Theodor Fontanes Kriminalnovelle „Unterm Birnbaum“ war lange Zeit ein wenig beachtetes Nebenwerk dieses gro�en realistischen Erz�hlers. Besonders seines Genres wegen. F�r eine Fernsehverfilmung im Jahre 2019, dem Jubil�umsjahr zum 200. Geburtstag, bietet sich die Geschichte vom mordenden Ehepaar gerade deshalb umso mehr an. Im Wesentlichen erz�hlt dieser ZDF-Fernsehfilm zwei Psychogramme, die verh�ngnisvoll zusammenwachsen zu Szenen einer sprachlosen, von Suchtverhalten gepr�gten Beziehung und einer daraus entspringenden Verzweiflungstat. Die psychologischen Subtexte in Breinersdorfers Drehbuch sind reichhaltiger als die kriminalistische Handlung. Gelesen werden kann der Film, dessen Schicksalhaftigkeit etwas von einer klassischen (griechischen) Trag�die besitzt, vor allem als eine moralische Erz�hlung. Uli Edels Inszenierung macht „Unterm Birnbaum“ (mecom fiction) zu einem gro�artig gefilmten Gesamtkunstwerk, das angenehm klein bleibt.
Foto: ZDF / Hannes HubachIn einer Art Ko-Abh�ngigkeit gefangen. Abel Hradschek (Fritz Karl) und seine Frau Ursel (Julia Koschitz). Zwei S�chtige, die ein Mord endg�ltig aus der Bahn wirft.
Mit dem Umbau ihres Landhotels haben sich Abel Hradschek (Fritz Karl) und seine Frau Ursel (Julia Koschitz) finanziell verhoben. Sie sind pleite – auch, weil beide zum Leichtsinn neigen: Er pokert gern mit den Honoratioren des Ortes (Peter Prager, Stephan Grossmann, Hilmar Eichhorn), verliert allerdings regelm��ig, und sie liebt „das Sch�ne“ und lebt entsprechend auf gro�em Fu�. Als sich Abels Gl�ubiger Schulze (Peter Schneider) ansagt, um mal wieder die Spielschulden einzutreiben, kommt der verzweifelte Hradschek auf die Idee, den Wucherer zu t�ten. Sie w�ren so nicht nur ihre Schulden los, sondern w�rden noch dazu zu einem Batzen Geld kommen, denn Pokerrunden-Organisator Schulze hat bei seinen Eintreiber-Touren immer auch seine Provisionen dabei. Die Idee wird in die Tat umgesetzt. Auch die Ehefrau muss dabei ihren Beitrag leisten: Damit ihr Mann seine Spielschulden begleichen kann, muss sie Spendengelder, die sie f�r den Pfarrer (Boris Aljinovic) verwaltet, veruntreuen. F�r die Dorfbewohner setzt Hradschek das Ger�cht einer Erbschaft in die Welt. Obwohl er sich den „perfekten Mord“ ausgedacht hat, wird er dennoch wenig sp�ter vom �berambitionierten Ortspolizisten (Devid Striesow) verhaftet. Denn die alte Jette (Katharina Thalbach), eine Nachbarin, hat Hradschek mit ihrer Aussage belastet: In der Mordnacht hat sie ihn dabei beobachtet, wie er unterm Birnbaum in seinem Garten etwas vergraben hat.
Foto: ZDF / Hannes HubachJeder geht in der Ehe seine eigenen Wege. Die Schl�sselszene des Films. Scham, Beichte & Verf�hrung zum Verbrechen. Der Distanz folgt N�he. Koschitz & Karl
Theodor Fontanes Kriminalnovelle „Unterm Birnbaum“ war� lange Zeit ein wenig beachtetes Nebenwerk dieses gro�en realistischen Erz�hlers. Besonders seines Genres wegen. F�r eine Fernsehverfilmung im Jahre 2019, dem Jubil�umsjahr zum 200. Geburtstag, bietet sich die Geschichte vom mordenden Ehepaar gerade deshalb umso mehr an. Doch auch wenn die Drehbuchautorin L�onie-Claire Breinersdorfer („Die Glasbl�serin“) und Regisseur Uli Edel („Das Adlon“) nicht wie Fontane die m�rderischen Vorg�nge narrativ aussparen, so l�sst sich nur das Handlungsger�st als Krimi lesen. Im Wesentlichen erz�hlt dieser ZDF-Fernsehfilm zwei Psychogramme, die verh�ngnisvoll zusammenwachsen zu Szenen einer sprachlosen Ehe und einer daraus entspringenden Verzweiflungstat. Anders als noch bei Fontane spielt die gesellschaftliche Komponente keine zentrale Rolle mehr: Das Bild, das die narzisstische Ehefrau der Dorfgemeinschaft nach au�en spiegeln m�chte, ersetzt den Zwang, den die Anderen auf den Einzelnen aus�ben. Diese Frau, die vor einigen Jahren noch in Berlin gelebt hat, will gar nicht dazugeh�ren. Man erf�hrt, dass sie tablettenabh�ngig war – bis Abel kam und sie rettete. Vor�bergehend. Schon vor dem Mordplan ist eine Fremdheit zwischen dem Paar sp�rbar. Eine Totgeburt vor drei Jahren hat Ursel noch nicht �berwunden, w�hrend Abels Baby nun das Hotel zu sein scheint. Sie nimmt das Leben schwer, er spielerisch-leicht. Und weil es kaum ein Miteinander gibt, machen sie sich jeder f�r sich auf die Suche – und finden Befriedigung in der Sucht. Er ist ein Spieler, sie liebt das Shoppen, macht sich gern sch�n.
