Ermittlungen gegen von der Leyen wegen EU-Impf-Deals mit Pfizer
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Ermittlungen

Impf-Deals der EU mit Pfizer – welche Rolle spielte von der Leyen?

Berlin / Lesedauer: 7 min

Die Milliarden-Geschäfte zwischen Pfizer und der EU-Kommissionspräsidentin werden immer undurchsichtiger, die Justiz ermittelt. Trotzdem werden munter neue Deals ausgehandelt.
Veröffentlicht:24.05.2023, 05:01

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Hat Ursula von der Leyen sich strafbar gemacht oder nicht? Darüber soll jetzt ein Strafgericht entscheiden. Die Vorwürfe gegen die EU-Kommissionspräsidentin klingen bedrohlich: Es geht um den Verdacht der „Aneignung von Funktionen und Titeln“, der „Vernichtung öffentlicher Dokumente“ und um „Korruption“.

Anlass sind die sogenannten Pfizer-Deals. Sie stehen schon länger in der Kritik. Auch der politische Druck innerhalb des EU-Apparates wächst. Bislang scheiterte die geforderte Aufklärung an einer Mauer des Schweigens. Mit der Klage vor einem Strafgericht im belgischen Lüttich könnte sich nun alles ändern.

Absprachen des Deals per SMS

Worum geht es? Bei den sogenannten Pfizer-Deals handelte die Europäische Kommission im November 2020, im Februar 2021 und im Mai 2021 mit dem Pharmaunternehmen Pfizer-Biontech die Lieferung von Impfstoffen gegen Covid-19 aus. Das Auftragsvolumen wird auf rund 35 Milliarden Euro geschätzt.

Die New York Times deckte 2021 auf, dass Absprachen über Einzelheiten des Deals per SMS getroffen wurden – zwischen von der Leyen und dem CEO von Pfizer, Albert Bourla. Was genau in diesen SMS stand, ist nicht bekannt. Die beiden unmittelbar Beteiligten und auch die EU-Kommission schweigen eisern. Die Begründung der EU-Kommission: Die Textnachrichten seien keine „offiziellen Dokumente“.

Europäische Bürgerbeauftragte wird abgeschmettert

Zuerst wollte die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly wissen, was in den Textnachrichten stand – ohne Erfolg. Sie erhielt im Juni 2022 die schlichte Antwort, dass Nachforschungen zu den SMS keine Ergebnisse erbracht hätten. O’Reilly kommentierte das so: „Die Antwort der Kommission auf meine Untersuchungsergebnisse hat weder die grundlegende Frage beantwortet, ob die fraglichen Textnachrichten existieren, noch Klarheit darüber geschaffen, wie die Kommission auf eine Anfrage nach jeglichen anderen Textnachrichten reagieren würde“.

Die Bürgerbeauftragte weiter: „Die Behandlung dieses Antrags auf Zugang zu den Dokumenten hinterlässt den bedauerlichen Eindruck einer EU-Institution, die in Angelegenheiten von bedeutendem öffentlichen Interesse nicht entgegenkommend ist.“

Schweigen bei Europäischer Staatsanwaltschaft 

Als nächstes wunderte sich der Europäische Rechnungshof im September 2022, weshalb die EU-Kommission den Rechnungshof nicht transparent darüber informiert, welche Rolle Ursula von der Leyen bei der Beschaffung der Impfstoffe gespielt hatte und was in den fraglichen SMS denn nun stand. Er wundert sich noch heute. Aufgeklärt wurde nichts.

Schließlich übernahm die Europäische Staatsanwaltschaft. Und leitete eine Untersuchung gegen die EU-Kommission ein. „Die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) bestätigt, dass sie Ermittlung über den Erwerb von Covid-19-Impfstoffen in der Europäischen Union führt“, bestätigte die offizielle Strafverfolgungsbehörde (Schwerpunkte der EPPO sind unter anderem Geldwäsche und Korruption). Die Bestätigung sei „aufgrund des extrem hohen öffentlichen Interesses“ erfolgt. Allerdings würden „zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Einzelheiten bekannt gegeben“. Das war im Oktober 2022. Seitdem herrscht auch hier Schweigen.

Die New York Times, die die Existenz der nach wie vor geheimen SMS zwischen von der Leyen und Bourla aufgedeckt hatte, zog im Januar 2023 vor das Gericht der Europäischen Union (EuG) und will Einsicht in die Textnachrichten erzwingen – Ausgang ungewiss.

Waren die brisanten SMS privat?

Allen bisherigen Aufklärungsversuchen ist eines gemein – sie spielten sich innerhalb der EU-Behörden ab. Mittlerweile liegt der Fall aber auch bei einem unabhängigen Strafgericht. Der belgische Lobbyist Frédéric Baldan hat Anfang April 2023 Klage gegen die Kommissionspräsidentin eingereicht – bei einem Strafgericht in der belgischen Stadt Lüttich. Die Vorwürfe lauten unter anderem „Vernichtung öffentlicher Dokumente“ und um „Korruption“. Baldan will auch, dass der zuständige Richter die SMS einsieht.

