Faktencheck

Orgenesis: Nein, Heiko von der Leyen arbeitet nicht bei einem Unternehmen, das Pfizer gehört

Im Netz kursiert die Behauptung, das Biotechnologie-Unternehmen Orgenesis, wo der Ehemann von Ursula von der Leyen arbeitet, gehöre dem Pharmakonzern Pfizer. Das stimmt nicht, Pfizer ist nicht Eigentümer von Orgenesis.

von Gabriele Scherndl

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Ursula und Heiko von der Leyen bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele 2021. Ein Foto von diesem Tag wird nun gemeinsam mit einer Falschbehauptung auf Sozialen Netzwerken geteilt. (Symbolbild: Barbara Gindl / Picture Alliance)
Behauptung
Heiko von der Leyen sei Direktor von Orgenesis, einem Unternehmen, das Pfizer gehöre. Mit Pfizer wiederum habe seine Ehefrau Ursula von der Leyen einen 71-Milliarden-Vertrag zur Herstellung von 4,6 Milliarden Impfdosen unterzeichnet.
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Größtenteils falsch. Heiko von der Leyen ist zwar medizinischer Direktor beim Biotechnologie-Unternehmen Orgenesis, die Firma gehört aber nicht Pfizer. Der Pharmakonzern hält keine maßgeblichen Anteile an Orgenesis. Bis Ende 2021 schloss die EU-Kommission im Namen der Mitgliedstaaten Verträge im Wert von 71 Milliarden Euro über den Kauf von Corona-Impfstoffen ab – diese stammen jedoch von verschiedenen Herstellern, nicht nur von Pfizer.

„Vetternwirtschaft auf die Spitze getrieben“, schreibt jemand auf Facebook zu einem Foto von Heiko von der Leyen und seiner Ehefrau, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Der Vorwurf: Das Biotechnologie-Unternehmen Orgenesis, bei dem Heiko von der Leyen arbeite, gehöre Pfizer. Impliziert wird, Ursula von der Leyen habe deswegen mit Pfizer einen 71-Milliarden-Vertrag zur Lieferung von Corona-Impfstoffen mit Pfizer unterschrieben. Die Behauptung kursiert zigfach auf Facebook und Telegram.

Der zentrale Vorwurf ist falsch: Heiko von der Leyen ist zwar der Ehemann von Ursula von der Leyen, und er ist medizinischer Direktor der Aktiengesellschaft Orgenesis. Die Firma gehört aber nicht dem Pharmakonzern Pfizer. Orgenesis ist ein Biotechnologie-Unternehmen, das an Gen- und Zelltherapien forscht – da es an der Börse ist, gehört es den Anteilseignerinnen. Wir konnten keine Belege finden, dass Pfizer einer davon ist. Laut offiziellen Datenbanken besitzt der Pharmakonzern keine größeren und damit maßgeblichen Anteile von Orgenesis. Auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck teilten beide Konzerne zudem mit, sie hätten keine Geschäftsbeziehungen miteinander.

Die Tatsache, dass Heiko von der Leyen bei einem Biotechnologie-Unternehmen arbeitet, war schon häufiger Ausgangspunkt für falsche Behauptungen. Das Faktencheck-Team von Mimikama widerlegte im Dezember 2021 die Behauptung, er sei Direktor von Pfizer. Das niederländische Magazin Knack stellte im selben Monat in einem Faktencheck klar, dass Orgenesis keine Corona-Impfstoffe herstelle, nachdem das in Sozialen Netzwerken behauptet wurde.

