John Maynard (Fontane) | BALLADEN.net

John Maynard

eine Ballade von Theodor Fontane
  1. John Maynard!
  2. „Wer ist John Maynard?“
  3. „John Maynard war unser Steuermann,
  4. Aushielt er bis er das Ufer gewann,
  5. Er starb für uns, er trägt die Kron’,
  6. Er hat uns gerettet, die Liebe sein Lohn.
  7. John Maynard.“
  8. ***

  9. Die „Schwalbe“ fliegt über den Erie-See,
  10. Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee,
  11. Von Detroit fliegt sie nach Buffalo –
  12. Alle Herzen aber sind frei und froh,
  13. Und die Passagiere, mit Kindern und Frau’n
  14. Im Dämmerlicht schon das Ufer schau’n
  15. Und plaudernd an John Maynard heran
  16. Tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?
  17. Der schaut nach vorn und schaut in die Rund’:
  18. „Noch 30 Minuten … Halbe Stund’.“
  19. Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –
  20. Da klingt’s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
  21. „Feuer“ war es, was da klang,
  22. Ein Qualm aus Kajütt’ und Luke drang,
  23. Ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
  24. Und noch 20 Minuten bis Buffalo.
  25. Und die Passagiere, buntgemengt,
  26. Am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
  27. Am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
  28. Am Steuer aber lagert sich’s dicht,
  29. Und ein Jammern wird laut: „Wo sind wir? wo?“
  30. Und noch 15 Minuten bis Buffalo.
  31. Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
  32. Der Kapitain nach dem Steuer späht,
  33. Er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
  34. Aber durchs Sprachrohr fragt er an:
  35. „Noch da, John Maynard?“
  36. „Ja, Herr. Ich bin.“
  37. „Auf den Strand. In die Brandung.“
  38. „Ich halte drauf hin.“
  39. Und das Schiffsvolk jubelt: „Halt aus. Halloh.“
  40. Und noch 10 Minuten bis Buffalo.
  41. „Noch da, John Maynard?“ Und Antwort schallt’s
  42. Mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt’s.“
  43. Und in die Brandung, was Klippe was Stein,
  44. Jagt er die „Schwalbe“ mitten hinein,
  45. Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
  46. Rettung: der Strand von Buffalo.
  47. ***

  48. Das Schiff geborsten. Das Feuer verschweelt.
  49. Gerettet alle. Nur Einer fehlt!
  50. ***

  51. Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell’n
  52. Himmelan aus Kirchen und Kapell’n,
  53. Ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
  54. Ein Dienst nur, den sie heute hat:
  55. Zehntausend folgen oder mehr
  56. Und kein Aug’ im Zuge, das thränenleer.
  57. Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
  58. Mit Blumen schließen sie das Grab,
  59. Und mit goldner Schrift in den Marmorstein
  60. Schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:
  61. „Hier ruht John Maynard. In Qualm und Brand,
  62. Hielt er das Steuer fest in der Hand,
  63. Er starb für uns, er trägt die Kron’,
  64. Er hat uns gerettet, die Liebe sein Lohn.
  65. John Maynard.“

Hintergrund

John Maynard ist eine der bekanntesten Balladen von Theodor Fontane und der deutschen Literatur. Die Ballade wurde 1886 veröffentlicht und erzählt vom Steuermann John Maynard, der ein Passagierschiff über den Eirie-See bringt, auf dem ein Feuer ausgebrochen ist. Er selbst muss dies mit seinem Leben bezahlen.

Die Ballade bezieht sich auf ein reales Ereignis. In der Nacht vom 9. zum 10. August 1841 geriet ein Raddampfer auf der Fahrt von Buffalo nach Erie in Brand. Das Schiff nahm daraufhin Kurs auf die acht Meilen entfernte Küste, erreichte sie jedoch nicht. Die meisten der über 200 Passagiere ließen bei diesem Unglück ihr Leben.

Die Tragödie fand allerhand Beachtung in der Presse und wurde von mehreren Autoren literarisch verarbeitet. Heute ist vor allem Fontanes Bearbeitung bekannt.
John Maynard von Theodor Fontane wurde von balladen.net heruntergeladen, einem kostenlosen Literaturprojekt von Jonas Geldschläger.

Quelle: https://balladen.net/fontane/john-maynard/