Scholz erteilt Wagenknecht-Partei Absage - rächt sich das bald für den Kanzler? - FOCUS online
  1. Nachrichten
  2. Politik
  3. Deutschland
  4. Scholz erteilt Wagenknecht-Partei Absage - rächt sich das bald für den Kanzler?

Analyse von Ulrich Reitz: Scholz erteilt Wagenknecht Absage - das kann sich schnell bitter rächen
  • Kommentare
  • E-Mail
  • Teilen
  • Mehr
  • Twitter
  • Drucken
  • Fehler melden
    Sie haben einen Fehler gefunden?
    Bitte markieren Sie die entsprechenden Wörter im Text. Mit nur zwei Klicks melden Sie den Fehler der Redaktion.
    In der Pflanze steckt keine Gentechnik
    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die
glomex Scholz erteilt Wagenknecht Absage - das kann sich schnell bitter rächen
  • FOCUS-online-Korrespondent

Der Kanzler will mit der neuen Partei von Sahra Wagenknecht nichts zu tun haben. Dahinter steckt eine Überheblichkeit, die sich für Scholz schnell rächen dürfte. Denn bald schon wird gewählt. 

Sahra Wagenknecht hat Olaf Scholz zwei persönliche Haltungen voraus, die sehr schnell wichtig werden dürften: Flexibilität und fehlende Arroganz. Zudem: Von politischen Berührungsängsten wird die Vorsitzende ihrer gleichnamigen Partei, anders als Scholz, nicht geplagt. 

Das ist durchaus zeitgemäß, weil das Parteiensystem, besonders im Osten Deutschlands, immer diverser wird. Das hat Folgen: Regierungsbildungen werden komplexer, sie brauchen Kreativität, Fantasie und gegenseitige Toleranz. Eigenschaften, für die der Kanzler bislang nicht bekannt geworden ist. 

Wagenknecht und ihre Partei werden von bemerkenswert vielen Menschen für eine Alternative zu den demokratischen Parteien gehalten, vor allem aber für eine Alternative zur Alternative für Deutschland. Die Wagenknecht-Truppe ist die Formation, die für AfD-Wähler die attraktivste Alternative ist, dies zeigen Umfragen und Analysen. 

BSW: Von der Alternative zur Alternative will Kanzler Scholz nichts wissen

Schon früh kam der „Vorwärts“, die Parteizeitung der Sozialdemokraten von Olaf Scholz, zu dieser Einschätzung. Anfang dieses Monats bestätigte dies das Politbarometer: 41 Prozent der AfD-Anhänger können sich vorstellen, das BSW zu wählen. Das ist der höchste Wert aller Parteien. Von der Regierung Enttäuschte oder gar Empörte sähen in der Wagenknecht-Partei eine Alternative zur AfD, urteilt der Duisburger Parteienforscher Karl-Rudolf Korte kühl. 

Scholz hat der „Märkischen Allgemeinen“ gesagt, er könne sich eine Regierungszusammenarbeit seiner SPD mit dem BSW nicht vorstellen: „Dafür spricht überhaupt nichts.“ Nachgefragt, ob er sich nach den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland eine Koalition von SPD und BSW vorstellen könne, antwortete Scholz: „Nein, das übersteigt meine Fantasie.“ 

Eine Einschätzung, die das knackige Selbstbewusstsein widerspiegelt, das man von Scholz kennt. Der Realität hält sie allerdings nicht stand. 

Denn die sieht so aus: Gewählt wird im Herbst in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Dort hat die neue Partei Wagenknechts einen geradezu kometenhaften Aufstieg hingelegt, was viel mit der charismatischen Vorsitzenden zu tun hat, vor allem aber mit der neuartigen Positionierung des BSW im deutschen Parteisystem. 