Die Behauptung in einem Facebook-Beitrag gemeinsam mit einem Foto des Ehepaars: Heiko von der Leyen, Ehemann von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, soll bei einem Unternehmen arbeiten, das Pfizer gehöre. Das stimmt nicht.
Heiko von der Leyen, Ehemann von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, soll bei einem Unternehmen arbeiten, das Pfizer gehöre. Das stimmt nicht. (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Heiko von der Leyen ist medizinischer Direktor bei Orgenesis und seine Ehefrau ist Präsidentin der Europäischen Kommission

Eine kurze Google-Suche bestätigt: Auf der Webseite der Aktiengesellschaft Orgenesis wird Heiko von der Leyen als medizinischer Direktor des Unternehmens genannt – laut seines Linkedin-Profils übernahm er diese Position im September 2020. Er ist mit Ursula von der Leyen verheiratet, sie ist seit 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission. Diese Verbindung und Heiko von der Leyens Arbeit in der Pharmabranche wurde in einem Bericht der Welt kritisch beleuchtet. 

Die EU-Kommission schloss laut Europäischem Rechnungshof im Zuge der Corona-Pandemie bis Ende 2021 Verträge im Wert von 71 Milliarden Euro für bis zu 4,6 Milliarden Impfdosen mit unterschiedlichen Impfstoffherstellern. Mit Abnahmegarantien sicherte die EU ihren Mitgliedsstaaten das Recht, innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine bestimmte Anzahl von Impfdosen zu einem bestimmten Preis zu kaufen. 

Solche Verträge schloss die Kommission auch mit Pfizer – der Konzern hat gemeinsam mit dem Pharmakonzern Biontech den Covid-19-Impfstoff Comirnaty auf den Markt gebracht. Die EU-Kommission schloss im November 2020 den ersten Vertrag über 200 Millionen Impfsdosen mit den beiden Unternehmen, weitere folgten. Insgesamt sicherte sich die EU-Kommission den Zugang zu 2,4 Milliarden Dosen von Biontech und Pfizer.

Wie viel von den 71 Milliarden Euro an Pfizer ging, ist nicht klar. In den Verträgen, die die EU-Kommission veröffentlichte, sind die ausgehandelten Preise geschwärzt, weil die Unternehmen laut Kommission auf Geheimhaltung bestanden hatten. 

Am 14. Oktober 2022 gab die europäische Staatsanwaltschaft bekannt, dass es Untersuchungen zu den Impfstoffkäufen gebe – worum genau es geht, hält die EU-Behörde bisher unter Verschluss (Stand: 24. November 2022). 

Mit Ursula von der Leyens Ehemann hat all das aber soweit bekannt nichts zu tun. Denn der Kern der Behauptung, auf den sich der Vorwurf der Vetternwirtschaft in Sozialen Netzwerken stützt, ist falsch: Die Firma Orgenesis gehört nicht Pfizer. 

Orgenesis, Pfizer und EU-Kommission dementieren angebliche Verbindungen

Ein Sprecher von Orgenesis schreibt uns auf Anfrage, man habe „keine strategische oder sonstige Beziehung zu Pfizer“. Orgenesis sei auch nie im Besitz von Pfizer gewesen. Eine Sprecherin von Pfizer schreibt, dass der Pharmakonzern keine Geschäftsbeziehungen zu Orgenesis unterhalte. Auch eine Sprecherin der EU-Kommission beantwortet unsere Frage, ob der Kommission Verbindungen von Heiko von der Leyen oder Orgenesis und Pfizer bekannt sind, mit einem Nein. 

Die Eigentumsverhältnisse von Orgenesis lassen sich über verschiedene Quellen nachvollziehen. Wir haben dafür einige öffentlich zugängliche Börsendatenbanken durchsucht und mit einem Experten für Unternehmensfinanzierung gesprochen. Die Recherche bestätigt: Orgenesis gehört nicht Pfizer.

Orgenesis ist eine Aktiengesellschaft, das heißt, jene, die Aktien kaufen, werden damit zu Miteigentümern der Gesellschaft. Aktionärinnen und Aktionäre können bei Geschäftsentscheidungen mitreden: Sie bestimmen zum Beispiel die Besetzung des Aufsichtsrats oder entscheiden bei Hauptversammlungen über unternehmensrelevante Fragen, wie Gewinnverwendung und Fusionen. Je mehr Anteile jemand an einer Aktiengesellschaft hält, desto eher kann diese Person oder dieses Unternehmen andere Aktionärinnen und Aktionäre bei Entscheidungen überstimmen. 

