1 Einleitung

Partizipative Forschung mit Kindern stellt gerade im englischsprachigen Raum einen zentralen methodologischen Bezugspunkt der sogenannten Neuen Kindheitsforschung dar (vgl. Groundwater-Smith et al. 2015). Mit diesem Forschungszugang scheint sich der Anspruch, Kinder als Akteure ihres Lebens und Kindheit als Lebensphase eigenen Rechts zu verstehen, der am Beginn und für manche auch im Zentrum der Kindheitsforschung steht (vgl. Prout und James 1990), methodologisch und forschungsethisch ‚übersetzen‘ zu lassen (vgl. Punch 2020): Kinder werden im Rahmen partizipativ angelegter Forschungsprozesse nicht nur als Expert:innen ihrer eigenen Lebenswirklichkeit verstanden, sondern eben auch zu Akteur:innen der Forschung.

In der deutschsprachigen Methodendiskussion hingegen spielt partizipative Forschung bislang eine eher randständige Rolle (vgl. Bergold und Thomas 2012; Eßer et al. 2020). Dieser allgemeine Befund lässt sich ungeachtet der im angelsächsischen Diskurs behaupteten Wahlverwandtschaft zwischen New Childhood Studies und partizipativen Forschungsansätzen auch auf das Feld der Kindheitsforschung im Speziellen beziehen: Partizipative Forschungsansätze bilden nach wie vor eher die Ausnahme (vgl. Eßer und Sitter 2018).Footnote 1

Unser Anliegen ist es, die Potentiale und Grenzen partizipativer Forschung auf dem Gebiet der Kindheitsforschung grundsätzlich zu eruieren, indem wir das Konzept der ‚commons‘ als analytische Figur einführen, um die Beziehung zwischen Forschungsgegenstand, -beteiligten und -organisation zu reflektieren. Entsprechend machen wir es uns im Beitrag zur Aufgabe, uns einer Arbeitsdefinition von partizipativer Forschung anzunähern und diese dann auf die Kindheitsforschung zu beziehen. Anschließend werden wir anhand eines laufenden Forschungsprojektes der Frage nachgehen, was es bedeutet, partizipative Forschung im Feld der Kindheitsforschung zu betreiben.Footnote 2 Die Frage, die wir auf dieser Grundlage letztlich beantworten werden, lautet: Inwiefern kann partizipative Forschung ein ‚commoning‘ zwischen Kindern und Erwachsenen erzeugen, das sich wiederum als erkenntnisgenerierend für die Kindheitsforschung erweist?

2 Partizipative Forschung im deutschsprachigen Methodendiskurs

Partizipative Forschung stellt keinen distinkten und kanonisierten Forschungsansatz dar, sondern vereint als Oberbegriff ein weites Feld heterogener Forschungsstile und Methodologien. Gemeinsam ist allen, dass sie „die soziale Wirklichkeit partnerschaftlich erforschen und beeinflussen“ (Unger 2014, S. 1) wollen. Sie zeichnen sich also erstens dadurch aus, dass sie den Akteur:innen-Kreis von Forschung gezielt über die Gruppe akademisch Forschender hinaus erweitern. Es geht darum, jene Menschen mit einzubeziehen, die in die zu beforschenden Realitäten selbst unmittelbar involviert sind (vgl. Bergold und Thomas 2012, § 17 ff.). Zweitens wird mit der Forschung nicht nur auf distanzierte Rekonstruktion, sondern auch auf Einmischung in die beforschte Praxis gesetzt. Insbesondere der letzte Punkt ruft Reminiszenzen an die ältere Tradition der ‚action research‘ auf. Allerdings besteht ein entscheidender Unterschied zur Aktionsforschung der 1970er Jahre (vgl. z. B. Haag et al. 1972) darin, dass sich partizipative Forschung nicht in Opposition zu Grundlagenforschung entwirft. Sie lässt sich im kompletten Spektrum wissenschaftlicher Forschung von Praxisforschung bis hin zu eher weniger anwendungsbezogenen Forschungsinteressen verorten.

Um der beschriebenen Heterogenität der Forschungsansätze gerecht und zugleich in der Definition nicht beliebig zu werden, schlagen Eßer et al. (2020) vor, die Frage der Prozessorganisation ins Zentrum zu stellen: Sie plädieren „für ein Verständnis von partizipativer Forschung, welches die reflektierte und machtsensible Gestaltung von Beteiligungs- und Entscheidungsstrukturen bei der Planung und Realisierung von Forschung in den Mittelpunkt rückt“ (ebd., S. 6). Es ist insofern keine Voraussetzung, dass alle möglichen Akteur:innen zu jedem Zeitpunkt gleichberechtigt zu involvieren sind, sondern dass bei den unterschiedlichen Beteiligten ein geteiltes Verständnis des Prozesses herrscht sowie eine transparente und konsensorientierte Verteilung der Rollen einschließlich der damit verbundenen Autoritäten erfolgt. Die Autor:innen leiten aus diesem Anspruch folgende grundlegende Bedingungen partizipativer Forschung ab:

  • „In einem Forschungsprozess wirken nicht nur Personen mit, die dem organisierten Wissenschaftssystem angehören, sondern auch Personen, die diesem nicht angehören.

  • Die Beteiligten teilen sich wechselseitig ihre Anliegen und Interessen in Bezug auf die Forschung, deren Themen und Fragezusammenhänge sowie über ihre Absichten hinsichtlich der Verbreitung und Nutzung der Ergebnisse mit und stellen diese zur Disposition.

  • Es wird systematisch Auskunft darüber gegeben, wer an welchen forschungsbezogenen Entscheidungen beteiligt ist und wer in Bezug auf welche Entscheidungen welche Entscheidungsmacht besitzt. Die Rechte und Rollen aller Forschungsbeteiligten in Bezug auf den Prozess und die Ergebnisse der Forschung sind transparent geklärt“ (ebd.).

