Fontane, Theodor, Erz�hlungen, Unterm Birnbaum, 4. Kapitel - Zeno.org

Viertes Kapitel

[219] Der Oktober ging auf die Neige, trotzdem aber waren noch sch�ne warme Tage, so da� man sich im Freien aufhalten und die Hradschecksche Kegelbahn benutzen konnte. Diese war in der ganzen Gegend ber�hmt, weil sie nicht nur ein gutes waagerechtes Laufbrett, sondern auch ein bequemes Kegelh�uschen und in diesem zwei von aller Welt bewunderte buntglasige Kuckfenster hatte. Das gelbe sah auf den Garten hinaus, das blaue dagegen auf die Dorfstra�e samt dem dahinter sich hinziehenden Oderdamm, �ber den hinweg dann und wann der Flu� selbst aufblitzte. Dr�ben am andern Ufer aber gewahrte man einen langen Schattenstrich: die neum�rkische Heide.

Es war halb vier, und die Kugeln rollten schon seit einer Stunde. Der zugleich Kellnerdienste verrichtende Ladenjunge lief hin und her, mal Kaffee, mal einen Kognak bringend, am �ftesten aber neugestopfte Tonpfeifen, aus denen die Bauern rauchten und die W�lkchen in die klare Herbstluft hineinbliesen. Es waren ihrer f�nf, zwei aus dem benachbarten Kienitz her�bergekommen, der Rest echte Tschechiner: �lm�ller Quaas, Bauer Mietzel und Bauer Kunicke. Hradscheck, der, von Berufs wegen, mit dem Schreib- und Rechenwesen am besten Bescheid wu�te, sa� vor einer gro�en schwarzen Tafel, die die Form eines Notenpultes hatte.

�Kunicke steht wieder am besten.� – �Nat�rlich, gegen den kann keiner.� – �Dreimal acht um den K�nig.� Und nun begann ein Sich-�berbieten in Kegelwitzen. �Er kann hexen�,[219] hie� es. �Er hockt mit der Jeschke zusammen.� – �Er spielt mit falschen Karten.� – �Wer soviel Gl�ck hat, mu� Strafe zahlen.� Der, der das von den �falschen Karten� gesagt hatte, war Bauer Mietzel, des �lm�llers Nachbar, ein kleines ausgetrocknetes M�nnchen, das mehr einem Leineweber als einem Bauern glich. War aber doch ein richtiger Bauer, in dessen Familie nur von alter Zeit her der Schwind war.

�Wer schiebt?�

�Hradscheck.�

Dieser kletterte jetzt von seinem Schreibersitz und wartete gerad auf seine die Lattenrinne langsam herunterkommende Lieblingskugel, als der Landpostbote durch ein auf die Stra�e f�hrendes T�rchen eintrat und einen gro�en Brief an ihn abgab; Hradscheck nahm den Brief in die Linke, packte die Kugel mit der Rechten und setzte sie kr�ftig auf, zugleich mit Spannung dem Lauf derselben folgend.

�Sechs!� schrie der Kegeljunge, verbesserte sich aber sofort, als nach einigem Wackeln und Besinnen noch ein siebenter Kegel umfiel.

�Sieben also!� triumphierte Hradscheck, der sich bei dem Wurf augenscheinlich was gedacht hatte.

�Sieben geht�, fuhr er fort. �Sieben ist gut. Kunicke, schiebe f�r mich und schreib an. Will nur das Porto zahlen.�

Und damit nahm er den Brieftr�ger unterm Arm und ging mit ihm von der Gartenseite her ins Haus.

Das Kegeln setzte sich mittlerweile fort, wer aber Spiel und G�ste vergessen zu haben schien, war Hradscheck. Kunicke hatte schon zum dritten Male statt seiner geschoben, und so wurde man endlich ungeduldig und ri� heftig an einem Klingeldraht, der nach dem Laden hineinf�hrte.

Der Junge kam auch.

�Hradscheck soll wieder antreten, Ede. Wir warten ja. Mach flink!�

Und sieh, gleich darnach erschien auch der Gerufene, hochrot und aufgeregt, aber, allem Anscheine nach, mehr in heiterer als verdrie�licher Erregung. Er entschuldigte sich kurz, da�[220] er habe warten lassen, und nahm dann ohne weiteres eine Kugel, um zu schieben.

