Rezension aus Deutschland vom 18. Dezember 2016
Dass dieser Film bei seiner Erstausstrahlung einen großen "Werther-Effekt" auslöste und deswegen von den Verantwortlichen panisch im Archiv verstaut wurde, um erst Jahre später wieder ans Licht zu kommen, hat seinen Grund. Selbst als Zuschauer, der diesen Film über dreißig Jahre später sieht und deshalb vielleicht manche Anspielungen an die damalige Realität nicht mehr ganz so mitfühlen kann, kann man sich doch sehr leicht mit dem Helden Claus Wagner identifizieren. All das, was ihm zustößt, sind schließlich keine Dinge, die man nicht irgendwie auch selber schonmal erlebt hat. Wer hat nicht schonmal Prüfungsangst gehabt, ist abserviert und enttäuscht worden, hat von den Eltern Ablehnung erfahren, wo man auf Verständnis hoffte ? "Das ist doch alles ganz normal", möchte man meinen, und doch ist am Ende ein 19-Jähriger Mensch dem Freitod erlegen.
Robert Strombergers dramaturgisches Talent zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Film. In all diesen "ganz normalen" Dialogen und Szenen, die insbesondere durch den hessischen Dialekt vieler Charaktere eine gewisse familiäre Note bekommen, wird doch immer wieder aufgezeigt, dass sich der Alltag, den Claus erlebt, immer irgendwie am Rande des Abgrunds bewegt, eine gewisse kafkaeske Note der Bedrohlichkeit erhält. Neben dem Kommentator, der nach jedem Film das Gesehene erklärt, und der auch klarstellt, dass dieser Film keineswegs eine Werbung zum Selbstmord sein soll, treten auch andere Charaktere als "Kommentatoren" des Geschehens auf: der Pfarrer, der Arzt, der Polizeikommissar. Sie treten als Anwälte des Toten auf und klagen diejenigen an, die sie für den Freitod von Claus verantwortlich machen. In jeder Episode wird jede einzelne "Tätergruppe" beleuchtet, am Ende jedoch ebenso klargestellt, wie sehr diese Suche nach Schuldigen in die Irre führen kann.
Wer auch Robert Strombergers wohl bekannteste Fernsehserie "Diese Drombuschs" gesehen hat, dem wird manches an der Dramaturgie und dem Aufbau des Geschehens bekannt vorkommen. Das liegt nicht allein am Ort des Geschehens, Strombergers Heimatstadt Darmstadt, sowie der personellen Besetzung, sondern eben an diesem Aufzeigen der Abgründe des Alltags und den selbstzerstörerischen Aspekten einer vermeintlich heilen Welt. Ebenso, wie Claus Wagner, aufgewachsen in einem guten Hause, seine Selbstzerstörung bis zum Äußersten treibt, betreiben auch die drei jungen Drombuschs Selbstzerstörung: Chris setzt sich Lebensgefahren aus, um als Polizist anderen zu helfen, Marion gibt sich immer wieder ominösen Männergeschichten hin, die in einer ungewollten Schwangerschaft enden und Thommi wird zum ewigen Kind und Gammler. In dem vorliegenden Werk eines noch jüngeren Robert Stromberger, der die Konfrontation mit seinem Publikum noch nicht so sehr scheute, kommt der Aspekt der Selbstzerstörung nur sehr viel stärker zum Tragen, denn es kann kaum eine extreme Form der Selbstzerstörung geben, als sich vor einen Zug zu werfen. Man wird aber nach einem Vergleich mit den "Drombuschs" das Gefühl nicht los, dass diese vermeintlich kitschige und spießige Familienserie eigentlich eine etwas subtilere Version von "Tod eines Schülers" darstellt. Mit diesem Film bekommt der Zuschauer jedenfalls ein vollständiges Bild vom Schaffen Strombergers und wird sich hoffentlich hüten, ihn als bloßen spießigen Darmstädter Heimatregisseur abzutun.
Die Schwächen des Films sollen hierbei aber auch nicht unerwähnt bleiben. Es muss erwähnt werden, dass der Film klar in der Tradition des deutschen Problemfilms steht und deshalb die "Message" klar im Vordergrund steht. Da diese durchaus ernst ist und ein heißes Eisen anpackt, ist das auch berechtigt. Diese Art der filmischen Darstellung ist andererseits eben auch nicht jedermanns Sache, dies muss einfach zugestanden werden, selbst wenn ich den Film sehr schätze. Dass es dabei aber im Hintergrund zu manchen Ungereimtheiten kommt, ist vielleicht auch gerade diesem Fokus geschuldet. So fällt es zum Beispiel auf, dass Claus' Mutter dafür, dass sie eine Französin sein soll, doch erstaunlich wenig französisch rüberkommt. So spricht sie in der ganzen Reihe ein einziges Mal einen kurzen Satz in französischer Sprache, und das noch mit einem erkennbar deutschen Akzent. In den Situationen, wo man es aber eigentlich erwarten dürfte, dass sie durch die Hitze der Emotionen in die Muttersprache zurückfallen müsste, tut sie es nicht. Ein anderes wäre die Tatsache, dass Claus in seinem Deutschabitur eine Arbeit über Büchners "Danton" schreibt, obwohl es an anderer Stelle heißt, er habe einen reinen Lyrikkurs besucht. Dass zudem der ermittelnde Polizeikommissar sowie der ihn begleitende Notarzt Mitte Juli eine Winterjacke tragen, ist auch auffällig.
Diese Schwächen tun dem Film keinen Abbruch, sollten aber der Vollständigkeit halber erwähnt werden.