3 Partizipative Forschung und Kindheitsforschung

Für den uns interessierenden Zusammenhang von partizipativer Forschung und Kindheitsforschung bedeutet dies zweierlei: Erstens werden kindheitsbezogene Fragestellungen mit Beteiligung von durch diese Fragen selbst betroffene Akteur:innen beforscht. Dies können – müssen aber nicht zwingend – Kinder sein. In diesem Fall ist der zunächst trivial anmutende, bei genauerer Betrachtung jedoch höchst voraussetzungsvolle Gemeinplatz, gemäß dem Kinder von Kindheit betroffen sind, als eine der Kernfragen der Kindheitsforschung berührt (vgl. Honig 2009). Zweitens wird auf das dynamische und plurale, sowie reflexive Moment von Kindheit(en) rekurriert, das im Zentrum aktueller Neukonfigurationen von Kindheitsforschung steht (vgl. Spyrou 2018). Der transformatorische Charakter partizipativer Forschung impliziert, dass auch Kindheit(en) nicht statisch, sondern durch Beiträge der Forschung grundsätzlich veränderbar sind.

In der Kombination dieser beiden Prämissen besteht ein mögliches Potential partizipativer Perspektiven für die Kindheitsforschung darin, dass trotz des ersten Anscheins hierdurch eine Reflexivierung von Kindheit(en) erzeugt werden kann. Honig (2009) differenziert in seinem viel beachteten Beitrag „Kinder“- von „Kindheitsforschung“ und konstatiert provokant: „Die Kindheitsforschung beschäftigt sich nicht in erster Linie mit Kindern“ (ebd., S. 26). Er kritisiert in diesem Sinne sich selbst als Teil anwaltschaftlich verstehender Forschungsperspektiven, die sich affirmativ auf eine generalisierte „Perspektive des Kindes“ (Honig 1999) beziehen und das Kind somit letztlich essentialisieren.

Es wäre zunächst naheliegend, partizipative Forschung genau so zu verstehen: dass es ihr darum ginge, der unverstellten und authentischen Stimme von Kindern in und mit der Forschung Ausdruck zu verleihen. Im Anschluss an Honig wäre dies jedoch dahingehend problematisch, als es den Anspruch der Beforschung der „Praktiken der Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen im Horizont einer Relationierung von Kindern und Kindheit“ (Honig 2009, S. 49) konterkariert. Deshalb soll hier eine Perspektive partizipativer Kindheitsforschung entfaltet werden, die einen Beitrag zur Reflexivierung des Verhältnisses von Kindern und Kindheiten leistet, indem sie Kinder als Forschungsakteur:innen und ihre Lebenswirklichkeit als Kinder relationiert. Betroffenheit als Kind wird also nicht selbstverständlich vorausgesetzt, sondern die Frage, ob und wie Kinder in spezifischen Situationen zu Kindern gemacht werden und welche Handlungsspielräume sich hieraus für sie ergeben, wird damit konstitutiv.

4 Partizipative Forschung als intergenerationaler Prozess

Neben der Frage der Gegenstandskonstitution von Kindheit rückt insbesondere die Frage nach der Natur und Gestaltung von Forschungsbeziehungen in den Mittelpunkt, an denen Kinder und Erwachsene gemeinsam beteiligt sind. Das von Christensen und Prout (2002) eingeführte Prinzip der „ethical symmetry“ (ebd., S. 477), welches die Autor:innen bereits vor mehr als zwanzig Jahren in den Diskurs eingeführt haben, scheint uns an dieser Stelle sowohl in normativer als auch in deskriptiver Weise weiterführend (vgl. hierzu auch Eßer und Sitter 2018). Christensen und Prout (2002) argumentieren für eine Perspektive, die eine symmetrische Begegnung von Erwachsenen und Kindern im Forschungsprozess anerkennt, indem sie soziale Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern so reflektiert, dass sich für Kinder aus ihrem sozialen Status ‚Kind‘ heraus keine Nachteile ergeben.

In kritischer Weiterführung dieses Anspruchs argumentieren wir, dass eine nicht essentialisierende Perspektive auf Kinder erfordert, auch die Position der am Forschungsprozess beteiligten Erwachsenen relational mit einzubeziehen (vgl. Fangmeyer und Mierendorff 2017). Wir plädieren daher für eine wechselseitige Anerkennung in generationaler Differenz (vgl. Buser und Eßer 2022), die eben diese Differenz als Erkenntnisquelle mit einbezieht. Diese Herangehensweise unterscheidet sich von einem, in der Kindheitsforschung lange kultivierten Umgang mit generationalen Differenzen, der diese in Forschungsbeziehungen möglichst zu minimieren sucht. Dies geschieht bspw., indem die erwachsenen Forschenden von den Kindern erwartete ‚erwachsene‘ Verhaltensweisen (wie etwa das Sanktionieren von Regelverstößen) unterlaufen (vgl. Bock 2010; Corsaro 2012; Mandell 1988). Wenn es der Kindheitsforschung jedoch um die Frage der Unterscheidung von Kindern und Erwachsenen vor dem Hintergrund der Konstitution von Kindheit geht, so sind eben auch Forschungsbeziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen Teil dieser generationalen Relation.

Der so eingeforderte offensive Umgang mit (inter-)generationalen Beziehungen im Forschungsprozess bezieht sich einerseits auf den Aspekt des Generierens von Erkenntnissen über Kindheiten und andererseits auf den Anspruch, (generationale) Wirklichkeit zu verändern. So argumentiert etwa Wyness (2013) für eine kollaborativ hervorgebrachte Forschungstätigkeit, die nicht auf ein größtmögliches Maß an Autonomie der beteiligten Kinder zielt, sondern sich daran messen lassen muss, dass sie Interessen von Kindern äußerst effektiv vertritt: „with reference to children’s perspectives, participation and voice cannot be fully understood in all its complexities unless we tease out the nature of relations between children and adults“ (ebd., S. 441). Es geht nicht um individuelle Akteur:innenschaft, sondern vielmehr um die gemeinsame Verantwortung für einen geteilten Prozess, in dem die Beteiligten ihre Unterschiedlichkeit jeweils anerkennen.

