.

Patchwork-Familie Scheel vor der Villa Hammerschmidt in Bonn. Mildred Scheel, Bundespräsident Walter Scheel, Cornelia Scheel, vorne Andrea Gwendoline Scheel und Adoptivsohn Simon Martin Scheel
Patchwork-Familie Scheel vor der Villa Hammerschmidt in Bonn. Mildred Scheel, Bundespräsident Walter Scheel, Cornelia Scheel, vorne Andrea Gwendoline Scheel und Adoptivsohn Simon M...artin Scheel
Quelle: picture alliance / Bonner Fotogr

Drei Jahrzehnte nach dem Tod hat die Kölner Autorin und Managerin von Hella von Sinnen nun Erinnerungen an ihre Mutter zusammengetragen. Sie wollte ein „Denkmal zwischen zwei Buchdeckeln“ errichten, wie sie das nennt („Mildred Scheel. Erinnerungen an meine Mutter“, Rowohlt, Reinbek. 240 S., 19,95 Euro).

„Ich vermisse sie jeden Tag“, sagt sie. Und dass es sie betrübt, wie der Name von Mildred Scheel in Vergessenheit zu geraten droht. Zwar kennen 95 Prozent im Land die Deutsche Krebshilfe. Und zudem gibt es Mildred-Scheel-Schulen, Mildred-Scheel-Akademien, ja sogar eine Mildred-Scheel-Rose, eine Edelrose mit fast schwarzen Knospen, deren Blüten später in einem samtigen Rot leuchten. Dennoch: Mit diesem Namen verbinden vor allem jüngere Menschen oft nichts mehr.

Politikergattinnen waren nur „Petersilie“

„Ich finde das schade, ich möchte das nicht“, sagt Cornelia Scheel. „Sie hat die Krebshilfe gegründet, das war ihr Herzensanliegen. Dafür hat sie gekämpft wie eine Löwin.“

Politikergattinnen, so erinnert sich die langjährige Bonner Gesellschaftskolumnistin Almut Metzner-Hauenschild, seien in der damaligen Zeit oft nicht mehr als „Petersilie“ gewesen: eine schmückende Beilage, die nun mal dazugehört und dem Ganzen sogar noch ein wenig Pepp verpasst, aber doch vollkommen nichtssagend ist, unauffällig, unwichtig. Mildred Scheel war anders.

Die Beschäftigung mit der Vergangenheit war, wie sich zeigte, für Scheel eine Reise auch zu sich selbst, voller Überraschungen und schmerzhafter Erkenntnisse. Jener etwa, dass sie es versäumte, mit ihrer Mutter über ihre Gefühle zu Frauen zu sprechen. „Ich konnte mich nie richtig outen. Ich habe das regelrecht verdrängt und ihr lauter Schwiegersöhne präsentiert. Das tut mir leid.“ Die Mutter hatte sie damals mit der Reitlehrerin im Bett erwischt, ihr den Umgang verboten und das Thema nicht mehr angesprochen.

Cornelia Scheel mit ihrer Lebensgefährtin, der TV-Moderatorin Hella von Sinnen (r.)
Cornelia Scheel mit ihrer Lebensgefährtin, der TV-Moderatorin Hella von Sinnen (r.)
Quelle: picture-alliance / dpa

Ein Schock war auch die Erkenntnis, dass ihre Mutter sie, die uneheliche Tochter, gleich nach der Geburt zwei Jahre lang in ein Kinderheim gegeben hatte. Und doch sagt Cornelia Scheel, dass das Buch die beste Idee ihres Lebens gewesen sei: „Ich bin heute wirklich fröhlicher und glücklicher. Ich habe ein noch besseres Verhältnis zu meiner Mutter, wenn ich an sie denke, jeden Tag. Es ist noch schöner geworden.“

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Den Tod ihrer Mutter am 13. Mai 1985 in einem Kölner Krankenhaus hatte die damals 22-Jährige nur sehr schwer verkraftet. Sie war magersüchtig geworden, hatte ihr Medizinstudium abgebrochen, musste per Sonde ernährt werden. Noch heute, sagt Cornelia Scheel, habe sie kein entspanntes Verhältnis zum Essen und Trinken. Und tatsächlich, die schmale Frau, die so jugendlich wirkt in ihren Jeans und dem gestreiften Jackett, um den Hals an einer Kette ein Herz, trinkt nicht einmal die Diätlimonade ganz aus, die sie im Kölner „Café Lauscher“ bestellt hat.

