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Deutschland Verkehrsminister Wissing (FDP)

„Verkehrspolitik wird zunehmend wahlentscheidend“

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), 53 Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), 53
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), 53
Quelle: Marlene Gawrisch/WELT
Der Verkehrsbereich werde seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten, kündigt Verkehrsminister Wissing (FDP) an. Auch ein eigenes „Sofortprogramm“ bringt er ins Spiel. Und er stellt fest: Mobilität werde zum wahlentscheidenden Thema – und dabei dürfe man die Autofahrer nicht hintanstellen.

WELT: Herr Wissing, in Landtagswahlen spielt Verkehrspolitik derzeit eine große Rolle, aber weder Grüne noch FDP profitieren. Was machen beide Parteien da falsch?

Volker Wissing: Wir haben sehr viel Lob für unsere Hartnäckigkeit bei den E-Fuels-Verhandlungen mit Brüssel bekommen. Viele Bürger schreiben mir, dass sie erleichtert sind, dass ihre Mobilitätsbedürfnisse gesehen und ernst genommen werden, insofern sind wir in der Verkehrspolitik auf dem richtigen Kurs. Ich bin sehr sicher, dass sich diese Politik auch langfristig auszahlen wird. Verkehrspolitik wird zunehmend ein wahlentscheidendes Thema.

WELT: Also mehr Wahlkampfthemen wie die „Brötchentaste“, die in Bremen zum Verdruss der Grünen kostenloses Kurzzeit-Parken ermöglicht?

Wissing: Verkehrspolitik betrifft uns alle, und sie wird auch bei den nächsten Wahlen eine entscheidende Rolle spielen, weil die Menschen auf Mobilität angewiesen sind. Ein passendes Mobilitätsangebot zu haben, ist Freiheit, Teilhabe und auch eine Frage von sozialer Gerechtigkeit. Das treibt die Menschen natürlich um. Ohne Mobilität sind sie abgehängt.

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Das gilt übrigens nicht nur für den Personenverkehr: Die Engpässe im Autobahnnetz beseitigen wir auch und vor allem für den Straßengüterverkehr. Davon sind die Bürger in der Stadt genauso betroffen wie die auf dem Land. Auch die Supermarkt-Regale in Berlin-Mitte werden gefüllt mit Produkten, die mit Lkws über Autobahnen transportiert werden.

WELT: Warum werden Verkehrsdebatten so polarisierend geführt?

Wissing: Weil Mobilität unseren Alltag ganz unmittelbar prägt. Mir ist es darum wichtig, die Themen aus Sicht der Bürger anzugehen, pragmatische Lösungen zu finden, die technologieoffen sind und unsere Gesellschaft klimaneutral mobil halten. Ich habe das Deutschlandticket vorgeschlagen, um den ÖPNV zu stärken – ein Riesenerfolg. Das Auto ist aber genauso wichtig.

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Ich gebe Ihnen recht: Es ist nicht hilfreich, dass in der Öffentlichkeit die Dinge so polarisiert werden. Wir müssen aufpassen, dass diese Debatte nicht in einen Stadt-Land-Konflikt mündet. Davor kann ich nur warnen. Wir brauchen gleichwertige Lebensverhältnisse und das bedeutet, dass die Mobilität im ländlichen Raum genauso gesichert sein muss wie im urbanen Bereich.

WELT: Der Koalitionsausschuss hat beschlossen, Klimaziele der einzelnen Sektoren nicht mehr so eng zu sehen. War’s das jetzt mit zusätzlichem Klimaschutz im Verkehr?

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Wissing: Wir haben von Anfang an konsequent eine Politik verfolgt, die auf CO₂-Einsparungen abzielt und Anreize setzt, ohne die Menschen zu bevormunden. Deshalb sind wir seit meiner Amtsübernahme dabei, viele Dinge umzusetzen, die den Verkehr klimaneutral machen: zum Beispiel das Deutschlandticket, der Masterplan Ladeinfrastruktur II, Förderung von Wasserstofftechnologie, Technologieneutralität durch Nutzung von synthetischen Kraftstoffen.

Nach dem Koalitionsausschuss arbeiten wir jetzt an der Umsetzung einer ganzen Reihe von zusätzlichen Maßnahmen, zum Beispiel an einer CO₂-abhängigen Lkw-Maut. Das alles setzen wir um, ohne dabei die Mobilität einzuschränken. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Menschen mitnehmen müssen, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen.

