Warum in die Ferne schweifen, wenn das Sch�ne liegt so nah?! Die neue „Herzkino“-Reihe „Unterm Apfelbaum“ (ZDF / Studio Zentral) sucht den Sehnsuchtsort um die Ecke, dort, wo die Autorin Astrid Ruppert ihre Heimat gefunden hat, in der hessischen Provinz. Das riecht nach Vorgestern, nach Dorfidylle und kalkulierter Landlust. Doch dieser Geruch ist rasch verflogen. Diese beiden Filme schmecken vorz�glich und wirken belebend im Nachgang. Drei sehr unterschiedliche Frauen, eine trauernde Witwe, eine impulsive Zimmerin und eine passionierte Denkmalpflegerin, entdecken �ber eine gemeinsame Idee, die Renovierung eines Fachwerkhauses, einen neuen Sinn im Leben. Klingt nicht weltbewegend. Doch es gibt keine TV-Reihe der letzten Jahre, die n�her dran ist an den kleinen, vermeintlich banalen Dingen des Alltags, die das (Zusammen-)Leben ausmachen. Aus den Stimmungslagen der Frauen ergeben sich die Plot-Points der Geschichte. Keine F�lle, keine Pseudokonflikte, allein die Figuren sind das Ma� aller Dinge. Das funktioniert doppelt gut, weil alle Rollen passgenau besetzt sind. Neben dem Sympathiebonus, den die Frauen genie�en, und der erfrischenden Art ihrer Interaktionen, zwischen robust & einf�hlsam, resultiert der Reiz des Character Driven aus den figureneigenen Rollenkonflikten. Und durch die spezifische Generationen-Gender-Kultur-Konstellation entsteht immer wieder ein feines Spiel mit gesellschaftlichen Klischees. Sch�n auch, dass sich – anders als sonst im „Herzkino“ – pers�nliche Konflikte nicht in Wohlgefallen aufl�sen. Und das nicht nur, weil die Geschichte ja (hoffentlich!) weitergehen k�nnte.
Foto: ZDF / Bettina M�llerNa also, geht doch! Es dauert 90 Filmminuten, bis sich die drei so unterschiedlichen Frauen am Riemen rei�en – und ihre Gemeinsamkeiten erkennen. Und so kann die neue Lebensphase von Frieda (Therese H�mer), Tinka (Lotte Becker) und Jasmin (Saman Giraud) beginnen. Wenig klassische Handlung und doch keine Langeweile.
F�r Frieda (Therese H�mer) brach nach dem �berraschenden Tod ihres Mannes vor einem Jahr die Welt zusammen – und nun auch noch das Haus �ber ihrem Kopf. Ein Erbhof im beschaulichen hessischen Krachgarten, eigentlich ein Schmuckst�ck, w�re das Fachwerk nicht so marode. Zimmerin Tinka (Lotte Becker) ist bald in ihrem Element, vergisst dar�ber ihre geplatzte Hochzeit und zieht bald sogar bei Frieda ein, denn diese hat viel Platz, ist aber knapp bei Kasse. Mit der jungen lebenslustigen Frau kommt wieder etwas Leben ins Haus, in dem sich die Witwe in dunklen Stunden immer noch am liebsten verkriechen w�rde. Dieser Wunsch verst�rkt sich, als die �berambitionierte neue Leiterin des Landesamtes f�r Denkmalpflege, Dr. Dr. Jasmin Farhadi (Saman Giraud), auf das traditionsreiche Anwesen aufmerksam wird. Beim ersten zuf�lligen Aufeinandertreffen der drei so unterschiedlichen Frauen verstehen sie sich noch recht gut. Doch Frieda kann sehr schroff und stur sein, und so h�lt sich die korrekte Frau Dr. Dr. an ihre Paragraphen. Dabei ist sie f�r pragmatische L�sungen durchaus empf�nglich, wenn sie sympathisch vorgebracht werden wie zum Beispiel von G�rtner Fabian (Dennis Schigiol), mit dem sie es bei der Renovierung des Ohmburger Schlosses zu tun bekommt. Derweil stagnieren die Arbeiten an Friedas Haus. Ihr geht das Geld aus. Sie hofft auf eine B�rgschaft ihrer Tochter Elli (Frida-Lovisa Hamann), doch die s�he es am liebsten, wenn ihre Mutter zu ihr in die N�he nach Stuttgart ziehen w�rde.�
Foto: ZDF / Bettina M�llerDer Fr�hling macht aus dem Hof mit seinen Obstbaumwiesen einen f�rs "Herzkino" ungew�hnlichen Sehnsuchtsort. Eine von zwei Mutter-Tochter-Szenen, die auch den Konflikt zwischen den beiden Frauen nicht unbedingt "Herzkino"-like thematisieren und l�sen. Fast wie im richtigen Leben. Therese H�mer und Frida-Lovisa Hamann
Und so ergibt sich die Sterne-Wertung:
Der vernunftgesteuerte, intuitiv wertende Kritiker in mir gibt vier Sterne. Und f�r den Analytiker, der die beiden Episoden strukturell-dramaturgisch sowohl immanent als auch verglichen mit anderen "Herzkino"-Produktionen erfasst, hat sich "Unterm Apfelbaum" 4,5 Sterne verdient. Und als emotional ber�hrter Zuschauer, der selbst zehn Jahre in einem sanierten idyllischen Fachwerkhaus am Bach im Gr�nen gewohnt hat, kann ich nicht umhin ebenfalls 4,5 Sterne zu geben.
Soundtrack:
(1) Ed Sheeran & Andrea Bocelli ("Perfect Sympathy"), Bright Eyes ("First Day of My Life")
(2) Awolnation ("Im on Fire"), Gerd Baumann feat. Peter Horn ("Something's Rising"), Ingrid Michaelson ("You and I"), Eels ("I Like This Way This Is Going")
Foto: ZDF / Bettina M�llerZeig mir dein WG-Zimmer und ich sag dir, wer du bist. Das wird dann doch einen Tick zu �berdeutlich ausgestellt. Nun ja, ein bisschen (Charakter-)Kom�die darf sein.
Warum in die Ferne schweifen, wenn das Sch�ne liegt so nah?! Eine �berlegung, die nicht zuletzt wohl auch aus der Corona-Pandemie und den Unw�gbarkeiten bei Auslandsdrehs resultierte. Die neue „Herzkino“-Reihe „Unterm Apfelbaum“ sucht den Sehnsuchtsort um die Ecke, dort, wo die Autorin und Creative Producerin Astrid Ruppert („Obendr�ber da schneit es“) ihre Heimat gefunden hat. „Hier pl�tschert noch die M�hle am rauschenden Bach“, schreibt sie im Presseheft. „Im Vogelberg gibt es so viel Fachwerk, dass man fast Sehst�rungen bekommen kann.“ Sie hat recht, das erkennt man in den sich wiederholenden Ortstotalen. Das riecht ein bisschen nach Vorgestern, nach glorifizierter Heimat, nach Landlust-Idyll. Doch dieser Geruch ist rasch verflogen. Diese beiden Filme schmecken vorz�glich (jedenfalls dem diesem Genre zugeneigten Kritiker) und wirken belebend im Nachgang. Unter der Regie von Tomasz Rudzik (Kinofilm „Agnieszka“, 2014) und mit der Kamera von Enzo Brandner („Ein Sommer“-Reihe) k�nnen Sehns�chte ganz ohne Kitsch-Momente ausgelebt werden. Die Natur wird in der zweiten Episode, deren Fr�hlingswiesen-Szenen dem Titel alle Ehre machen, gefeiert, aber weitgehend realistisch eingefangen, wirken nicht ausgestellt. Es gibt keine �bertrieben sonnendurchflutete Bilder, was zu dieser Geschichte um Trauer, Neuorientierung und Aufbruch auch nicht gut passen w�rde.