Nach dem Tod ihrer Mutter hatte Cornelia dann begonnen, für die Krebshilfe Öffentlichkeitsarbeit zu machen, doch 1991, als sie ihre Partnerschaft mit Hella von Sinnen öffentlich machte, legte ihr der damalige Vorstand den Rückzug nahe – aus Angst, Spender könnten ausbleiben. Bitter muss das gewesen sein, doch Cornelia Scheel sagt nur: „Heute ist das eine ganz andere Krebshilfe, mit völlig anderen Personen.“

Die erste Patchwork-Familie mit Staatsweihen

Stattdessen hat sie eine Liebeserklärung abgeliefert an die charismatische Frau, die so gern feierte, oft und bellend lachte und bis in die Morgenstunden arbeitete. Mildred Scheel hat Medizin studiert und promoviert in einer Zeit, in der das für Frauen noch ungewöhnlich war. Sie wurde von einem verheirateten Mann schwanger und schlug sich als alleinerziehende Mutter durch.

Dem späteren Außenminister und Bundespräsidenten Walter Scheel (heute 96) rettete sie als Vertretungsärztin in Bayern das Leben, weil sie auf einen Blick erkannte, dass nach einer Nierensteinoperation irgendetwas schiefgelaufen sein musste. Und später als First Lady begnügte sie sich nicht mit der Rolle der Reisebegleiterin und Repräsentantin. Sie bekam mit Scheel zusammen Tochter Andrea, drängte auf die Adoption eines bolivianischen Indianerjungen und bescherte Deutschland damit die ersten Patchwork-Familie im Bundespräsidentendomizil.

Cornelia Scheels (hier mit ihrer Mutter) Buch ist eine Liebeserklärung
Cornelia Scheels (hier mit ihrer Mutter) Buch ist eine Liebeserklärung
Quelle: (C) Privatbesitz Cornelia Scheel

Doch vor allem wurde sie, die Small Talk und Kaviarhäppchen hasste, zur umtriebigen Aktivistin gegen den Krebs, der damals noch mit strengem Tabu belegt war.

„Nennen Sie mich bloß nicht Landesmutter“, mahnte sie die Journalisten 1974 beim Einzug in die Villa Hammerschmidt. Auch um Kinkerlitzchen wie die Kleiderordnung scherte sie sich nicht. Sie wurde zwar drei Mal zur Frau des Jahres gewählt, aber eben auch einmal zur Schlecht angezogensten Frau des Jahres, sehr zu ihrem Amüsement. Wenn ihr stets hoch korrekter Gatte, der selbst Nutella im Silberschälchen servieren ließ, mal wieder aufstöhnte, weil nichts an ihrer Aufmachung zusammenpasste, beschied sie ihm: „Ich finde mich fa!bel!haft!!“

Wer in die Bonner Villa Hammerschmidt, den Sitz des Bundespräsidenten, eingeladen werden musste, hatte dafür zu zahlen, ohne Spenden kam dort keiner wieder heraus. Der damalige Protokollchef wurde aufgefordert, viele möglichst großzügige Wirtschaftsbosse auf die Einladungsliste zu setzen, damit das Geld umso schneller floss. Selbst bei einem Staatsbesuch in Moskau ging sie bei der sowjetischen Führung auf Spendenfang für die Deutsche Krebshilfe: Sie bettelte um Autogramme, die später versteigert werden sollten. Staatschef Leonid Breschnew unterschrieb.

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Als der Darmkrebs behandelt wurde, lag Mildred Scheel unter falschem Namen – Frau Meyer – in der Kölner Universitätsklinik. Ehemann, Tochter und Sekretärin schlichen sich über Seiteneingänge oder die Tiefgarage ins Krankenhaus, damit auf keinen Fall die Presse Wind von der Erkrankung bekäme. Wenn sie im Bett vom Zimmer aus zu Untersuchungen gerollt worden sei, erinnert sich Cornelia, habe ihre Mutter immer ein Laken übers Gesicht gezogen bekommen, wie eine Leiche.

„Eines Tages musste sie noch etwas warten und wurde in eine Abstellkammer geschoben. Da nahm sie das Tuch vom Gesicht, schaute sich um und sagte mit trockenem Humor: "So weit ist es mit mir gekommen, von der Villa Hammerschmidt in die Abstellkammer im Krankenhaus.“

Dabei hätte Mildred Scheel ihre Erkrankung wohl nicht verschweigen müssen. Mehr als zwei Milliarden Euro an Spenden hat die Deutsche Krebshilfe in ihrem 41-jährigen Bestehen eingenommen. Nach ihrem Tod stieg die Spendenbereitschaft noch einmal drastisch an.

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