Kommentar: Warum uns der aktuelle Klima-Alarm kalt lässt

Drei Meldungen über die Zukunft dieses Planeten – aber alle drei interessieren nicht sonderlich. Die Berichte übers Weltklima, über die deutschen Emissionen und über den Stand des Waldes werden als Fußnoten abgehakt. Man hat schlicht keine Lust mehr auf Krisenmodus. Dumm nur, dass diese Probleme allein durch Mediation auch nicht weggehen.

Ein toter Baum am Brocken im Harz (Bild: REUTERS/Thomas Peter)
Ein toter Baum am Brocken im Harz (Bild: REUTERS/Thomas Peter)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Abgestumpft können wir noch nicht sein. Denn die Krise geht ja gerade erst los. Aber der Sättigungsgrad an schlechten Nachrichten scheint erreicht: Ist auch viel los. Angesichts dieser neuesten Meldungen indes den Kopf in den Sand zu stecken, ist keine verheißende Erfolgsstrategie. Da läuft etwas mächtig schief.

Was ist passiert? Drei Berichte geben aktuell über die Lage des Landes Auskunft. Der Rapport des Weltklimarats dokumentiert, wie der Klimawandel noch schneller als befürchtet voranschreitet und wir nicht genügend tun, um die globalen Folgen zu mildern. Das Bundesumweltamt hat Deutschlands Emissionen von Treibhausgasen im Jahr 2022 bilanziert: Die Klimaschutzziele wurden knapp erreicht – aber die Gründe dafür liegen zu einem Teil an der kriselnden Industrie des vergangenen Jahres, wegen des Krieges in der Ukraine und an folgenden Energiestress. Und drittens berichtet das Agrarministerium über den Stand des deutschen Waldes: Über ein Drittel aller Bäume trägt schwere Schäden.

Alles drei zusammen schon News mit Schockpotenzial.

Klima-Experten warnen: Wir kommen raus aus der Komfortzone

Aber was steht in den Medien? Von „Reflexen“ und „Ritual“ schreibt Innenpolitik-Chef Jasper von Altenbockum in der „FAZ“. „Die großen Dramatisierer haben das Wort. Sie treiben Deutschland in eine überdrehte Klimapolitik.“ Und Nikolaus Blome meint in seiner Kolumne auf „Spiegel-Online“: „Deutschland übererfüllt seine CO₂-Ziele, aber kaum einer mag es wahrhaben. Wer auch nur einen Moment zufrieden ist, macht sich verdächtig.“

Schulterklopfen ist nicht gerade angesagt

Hm. Dass sich die Erde bis 2035 um 1,5 Grad Celsius erwärmen wird, halte ich nicht für dramatisiert, sondern für dramatisch. Eher die Beschwichtigungen, welche auf solche Meldungen folgen, erinnern mich an Rituale und Reflexe, nach dem Motto: Wird schon nicht so schlimm werden. Und Partylaune macht sich bei mir tatsächlich nicht breit, wenn das Bundesumweltamt zum Ergebnis kommt, dass gerade der Verkehr in Deutschland, der ein gewichtiger CO2-Treiber ist, seine Ziele krass verfehlt hat und dem zuständigen Bundesminister schon Arbeitsverweigerung zu attestieren ist. Da muss man nicht von einer „Peitsche“ schreiben, die eh niemand hat. Und als Tadler sehe ich auch keinen, der auf die Malaise hinweist.

IPCC-Bericht: Auswirkungen des Klimawandels größer als angenommen

Besonders eindrücklich finde ich das Achselzucken, mit dem das Darben der Bäume in Deutschland hingenommen wird. Dem Bericht zufolge hatten 2022 im Schnitt 35 Prozent der Bäume deutliche Schäden. Bei ihnen war schon mehr als ein Viertel der Krone licht. Weitere 44 Prozent der Bäume liegen in der „Warnstufe“ mit einer schwachen Kronenverlichtung von 11 bis 25 Prozent. Volle Kronen hatten nur 21 Prozent der Bäume.

Ein Gespräch über Bäume

Ist das nicht in der Tat Besorgnis erregend? Mein Freund, der Baum, wie es so schön heißt, der ist wirklich krank? Und dennoch ist diese Nachricht nur eine Randnotiz. Die Gründe für den schlechten Zustand der Bäume lassen sich großenteils am Klimawandel festmachen: Dürre und gestiegene Temperaturen machen ihnen zu schaffen. Auch der Borkenkäfer hat seinen Anteil an den lichten Kronen. Aber er ist mehr Ausdruck einer Art Korrektur der Evolution bei einer Monokultur, die eben nicht fit genug für den Klimawandel ist: Der Käfer macht nur Fichten den Gar aus, und zwar jene, die ortsfremd angepflanzt sind und nicht die nötige Resilienz haben, um ihm zu trotzen. Ihr Sterben ist sogar eine Chance für den Wald. Aber dafür muss man ihm zuhören. Ihn breiter aufstellen. Ihm mehr Bedeutung zumessen.

Klar, Bäume sind keine Menschen. Aber dass die Zahl 35 derart wenig Angstschweiß produziert, überrascht mich schon. Was wäre, wenn 35 Prozent der Bürger in Deutschland plötzlich von einer komischen Krankheit heimgesucht würden? Die Medien würden heiß laufen. Was wäre, wenn die AfD bei der nächsten Bundestagswahl 35 Prozent der Stimmen holen würde? Es gäbe eine Sondersendung nach der anderen.

Zu Recht, gewiss. Aber Bäume sind wohl nicht laut genug, um auf ihre Schicksale gebührend hinzuweisen.

Das in einem Zwischenruf festzuhalten, ist schmerzvoll. Aber weder dramatisiert noch ritualisiert.

VIDEO: IPCC-Bericht: Globale Erwärmung wird die 1,5 Grad Celsius bereits 2030-2035 erreichen