5 Commons und partizipative Forschung

Wenn aus den angeführten Gründen also partizipative Forschung sowohl in formaler Hinsicht als auch bezüglich ihrer ethischen Dimension zunächst entlang ihres Prozesses definiert und begründet wird, verlangt die Frage ihres (möglichen) Erkenntniswertes ebenso nach einer zusätzlichen Thematisierung wie nach der Konzeptualisierung der Forschungsbeziehungen. Zu deren Klärung rekurrieren wir auf den commons-Ansatz, der zunächst ähnlich begründet wird wie der Anspruch partizipativer Forschung.

Auch im Rahmen der commons geht es darum, unter dem Dach eines gemeinsamen Interesses bzw. Ziels verschiedene Entitäten zu versammeln, um für alle Beteiligten einen Mehrwert zu erzielen. Im Zentrum von commons steht eine Gemeinschaft, die aus einem gemeinsamen Interesse erwächst und für alle Beteiligten zur Erfüllung dieses Interesses beiträgt. Dabei setzt commons auf Selbstorganisation. „Ein Commons entsteht, wenn Menschen sich an der sozialen Praxis des Commoning beteiligen, sich als Gleichrangige bewusst selbst organisieren (Peer Governance) und kooperative Formen entwickeln, Vermögenswerte bedürfnisorientiert Schaffen und Bereitstellen“ (Helfrich und Bollier 2020, S. 72; Großschreibungen i. O.). Dies betrifft auch Vermögenswerte, wie Bildung und Wissen, die durch Teilen bewahrt und vermehrt werden (vgl. Ball 2012).

Commons lassen sich grundsätzlich über eine dreiteilige Struktur definieren, wobei die einzelnen Ebenen in Relation zu- und miteinander stehen:

  1. 1.

    Eine gemeinsame Ressource oder ein Gemeingut (common),

  2. 2.

    eine gemeinschaftliche Verwaltung der Ressource oder des Gutes durch gemeinschaftlich beschlossene Regeln, Meinungsfindungsprozesse etc. (commoning practices) und

  3. 3.

    eine Gemeinschaft, also eine Gruppe von Menschen, die sich für das gemeinsame Interesse einsetzt (commoners) (vgl. Helfrich und Bollier 2020, S. 72; Pechtelidis und Kioupkiolis 2020, S. 1 ff.).

Commons stehen damit einer Logik des Staates sowie des Marktes gegenüber, die sich auf die Leistung Einzelner fokussieren (vgl. Helfrich und Bollier 2020; Pechtelidis und Kioupkiolis 2020). Das commoning folgt insgesamt „der Grundidee tiefgreifender Relationalität von allem […]. Die Welt wird als Ort dichter zwischenmenschlicher Verbindungen und gegenseitiger Abhängigkeiten wahrgenommen“ (Helfrich und Bollier 2020, S. 41; Herv. i. O.). Damit können Forschungsprozesse ebenfalls commons sein, insofern sie dem Anspruch genügen, immer alle Entitäten und Akteur:innen in ihren Relationen zu bedenken, aus denen sie hervorgehen.

Weitere Anschlüsse an partizipative Forschung bieten sich mit Blick auf die für diese explizierten Bildungsansprüche an (Eßer et al. 2020, S. 8 ff.). Nämlich genau dann, wenn Forschung im Sinne der educational commons als Bildung verstanden wird:

„a mode of enclosing and capturing difference and toward a dialectically and immanently rich conceptualization rooted in the commons as a pedagogical and political sphere. It must be understood that the fault lines and generative tensions of commoning and enclosing, by enabling or constraining ways of being, knowing, working, and relating, literally teach us. In this way, to suggest that commoning and enclosing are pedagogical relations is also to recognize that they are political relations — that is, the commons are always a divided and contested terrain“ (Means et al. 2017, S. 3; Herv. i. O.).

Bildung wird damit zum gemeinschaftlichen Gut, welches im Prozess und gemeinsam mit allen daran beteiligten Personen hergestellt und ausgehandelt wird. Ein solcher Ansatz bedeutet auch, dass es sich bei Bildung als common nicht mehr um etwas Statisches handelt, das es zu vermitteln gilt, sondern um etwas Dynamisches, das sich in der alltäglichen Praxis und im Prozess vollzieht. Um Bildung in dieser Form zu ermöglichen, bedarf es einer Haltung, die es erlaubt, den Prozess offener, gemeinschaftlicher, egalitärer, nachhaltiger und vielfältiger zu gestalten, in dem bspw. mehr beteiligte Akteur:innen eingebunden werden (vgl. Pechtelidis und Kioupkiolis 2020, S. 4). Für Bildungsprozesse, die bisweilen – und hier sind sie mit klassischen Forschungsansätzen zu vergleichen – stark hierarchisch strukturiert sind, bedeutet dies dahingehend ein Umdenken, welches bspw. neben der Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern auch eine gemeinschaftliche Entscheidungsfindung hinsichtlich bildungsrelevanter Inhalte miteinschließt.

6 Commons und partizipative Forschung – Kinder als commoners?

Aufgrund der getroffenen Aussagen zu commons sowie zu partizipativer Forschung zeichnet sich eine gewisse Wahlverwandtschaft zwischen den beiden ab, die uns dazu ermuntert, im Folgenden partizipative Forschung mit Kindern gedankenexperimentell als commoning-Prozess zu verstehen. Im englischen Sprachgebrauch wird ‚participatory research‘ bisweilen auch als ‚community based research‘ bezeichnet. Hierin zeichnet sich ab, dass der in der commons-Perspektive vertretene Anspruch der Pflege eines gemeinschaftlichen Zusammenhangs auf der Grundlage eines geteilten Interesses mit dem Stiften einer Forschungsbeziehung in Form einer Forschungsgemeinschaft in der partizipativen Forschung korrespondiert.

