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Wie Mussolini ungewollt seinen Sturz herbeiführte

Vor 70 Jahren setzten Italiens König Vittorio Emanuele III. und gemäßigte Faschisten den geschwächten „Duce“ ab. Mit einer Fehlkalkulation hatte der Diktator den friedlichen Machtwechsel ermöglicht.
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So sah sich Italiens Diktator Benito Mussolini auch 1943 noch selbst am liebsten: Als Herrscher auf einem Niveau mit den Kaisern des Imperium Romanum So sah sich Italiens Diktator Benito Mussolini auch 1943 noch selbst am liebsten: Als Herrscher auf einem Niveau mit den Kaisern des Imperium Romanum
So sah sich Italiens Diktator Benito Mussolini auch 1943 noch selbst am liebsten: Als Herrscher auf einem Niveau mit den Kaisern des Imperium Romanum
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Ein Sommersonntag wie jeder andere. In Rom sind am Nachmittag des 25. Juli 1943 die Tische der meisten Straßencafés gut belegt. Das Polizeiorchester spielt wie wochenends üblich im Pincio-Park zum Platzkonzert auf. Das Publikum ist reichlich geströmt.

In den eleganten Hauptstadtbars an der Via Veneto spricht man ganz offen über die Kämpfe in Sizilien. Die Fortschritte der alliierten Truppen Richtung Straße von Messina werden allgemein begrüßt; Angst vor möglichen Spitzeln des Mussolini-Regimes gibt es nicht mehr.

Seit der Invasion am 10. Juli, vor allem aber seit dem Luftangriff auf die „Ewige Stadt“ neun Tage später gilt der Faschismus als sturmreif. Die am stärksten diskutierte Frage ist, wer wann den entscheidenden Schritt geht.

Die Römer wissen nicht, dass ihnen die Wirklichkeit ausnahmsweise einmal zuvor gekommen ist. Bereits in der vorangegangenen Nacht ist die Entscheidung gefallen; nun muss der Sturz des faschistischen „Duce“ nur noch vollzogen werden.

Audienz beim König

Kurz nach 17 Uhr ist es soweit. Der schon 73 Jahre alte König Vittorio Emanuele III. empfängt in seiner Stadtresidenz den Führer der faschistischen Partei, den er selbst knapp 21 Jahre zuvor mit der Regierungsbildung beauftragt hatte. Die Erwartungen an das Gespräch können nicht unterschiedlicher sein: Benito Mussolini will umfassende Vollmachten vom Staatsoberhaupt fordern. Doch dazu ist der Monarch nicht bereit; er will vielmehr nur einen Rücktritt entgegennehmen.

Nach knapp 20 Minuten ist die Audienz beendet. Vittorio Emanuele und Mussolini verlassen gemeinsam die Villa Savoia. Der König murmelt noch: „Tut mir leid, eine andere Lösung gab es nicht.“ Der abgesetzte Regierungschef geht Richtung Einfahrt, wo er seinen Wagen vermutet.

Auf halben Weg tritt ihm ein Offizier der Carabineri entgegen und sagt: „Seine Majestät hat Ihre Begleitung befohlen, zu Ihrer eigenen Sicherheit.“ Er komplimentiert den ehemaligen Ministerpräsident in einen bereitstehenden Krankenwagen, der sofort den Park der Residenz verlässt. Erst im Wagen begreift Mussolini, dass er nun unter Arrest steht.

Ohnehin wäre sein Sturz unmöglich gewesen, wenn er die Zeichen der Zeit erkannt hätte. Schon seit Anfang 1943 hatte der König vor, ihn loszuwerden. Längst galt in der Heimat der Krieg Italiens an der Seite Hitler-Deutschlands als höchst unpopulär. Mit der Niederlage in Nordafrika im Mai 1943 und dem damit verbundenen endgültigen Verlust der letzten italienischen Kolonien war auch Mussolinis Ziel eines erneuerten Imperium Romanum im Mittelmeer Makulatur.

Gebrochener Schwur

Als alliierte Truppen im Juni 1943 die Pelagischen Inseln und das Festungseiland Pantelleria erst sturmreif gebombt und dann fast kampflos besetzt hatten, sah sich Mussolini zu einem Schwur genötigt. „Niemals“ würde ein amerikanischer oder britischer Soldat seinen Fuß auf italienischen Boden setzen. Am 10. Juli, mit der Operation „Husky“ war auch diese Zusage von der Wirklichkeit überholt.

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Hitler und Mussolini trafen sich kurzfristig in der oberitalienischen Kleinstadt Feltre. Mit der vagen Aussicht, Italien könnte sich sonst aus dem Krieg zurückziehen, wollte der „Duce“ Materiallieferungen und stärkere deutsche Unterstützung erzwingen. Doch Hitler gestand ihm das nicht zu; bereit war der „Führer“ dagegen, zusätzliche deutsche Truppen nach Süditalien zu verlegen.

