Ein Spendenbetrug zieht seine Kreise und formiert ein Freundesquartett neu. „Verratene Freunde“ konzentriert sich auf die Auswirkungen, die der moralische Konflikt auf die Beziehungen hat. Ein typischer Krohmer-Nocke-Film. Ein vermeintliches Psychodrama, erfrischend unpsychologisch und offen erz�hlt. Weder serviert die Handlung dem Zuschauer die Wertung der Figuren, noch dr�ckt einem die Dramaturgie eine Haltung aufs Auge. Jeder wird auf seine Art zum Verr�ter. Dieser Film ist immer f�r eine �berraschung gut!
Foto: SWR / Patrick OhrtTrennungsgespr�ch. „Ich wei�, dass solche Dinge passieren k�nnen.“ Schulleiter Andreas hat das ausnahmsweise mal nicht in einem Buch gelesen. Brandt & Auer
Eine Protzvilla, ein gewissenhafter P�dagoge & die Liebe
Ein Abendessen bei Freunden. Andreas und seine Frau Heike sind bei den Staudes eingeladen. Peter, ein erfolgreicher Bauunternehmer, f�hrt sein neues Haus vor. Nur seine Frau Christa will nicht mitspielen. Sie beschuldigt ihren Mann, den Initiator eines F�rderzentrums f�r behinderte Kinder, seine geschmacklose Protzvilla aus Spendengeldern gebaut zu haben. Andreas, seit 25 Jahren mit Christa befreundet, Schulleiter, ein Mann mit klarer Haltung, ist verunsichert. „Ich wei� noch nicht, wie ich damit umgehen soll“, sagt er. Seine Frau wei� das umso besser. Heike h�lt zu Peter; schlie�lich hat sie seit einem halben Jahr ein Verh�ltnis mit ihm. Die Dinge nehmen ihren Lauf. Christa will nicht l�nger „Oberschichtenschnalle“ sein, macht Tabula Rasa und zieht aus. Heike m�chte nicht mehr Nacht f�r Nacht den Atem ihres Gutmenschen h�ren – und zieht bei Peter ein. Jetzt w�re der Weg frei f�r das andere, latente Liebespaar. Doch der gewissenhafte P�dagoge hat sich in eine andere sch�ne Frau verguckt. Sie verachtet ihn zwar; aber mit solchen Situationen konnte Andreas ja schon immer gut umgehen. Und dann ist da ja noch Macher Peter. Der k�nnte ja vielleicht was drehen…
Foto: SWR / Patrick OhrtMuss sich zwischendurch seine Stullen selber schmieren. Heino Ferch als Macher
M�nner wollen nur das eine: Frauen beeindrucken
Der Spendenbetrug zieht seine Kreise. Konstellationen verschieben sich, neue Paare bilden sich und auch die Gesellschaft reagiert, die Presse, die Politik, die Staatsanwaltschaft – aber nur am Rande. „Verratene Freunde“ konzentriert sich auf die Auswirkungen, die der moralische Konflikt auf die Beziehungen hat. „Volle Konfrontation, offenes Visier“, lautet Peters Strategie, nachdem der falsche Freund Informationen an die Presse weitergegeben hat. Gegen den Machtapparat des Immobilienmoguls kommt der Schulleiter nicht an. Was liegt da n�her, als fast unmerklich die Seite zu wechseln und dem moralisch Verirrten einen Wink zu geben. Es scheint nicht nur bei „Manager“ Peter die immergleiche Geschichte zu sein. Er mache das alles nur, um seine Heike zu beeindrucken, sagt er zu Andreas, Heikes Noch-Ehemann. Und auch Andreas will beeindrucken: Christa, eine Frau, die ihn beleidigt und gedem�tigt hat. Um ihr zu imponieren, begibt er sich in die H�hle des L�wen. Dem gro�en Zampano gen�gt es indes l�ngst nicht mehr, nur seiner Neuerwerbung Heike zu gefallen. Drei sch�ne Frauen sitzen am Ende an seinem Tisch und auch „Gegenspieler“ Andreas. Und alle lassen sich bereitwillig von Peter, dem Sozialbetr�ger, emotional beschenken.