Wo die Wagenknecht-Partei BSW Scholz' SPD schon jetzt gefährlich wird

Die Wagenknecht-Partei ist in der Außen- und Sicherheitspolitik national, in der Gesellschaftspolitik konservativ und in der Sozialpolitik sozialistisch. Damit hat sie es bundesweit in den Umfragen schon über die Fünf-Prozent-Hürde gebracht – ein hoher Wert in kurzer Zeit. Vor allem wenn man bedenkt, dass es keineswegs als sicher gilt, ob zwei etablierte Parteien des bundesrepublikanischen Systems diese Werte bei der nächsten Bundestagswahl erreichen werden: die FDP und die CSU (die allein in Bayern nach der Ampel-Wahlrechtsreform so viele Stimmen holen muss, dass es zur Überwindung der Sperrklausel reicht). 

Der aktuelle Vergleich zwischen Wagenknecht und Scholz fällt für die Partei des Bundeskanzlers ernüchternd aus: In Thüringen, wo Rot-Rot-Grün regiert, erreicht in den neuesten Umfragen die SPD nicht einmal mehr zehn Prozent der Wählerstimmen. Ganz anders die Wagenknecht-Partei – sie bringt es im „Thüringentrend“ des „MDR“ auf 15 Prozent. 

In Sachsen herrscht aktuell Gleichstand zwischen Deutschlands ältester und Deutschlands jüngster Partei – beide kommen auf elf Prozent bei Insa. Einzig im SPD-Stammland Brandenburg liegt die SPD vor dem BSW, aber bringt es auf für sie nur noch sehr magere 17 Prozent. Wagenknechts Partei liegt nur vier Prozentpunkte dahinter. 

Wagenknecht schnappt den etablierten Parteien Köpfe weg

Und das ohne Parteiprogramm. Was Scholz ihr, verbunden mit einer Warnung, auch ankreidet: „Das BSW hat keinerlei Vorschläge für eine bessere Zukunft in den Ländern und keinen Plan, wohin Deutschland steuern soll. Deshalb verbieten sich solche Gedankenspiele aus meiner Sicht." Zum Gedankenverbot von Scholz kommen wir später. 

Zunächst: Es stimmt, die Wagenknecht-Partei hat kein Programm – noch nicht. Sie wird aber bis zu den Wahlen in den drei ostdeutschen Ländern eines haben, die Vorbereitungen laufen längst, Parteitage sind schon geplant. 

Parteiprogramme auf Länderebene aufzustellen, dürfte der Wagenknecht-Partei auch nicht schwerfallen, was an ihrer geschickten Rekrutierungspolitik liegt. Wagenknecht holt sich vor allem Politiker mit Parlaments- oder Regierungserfahrung, gerne auf kommunaler Ebene, in ihre Partei. Damit hat sie Erfolg, weil es offenbar genug Menschen gibt, die von ihren angestammten Parteien enttäuscht sind. 

Geradezu spektakulär lief es dabei in Thüringen. Dort gab die langjährige Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf ihrem Parteifreund und Ministerpräsidenten Bodo Ramelow einen Korb, obwohl der versprochen hatte, sie zur Ministerin zu machen. Wolf dockte stattdessen bei Wagenknecht an. 

In Sachsen gewann Wagenknecht für ihre Partei Sabine Zimmermann, die seit mehr als 18 Jahren im Deutschen Bundestag sitzt und dort arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linkspartei war, eine in der Basisarbeit gestählte Gewerkschafterin. 

Wagenknecht wildert auch bei den Sozialdemokraten

„Gewildert“ hat Wagenknecht auch bei den Sozialdemokraten von Olaf Scholz. Für die bisher auffälligste Personalie sorgte der frühere Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel, gleichfalls ein erfahrener Politiker, der nun für das BSW zur Europawahl antritt, nicht ohne seiner alten Partei beim Überlaufen zu Wagenknecht einigen Schmutz hinterherzuwerfen. 

Besonders schmerzhaft für Scholz ist eine andere Personalie: Wagenknecht holte sich den parteiübergreifend anerkannten Scholz-Jäger (Cum Ex-Affäre) Fabio De Masi ins Team – als Spitzenkandidat für die Europawahl. De Masi gewinnt durch seine Spitzenkandidatur nun mit seinen harten Angriffen auf Scholz eine ganz andere Relevanz, weil er nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag nun wieder als Politiker im Rampenlicht steht. 