Er und seine Anwältin Diane Protat argumentieren so: Wenn von der Leyen die Nachrichten nicht herausgeben wolle, sei das in Belgien strafbar, sofern sie als offizielle Dokumente gewertet werden. Sollte die EU-Kommissionspräsidentin die Herausgabe aber verweigern, weil sie privat seien, würde das auf eine Beziehung zwischen von der Leyen und Bourla hindeuten. Das käme dann aber einem ernsthaften Interessenkonflikt bei Vertragsverhandlungen gleich. Und damit die belgischen Behörden ordentlich ermitteln können, muss von ihnen nun möglicherweise die Aufhebung der Immunität von der Leyens beantragt werden. 

Immunität bedeutet laut EU: „Mitglieder des Europäischen Parlaments dürfen wegen einer in Ausübung ihres Amtes erfolgten Äußerung oder wegen ihres Abstimmungsverhaltens weder in ein Ermittlungsverfahren verwickelt noch festgenommen oder gerichtlich verfolgt werden.“ Anwältin Protat sagte in einem Interview, dass die Aufhebung der Immunität das eigentliche Ziel der Klage sei. Wenn das passiert ist, heißt es von der EU, können „die einzelstaatlichen Justizbehörden Ermittlungen oder ein Gerichtsverfahren einleiten“. Auch gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Druck auf von der Leyen steigt

Unterdessen steigt auch innerhalb des EU-Apparates steigt der Druck auf von der Leyen. „SMSgate nimmt eine kriminelle Wendung. Die Präsidentin der Europäischen Kommission wird der ‚widerrechtlichen Aneignung von Funktionen und Titeln‘, der ‚Vernichtung von öffentlichen Dokumenten‘ und der ‚illegalen Interessenwahrnehmung und Korruption‘ beschuldigt“, teile etwa die EU-Abgeordnete Michèle Rivasi (Grüne/EFA) mit.

Der EU-Abgeordnete Daniel Freund, ebenfalls von den Grünen, sagte bereits kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe: „Das, was auf dem Telefon von Frau von der Leyen passiert, ist Politik.“ Und weiter: „Es kann nicht sein, dass Journalistinnen und Journalisten fadenscheinige Begründungen bekommen und abgewimmelt werden. Es kann nicht sein, dass die Kommission selbst die Empfehlung der Bürgerbeauftragten ignoriert.“

Was hat von der Leyen mit Pfizer-CEO besprochen?

Auch die Sozialdemokratin Kathleen van Brempt fand in der Vergangenheit klare Worte und teilte mit: „Unglaublich. Die EU–Kommission hat milliardenschwere Verträge mit Pfizer abgeschlossen. Die zahlreichen Textnachrichten zwischen von der Leyen und Albert Bourla gehören an die Öffentlichkeit. Wir haben ein Recht darauf zu erfahren, was die Kommissionspräsidentin mit dem Pfizer-CEO besprochen hat.“

Zuletzt kritisierte der fraktionslose EU-Abgeordnete Martin Sonneborn Ursula von der Leyen und sagte an die EU-Kommissionspräsidentin gerichtet: „Wussten Sie, dass wegen Ihrer gelöschten Pfizer-SMS mittlerweile nicht nur Ihre Kommission von der New York Times verklagt wird, sondern auch Sie persönlich? (…) Beschuldigt werden Sie wegen Amtsanmaßung und Titelmissbrauch, Vernichtung öffentlicher Dokumente und Korruption. Während jedes Käseblatt in Deutschland vom Spiegel bis zur FAZ über Ihr dahingeschiedenes Pony berichtet hat, interessiert sich niemand dafür, dass sogar die Europäische Staatsanwaltschaft gegen Sie ermittelt.“ 

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Verzicht auf Bestellung – höherer Preis pro Dosis

Zudem kritisiert Sonneborn neue Verhandlungen zwischen Pfizer und der EU-Kommission über eine Art „Storno-Gebühr“. Die EU hatte bekanntlich viel zu viele Covid-19-Impfstoffdosen eingekauft. Bulgarien, Polen, Ungarn und Litauen kündigten bereits an, sie seien nicht bereit, für nicht benötigte Impfdosen zu zahlen. Vielmehr müsse die EU-Kommission mit Pfizer „im öffentlichen Interesse“ einen „neuen, gerechteren Deal“ aushandeln.

Die EU-Kommission hatte Pfizer daraufhin vorgeschlagen, auf 220 Millionen ursprünglich bestellte Impfstoffdosen zu verzichten. Dafür werde die EU einen höheren Preis pro Dosis für die verbleibenden Lieferungen zahlen – insgesamt geht es Berichten zufolge es bei der anvisierten „Stornogebühr“ um eine Summe von bis zu 2,2 Milliarden Euro.

Profitinteressen statt Gemeinwohl

Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Kathrin Vogler, beschäftigt sich mit den Nachverhandlungen. Sie teilte kürzlich mit: „Nach Vertragslage hat die EU-Kommission nur ein Viertel der bestellten 4,2 Mrd. Impfdosen benötigt und will jetzt über eine Reduktion der Impfstoffmenge nachverhandeln.“ Zwar mache „der Pharmakonzern Pfizer Zugeständnisse, will aber auch Geld für die bereits bestellten Impfstoffe“.

In einem Interview kritisierte die Linken-Politikerin die Vorgänge scharf. Dass wertvolle Impfstoffe verfielen und Pfizer zugleich weitere Milliarden Euro kassiere sei das Ergebnis einer Politik, „die sich statt am Gemeinwohl konsequent an den Profitinteressen der Pharmaindustrie orientiert“.