Foto: SWR / Patrick OhrtGewissenhaft oder einfach ein Denunziant? Auf jeden Fall einsam: Andreas (Brandt)
Soundtrack: Rupert Holmes (“Him”), Angie Stone (“Wish I didn`t miss you”), The Rapture (“How deep is your love”)
SWR-Trailer zum Fernsehfilm "Verratene Freundschaft" von Krohmer / Nocke
Jeder der vier Freunde ist auf seine Weise ein Verr�ter
„Verratene Freunde“ liefert kurzweilige Stimmungsbilder zu den Stationen der vier Freunde. In den 90 Minuten vergehen offenbar einige Monate. F�r den Zuschauer ist das nebens�chlich. Er saugt die Essenz des „Freundes-Kreises“ auf. Dieser Film erz�hlt kein Oberfl�chendrama. Jeder Moment besitzt etwas Wesentliches, jeder Satz hat Charakter, jede Szene dringt zu einer tieferen Wahrheit der Beziehung vor, ohne dass sich der Autor moralisch ereifern w�rde. Nie hat man den Eindruck, einem werde hier als Zuschauer etwas aufs Auge gedr�ckt. Es gibt keine Aufteilung des Personals in sympathisch / unsympathisch und auch „die Ausgangsfrage des Films, wie man Dinge, �ber die man sich aufregt, wenn man sie in der Zeitung liest, bewertet, wenn sie im Freundes- oder Bekanntenkreis geschehen“ (Nocke), wird nicht eindeutig beantwortet. Jeder der Figuren ist auf seine Weise ein Verr�ter. Wie immer bei Nocke und Krohmer – zumindest in ihren moralischen TV-St�cken – relativiert sich auch in dieser Spendenmissbrauchsgeschichte einiges. Die beiden scheinen ohnehin den Anspruch allzu hehrer Moralvorstellungen prinzipiell in Frage zu stellen. Der Mensch ist, wie er ist, er denkt mit dem Bauch. Ein bisschen intellektuell klugschei�erisch ist die Haltung des Films nat�rlich schon. Aber es macht Spa�, sie einzunehmen. Auch und vor allem als Zuschauer.
Foto: SWR / Patrick OhrtAus der Aff�re wird mehr: Heike (Auer) ist es ernst mit Peter (Ferch). Ihm auch?
Der „Krohmer-Touch“ & der Paradigmenwechsel im Fernsehfilm
Die Lust an diesem Film r�hrt zu einem gro�en Teil auch her von dem, was man „Krohmer-Touch“ nennen k�nnte. Es ist mehr als nur ein pers�nlicher Inszenierungsstil. Mit den Filmen „Ende einer Saison“ und „Familienkreise“ lieferte der Regisseur Anfang der 00er Jahre nicht nur eine frische, ausschnitthafte Erz�hlweise, beeinflusst vom d�nischen „Dogma“-Stil,� l�utete er – gemeinsam mit Andreas Kleinerts „Die Polizistin“ – einen Paradigmenwechsel im TV-Realismus ein. Eine im Fernsehen bis dahin ungew�hnliche Unmittelbarkeit des Schauspiels, eine geradezu physische Direktheit lie� die Figuren sehr viel plastischer erscheinen als im expressiven Drama der alten Schule. Dass er neben den neuen „Gesichtern“ wie Anneke Kim Sarnau, Hans-Jochen Wagner oder Mark Waschke auch alte Haudegen, die gro�e Auftritte lieben, wie Hannelore Elsner oder G�tz George eindrucksvoll b�ndigte, machte die ersten Krohmer-Filme besonders aufregend. Aber auch bei „Verratene Freunde“ mit den etablierten Schauspielern der „Dazwischen-Generation“ ist es immer noch belebend, diesen Alltagsgefechten um Haltungen, Lebensentw�rfe und Selbstbilder zuzuschauen.�
Foto: SWR / Patrick OhrtDer Lehrk�rper (Brandt) ist noch gut in Schuss. Und wen l�chelt er da wohl an...?
Psychologie der Figuren ja – psychologische Dramaturgie nein!
Matthias Brandts Andreas hat sich den Rand seiner Brille zum pers�nlichen Horizont gemacht. „Ich wei�, dass solche Dinge passieren k�nnen“, sagt er, als seine Frau ihm von ihrer Aff�re erz�hlt. Barbara Auers Heike will einfach nur ein etwas aufregenderes Leben – einen Meister Protz braucht sie ebenso wenig wie einen Moralapostel. Heino Ferch gibt den Vertreter des „alles machbar“, der ganz in seinem Machtrausch aufgeht und bei dem sich die moralischen Ma�st�be verschieben. Und Katja Riemann gibt die zynische Schnauze, die an der Seite ihres Mannes gelernt hat, wie man sich (dramatisch) am besten in Szene setzt. Psychologisch stimmen die Figuren. Aber Nocke verzichtet auf eine psychologische Dramaturgie, die alles erkl�rt und jeden Widerspruch einebnet. Von daher wirkt dieses vermeintliche Psychodrama ungemein unpsychologisch. Die Figuren besitzen – dramaturgisch gesehen – einen Eigen-Sinn. Sie k�nnen �berraschen, auch weil der Autor sie „offen“ l�sst, sie nicht moralisch festlegt, nicht wertet. Ob’s am Namen liegt: In diesem Punkt hat Krohmer viel gemeinsam mit dem Mitbegr�nder der Nouvelle Vague, Eric Rohmer. Zur gro�en physischen Pr�senz geh�rt heute auch der selbstverst�ndliche Umgang mit Sexualit�t und Nacktheit. So bringen zwei Beischlaf-Szenen die Mentalit�ten der vier Hauptfiguren auf zwei sehr pr�gnante Bilder.
Foto: SWR / OhrtAndreas hat ein Auge auf Simone (Edita Malovcic) geworfen. Noch verachtet sie ihn!
Foto: SWR / OhrtChrista (Katja Riemann) hat es immer schon auf ihren guten Freund Andreas abgesehen. Er irgendwie auch auf sie. Ist es jetzt zu sp�t?
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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