Foto: ZDF / Bettina M�llerEndlich ist Frieda (H�mer) soweit. Die Witwe gewinnt – forciert durch Tinka (Becker) – die Lebenslust zur�ck. Zuvor wurde sie immer wieder r�ckf�llig. Das nervte beim Zusehen nicht, sondern machte die Geschichte nur noch glaubw�rdiger. So viel Realit�tsn�he und Character Driven hat man im "Herzkino" noch nicht gesehen.
Realismus ist ein gro�er Begriff, es gibt verschiedenste Realismus-Konzepte – aber es gibt kaum eine TV-Reihe der letzten Jahre die n�her dran ist an den kleinen, vermeintlich banalen Dingen des Alltags, die das (Zusammen-)Leben ausmachen. Aus den Stimmungslagen der Frauen ergeben sich die Plot-Points der Geschichte. Keine „Herzkino“-Reihe, nicht einmal die Glanzlichter „Ella Sch�n“, „Ein Tisch in der Bretagne“ und „N�chste Ausfahrt Gl�ck“, kommen mit so wenig klassischer Unterhaltungsfilm-Handlung aus wie „Unterm Apfelbaum“. Keine juristischen oder medizinischen F�lle, keine k�nstlich aufgebauschten Probleme (wenn ein Kind vom Ger�st f�llt, dann genauso im Off wie die anschlie�ende Versorgung), keine famili�ren Altlasten aus der Vergangenheit. Und dramaturgisch gilt: miteinander reden und sich lieber fr�her als zu sp�t zu entschuldigen, noch bevor daraus ein Pseudo-Konflikt gedrechselt wird, wie es leider in den meisten „Herzkino“- und „Endlich Freitag“-Filmen immer noch gang und g�be ist. „Ver�nderung tut gut“, hei�t es im Film immer wieder. Das sollten sich auch die Macher und Redakteure von Produktionen der leichten Gangart zu Herzen nehmen. Astrid Ruppert schafft es: Die Figuren sind das Ma� aller Dinge.
Foto: ZDF / Bettina M�llerSo zu wohnen – da geht sicherlich vielen Zuschauer*innen das Herz auf und das kann selbst bei einem Stadtmenschen Begehrlichkeiten wecken. Und da ist der moderne stilsichere Klinkerflachbau mit Terrasse am Weiher noch nicht mal im Bild zu sehen. Das k�nnte was werden zwischen Jasmin (Giraud) und Fabian (Schigiol). Ansonsten gilt f�r "Unterm Apfelbaum": Nicht jedes T�pfchen braucht immer ein Deckelchen.
Da ist Frieda, die ihr altes Leben vermisst und die zwischen leiser Depression und immer wieder gebremstem Neuanfang schwankt. Therese H�mer („Schnitzel“-Reihe, „Stralsund“), die Frau f�r die tragenden Nebenrollen, darf zeigen, dass ihr auch eine Hauptrolle gut zu Gesicht steht: dieser entr�ckte, immer irgendwie fragende, leicht irritierte Blick – gro�e Klasse. Die 23j�hrige Lotte Becker, bereits als Kind in Niki Steins Sozialdrama „Der gro�e Tom“ (2007) zu sehen und bisher vor allem im Serienbereich aktiv, ist f�r den Fernsehfilm-Kritiker eine absolute Entdeckung: Power, Ausstrahlung, Nat�rlichkeit – perfekt besetzt als Zimmerin. Gleiches gilt f�r Saman Giraud, �sterreicherin mit iranischen Wurzeln. Sie ist in „Unterm Apfelbaum“ die Frau mit den vielen Gesichtern: anfangs streng, reserviert, besserwisserisch, sp�ter – wenn ihre seit Kindertagen elternlose Figur sentimentale Anfl�ge bekommt – werden ihre Augen feucht, aber sie hat auch Gr�nde zum L�cheln. Auch zwei tragende Nebenrollen bleiben in Erinnerung. Frida-Lovisa Hamann („Charit�“ II) als Friedas Tochter, die trotz �bergriffigkeit menschlich sein darf, zwei intime Szenen mit H�mer hat und die die alltagsnahen Momente mit Mann (David Vormweg) & Kids spielt wie im echten Leben. Und auch Dennis Schigiol als Schlossg�rtner sticht nicht allein wegen seiner liebenswerten Figur oder seines coolen Hauses inmitten eines romantischen Biotops hervor.
