Liebesfilm „Zwischen uns das Leben“ im Kino –Heartbreak Hotel
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Liebesfilm „Zwischen uns das Leben“ im Kino –Heartbreak Hotel

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Der Schauspieler und die Jugendfreundin. Gaumont/Alamode Film
Der Schauspieler und die Jugendfreundin. Gaumont/Alamode Film © Gaumont/Alamode Film

Stéphane Brizés nachdenklich melancholischer Liebesfilm „Zwischen uns das Leben“.

Eine der wenigen plausiblen Medientheorien ist die von der Langeweile: Angetreten, genau diese zu vertreiben, produzieren Film und Fernsehen nur noch viel mehr davon. Während man jeden Hollywoodproduzenten mit dem Vorwurf der Langeweile in die Knie zwingen kann, schätzt sie der künstlerische Film als kostbaren Rohstoff. Ist es nicht gerade die Langeweile, dieser Überschuss an Zeit, der uns Momente größter Einkehr schenkt?

Stéphane Brizé, zuletzt mit einer imponierenden Trilogie über die moderne Arbeitswelt mit Vincent Lindon hervorgetreten („Der Wert des Menschen“, „Streik“ und „Another World“), führt diesmal auf eine andere Seite des Kapitalismus.

Wenn zu Beginn der Filmstar Matthieu (Guillaume Canet) in einem luxuriösen Wellness-Hotel an der französischen Atlantikküste eincheckt, betritt er eine Welt des edlen Nichts. Funktionsloser Komfort, sinnlose Behandlungen und alle erdenklichen Töne von Beige scheinen die ideale Kulisse für eine dezente Komödie über eine Midlife-Crisis: Jenen quälenden Moment im Leben, wo Gleichförmigkeit, um nicht zu sagen Langeweile, gleichermaßen ersehnt wie gefürchtet wird. Spätestens als alle Angestellten ihr persönliches Selfie erbettelt haben, erwarten wir, dass der Held den verschnarchten Strandort wieder für den Pariser Stress eintauscht, doch es kommt anders.

Verkörpert von Alba Rohrwacher, klopft eine fast vergessene Jugendfreundin an seine Tür, und urplötzlich zieht eine ungeahnte emotionale Tiefe in den Film ein – der freilich seinem verspielten Stil die Treue hält. Fünfzehn Jahre liegt die Trennung der beiden zurück. Was einmal auf Augenhöhe begonnen hat, ist in die Brüche gegangen, als der eine Karriere gemacht hat und die andere nicht. Und plötzlich ist Brizé dann doch wieder bei seinem Thema, dem in Frankreich besonders speziellen Klassendenken in Verbindung mit individuellen Glücksversprechen. Und dem trügerischen Maßstab, den man an künstlerische Karrieren anlegt, und eigentlich nur wirtschaftlichen Erfolg damit verbindet.

Die von Rohrwacher mit der ihr eigenen Warmherzigkeit verkörperte Alice hat eine Karriere in der Musik für ihre Familie aufgegeben. Als sie Matthieu eine ihrer alten Kompositionen auf einer Aufnahme vorspielt, bekennt sie, sie habe sich in eine Höhle verkrochen. Bei ihrem Gast trifft dieses Bekenntnis auf die Frage, mit der er selber laboriert: Hat er seine wahren künstlerischen Ambitionen vielleicht ebenfalls – für andere unbemerkt – begraben? Nur eben unter dem Publikumserfolg? Ebenso wie diese frühere Beziehung?

Die Angst hat ihn gepackt

Tatsächlich ist er nicht von ungefähr in dieses Hotel geflohen; eine von ihm selbst kurzfristig abgesagte Pariser Theaterproduktion hat ihm reichlich Ärger eingebracht. Es wäre das erste Bühnenengagement des Filmstars gewesen, ein langgehegter Wunsch, doch dann hat ihn die Angst gepackt. Es ist wunderbar, wie Canet hier eine Unsicherheit zum Ausdruck bringt, die man oft bei Schauspielern erleben kann, wenn man sie näher kennenlernt. Je mehr sie drehen, desto unsicherer wirken sie oft, wenn gerade niemand Regie führt oder das Pressebüro nicht zu erreichen ist.

Es gibt eine Menge Lieder über Hotels als Fluchtorte, Elvis’ „Heartbreak Hotel“ ist das bekannteste. Sophia Coppolas Film „Lost in Translation“ übersetzte dieses schon zu einem Klischee geronnene melancholische Motiv bereits in ähnliche Bilder. Der Luxus hat seine eigene, blassfarbige Ästhetik hervorgebracht, die umso mehr hervortritt, je einsamer diese Orte erscheinen. Doch kurz bevor die Melancholie ins Schwelgerische ausartet, setzt Brizés Inszenierung einen überraschend komischen oder auch semi-dokumentarischen Augenblick entgegen.

Im Altenheim, wo Alice arbeitet, filmt sie das Videointerview einer 78-jährigen Bewohnerin, die erst nach dem Tod ihres Mannes ihre wahre Liebe bei einer Frau gefunden hat, die sie nun heiratet. In dieser kurzen Auszeit von der eigentlichen Geschichte, explodiert förmlich die aufgestaute Emotion. In anderthalb Minuten bringt dieser verhinderte Liebesfilm einen kleinen Ableger hervor, so anrührend lebendig wie ein Augenblick in einem neorealistischen Film von Roberto Rossellini.

Die größten Liebesfilme sind Geschichten verhinderter oder verzögerter Romanzen. Wäre es anders, würde das Glück sofort erkannt und bliebe dann für immer, erschiene das wahrscheinlich langweilig. Jedenfalls aus Sicht eines Mediums, das sich dem Kampf gegen das Gespenst der Langeweile verschrieben hat, die doch nur die Luft ist, die es atmet.

Zwischen uns das Leben. F 2023. Regie: Stéphane Brizé. 106 Min.

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