Im Fall der educational commons wird Bildung nicht (mehr) personenzentriert gedacht. Analog zu partizipativer Forschung, in der es ebenfalls um gemeinsame Bildungsprozesse der involvierten Personen geht, lässt sich Bildung im Sinne der commons wie folgt verstehen: „Education would be transfigured, then, into a collective good, which is created, governed, and enjoyed in common by all parties of the educational community“ (Pechtelidis und Kioupkiolis 2020, S. 4). Dem entsprechend geht es im Sinne der commons ebenso wie im Falle partizipativer Forschung um kollektive Bildungsprozesse (vgl. Eßer et al. 2020, S. 8 ff.), die alle Beteiligten gemeinsam ‚machen‘ – akademisch Forschende und Betroffene, Erwachsene und Kinder. Partizipativer Forschung geht es also um eine Annäherung der Forschungsbeteiligten bei gleichzeitiger Reflexion vorhandener Differenz, was sie von avancierten qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden unterscheidet, denen eine Differenzierung zwischen Forschenden und Beforschten eingeschrieben ist. Auch dies korrespondiert mit der Perspektive der commons:

„In the educational commons, students and pupils do not rely on teachers to explain reality to them. Rather, the main objective is self-reliance and autonomy and, thus, the emancipation of children from adults, teachers, and parents in the present (here and now)“ (Pechtelidis und Kioupkiolis 2020, S. 5).

Zudem findet der demokratietheoretisch begründete Anspruch partizipativer Forschung (vgl. Bergold und Thomas 2012) sein Pendant in der Diskussion um ‚citizenship‘ in der Kindheitsforschung, die wiederum in der commons-Diskussion aufgenommen wird: Kinder wirken nicht nur an Forschung mit, weil sie hierzu grundsätzlich in der Lage sind (vgl. Punch 2002), sondern sie erhalten dadurch auch einen anderen Akteur:innenstatus, wie er ebenfalls im Rahmen der educational commons eingefordert wird (vgl. Pechtelidis und Kioupkiolis 2020, S. 6). Educational commons und partizipative Forschung im Rahmen von Kindheitsforschung können also jeweils als intergenerationales Bildungsprojekt verstanden werden. Dies wollen wir im Folgenden anhand eines laufenden empirischen Projektes darstellen.

7 Skateparks, Stunt Scooter und ‚öffentlicher‘ Raum

Die zuvor theoretisch ausgeführten Aspekte sollen nachstehend anhand von Beispielen aus unserem aktuell laufenden Forschungsprojekt veranschaulicht werden. Wir stützen uns dabei auf erste Ergebnisse des Teilprojektes „Occupying Public Urban Space with Stunt Scooters“ (Eßer et al. i. E.). In unserer partizipativ angelegten ethnographischen Teilstudie beschäftigen wir uns innerhalb des metatheoretischen Rahmens des Gesamtprojektes, welches sich der Erforschung von educational commons verschrieben hat, mit der kinderkulturellen Praxis des Stunt-Scooter-Fahrens im städtischen Raum und hier insbesondere auf Skateparks.

Skateparks sind angesichts begrenzter öffentlicher sozialräumlicher Ressourcen Orte für spezifische jugend- und kinderkulturelle Praktiken. Sie sind nicht nur Treffpunkte, sondern bieten einen funktionalisierten Raum mit ganz spezifischen Praxisangeboten. Praktiken, wie Skateboard, BMX oder auch Inlineskates fahren, zeichnen sich in ihren Ursprüngen darüber aus, Räume, Materialien, Begrenzungen, Orte oder auch städtischen Raum mittels der jeweiligen Praxis umzudeuten und sich anzueignen. Skateparks selbst stellen hier eine Form dar, eine zunächst räumlich entgrenzte und entgrenzende Praxis in der Stadt an einen Ort zu binden, bzw. einzuhegen oder zu „zonieren“ (Dirks et al. 2016, S. 29). Skateparks sind demnach sozial-räumlich definierte Orte v. a. jugendlicher Praxisformen.

In verschiedenen Städten lässt sich deutschlandweit in den letzten Jahren ein Konflikt ausmachen, der jeweils ganz unterschiedlich gelöst wird. Skateparks werden nicht mehr nur von Skateboard, BMX oder Inlineskates fahrenden Jugendlichen oder Erwachsenen frequentiert, sondern seit einigen Jahren auch zunehmend von sogenannten Stunt Scooter Rider:innen. Diese nutzen nun ebenfalls diesen Ort eingehegter jugendkultureller Praxis, um ihre eigene Praxis auszuführen. Sie sind größtenteils eher jüngeren AltersFootnote 3 und werden im Feld als ‚Kinder‘ gelesen.

Ähnliches spielte sich auch auf dem Skatepark einer Großstadt ab, der sich als für unsere Teilstudie zentraler Ort herausstellte. Dort führte das Hinzukommen der Scooter Rider:innen einerseits dazu, dass die tatsächliche Nutzung der öffentlich zugänglichen Anlage zunehmend deren Kapazität überstieg. Andererseits gab und gibt es Konflikte, die sich auf Unterschiede der dort anzutreffenden Szenen zurückführen lassen. Zusätzlich ließen sich vermehrt Unfälle verzeichnen, die z. B. aufgrund der Überfüllung, aber auch durch differente Praxisausübung zustande kamen. Insbesondere durch die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Infektionsschutzmaßnahmen verschärfte sich die Situation auf Skateparks zudem deutlich, da diese Orte von immer mehr Kindern und Jugendlichen in Anspruch genommen wurden und auch weiterhin werden. Vor dem Hintergrund einer drohenden Schließung städtischer Skateparks für alle im Frühjahr 2021 wurde der Beschluss gefasst, die Scooter Rider:innen vom Park auszuschließenFootnote 4. Daraufhin gab es unterschiedliche Reaktionen: Die ausgeschlossenen Scooter Rider:innen wendeten sich mit der Unterstützung ihrer Eltern an das städtische Jugendparlament, um dort auf die Lage aufmerksam zu machen. Parallel dazu organisierte sich die Skate-Szene, in dem sie bspw. Interviews mit der lokalen Presse führte, eine Unterschriftenaktion initiierte und einen Brief an die Stadt verfasste, in dem sie sich gegen die gemeinsame Nutzung des Skateparks mit den Scooter Rider:innen aussprach. Die Trennung der Szenen durch den Bau eines neuen Platzes für die Scooter Rider:innen war zu diesem Zeitpunkt bereits als einzuschlagender Weg beschlossen, auch wenn die Fläche für einen solchen Platz noch fehlte.