Zum Teil sind diese Aktionärsstrukturen öffentlich einsehbar, etwa auf Internetseiten von Medien oder Börsenbetreibern wie Nasdaq. In keiner dieser öffentlichen Quellen taucht Pfizer als Anteilseigner an Orgenesis auf. Um herauszufinden, ob der Konzern dennoch in irgendeiner Weise Anteile besitzen könnte, haben wir bei Mattia Colombo angefragt, er ist Doktorand der Finanzwissenschaften an der Universität Mannheim und forscht unter anderem zum Thema Unternehmensfinanzierung. Er wurde uns von der Universität Mannheim als Ansprechpartner vermittelt. 

Finanzportale zeigen keine Beteiligung von Pfizer an Orgenesis

Er erklärt, dass alle Aktionärinnen und Aktionäre, die mehr als fünf Prozent Anteile an einer börsennotierten US-Firma (eine solche ist Orgenesis) halten, das der Börsenaufsicht melden müssen. Damit würden sie auch in der Thomson-Reuters-Global-Ownership-Datenbank aufscheinen, auf die Universität Mannheim Zugriff hat. Laut Colombo taucht Pfizer dort nicht als Aktionär von Orgenesis auf. 

Theoretisch könnte es aber dennoch sein, so Colombo, dass Pfizer Aktien besitze, deren Anteil unter der Fünf-Prozent-Schwelle liegt. „In diesem Fall könnte Pfizer entscheiden, dies nicht öffentlich zu machen, und eine Beteiligung würde in keiner der verfügbaren Datenbanken erscheinen.“ Das würde aber ebenfalls nicht bedeuten, dass Orgenesis dem Pfizer-Konzern „gehört“, wie in den Facebook- und Telegram-Beiträgen behauptet wird. 

Denn: Pfizer könnte die Orgenesis-Geschäfte mit einem Anteil von weniger als fünf Prozent nur dann beeinflussen, wenn der Rest der Aktien im Besitz von Kleinaktionären wäre, erklärt Colombo. Das ist aber nicht der Fall. Orgenesis hat mehrere Anteilseigner, die Anteile von mehr als fünf Prozent besitzen, wie etwa eine Liste institutioneller Anleger des Börsenbetreibers Nasdaq und Daten der Finanzportale von CNN und finanzen.net zeigen.

Auch indirekte Querverbindungen sind kein Beleg für die aufgestellte Behauptung. Etwa die Tatsache, dass manche Aktionärinnen und Aktionäre sowohl an Pfizer als auch an Orgenesis Anteile halten – zum Beispiel die Vanguard Group, einer der größten Vermögensverwalter der Welt. Das sei eine Form des „common ownership“, also des gemeinsamen Besitzes, schreibt Colombo. Auch viele andere große institutionelle Anleger hätten Anteile an beiden Unternehmen. Das sage aber nichts über die Eigentümerverhältnisse von Orgenesis aus. Vanguard besitzt Anteile von zahlreichen verschiedenen Unternehmen weltweit. 

Zusammengefasst heißt das: Es gibt keine Belege, dass Pfizer Anteile an der Firma Orgenesis besitzt. Informationen in verschiedenen Datenbanken zeigen, dass Pfizer in keinem Fall mehr als fünf Prozent besitzt und somit die Geschäfte von Orgenesis nicht beeinflussen kann, weil es verschiedene größere Anteilseigner gibt. Die Behauptung „Orgenesis gehört Pfizer“ ist also falsch. 

Redigatur: Sarah Thust, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Die Orgenesis-Aktie bei Nasdaq, 15. November 2022: Link (archiviert)
  • Die Orgenesis-Aktie auf CNN Business, 15. November 2022: Link (archiviert)
  • Die Orgenesis-Aktie auf Finanzen.net, 15. November 2022: Link (archiviert)
  • Informationen der EU-Kommission zur EU-Impfstoffstrategie: Link