Foto: ZDF / Bettina M�llerSo ist das Leben. Idylle sch�tzt vor Problemen nicht. Die neue "Herzkino"-Reihe orientiert sich auch dramaturgisch am Alltag und dosiert die Stimmungen stimmig. Entsprechend machen Bildgestaltung und Licht auch nicht st�ndig auf Sch�nwetter.
Neben dem Sympathiebonus und der erfrischenden Art der Interaktion zwischen robust & einf�hlsam resultiert der Reiz des besagten Character Driven bei dieser Reihe aus den figureneigenen Rollenkonflikten – bei Frieda beispielsweise zwischen Witwe, Hofbesitzerin, Mutter, Freundin. Die Kollisionen in Jasmins Pers�nlichkeit sind ein Kuddelmuddel aus Tradition und Emanzipation, Perfektionismus und Sentimentalit�t. In der Kommunikation der drei Frauen entsteht durch die spezifische Generationen-Gender-Kultur-Konstellation immer wieder (beil�ufig!) ein wunderbares Spiel mit gesellschaftlichen Stereotypen. Das kristallisiert sich am widerspr�chlichsten in Jasmin, der kosmopolitischen Frau mit t�rkischen Wurzeln, die das Familienideal hochh�lt, in Sachen Korrektheit und Paragraphenh�rigkeit aber deutscher als deutsch ist. Ausgerechnet sie ist noch Single und wundert sich �ber die r�ckst�ndigen Traditionen im Dorf. Auffallend auch an den beiden Filmen: Ansichten werden nicht im Handumdrehen gewechselt, pers�nliche Konflikte l�sen sich nicht in Wohlgefallen auf. So gibt es zwischen Tinka und ihrer Mutter, die nach der geplatzten Hochzeit zum Br�utigam h�lt anstatt zu ihr, nach einer kurzen Ann�herung die Erkenntnis, dass es zwischen den beiden einfach nicht passt. Angenehm erwachsen und alltagsnah ist auch der Umgang zwischen Frieda und ihrer Tochter. Kein Donnerwetter, nur kurzzeitiges Unverst�ndnis, dann stille Einsicht. Familie schlie�t Freundschaft nicht aus und umgekehrt. H�mer und Hamann ben�tigen nicht viele Worte, Blicke zeugen nachhaltiger von tiefem Einverst�ndnis. „Alles flie�t“, so das explizite Mantra der zweiten Episode („Panta Rhei“). Dramaturgisch k�nnte es aber auch �ber beiden Filmen stehen, deren St�rke es ist, dem Alltag beim So-Sein zuschauen. Man kann nur hoffen, dass das ZDF selbst bei mittelm��igen Quoten Therese H�mer, Lotte Becker und Saman Giraud noch einmal „Unterm Apfelbaum“ Platz nehmen l�sst.
Foto: ZDF / Bettina M�llerWeder harmonies�chtig, noch Zickenalarm! Am Ende der ersten Episode raufen sich die drei Frauen zusammen. Dem Kritiker machte "Einsturzgef�hrdet" Laune, sodass er sofort mit "Panta Rhei" weitermachte. Und weil die Charaktere und das Ambiente so gut zusammenpassen, w�re eine Fortsetzung w�nschenswert. H�mer, Becker, Giraud
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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