WELT: Legen Sie noch ein Klimaschutzsofortprogramm vor, nachdem die Ziele im Verkehr verfehlt wurden?

Wissing: Wir wollen unsere Klimaziele erreichen. Dazu wird der Verkehr seinen Beitrag leisten. Wir sind uns in der Bundesregierung einig, in Zukunft dabei nicht mehr jeden Sektor einzeln zu betrachten, sondern die gesamten Emissionen in Deutschland. Dafür wird der Klimaschutzminister zeitnah ein neues Klimaschutzgesetz und ein sektorübergreifendes Klimaschutzprogramm vorlegen, zu dem die Fachminister ihre Beiträge bereits geleistet haben.

Sollte das nicht schnell genug kommen, werden wir selbstverständlich ein Klimaschutzsofortprogramm vorlegen, um die neun Millionen Tonnen CO₂ zu kompensieren, die im vergangenen Jahr zu viel von uns allen im Verkehrssektor emittiert wurden. Unabhängig davon arbeiten wir weiter kontinuierlich an Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr.

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WELT: Sie haben dafür gekämpft, dass die EU-Kommission einen Vorschlag für die Zulassung von Pkw mit Verbrennungsmotor nach 2035 vorlegt, die ausschließlich E-Fuels tanken. Für wann rechnen Sie mit dem Vorschlag?

Wissing: Auf jeden Fall in diesem Jahr. Wir wollen, dass die Fahrzeugkategorie „E-Fuels only“ schnell geschaffen wird. Man braucht verschiedene technologische Möglichkeiten, um für jeden ein klimaneutrales Mobilitätsangebot machen zu können.

Das Kunstwerk „Mops“ von Ottmar Hörl im Büro des Ministers
Das Kunstwerk „Mops“ von Ottmar Hörl im Büro des Ministers
Quelle: Marlene Gawrisch/WELT
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WELT: E-Fuels werden knapp und teuer bleiben und für die Bestandsflotte gebraucht. Warum verkämpfen Sie sich so für „E-Fuels only“-Neufahrzeuge?

Wissing: Es geht um die Frage, ob wir Technologien ausschließen, deren Zukunftspotenzial wir heute noch gar nicht kennen. Wenn E-Fuels so knapp blieben, würde die Bestandsflotte weiter mit fossilen Kraftstoffen betankt, weil die dann günstiger wären. Deshalb müssen wir die Rahmenbedingungen dafür setzen, dass E-Fuels eben nicht knapp und teuer bleiben.

Heute weiß auch keiner, unter welchen Bedingungen und zu welchem Preis diese Kraftstoffe in Zukunft am Markt angeboten werden. Wir senden ein klares Signal an den Markt, dass wir E-Fuels brauchen.

WELT: Man könnte über den CO₂-Preis Anreize setzen, E-Fuels zu tanken, obwohl sie knapp und teuer sind.

Wissing: Am Ende müssen wir bezahlbare, klimaneutrale Mobilitätsangebote haben. Wir dürfen die Menschen nicht überfordern. Sie fahren ja nicht alle zum Spaß durch die Gegend, sie müssen zum Beispiel zur Arbeit, sich versorgen.

Quelle: Infografik WELT

WELT: Wie beurteilen Sie das Tarif-Hickhack zwischen der Deutschen Bahn AG und der Eisenbahnergewerkschaft EVG?

Wissing: In Deutschland besteht Tarifautonomie, der Respekt davor gebietet es, dass ich mich zurückhalte. Denn ich vertrete nicht die DB AG, sondern den Eigentümer, und der ist nicht Tarifpartner. Ich wünsche mir aber im Interesse der Fahrgäste, dass so schnell wie möglich eine Einigung erzielt wird und es nicht zu weiteren Störungen des Betriebs kommt.

WELT: Ist es nicht fatal, dass beim Staatskonzern DB laut Tariftabelle deutlich weniger als der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird?

Wissing: Auch dafür sind die Tarifparteien zuständig. Aber grundsätzlich gilt, dass wir im Mobilitäts- und Logistikbereich attraktivere Arbeitsbedingungen benötigen, weil wir dort schon heute unter Fachkräftemangel leiden.

WELT: Die DB AG hat trotz Verlusten und Unpünktlichkeit rund 30.000 leitenden Angestellten Prämien in einer Gesamthöhe von mehreren hundert Millionen Euro ausgezahlt. Ist das auch nur Sache der Tarifparteien?