�Aber du bist ja gar nicht dran!� schrie Kunicke. �Himmelwetter, was ist denn los? Und wie der Kerl aussieht! Entweder is ihm eine Schwiegermutter gestorben, oder er hat das Gro�e Los gewonnen.�

Hradscheck lachte.

�Nu, so rede doch. Oder sollst du nach Berlin kommen und ein paar neue Rapspressen einrichten? Hast ja neulich unserm Quaas erst vorgerechnet, da� er nichts von der �l-Presse verst�nde.�

�Hab ich, und ist auch so. Nichts f�r ungut, ihr Herren, aber der Bauer klebt immer am alten.�

�Und die Gastwirte sind immer f�rs Neue. Blo� da� nicht viel dabei herauskommt.�

�Wer wei�!�

�Wer wei�? H�re, Hradscheck, ich fange wirklich an zu glauben ... Oder is es 'ne Erbschaft?�

�Is so was. Aber nicht der Rede wert.�

�Und von woher denn?�

�Von meiner Frau Schwester.�

�Bist doch ein Gl�ckskind. Ewig sind ihm die gebratnen Tauben ins Maul geflogen. Und aus dem Hildesheimschen, sagst du?�

�Ja, da so rum.�

�Na, da wird Reetzke dr�ben froh sein. Er war schon ungeduldig.�

�Wei�; er wollte klagen. Die Neu-Lewiner sind immer �ngstlich und Pfennigfuchser und k�nnen nicht warten. Aber er wird's nu wohl lernen und sich anders besinnen. Mehr sag ich nicht und pa�t sich auch nicht. Man soll den Mund nicht voll nehmen. Und was ist am Ende solch bi�chen Geld?�

�Geld ist nie ein bi�chen. Wieviel Nullen hat's denn?�

�Ach, Kinder, redet doch nicht von Nullen. Das beste ist, da� es nicht viel Wirtschaft macht und da� meine Frau nicht erst nach Hildesheim braucht. Solche weite Reise, da geht ja gleich die H�lfte drauf. Oder vielleicht auch das Ganze.�[221]

�War es denn schon in dem Brief?�

�I, bewahre. Blo� die Anzeige von meinem Schwager, und da� das Geld in Berlin gehoben werden kann. Ich schicke morgen meine Frau. Sie versauert hier ohnehin.�

�Versteht sich�, sagte Mietzel, der sich immer �rgerte, wenn von dem �Versauern� der Frau Hradscheck die Rede war. �Versteht sich, la� sie nur reisen; Berlin, das ist so was f�r die Frau Baronin. Und vielleicht bringt sie dir gleich wieder ein Atlassofa mit. Oder 'nen Trumeau. So hei�t es ja wohl? Bei so was Feinem mu� unserein immer erst fragen. Der Bauer ist ja zu dumm.�


Frau Hradscheck reiste wirklich ab, um die geerbte Summe von Berlin zu holen, was schon im voraus das Gerede der ebenso neidischen wie reichen Bauernfrauen weckte, vor allen der Frau Quaas, die sich, ihrer gekrausten blonden Haare halber, ganz einfach f�r eine Sch�nheit hielt und aus dem Umstande, da� sie zwanzig Jahre j�nger war als ihr Mann, ihr Recht zu fast ebenso vielen Liebschaften herleitete. Was gut aussah, war ihr ein Dorn im Auge, zumeist aber die Hradscheck, die nicht nur stattlicher und kl�ger war als sie selbst, sondern zum �berflu� auch noch in Verdacht stand (wenn auch freilich mit Unrecht), den �ltesten Kantorssohn – einen wegen Demagogie relegierten Tunichtgut, der nun bei dem Vater auf der B�renhaut lag – zu Spottversen auf die Tschechiner und ganz besonders auf die gute Frau Quaas angestiftet zu haben. Es war eine lange Reimerei, drin jeder was wegkriegte. Der erste Vers aber lautete:


Woytasch hat den Schulzenstock,

Kunicke 'nen langen Rock,

Mietzel ist ein Hobelspan,

Quaas hat keinem was getan,

Nicht mal seiner eignen Frau,

K�tzchen wei� es ganz genau.

