Vor ein paar Jahren vollführte der Filmemacher Ami Horowitz ein interessantes Experiment. Er stellte sich mit einer Flagge des Islamischen Staates, der damals noch existierte, Frauen vergewaltigte und Jesiden massakrierte, mitten auf den Campus der Universität Berkeley. Fahnenschwenkend schrie er, an sämtlichen Verbrechen des Nahen Ostens sei nur der amerikanische Imperialismus schuld, der islamische Staat wolle nur Frieden. Die meisten Passanten ignorierten ihn. Einige Studenten applaudierten. Dann probierte er dasselbe mit der israelischen Flagge. Die Reaktion war blanke Wut: Dass die Israelis Diebe seien, war noch die sanfteste Reaktion.
Seit Jahren werden an amerikanischen Universitäten die Gefühle von Studenten und Studentinnen geschützt. Das nimmt mitunter lächerliche Formen an, etwa wenn in einem Seminar über Strafrecht das Wort „Vergewaltigung“ nicht benutzt werden soll, weil dies die jungen Frauen traumatisieren könnte. Auf die Gefühle einer Gruppe von Studenten aber wird explizit keine Rücksicht genommen: die Gefühle der Juden. Beinahe alle amerikanisch-jüdischen Eltern, deren Kinder in Amerika studieren, können, zumindest wenn die Kinder geisteswissenschaftliche Fächer belegen, Gruselgeschichten über linksradikalen Antisemitismus erzählen: Beschimpfungen, Pöbeleien, Anspucken.
Es darf also niemanden überraschen, dass — vor allem muslimische — Studentenorganisationen an Eliteuniversitäten wie Harvard und Stanford auf das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust mit offiziellen Erklärungen reagieren, auf denen sie Israel beschuldigen. „Nur das Apartheid-Regime ist schuld“, heißt es etwa in dem Brief, den unter anderem die African American Resistance Organization, die Harvard Islamic Society und die Harvard Jews for Liberation unterzeichnet haben. „Die kommenden. Tage werden erfordern, dass wir fest gegen die Vergeltung zusammenstehen.”
Die Students for Justice in Palestine in Stanford schreiben: „Palästinensischer Widerstand ist völkerrechtlich legitim, während es sich bei Israels atemberaubenden gewalttätigen Aktionen um Kollektivstrafen gemäß der Genfer Konvention handelt.“ Offenbar sind die Lehrkörper zu eingeschüchtert, als dass sie dagegen groß protestieren würden.
Juden gelten in Amerika nicht als Minderheit, sie gelten als „weiß“ und „Europäer“. Die Lüge, dass Israel ein kolonialer Apartheidstaat sei, der verschwinden müsse, um einem multiethnischen Utopia Platz zu machen, ist sozusagen das Eintrittsticket, um bei linksradikalen Organisationen mitzumachen. Nichts davon ist neu.
Neu ist nur, dass dies endlich Empörung hervorruft. Larry Summers, der ehemalige Präsident von Harvard, ein Demokrat, der unter Bill Clinton Finanzminister war, hat jetzt gesagt, dass er das Statement der Studenten zum Speien findet. „Das bisherige Schweigen der Führung von Harvard hat zusammen mit dem lautstarken und weit publizierten Statement der Studenten, die nur Israel verurteilen, dazu geführt, dass Harvard bestenfalls neutral erscheint, wenn es um Terror gegen den jüdischen Staat Israel geht“, schreibt Summers auf X (vormals Twitter). Er hätte hinzufügen können: Es wird Zeit, dafür zu sorgen, dass junge jüdische Frauen und Männer sich an amerikanischen Unis endlich nicht mehr wie verhasste Fremdlinge fühlen.