Foto: ZDF / Hannes HubachPokerrunde mit Dame. Mit illegalem Gl�cksspiel in seinem Hotel h�lt sich Hradschek lange Zeit �ber Wasser. Allerdings verspielt er mehr, als er einnimmt. Ein Fest f�r die Sinne: neben Bildgestalter Hannes Hubach leisten auch die anderen Gewerke Gro�es.
„Fontanes Credo, Unangenehmes auszusparen, entspricht nicht l�nger dem allgegenw�rtigen Umgang mit Entsetzen, besonders wenn es im Fiktionalen erz�hlt wird. Das TV-Publikum ist medial konditioniert, seine Erwartungshaltung gegen�ber einem Krimi ist die eines Experten, der fast auf Augenh�he die Ermittler bei der Aufkl�rung einer Tat begleitet.“ (die Produzenten Jan Richard Schuster, Michael Luda)
Nach dem Mord aber verfangen diese �berlebensstrategien nicht mehr. Die Schuldgef�hle der Ehefrau rufen alte Depressionen hervor, und der Tote verfolgt sie nicht nur in ihren Tr�umen. Tabletten und Alkohol m�ssen es richten. Ihrem Mann gelingt es zwar, mit dem Verbrechen einigerma�en abgekl�rt umzugehen, aber ihr seelischer Niedergang l�sst auch ihn verzagen. Ohne seine Vorzeigefrau ist selbst dieser lebensfrohe, gesellige Hotelier ein Nichts. Offenbar hat eine Art Ko-Abh�ngigkeit beide in ihrer lieblosen Beziehung zusammengeschwei�t. Aufschlussreich ist es, dass ausgerechnet in der Nacht, als er ihr den Mord als einzigen Ausweg aus dem Dilemma pr�sentiert, sie sich am Ende so nahe sind, wie in keiner anderen Szene des Films. Zu Beginn steht er am Fenster, ein nachdenklicher Blick in die Ferne. Blau, kalt, dunkel ist das Licht. Sie liegt im Bett, m�chte wissen, weshalb Gl�ubiger Schulz so ungehalten ist. Abel setzt sich auf die andere Seite des Bettes, wendet ihr den R�cken zu und beginnt mit seinem Offenbarungseid: „Wir sind pleite.“ Die Nachttischlampe geht an. Die Wahrheit kommt ans Licht. Auch die Ereignisse der Vergangenheit. Sein ewiges Schweigen, ihre Lust auf Luxus, Berlin, die Tabletten, seine Hilfe, seine Liebe, dieses elende Kaff. „Armut ist schlimmer als der Tod“, sagt sie. Von der Selbstmord- zur Raubmord-Idee ist es nicht mehr weit. „Und was ist mit Schulze?“ Keine Antwort. Doch statt entsetzt zu sein, streckt die Frau die Hand nach ihrem Mann aus, schmiegt sich an ihn an und l�sst sich quasi mit dem darauffolgenden Sex sinnbildlich zum Verbrechen verf�hren. Es ist die Schl�sselszene des Films, weil in ihr der Mordplan geschmiedet wird, weil diese Szene die Geschichte der Beziehung gleichsam miterz�hlt und neue Perspektiven f�r das Paar er�ffnen k�nnte. Endlich haben sie wieder etwas gemeinsam. Dass es ein Mord ist, der sie zusammenbringt, verringert allerdings die Aussicht auf ein gl�ckliches Ende. Was sagt doch am Abend seines Ablebens ausgerechnet der Wucherer: „Wenn man sich erst mal vom Geld leiten l�sst, ist man verloren.“
Foto: ZDF / Hubach Foto: ZDF / Hubach Foto: ZDF / HubachVertraut Ursel Hradschek:
Eccelius (Boris Aljinovic)Sie scheint alles zu sehen:
Jette (Katharina Thalbach)Abel im Knast, Ursel in seinen Armen? (Striesow)
„Den Ablauf der Tat an sich hat der moderne Fernsehzuschauer sofort durchschaut. Deshalb habe ich versucht, diese Atmosph�re der Beklemmung, diese Zwangsl�ufigkeit und den Kampf der Protagonisten um ein kleines St�ck besseres Leben zu schildern und dadurch Spannung aufzubauen, dass man fast ein bisschen hofft, dass sie mit ihrer Tat davonkommen.“ (L�onie-Claire Breinersdorfer)