Miau, miau.[222]


Dergleichen konnte nicht verziehen werden, am wenigsten solcher Bettelperson wie dieser hergelaufenen Frau Hradscheck, die nun mal f�r die Schuldige galt. Das stand bei K�tzchen fest.

�Ich wette�, sagte sie zur Mietzel, als diese denselben Abend noch, an dem die Hradscheck abgereist war, auf der �lm�hle vorsprach, �ich wette, da� sie mit einem Samthut und einer Strau�enfeder wiederkommt. Sie kann sich nie genugtun, diese zierige Person, trotz ihrer vierzig. Und alles blo�, weil sie ›Swein‹ sagt und nicht ›switzen‹ kann, auch wenn sie drei Kannen Fliedertee getrunken. Sie sagt aber nicht Fliedertee, sie sagt Holunder. Und das soll denn was sein. Ach, liebe Mietzel, es ist zum Lachen.�

�Ja, ja!� stimmte die Mietzel ein, schien aber geneigt, die gr��ere Schuld auf Hradscheck zu schieben, der sich einbilde, wunder was Feines geheiratet zu haben. Und sei doch blo� 'ne Katholsche gewesen und vielleicht auch 'ne Springerin; wenigstens habe sie so was munkeln h�ren. �Und �berhaupt, der gute Hradscheck�, fuhr sie fort, �er soll doch nur still sein. In Neu-Lewin reden sie nicht viel Gutes von ihm. Die Rese hat er sitzenlassen. Und mit eins war sie weg, und keiner wei� wie und warum. Und war auch von Ausgraben die Rede, bis unser alter Woytasch r�berfuhr und alles wieder still machte. Nat�rlich, er will keinen L�rm haben und is 'ne Suse. Zu Hause darf er ohnehin nicht reden. Oder ob er der Hradschecken nach den Augen sieht? Sie hat so was. Und ich sage blo�, wenn wir alles hergelaufene Volk ins Dorf kriegen, so haben wir n�chstens auch die Zigeuner hier, und Frau Woytasch kann sich dann nach 'nem Schwiegersohn umsehn. Zeit wird es mit der Rike; drei�ig is sie ja schon.�

So ging gleich am ersten Tage das Geklatsch. Als aber eine halbe Woche sp�ter die Hradscheck geradeso wiederkam, wie sie gegangen war, das hei�t ohne Samthut und Strau�enfeder, und noch ebenso gr��te, ja wom�glich noch artiger als vorher, da trat ein Umschlag ein, und man fing an, sie gelten zu lassen und sich einzureden, da� die Erbschaft sie ver�ndert habe.[223]

�Man sieht doch gleich�, sagte die Quaas, �da� sie jetzt was haben. Sonst sollte das immer was sein, und sie logen einen grausam an, und war eigentlich nicht zum Aushalten. Aber gestern war sie anders und sagte ganz klein und bescheiden, da� es nur wenig sei.�

�Wieviel mag es denn wohl sein?� unterbrach hier die Mietzel. �Ich denke mir so tausend Taler.�

�O mehr, viel mehr. Wenn es nicht mehr w�re, w�re sie nicht so; da zierte sie sich ruhig weiter. Nein, liebe Mietzel, da hat man denn doch so seine Zeichen, und denken Sie sich, als ich sie gestern frug, ›ob es ihr nicht �ngstlich gewesen w�re, so ganz allein mit dem vielen Geld‹, da sagte sie: ›Nein, es w�r ihr nicht �ngstlich gewesen, denn sie habe nur wenig mitgebracht, eigentlich nicht der Rede wert. Das meiste habe sie bei dem Kaufmann in Berlin gleich stehenlassen.‹ Ich wei� ganz bestimmt, sie sagte: das meiste. So wenig kann es also nicht sein.�


Unterredungen wie diese wurden ein paar Wochen lang in jedem Tschechiner Hause gef�hrt, ohne da� man mit Hilfe derselben im geringsten weitergekommen w�re, weshalb man sich schlie�lich hinter den Postboten steckte. Dieser aber war entweder schweigsam oder wu�te nichts, und erst Mitte November erfuhr man von ihm, da� er neuerdings einen rekommandierten Brief bei den Hradschecks abgegeben habe.