Offenbar redete Hitler Mussolini jede Kriegsmüdigkeit aus; jedenfalls diktierte Joseph Goebbels unmittelbar nach einem Telefonat mit ihm seinem Sekretär, Mussolini biete „einen ganz anderen Eindruck, sei frisch, entschlossen, initiativ und gänzlich gewillt, Widerstand bis zum Letzten zu leisten“. Für Goebbels waren das gute Nachrichten: „Ich glaube, dass die Unterredung zwischen Führer und Duce für die augenblickliche Kriegslage von unabsehbarem Wert ist.“

Luftangriff auf Rom

In Rom sah die Lage allerdings ganz anders aus. Unmittelbar nach dem bewusst auf den Tag des Treffens Hitler-Mussolini gelegten ersten Luftangriff war König Vittorio Emanuele in die betroffenen Gebiete der Hauptstadt gefahren. Dort traf der Monarch dem Tagebuch seines Adjutanten Brigadegeneral Paolo Puntoni zufolge eisiges Schweigen und Feindseligkeit der Bevölkerung - während gleichzeitig in anderen bombardierten Vierteln Papst Pius XII. gefeiert wurde.

Wahrscheinlich traf Vittorio Emanuele an diesem 19. Juli 1943 die Entscheidung, Mussolini so schnell wie möglich abzusetzen. Zugleich wollte er aber unbedingt einen kommunistischen Umsturz oder gar einen Bürgerkrieg vermeiden. Die einzige Möglichkeit war, auf gemäßigte Kräfte innerhalb des Militärs und der faschistischen Partei zu setzen.

Schon seit Monaten hatte es immer wieder Gespräche gegeben; dabei hatten sich vor allem ein möglicher Nachfolger herauskristallisiert: Marschall Pietro Badoglio, der sich 1922 gegen Mussolini ausgesprochen hatte, dann aber zum Faschismus überlief und 1935 den Abessinienkrieg für den „Duce“ brutal gewann.

Der schon fast 72-jährige Militär war alles andere als ein Vertrauter, gar Freund des Königs. Während ihrer Gespräche, so beschrieb es der Marschall später, sei Vittorio Emanuele „stets aufs Äußerste beherrscht“ gewesen. Doch weil Badoglio ein für das italienische Militär und die gemäßigten Faschisten ebenso wie für die Kirche und einen Teil der Antifaschisten ein akzeptabler Übergangsregierungschef sein würde, hatte der König ihn schon am 15. Juli 1943 ziemlich abrupt gefragt, ob er die Leitung einer „neuen Regierung“ zu übernehmen bereit sei. Badoglio bejahte.

Falsches Kalkül

Letztlich aber war es Mussolini selbst, der den Anlass lieferte. Um seinen nach dem Treffen mit Hitler gefassten Entschluss, Italien im Krieg zu belassen, mit der nötigen Durchschlagskraft auszustatten, berief der Duce für den 24. Juli eine Sitzung des Großrates der Faschistischen Partei ein. Dieses in der Verfassung nicht vorgesehene, wohl aber durch Gesetz sanktionierte Gremium, das Mussolini mit Gefolgsleute besetzt hatte, war seit 1939 nicht mehr zusammen getreten. Doch die Sitzung entwickelte sich völlig anders als erwartet.

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Nach einer länglichen, wenig mitreißenden Ansprache Mussolinis ergriff Dino Grandi das Wort und wandte sich direkt an den Faschistenchef: „Sie glauben, Sie besitzen die Anhänglichkeit des Volkes. Doch haben Sie diese an jenem Tage verloren, an dem sie Italien an Deutschland verkauften.“ Taktisch durchaus geschickt forderte der Präsident des machtpolitisch bedeutungslosen Parlaments den „Duce“ auf, die Vollmachten als Oberbefehlshaber und Regierungschef abzutreten und wieder „der Mussolini der Barrikaden, unser Mussolini“ zu werden.

Nach weiteren Diskussionsbeiträgen, einer kritischer als der andere, ließ der Parteichef über Grandis Antrag abstimmen - er sah vor, dass der König wieder den Oberbefehl übernehmen sollte und Mussolini als Ministerpräsident zurücktrat. Der „Duce“ glaubte, die Frondeure abstrafen zu können, indem er auf seine Anhänger im Rat setzte.

Ungeheurer Freudentaumel

Doch von den 28 Mitgliedern stimmten gegen 2.30 Uhr nur acht für Mussolini, 19 aber gegen ihn, bei einer Enthaltung. Sogar sein Schwiegersohn und ehemaliger Außenminister Galeazzo Ciano votierte in Grandis Sinne. Wütend ob dieser „Treulosigkeit“ schloss Mussolini die Sitzung und zog sich zurück.

Für den nächsten Tag ersucht er um einen Termin beim König, um außerordentliche Vollmachten einzufordern - und wird von Vittorio Emanuels Zustimmung zu seinem Rücktritt überrascht. Konsterniert verlässt er die Villa Savoia und wehrt sich nicht einmal gegen seine Festnahme. Als die Neuigkeit gegen 19 Uhr gerüchteweise die Straßen Roms erreicht, beginnt ein ungeheurer Freudentaumel.

Die Menschen sehen in Mussolinis Abgang eine Erlösung und hoffen, dass ihr Land schnellstmöglich aus dem Krieg ausscheiden wird. Sie ahnen nicht, dass der Krieg erst jetzt wirklich nach Italien kommen wird.

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