Kanzler hin oder her – Scholz hat hier nichts zu verbieten

Nun zu den Gedankenspielen über Koalitionen zwischen Wagenknecht und der Scholz-Partei, die sich für den Kanzler „verbieten“. Zunächst einmal: Kanzler hin oder her: Scholz hat hier nichts zu verbieten – die Gedanken sind frei. Und auch zu Überheblichkeit hat der Kanzler, schaut man auf die Wahlaussichten im Osten, keinen Anlass. 

Eher trifft der renommierte Extremismus-Forscher Hajo Funke die Realität, der sagt: Wir stünden womöglich davor, „dass ohne das BSW im Herbst nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg keine Regierung gebildet werden kann“. Und wer dann dabei, um ein altes Wort von Gerhard Schröder aus dessen Kanzlerzeit aufzugreifen, in der Rolle des Kochs und des Kellners ist, ist zwischen Scholz und Wagenknecht durchaus offen. Wobei die besseren Karten Wagenknecht hat: 

Sie hat die Ausstrahlung, die Scholz fehlt. Sie hat die kommunikativen Fähigkeiten, die Scholz fehlen. Und sie hat die Themen, die Scholz fehlen. 

Scholz' Selbstgewissheit in Bezug auf Wagenknecht könnte sich bitter rächen

Scholz´Innenministerin Nancy Faeser mag sich mit der laut Polizeistatistiken aus Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Bayern und Städten wie Berlin besorgniserregend gestiegenen Ausländerkriminalität nicht beschäftigen. Wagenknecht schon – sie forderte einen Innenminister-Gipfel im Kanzleramt. Eine naheliegende Idee, die von den führenden, integrationspolitisch längst ergrünten Sozialdemokraten nicht zu erwarten ist. 

Wagenknecht warnt auch davor, von der Migration die Lösung der Facharbeiterlücke in Deutschland zu erwarten, auch dafür hat sie die Zahlen auf ihrer Seite. Lieber möge man in Deutschland höhere Löhne fürs Pflegepersonal zahlen, als aus den Philippinen die Pflegekräfte hierhin zu holen. Was sollte man gegen diese Verbindung aus Migrations- und Sozialpolitik ernsthaft einwenden? 

Das gilt auch für Wagenknechts Vorschlag, abgelehnten Asylbewerbern keine Sozialleistungen mehr zu zahlen. So lange sind die Zeiten auch nicht her, dass man derlei vom rechten Flügel der Sozialdemokratie hören konnte. 

Scholz' Selbstgewissheit in Bezug auf Wagenknecht könnte sich für ihn noch bitter rächen. Allein schon wegen der Diskurslücken, die die Ampel lässt, werden Wagenknecht die populären Themen nicht ausgehen. 

Zum Thema
Wirbel im Remmo-Dorf: „Vielleicht möchte er ja auch nur seine Ruhe haben“

Clan-Boss Thema im Gemeinderat

Wirbel im Remmo-Dorf: „Vielleicht möchte er ja auch nur seine Ruhe haben“

Deutschland, wie wir es kennen, wird es nicht mehr geben

Kolumne von Anahita Thoms

Deutschland, wie wir es kennen, wird es nicht mehr geben

Als Nächstes fährt die Ampel die E-Autos gegen die Wand

Gastbeitrag von Gabor Steingart

Als Nächstes fährt die Ampel die E-Autos gegen die Wand

Kommentare
Teilen Sie Ihre Meinung
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit.
Teilen Sie Ihre Meinung
Sie waren einige Zeit inaktiv, Ihr zuletzt gelesener Artikel wurde hier für Sie gemerkt.
Zurück zum Artikel Zur Startseite
Lesen Sie auch
Bei ihren Attacken landen die AfD-Gegner plötzlich auf seifigem Parkett

Eine Analyse von Ulrich Reitz

Bei ihren Attacken landen die AfD-Gegner plötzlich auf seifigem Parkett

Nach Welle der Gewalt äußert Angeklagter (47) vor Gericht seinen Unmut: „Nicht einverstanden“

Körperverletzung in fünf Fällen

Nach Welle der Gewalt äußert Angeklagter (47) vor Gericht seinen Unmut: „Nicht einverstanden“