�Von woher denn?�

�Aus Krakau.�

Man �berlegte sich's, ob das in irgendeiner Beziehung zur Erbschaft stehen k�nne, fand aber nichts.

Und war auch nichts zu finden. Denn der eingeschriebene Brief lautete:


Krakau, den 9. November 1831


Herrn Abel Hradscheck in Tschechin. Oderbruch

Ew. Wohlgeboren bringen wir hiermit zu ganz ergebenster Kenntnis, da� unser Reisender, Herr Szulski, wie allj�hrlich so auch in diesem Jahre wieder, in der letzten Novemberwoche[224] bei Ihnen eintreffen und Ihre weitern geneigten Auftr�ge in Empfang nehmen wird. Zugleich aber gew�rtigen wir, da� Sie, hochgeehrter Herr, bei dieser Gelegenheit Veranlassung nehmen wollen, unsre seit drei Jahren anstehende Forderung zu begleichen. Wir rechnen um so bestimmter darauf, als es uns, durch die politischen Verh�ltnisse des Landes und den R�ckschlag derselben auf unser Gesch�ft, unm�glich gemacht wird, einen ferneren Kredit zu bewilligen. Genehmigen Sie die Versicherung unserer Ergebenheit.

Olszewski-Goldschmidt & Sohn�


Hradscheck, als er diesen Brief empfangen hatte, hatte nicht ges�umt, auch seine Frau mit dem Inhalte desselben bekannt zu machen. Diese blieb anscheinend ruhig, nur um ihre Lippen flog ein nerv�ses Zittern.

�Wo willst du's hernehmen, Abel? Und doch mu� es geschafft werden. Und ihm eingeh�ndigt werden... Und zwar vor Zeugen. Willst du's borgen?�

Er schwieg.

�Bei Kunicke?�

�Nein. Geht nicht. Das sieht aus nach Verlegenheit. Und die darf es nach der Erbschaftsgeschichte nicht mehr geben. Und gibt's auch nicht. Ich glaube, da� ich's schaffe.�

�Gut. Aber wie?�

�Bis zum 30. hab ich noch die Feuerkassengelder.�

�Die reichen nicht.�

�Nein. Aber doch beinah. Und den Rest deck ich mit einem kleinen Wechsel. Ein gro�er geht nicht, aber ein kleiner ist gut und eigentlich besser als bar.�

Sie nickte.

Dann trennte man sich, ohne da� weiter ein Wort gewechselt worden w�re.

Was zwischen ihnen zu sagen war, war gesagt und jedem seine Rolle zugeteilt. Nur fanden sie sich sehr verschieden hinein, wie schon die n�chste Minute zeigen sollte.

Hradscheck, voll Beherrschung �ber sich selbst, ging in den[225] Laden, der gerade voll h�bscher Bauernm�dchen war, und zupfte hier der einen am Busentuch, w�hrend er der andern die Sch�rzenb�nder aufband. Einer Alten aber gab er einen Ku�. �Einen Ku� in Ehren darf niemand wehren – nich wahr, Mutter Schickedanz?�

Mutter Schickedanz lachte.

Der Frau Hradscheck aber fehlten die guten Nerven, deren ihr Gatte sich r�hmen konnte. Sie ging in ihr Schlafzimmer, sah in den Garten und �berschlug ihr Leben. Dabei murmelte sie halb unverst�ndliche Worte vor sich hin und schien, den Bewegungen ihrer Hand nach, einen Rosenkranz abzubeten. Aber es half alles nichts. Ihr Atem blieb schwer, und sie ri� endlich das Fenster auf, um die frische Luft einzusaugen.

So vergingen Stunden. Und als Mittag kam, kamen nur Hradscheck und Ede zu Tisch.

Quelle:
Theodor Fontane: Romane und Erz�hlungen in acht B�nden. Band 4, Berlin und Weimar 21973, S. 219-226.
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