Wissing: Die Auszahlung der Bonuszahlungen an Führungskräfte unterhalb der Vorstandsebene der DB AG obliegt dem Konzern. Über die Zielerreichung, die Höhe und die Auszahlung der variablen Vergütung der Vorstände der DB AG und deren Tochtergesellschaften beschließt der jeweilige Aufsichtsrat.

WELT: Was Sie sagen, bestätigt den Bundesrechnungshof: Der kritisiert, dass der Bund als DB-Alleineigentümer zu passiv sei.

Wissing: Das betrifft die Politik meiner Vorgänger. Wir planen für Januar 2024 eine Bahnreform für den Bereich, in dem wir eine stärkere Einflussnahme des Eigentümers für erforderlich halten: beim Netz. Dafür wollen wir eine gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte schaffen.

WELT: Können Sie den Zeitplan halten? Bisher gibt es nicht einmal Eckpunkte für die nötigen Gesetzesänderungen.

Wissing: Wir sind im Zeitplan und haben keinen Grund, an dessen Einhaltung zu zweifeln. Wir wissen, wohin wir wollen.

WELT: Werden Sie die nötigen Gesetzesänderungen noch vor der Sommerpause vorlegen?

Wissing: Wie gesagt, liegen wir in Sachen Verschmelzung der DB Station&Service AG auf die DB Netz AG gut im Zeitplan. Auch die Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung zu begleitenden Maßnahmen für eine verbesserte Steuerung der neuen Gesellschaft durch den Bund sowie Wege zur Vereinfachung der Finanzierungsstruktur sind auf einem guten Weg.

WELT: Im Koalitionsausschuss wurde vereinbart, dass die Bahn bis 2027 für das Netz 45 Milliarden Euro erhalten soll. Aber nur etwa die Hälfte lässt sich über die Lkw-Maut finanzieren. Woher kommt der Rest?

Wissing: Wir waren uns im Koalitionsausschuss einig, dass die Schiene einen Investitionshochlauf braucht. Wie das nötige Geld im Haushalt verankert wird, können wir natürlich nur im Kontext des gesamten Bundeshaushalts entscheiden. Der Haushalt 2024 muss das Signal aussenden, dass die Investitionen auch längerfristig steigen, denn nur dann baut die Baubranche ihre Kapazitäten so aus, dass in den Folgejahren mehr Aufträge abgearbeitet werden können.

WELT: Die Ampel hat eine Planungsbeschleunigung bei Autobahn-Engpässen beschlossen. Doch einige Länder mit grünen Verkehrsministern lehnen das für manche Vorhaben ab. Sind diese Projekte damit tot?

Wissing: Ich hatte mir eine Beschleunigung für mehr Projekte gewünscht, aber das wollten die Grünen nicht. Verständigt haben wir uns auf die Beseitigung der gutachterlich nachgewiesenen Engpässe im Einvernehmen mit den Ländern, und nun müssen sich die Länder entscheiden, ob sie das wollen oder ob sie an jenen Stellen den Dauerstau organisieren möchten.

Gebaut werden jene Projekte auf jeden Fall, ohne Planungsbeschleunigung werden sie aber langsamer verwirklicht. Eine notwendige Engpassbeseitigung zu verzögern, ist eine Verkehrspolitik, die sich rächen wird, weil sie durch die Behinderung der dringend nötigen Gütertransporte erhebliche wirtschaftliche Schäden verursacht und damit auch Auswirkungen auf unsere Arbeitsplätze hat.

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WELT: Welche Einsparungen bieten Sie Ihrem Parteifreund Christian Lindner an, der als Finanzminister zur Haushaltskonsolidierung aufruft?

Wissing: Ich leite das Ministerium, das in die Zukunft investiert, und was ich ausgeben will, ist gut angelegt, weil auf dieser Grundlage künftige Steuereinnahmen erwirtschaftet werden. Wenn im Verkehrsressort gespart wird, ist die Kasse künftig leerer.

Es ist eben ein fundamentaler Unterschied, ob man an konsumtiven Ausgaben spart – darüber nachzudenken lohnt sich immer –, oder ob man an investiven Ausgaben spart. Aber natürlich werden wir auch unsere Haushaltstitel durchforsten und überlegen, wie wir durch Synergien oder Digitalisierung der Abläufe sparen können.

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