Fontane verpflichtet. Und so sind denn auch die psychologischen Subtexte in Breinersdorfers Drehbuch noch reichhaltiger als die kriminalistische Handlung. Das d�rfte nicht zuletzt an Psychologie, Psychoanalyse und den Kommunikationstheorien des 20. Jahrhunderts liegen, mit deren Hilfe sich „Unterm Birnbaum“, erschienen im Jahr 1835, besonders vielschichtig und tiefgr�ndig interpretieren l�sst. Dennoch ist der Film kein wohlfeiler Psycho- und Beziehungsdiskurs – denn auch als eine moralische Erz�hlung, in der sich menschliche Abgr�nde und universelle Dilemmata vor den Augen des Zuschauers auftun, l�sst sich Uli Edels Fernsehfilm goutieren. Und gelegentlich kommt – dank Katharina Thalbachs „furchterregendem“ Blick, des grusligen Kellers mit Leichengeruch oder der schauerlichen Mordnacht mit Gewitter und Sturm – auch ein bisschen Spuk-Stimmung auf. Ber�cksichtigt man neben der Dramaturgie vor allem die Filmsprache, die hier zum Einsatz kommt, besitzt der Film viel von der Unaufhaltsamkeit einer klassischen (griechischen) Trag�die.
Foto: ZDF / Hannes HubachTrauerfeier f�r den Wucherer. Nach dem Mord hat Ursel (Koschitz) ihre Emotionen immer weniger gut im Griff. Bald verf�llt sie in ihre alten Depressionen. Fritz Karl
Dabei spielt die Musik eine nicht unwesentliche Rolle. Mal k�ndigt der aufwendige, aber nie zu volumin�se Score m�gliches Unheil an, mal breitet er sich fl�chig aus und kommentiert die schicksalhaften Aktionen im Film, so wie es Bernard Herrmann h�ufig in Hitchcock-Filmen gemacht hat. Kameramann Hannes Hubach zaubert wie in der beschriebenen Schl�sselszene ein wirkungsvoll-sinnliches Wechselspiel von Licht und Farben, das immer auch Sinn macht. So spiegelt sich in jenem kalten, blauen, dunklen Zwielicht nicht nur die allgemeine bedrohliche Situation, in der sich das Paar befindet, es visualisiert gleichzeitig auch die Scham des Mannes und die fehlende Offenheit der Eheleute. Eine d�stere Bild-Atmosph�re, ohne in Dunkelheit zu ertrinken, ist augenf�llig in diesem Film. Ein sch�ner Kontrast dazu sind die Outdoor-Szenen, die Landschaften, die �berlandfahrten, der Blick auf die Oder. Und der Blick auf Julia Koschitz – woran Kost�m und Maske einen �berragenden Anteil haben. Die Auswahl ihrer Kleider wird so manche Zuschauerin in Entz�cken versetzen. Ihrer Ursel sieht man die Extravaganz bereits beim Joggen an. Vorz�glich aber auch das Szenenbild oder die Locations, das Landhotel mit seinem dunklen Interieur, das Hexenh�uschen von Gegen�ber. All diese Dinge k�nnen die Geschichte f�r den Zuschauer aber erst sichtbar miterz�hlen durch die Reduktion der Handlung. So schweift der Blick �ber die Bilder und kann viel mehr als in vielen anderen Filmen das Gesehene abscannen. „Unterm Birnbaum“ ist wie Fontanes Vorlage, was das Erz�hlte angeht, ein kleiner Film, Uli Edels Inszenierung dagegen macht ihn zu einem stimmigen filmischen Gesamtkunstwerk. Aber auch das bleibt angenehm klein.�
Foto: ZDF / Hannes HubachTabletten & Wein, Wahnvorstellungen & Identit�tsst�rung. Julia Koschitz: "Eine Frau von damals unterlag mehr gesellschaftlichen Zw�ngen, hatte weniger Rechte und M�glichkeiten, ihr eigenes Leben frei und selbstbestimmt zu gestalten. Bei Ursels 'moderner Version' verlagern sich die Zw�nge nach innen. Ihre Passivit�t, ihr Verharren im eigenen Ungl�ck gleicht in der heutigen Zeit mehr einer Depression."
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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