Wie an jedem warmen Frühsommertag im Volkspark Hasenheide in Berlin-Neukölln sind die Wiesen voller Erholungssuchender und spielender Kinder. Duft von Gegrilltem steigt in die Nase. Unter einer Linde steht eine Gruppe von Menschen, die sich Blätter in den Mund stecken. Sie kauen genüsslich. Bei der Gruppe handelt sich um Teilnehmer einer sogenannten Baumsalat-Tour. Ihre Mission: Blätter sammeln für Salat, der am Ende gemeinsam verspeist werden soll.
„Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, Linde zu essen“, sagt Teilnehmer Marcel Severith, 30. „Ihr müsst die jungen Blätter pflücken“, verlangt Kursleiterin Madeleine Zahn. Je älter die Blätter seien, desto härter und weniger schmackhaft würden sie, erläutert die 39-Jährige. Die Tour ist daher eine saisonale Angelegenheit: Erntezeit ist nur von Mitte April bis Ende Mai, höchstens noch Anfang Juni. Vergleichbare Sammeltouren sind bundesweit äußerst rar – wenn, dann gibt es sie auf dem Land. Ums Bäumeessen geht es ansonsten eher in Online-Foren für Outdoor-Fans.
„Das ist eine verschüttete Tradition, die neu auflebt“, sagt der Trendforscher Peter Wippermann. Es gehe vielen Menschen heutzutage darum, ihren Körper möglichst leistungsfähig zu halten – mit der Kraft der Natur. „Das Neue ist die ideologische Kraft, die dahintersteht. Es gibt einen Erweckungsgedanken“, sagt Wippermann.
Hunde urinieren auf Blätter in Fußhöhe
Der Hype um Naturprodukte aus dem Park und von der Wiese sieht er als Teil der Steinzeiternährung, der sogenannten Paleo-Diät. Anhänger ernähren sich von Produkten, die es schon in der Steinzeit gab: Wild, Gemüse, Kräuter und Pilze zum Beispiel. Nicht etwa Joghurt oder Brot.
Doch nicht alles, was man im Park pflücken kann, ist unbedenklich. Auch das lernen die Städter auf der „Baumsalat-Tour“. Vorsicht sei bei in Fußhöhe Gepflücktem geboten, wo sich Hunde erleichtern können, warnt Zahn. Sie hat Naturschutz und Landschaftsnutzung studiert und sich viel Wissen über Blätter und Blüten angelesen.
Auch direkt neben vielbefahrenen Straßen rät sie vom Pflücken ab: Sonst machen sich womöglich erhöhte Abgaswerte und Feinstaub in der Salatschüssel bemerkbar. Sie legt zudem einen Stopp bei einer Eibe ein: Dieser Baum sei hochgiftig, warnt sie.
Die Tour unter dem Motto „Die Stadt ist dein Garten“ bietet Zahn auf der Internetplattform „Mundraub.org“ an. Das ist vorrangig eine digitale Karte, auf der Naturfreunde seit gut sechs Jahren Standorte von Obst- oder Nussbäumen eintragen und so das Sammeln für andere erleichtern können. Privatgärten sind allerdings tabu.
Auch Pflanzen können Krebs auslösen
„Ich habe eine Fructose-Allergie und wollte es mal mit Blättern probieren“, sagt Marcel Severith neben einem Strauch Kornelkirsche. Andere Teilnehmer sind schon länger auf Naturtouren unterwegs: „Ich mache öfter solche Führungen, um die unterschiedlichen Pflanzen kennenzulernen“, sagt die 50-jährige Annette Pröhl.
„Die meisten Rosen sind essbar“, erklärt Zahn neben einer Hundsrose. Gemeint sind Blütenblätter. Weiter geht es zur Robinie, deren Samen und Rinde giftig sind. Die Blüte aber sei essbar, meint die Kursleiterin. Neben den Blättern vieler Strauchgewächse und Laubbäume könne man sich auch an den allermeisten Nadelbäumen bedienen. Damit am Ende nicht doch die hochgiftige Eibe im Salat landet, empfiehlt sie ein Bestimmungsbuch, um giftige Pflanzen ganz sicher auszuschließen.
Vorsicht scheint also auf jeden Fall geboten. „Nicht alles, was grün ist, ist gesund“, sagt Jürgen Thier-Kundke, Sprecher des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). „Über die Wirkung von Blättern und Tannennadeln ist nichts bekannt. Das hat noch nie jemand untersucht.“ Bekannt ist aber, dass auch bestimmte Kräuter krebserregende Stoffe enthalten.