8 Forschende und Kinder als commoners

In dieser angespannten Lage kamen wir mit der kommunalen Jugendarbeit einer deutschen Großstadt in Kontakt, die uns dazu einlud, den Prozess um die Planung und den Bau eines neuen Platzes für die Gruppe der Scooter Rider:innen zu begleiten. Wir entschieden uns gemäß der partizipativen Methodologie sowie des commons-Ansatzes, der die metatheoretische Rahmung des Gesamtprojektes SMOOTH bildet, dafür, eine Forschungsperspektive zu wählen, die ganz bewusst nicht ‚neutral‘, sondern auf eine Weise „situiert“ (Haraway 1988) ist, dass sie sich mit der Praxis der Scooter Rider:innen gemein macht. Als commons haben wir somit die Praxis des Scooterfahrens verstanden.

Wie soll man sich aber als Forscher:in mit einer Praxis gemein machen, die nicht die eigene ist und wie macht man sich gemein, wenn man von der Praxis selbst eigentlich nahezu nichts weiß? Wie in jedem Forschungsprozess mussten wir uns an unseren Forschungsgegenstand und die damit zusammenhängende community zunächst einmal herantasten. Hierzu fand im Sommer 2021 eine mehrmonatige pre study statt, im Rahmen derer eine der Autor:innen zumeist einmal pro Woche den städtischen Skatepark besuchte. Als gatekeeper diente die kommunale Jugendarbeit, deren Streetworker:innen im Zuge der aufsuchenden Jugendhilfe selbst wöchentlich vor Ort waren. Der Zugang zum Feld konnte so sehr schnell hergestellt werden, sodass die Forscherin bald zum ‚Inventar‘ des Platzes wurde. Die Beobachtungen wurden in ausführlichen Feldnotizen (Emerson et al. 2011) festgehalten, die in Protokolle überführt wurden. Außerdem dienten sie im Nachgang zur Konzeption der Workshops, die in der zweiten Hälfte 2022 durchgeführt wurden.

Als die pre study begann, war der Skatepark zwar wieder für Scooter Rider:innen geöffnet, allerdings wurde in der Stadtverwaltung, die für die Verkehrssicherungspflicht des Platzes verantwortlich ist, bereits an einem Kompromiss gearbeitet, der alle Szenen berücksichtigen sollte, im August 2021 in Kraft trat und nach wie vor Bestand hat: Scooter Rider:innen dürfen den Skatepark an zwei Nachmittagen der Woche nutzen. Der Kompromiss konnte die Konflikte jedoch nicht auflösen und die Dynamik verstärkte sich teilweise weiter, u. a. auch deshalb, weil sich mittlerweile zwei schwere Unfälle, einer davon lebensgefährlich, ereignet hatten.

Die Forscherin hatte aufgrund der Anlage des Projektes und den dahinterstehenden methodologischen und metatheoretischen Rahmungen bereits einen spezifischeren Auftrag als dies in anderen Projekten der Fall ist: sich mit den Scooter Rider:innen gemein zu machen und commoner zu werden. Das hieß aber auch, sich für eine Szene, nämlich die der Scooter Rider:innen zu entscheiden, Teil dieser spezifischen community zu werden und sich dem gemeinsamen Interesse, also der Scooter Praxis zu verschreiben. Zunächst ging es dabei um ein inneres commitment, das jedoch aufgrund der Selbst- und Fremdpositionierung als ‚Forscherin im Scooter-Projekt‘ über die eigene Person im Kontakt mit den beteiligten Akteur:innen präsent war. Sich mit einer Sache gemein zu machen, bedeutet damit also auch immer andere Dinge auszuschließen. Gleiches galt mitunter für einige Sozialarbeiter:innen, die sich aufgrund der eigenen Sportbiografie als (ehemalige) Skater:innen mit der Skate-Szene gemein machten und daher bisweilen v. a. deren Interessen vertraten (z. B. bezogen auf die Forderung danach, die Szenen zu trennen). Insofern war das commitment zur Scooter Szene und das damit anvisierte gemeinsame Interesse auch ein Grund dafür, warum im Feld eher eine Nähe zu Scooter Rider:innen und ihrer Praxis entstand, wohingegen sich zur Skate-Szene eher eine Distanz ergab. Die Nähe bzw. Distanz der Forscherin zu den jeweiligen Szenen im Feld kam bspw. in den Interaktionen auf dem Skatepark selbst, in den später verschriftlichten Protokollen aber auch den empfundenen Emotionen der Forscherin zum Ausdruck.

Dass sich Nähe erst entwickeln musste, zeigt sich z. B. daran, dass die ersten Protokolle v. a. davon gekennzeichnet sind, sich im Feld zu orientieren.

Viel ist noch nicht los auf der Skateanlage. ArneFootnote 5 sagt: „Ja [Name der Forscherin], da sitzt du grade neben dem Richtigen, der fährt beides, Skateboard und Scooter. […] Die [Name der Forscherin] is von der Uni und die is wegen den Scootern hier. Vielleicht kannst du der mal n bisschen was dazu erzählen, wie hier so die Lage ist mit den Skatern und den Scooterfahrern.“ Ich lächle den Jungen an und sage „Hey.“ Der Junge nickt mir zu und Arne ergänzt: „Musst aber auch nicht, wenn du nicht willst. Ist alles freiwillig.“ Ich nicke und der Junge mit der Weste erzählt, dass es „jüngere und ältere Scooterfahrer“ gibt und dass „die Probleme“ eigentlich „nur mit den jüngeren Scooterfahrern“ entstehen würden, weil „die halt nich gucken, weiß ich auch nich warum.“ Mit den älteren „so fünfzehn oder so“, gäbe es keine Probleme. Manchmal wären auch kleine Kinder auf Bobbycars auf dem Platz, was auch „voll gefährlich“ wäre. Mittlerweile hat er sein Skateboard, mit dem Deck nach unten, auf seine Knie genommen und spielt mit den Rollen. Auch die Skater:innen links vor mir hören zu und die junge Skaterin sagt zu Arne: „Wir haben ja die Theorie entwickelt, dass die keine Augen im Kopf haben und nur einen Leitscooter, der kuckt.“ Arne lacht sie an und ich frage: „Ja, ist das nen Problem?“ „Ja total […] die Scooter droppenFootnote 6 einfach überall rein ohne zu gucken“ und „irgendwann schreist du halt nur noch rum.“ „Ah okay, weil die dann im Weg sind oder wie“, frage ich zurück. Sie nickt: „Mhm.“ Und Arne erklärt mir dann, dass „die Scooter“ häufiger auf der Plattform rechts von uns stehen – er zeigt mit dem Finger in die Richtung –, sodass man dann nicht mehr wirklich durchkäme.

