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Hinter der Inszenierung steckte eine kaputte Familie

Walter Kohl äußert sich zum Tod seines Vaters

Nach dem Tod von Altkanzler Helmut Kohl zeigt sich sein Sohn tief betroffen. Der Kontakt zu großen Teilen der Familie war vor längerer Zeit abgebrochen. Es kam nie zu einer Versöhnung.

Quelle: N24

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Sohn Walter erfuhr vom Tod des Vaters aus dem Radio, denn der Kontakt war schon vor Jahren abgebrochen. Die Kohls gaben sich lange als Musterfamilie, doch die Fassade konnte das Leid dahinter nicht verdecken.

Es war kurz nach 18 Uhr am Freitag, Walter Kohl saß hinter dem Lenkrad seines Wagen, als das Radio eine Eilmeldung brachte: Helmut Kohl gestorben. Für den 53-Jährigen muss es wie ein Schlag in die Magengrube gewesen sein. Ihn, den ältesten Sohn des Alt-Kanzlers, hatte niemand persönlich kontaktiert, er erfuhr vom Tod seines Vaters aus dem Autoradio.

Umgehend raste der mit seiner koreanischen Frau im Taunus lebende Unternehmer nach Oggersheim, zu seinem Vater ans Totenbett. Doch die Polizei, die den Flachdach-Bungalow seit Jahrzehnten bewacht wie ein Hochsicherheitsgefängnis, wollte Walter zunächst nicht einlassen. Erst nach einigen Diskussionen öffnet sich die Haustür einen kleinen Spalt.

„Sie sehen einen Menschen, der sehr traurig ist“, sagte Kohl kurze Zeit später Journalisten. Seit 2011 hatte Kohl nicht mehr mit seinem Vater sprechen können, und auch damals nur am Telefon. Er habe zwar immer wieder den Kontakt gesucht, sei aber abgewiesen worden.

„Helmut Kohl hat auch meinen Lebensweg entscheidend verändert“

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl als "Glücksfall für uns Deutsche" gewürdigt. Sie hob auch ihre ganz persönliche Verbundenheit mit seinem Wirken hervor.

Quelle: N24

Sogar seinem Sohn, dem Enkel Helmut Kohls, soll die Polizei einen Platzverweis erteilt haben, als er mit dem Abiturzeugnis in der Hand vor der Tür stand, hatte Walter Kohl einmal einem Freund anvertraut. „Es ist schade, wenn man nicht in der Lage ist, die Dinge in diesem Leben zu regeln“, sagte er jetzt sichtlich bewegt. Er konnte sich nur noch am Totenbett von seinem Vater verabschieden.

Besonders eng ist das Verhältnis von Helmut Kohl zu seinen Söhnen Walter und Peter, Jahrgang 1965, ohnehin nie gewesen, auch wenn sich die Jungs das verzweifelt gewünscht hätten. Vom Suizid der Mutter Hannelore, die sich wegen einer schweren Lichtallergie 2001 das Leben nahm, erfuhr Walter Kohl nicht durch seinen Vater, sondern dessen Büroleiterin. In den letzten Jahren allerdings, seit der Hochzeit von Helmut Kohl mit Maike Kohl-Richter, war es zerrüttet und ein regelrechter Familienkrieg. Kohl hatte die 34 Jahre jüngere Volkswirtin 2005 geheiratet und seine Söhne nicht eingeladen, sie lediglich per Telegramm informiert. Walter Kohl wirft der jungen Ehefrau vor, von der Hochzeit an eine Art Mauer um ihren Gatten errichtet zu haben und ihn sehr effektiv abzuschirmen.

Dabei hatte Deutschland über Jahrzehnte ein völlig anderes Bild von der Familie Kohl. Die idyllischen Urlaubsfotos vom Wolfgangsee gehören zum kulturellen-gesellschaftlichen Fundus der jungen Bundesrepublik. Die Abbildungen kamen jeden Sommer so verlässlich wie die Hundstage, Fotos von Helmut Kohl mit Walter und Peter beim Kartenspielen, Helmut Kohl und Gattin Hannelore im Ruderboot, Helmut Kohl im Kreis seiner Lieben beim Füttern von Rehkitzen. Über 30 Jahre lang urlaubten die Kohls im Salzkammergut in St. Gilgen, immer im selben Haus mit Seegrundstück, dort ließen sie es sich als Familie in den Ferien so richtig gut gehen. Das dachte zumindest das ganze Land beim Anblick dieser Bilder.