Dieser Protokollauszug zeichnet eine Szene am ersten Tag der Beobachtungen im Juni 2021 nach. Der Streetworker Arne führt die Forscherin in die Situation am Skatepark ein und stellt den Kontakt zu einem Scooter Rider her, der „beides“ fährt: „Skateboard und Scooter“. Mit der Einführung der Forscherin („von der Uni und die is wegen den Scootern hier“) macht er außerdem ihre Positionierung im Feld deutlich und verortet sie gleichsam in der Nähe der Scooter Rider:innen. Auch zeigt der Ausschnitt die fragende Haltung der Forscherin, der seitens der Beteiligten mit Einführungen in die Situation vor Ort oder räumliche Beschreibungen begegnet wird. Es ist notwendig, die Forscherin ins Feld einzuführen, damit sich diese dort orientieren kann. Gleichsam wird auch der Konflikt auf dem Skatepark direkt am ersten Tag der Beobachtungen thematisiert, was zeigt, wie virulent dieser innerhalb der Szene(n) ist.

Mit der Zeit ändert sich die Position der Forscherin im Feld. Dies zeigt sich einerseits an der Sprache in den Protokollen, da bspw. Feldbegriffe selbstverständlich verwendet werden. Andererseits finden sich auch immer wieder Stellen, in denen die Involviertheit der Forscherin deutlich wird.

Es riecht nun stark nach Gras und die drei Skater teilen sich vor der mittleren Rampe einen Joint. Kurz nachdem sie auf der Fahrbahn angekommen sind, spielen sie Schere-Stein-Papier. Ich weiß nicht, worum es geht, aber der der verloren hat, stellt sich danach auf das Skateboard und fährt über die Mitte der Fahrbahn in Richtung Treppenset. […] Dort angekommen setzt sich der Skater, der eben noch auf dem Board stand auf die Steinmauer links vom Treppenset und die beiden anderen stellen sich daneben. Der Joint macht erneut die Runde und das Treppenset ist von den Skatern so besetzt, dass kein anderer es mehr nutzen kann. So bleiben die drei Skater eine Weile stehen, bevor sich einer davon auf dem Skateboard in Richtung mittlere Rampe aufmacht. Auch der Mann von eben macht sich in diese Richtung auf und es kommt an der mittleren Rampe zum Zusammenstoß der beiden. „Woah ich hab Sie gar nicht gesehen, alles gut bei Ihnen?“, fragt der Skater, der überrascht und irritiert zugleich wirkt. „Bei mir schon, bei Ihnen?“, antwortet der Mann. „Jaja, alles gut“, sagt der Skater und grinst. […] Ich muss wieder daran denken, dass Scooterfahrer:innen aufgrund ihrer Sportart und Fahrweisen eine Gefährdung für die anderen Nutzer:innen darstellen (sollen). Dass bekiffte oder betrunkene Skater dies nicht sein sollen, will mir nicht in den Kopf.

Ein wichtiges Argument für die Trennung der Szenen, auf das die Forscherin im Protokoll Bezug nimmt und das schon in der Begründung für den Ausschluss der Scooter Rider:innen vom Park auftaucht, sind die unterschiedlichen Fahrweisen von Scooter Rider:innen und Skater:innen, die mit den Sportgeräten verbunden sind. Scooter Rider:innen, so das Narrativ der meist älteren Skater:innen, stellen wegen ihrer mangelnden Übersicht (siehe Auszug 1) und ihrer Fahrweise qua Sportgerät eine Gefährdung dar.Footnote 7 Dieses Narrativ stellt die Forscherin nicht nur infrage, sondern sie äußert gleichsam ihren Unmut, über die Ungleichbehandlung der Scooter Rider:innen, die aufgrund ihres Sports seitens der Skater:innen angegangen werden. Zum Teil werden sie beleidigt, aber auch angefeindet oder im Extremfall körperlich angegangen. Wiederholt kritisieren Skater:innen über den Verlauf der Beobachtungen die Grüppchenbildung der Scooter Rider:innen an unterschiedlichen Stellen auf der Fahrbahn. Wenn Skater:innen dasselbe tun, stellt dies i. d. R. kein Problem dar. Dieses Empfinden der Ungleichbehandlung wird nicht zuletzt dadurch verstärkt, dass sich die Forscherin über den Verlauf von elf Besuchen auf dem Skatepark innerlich mit den Scooter Rider:innen und ihrer Praxis gemein gemacht hat. Die Praxis des Scooterfahrens als commons, als gemeinsames Interesse, liegt ihr mittlerweile am Herzen und das, obwohl sie selbst diese Praxis nicht ausführt. Die veränderte Perspektive auf das Feld erfolgt schleichend und lässt sich im Nachhinein betrachtet auf unterschiedliche Aspekte zurückführen: Gespräche mit den Scooter Rider:innen und ihren Angehörigen (z. B. (Groß-)Eltern) über die Situation vor Ort und den oft rüden Umgang der Skater:innen mit den Scooter Rider:innen, eigene Beobachtungen sowie die Selbstpositionierung einiger Sozialarbeiter:innen als Skater:innen, etc. Zum Perspektivwechsel hat mit Sicherheit auch der Forschungsauftrag beigetragen, der es der Forscherin ermöglichte bzw. sogar von ihr verlangte, sich parteiisch zu positionieren. Zudem hat sie mit der Zeit durch ihre Besuche vor Ort, Beobachtungen und Gespräche mit Scooter Rider:innen ein breites Wissen darüber entwickelt, was zur Praxis des Scooterfahrens dazu gehört und ist damit zum commoner geworden.

Dieses Wissen floss dann auch in Workshops ein, die als Fallstudien in den Projektrahmen von SMOOTH eingelassen sind. Die Fallstudien sind an die Planung und den Bau des Scooter Parks angegliedert, die seitens der Stadt ins Rollen gebracht wurden. Zudem wurden wir bei der Durchführung und Umsetzung durch Mitarbeiter:innen der Stadt, die gleichzeitig unsere third party ist, unterstützt. Sie stellten uns z. B. Räume, Strukturen und personelle Unterstützung zur Verfügung. Die erste Fallstudie wurde dabei im Rahmen des Beteiligungsworkshops, der seitens der Stadt durchgeführt wurde, realisiert. Die zweite Fallstudie fokussierte auf das Scooterfahren und die dritte auf die Reparatur von Scootern. Den Abschluss bildet ein Evaluationsworkshop, der darauf zielt, den Prozess als solches gemeinsam mit allen Beteiligten – Erwachsenen wie Kindern – zu reflektieren.

Während die Beobachtungen auf dem Platz zumeist eher von einer ‚passiven‘ Teilhabe an der Scooterpraxis geprägt waren, fokussieren sich die Fallstudien darauf, gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen zu arbeiten und von und mit diesen zu lernen. Als Trainer für die zweite und dritte Fallstudie konnte bspw. ein 18-jähriger Scooter Rider gewonnen werden, der selbst schon seit vielen Jahren Scooter fährt und mittlerweile einen Sponsor hat. Er und die anderen Scooter Rider:innen waren die Expert:innen für die Praxis des Scooterfahrens, von denen wir als Forscher:innen lernen konnten. Und umgekehrt waren wir für die Scooter Rider:innen Expert:innen, was das Forschen als solches angeht und konnten sie z. B. bei der Durchführung von peer to peer Interviews anleiten.

Durch dieses gemeinsame Arbeiten, die gemeinsamen Erfahrungen und das gemeinsame Interesse verstärkte sich auch unsere Involviertheit weiter. Dies zeigt sich bspw. daran, dass die empfundene Enttäuschung der Scooter Rider:innen über den schlussendlich gebauten Pumptrack auch auf uns als Forscher:innen ‚überschwappte‘. War den Kindern und Jugendlichen zu Beginn noch ein eigener Platz versprochen worden, bei dem sie entscheiden sollten „was da so rauf soll“ (Arne, Streetworker), mussten sie schlussendlich mit einem Pumptrack Vorlieb nehmen. Von diesem Umstand erfuhren die Scooter Rider:innen und Forscher:innen aber erst beim Beteiligungsworkshop, also im Rahmen der ersten Fallstudie. Die Kinder und Jugendlichen nahmen am Workshop teil, um sich in den Bauprozess des für sie zu konzipierenden Parks einzubringen. Dabei gingen sie davon aus, dass sie wirklich frei über die Elemente des Parks entscheiden können und dass ihre Meinung zählt. Viele Aushandlungen über den Park jedoch fanden schon viel früher und auf einer ganz anderen Ebene statt – hinter den Kulissen. So wurde bereits in der Ausschreibung des Bauvorhabens festgelegt, dass auf jeden Fall ein Pumptrack gebaut werden sollte. Also ein Wellenpark, der es auch Anfänger:innen ermöglicht, durch Gewichtsverlagerung in Schwung zu kommen. Viele der Scooter Rider:innen, die an diesem Tag vor Ort waren, aber auch diejenigen, die auf dem städtischen Skatepark fahren, sind jedoch keine Anfänger:innen mehr und so sagt Frederik, ein 13-jähriger Scooter Rider noch beim Beteiligungsworkshop:

„Also ich finde generell, ein Pumptrack (.) is (.) geil aber auch irgendwie scheiße weil, (.) da ham irgendwie viel zu wenig (.) da warn viel zu wenig Rampen die man normal fahren kann.“

Die Enttäuschung an diesem Tag war also sowohl bei den beteiligten Scooter Rider:innen, als auch bei uns als Forscher:innen groß. Im Forschungsteam hatten wir zwar schon befürchtet, dass ein Pumptrack gebaut werden sollte, die schlussendliche Gewissheit darüber jedoch führte auch bei uns zu negativen Gefühlen. Und auch der Trainer, mit dem sich eine der Autor:innen vor dem zweiten Workshop zur Vorbereitung traf, war von den Plänen der Stadt wenig begeistert.

Mittlerweile habe ich die Pläne gefunden und halte Bryce mein Smartphone hin. Mit den Worten „Darf ich?“ – ich nicke – nimmt er mein Smartphone und schaut sich den Plan genauer an. Ich beobachte ihn genau und sehe ihm am Gesicht – hochgezogene Augenbrauen – und der Tatsache, dass er sich mit der anderen freien Hand danach die Augen kurzzeitig zuhält, schon an, dass er nicht begeistert ist. Mit einem „die ham einfach alles falsch gemacht, was man falsch machen kann“ bringt er seine ganze Enttäuschung in einem Satz zum Ausdruck. Er schaut sich den Plan etwas länger an und erklärt mir, dass Pumptracks für Scooter eigentlich nicht gut geeignet sind, da man mit Scootern besser auf Holz fährt und der Skatepark, aber auch der Pumptrack seien mit Beton oder Asphalt und das wäre für die Rollen und bspw. die „Haken, wenn man da immer wieder draufkommt“ gar nicht gut. […] Ich sage Bryce, dass ich nicht glaube, dass da noch wirklich groß was zu machen ist, so wie ich den Fachplaner und auch die Vertreter des [Servicebetriebs der Stadt] beim Beteiligungsworkshop erlebt habe, dass es aber eigentlich noch eine Feedbackrunde mit den Scooterfahrer:innen geben soll, wenn die „Pläne final sind“. Ich verspreche ihm, dass ich ihm den Plan zuschicke und dass er sich auch noch einmal beim Fachplaner melden könnte, wenn er das wollen würde. […] Im Nachgang habe ich mich dann wenige Wochen nach meinem Treffen mit Bryce bei ihm via Textnachricht entschuldigt, dass ich das Versprechen nicht eingehalten habe. Mir war das in der Kommunikation mit ihm sehr wichtig, da ich mein Versprechen halten wollte, das aber nicht konnte, weil wir die finalen Pläne nie gesehen haben und auch erst vom Beginn des Baus erfahren haben, als der Platz im Grunde schon fast fertig war.