Die intakte Familie Kohl hat es nie gegeben

Die Wahrheit war eine ganz andere, doch sie kam erst viel später zutage: Die Wolfgangsee-Idylle, sie war inszeniert, eine reine Show-Veranstaltung. Die herzliche, liebevolle, intakte Familie Kohl hat es so nie gegeben.

„Eine Art Politik-Familienunternehmen“ seien sie gewesen, erinnert sich Walter Kohl in seinem 2011 erschienenen Buch „Leben und gelebt werden“. Der Unternehmer denkt mit Schmerzen zurück an seine Jugend, als jede Wahl „zugleich auch eine Abstimmung über die familiäre Zukunft und damit über unser wirtschaftliches Wohl“ bedeutete. Und Helmut Kohl, der Machtmensch, wusste sehr wohl um die Macht der Bilder.

Deshalb hat er selbst den Urlaub für die eigene PR genutzt – und dann, wenn keine Kamera draufhielt, meist gearbeitet, statt mit seinen Söhnen gespielt. Auch am Wolfgangsee stand er in ständigem Kontakt mit seinem Büro, er lud Gäste oder Mitarbeiter ein, hielt später sein Sommerinterview dort ab. 1984 reiste sogar Englands Premierministerin Margaret Thatcher zu einem Treffen an. Die Kinder bekamen ihren Vater also kaum zu Gesicht – nicht anders als im Rest vom Jahr, wenn Kohl durch Mainz oder Bonn polterte, während die Jungs mit der Mutter im Oggersheimer Flachdach-Bungalow lebten, durch hohe Mauern und Bewachung abgeschottet wie in einem Hochsicherheitsgefängnis.

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Die Rollen in der Familie Kohl waren klar verteilt: der Vater auf der Bühne der Macht, ein kalter Mensch, der für die Ängste und Verzweiflungen seiner beiden Söhne nie Mitgefühl zeigte. Die Mutter agierte als Managerin, die alles zusammenhielt, im Hintergrund. „Von Peter und mir wurde erwartet, dass wir keinerlei Störungen verursachten“, sagte Walter Kohl einmal. Die Familie des CDU-Vorsitzenden lebte in permanentem Ausnahmezustand, auch wegen der Bedrohung durch die RAF. Im Alter von zwölf Jahren bekam Walter Kohl durch einen Polizeibeamten mitgeteilt: Falls Terroristen ihn entführen sollten, würde der Staat ihn nicht austauschen. Walter Kohl war durch dieses Gefühl, „nichts wert zu sein“, für Jahrzehnte gezeichnet.

Helmut Kohl wusste um die Macht der Bilder und inszenierte sich als Familienmensch
Helmut Kohl wusste um die Macht der Bilder und inszenierte sich als Familienmensch
Quelle: picture-alliance / Sven Simon

Doch nach außen drang nichts, auch durch die strikte Selbstdisziplin von Hannelore Kohl, die 16 Jahre lang als First Lady ein wie eingemeißeltes Lächeln zeigte und mit ihrer bombenfest gesprayten Frisur Contenance bewahrte, was immer auch geschah. Nach der Erkrankung von Hannelore Kohl 1993 durch eine Penicillin-Überdosis begann die mühsam aufgebaute Fassade jedoch bald zu bröckeln, nach dem Suizid 2001 kollabierte sie endgültig.

Eine große Belastung war auch der Parteispendenskandal, bei dem Hannelore Kohl auf der Straße bespuckt als „Spendenhure“ beschimpft wurde. Auch die von Hannelore Kohl eingerichtete Stiftung für Hirnverletzte begann Schaden zu nehmen. Dabei hatten sie und ihre Söhne versucht, Kohl zum Preisgeben der Spendernamen zu überreden – vergeblich.

Letztlich habe er sich mit dem Bruch mit seinem Vater abgefunden, hatte Walter Kohl 2014 gesagt. „Es ist, wie es ist, und so ist es gut.“ Nun ist Helmut Kohl tot. Und Walter Kohl fuhr nach dem Besuch am Totenbett zum Grab seiner Mutter, ein paar Kilometer weit entfernt in Friesenheim. Um dort zu beten.

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