Im Zuge des Prozesses spüren wir als Forscher:innen die Enttäuschung der Kinder und Jugendlichen immer wieder und fühlen mit. Dazu gehört auch, sich verantwortlich zu fühlen, wenn man Versprechen nicht einhalten kann und sich im Nachgang zu entschuldigen oder verärgert zu sein, wenn Kinder und Jugendliche, die sich einbringen, nicht wahrgenommen werden. Die Stimme der Scooter Rider:innen wird aufgrund der Homogenisierung der Gruppe als Kinder durch erwachsene Beteiligte nicht gehört, wodurch Enttäuschung entsteht. Dabei sind die Scooter Rider:innen hoch motiviert und bringen sich immer wieder mit konstruktiven Vorschlägen ein, selbst als der Pumptrack schon gebaut wird. Zwei Scooter Rider:innen äußern bspw. gegenüber einer der Autor:innen in einem Gespräch, welches direkt an der neuen Fläche und noch vor deren Fertigstellung stattfindet, Kritik.

Sie kritisieren unterschiedliche Streckenelemente. So z. B. auf der von uns linken Seite des Pumptracks. Prinzipiell sei das eine „coole Stelle“, allerdings würde man, wenn man dort „rausspringt“ in die „fahrenden Leute“ oder in den dort stehenden Baum fahren. Und auch die andere Seite der Fläche kommt nicht gut weg. Dort sei die asphaltierte Fläche viel zu kurz und man würde sich entweder „hinlegen“ oder sich die „wheels“ kaputt machen. Sie kritisieren auch, dass der Park nicht sonderlich herausfordernd sei und dass sie keine Ahnung hätten, wieso der Park so teuer gewesen sein soll. Ich versuche zu erklären, dass ja auch Personalkosten und bspw. Kosten für Rohre etc. dazukommen, aber wirklich überzeugt bin ich davon selbst nicht und den beiden Scooterfahrern scheint es genauso zu gehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass obwohl zu jedem Zeitpunkt klar ist, dass wir als Forscher:innen nicht zur peer der Scooter Rider:innen gehören, wir dennoch dadurch Teil der community geworden sind, dass wir uns gemeinsam mit den Scooter Rider:innen als commoners verstehen und auf ein gemeinsames Interesse oder commons fokussiert haben: die Praxis des Scooterfahrens. Hierdurch wurde ein Forschungsprozess auf Augenhöhe möglich und das obwohl weiterhin Differenzlinien bestanden – wie z. B. Alter oder Geschlecht. Die Eingebundenheit und Nähe zur Scooter Szene gab uns dabei die Möglichkeit, neue Einblicke und Erkenntnisse zu gewinnen, die wir dann bspw. auf anderen Ebenen wieder einbringen konnten, um den Prozess im Sinne des commons voranzubringen.

9 Fazit: partizipative Forschung als commons

Im Rahmen des Projektes wurden wir gemeinsam zu commoners an der Praxis des Scooterfahrens als commons. Dies scheint uns auch über die konkrete metatheoretische Rahmung des Verbundvorhabens hinaus, das sich dezidiert mit commons beschäftigt, zur Konzeptualisierung von partizipativer Forschung lehrreich. Indem Forschung analytisch als commons gefasst wird, das durch die Partizipation von commoners mit akademischem und nicht-akademischem Hintergrund entsteht, kann man der Relationalität des Forschungsprozesses ebenso gerecht werden wie den Ansprüchen der jeweiligen commoners an den Forschungsergebnissen.

Gerade was die für die Kindheitsforschung häufig – wenn auch nicht zwingend – konstituierenden intergenerationalen Forschungsbeziehungen betrifft, ist die theoretische Figur der commons in mindestens dreifacher Weise instruktiv:

  1. 1.

    Die Beziehung unter commoners erlaubt eine andere Form der Fassung der intergenerationalen Beziehungen als dies klassisch bei der ebenso breit wie kritisch rezipierten Figur des „least adult approaches“ möglich ist (Mandell 1988). Anstatt die generationale Differenz möglichst weit zu verflachen, ist es im Sinne eines commons partial möglich, diese zu überwinden. Während commons-Ansätze jedoch häufig eine harmonistische Tendenz aufweisen, indem sie davon ausgehen, dass sich Differenzen zwischen commoners durch den Bezug auf das Gemeinsame des commons aussetzen lassen, würden wir annehmen, dass die generationale Differenz – wie auch andere Differenzen – in der Forschungsbeziehung grundlegend wirksam ist, und dass es gerade im Erkenntnisinteresse der Kindheitsforschung liegt, diese zu reflektieren.

  2. 2.

    Die theoretische Figur der commons betont, dass sich die Forschungsbeziehung auf ein gemeinsames Drittes der Forschung bezieht und nur aus dieser heraus zu verstehen ist. Commoners werden also erst zu commoners angesichts der commoning practices, in denen das commons entsteht.

  3. 3.

    Zudem ermöglicht die Figur der commons und die Idee, dass Kinder und Erwachsene, Forschende ohne und mit akademischem Hintergrund, bei aller Betonung der Unmöglichkeit, generationale und andere Differenzen auszusetzen, im Forschungsprozess trotzdem auch die Möglichkeit gewinnen, Solidarität zu praktizieren, gemeinsame Erfahrungen zu machen und daran geknüpfte Emotionalität zu erfahren sowie dies wiederum als Erkenntnisquelle zu nutzen. Ganz im Sinne von Wacquants (2014) Anspruch an die Forschenden, sich im Rahmen einer „karnalen Soziologie“ auch leiblich dem Feld auszusetzen, um hierdurch Erkenntnis zu generieren, erzeugt das gemeinsame Erleben der Position der Scooter Rider:innen gerade auch im Durchleben der Enttäuschung und Marginalisierung die Möglichkeit, eben jene für die Kinder und Jugendlichen relevanten Erfahrungen aus eigener Mit-Betroffenheit noch einmal anders analytisch aufzuschließen. Bildung würde dann emergieren, wenn wir diese Enttäuschungserfahrung gemeinsam mit den beteiligten Kindern und Jugendlichen reflektieren.