Vernetzte Sicherheit in der Sahel-Region: Wie kann es weitergehen? | BMZ

19. März 2024 Vernetzte Sicherheit in der Sahel-Region: Wie kann es weitergehen?

Rede von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Lieber Martin,
lieber Boris,
liebe Mitglieder des Bundestags,
sehr geehrte Damen und Herren,

vor zwei Wochen war ich erneut in Westafrika, in Burkina Faso und in Benin. Das war kurz nachdem im Norden von Burkina Faso bei Angriffen auf Sicherheitskräfte, Moscheen und Kirchen mehr als 170 Menschen getötet wurden. Wieder einmal.

Denn die Sicherheitslage im Sahel spitzt sich weiter zu. Es herrschen Armut und Hunger, Konflikte sind an der Tagesordnung. Der Klimawandel trifft die Menschen besonders hart, sie haben mit Dürren und Wasserknappheit zu kämpfen, es mangelt an Perspektiven. Hinzu kommt der sich ausbreitende Terrorismus.

Und zwar nicht nur in Mali, Niger, Tschad und Burkina Faso, in denen Militärregierungen an der Macht sind. Sondern vermehrt auch in den Grenzregionen zu den umliegenden Staaten.

In Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou ist der Terrorismus – noch – nicht angekommen. Dafür ist dort Russland sehr präsent, in Form von russischen Flaggen an Straßen, Brücken und Gebäuden. In Form von großen Plakaten mit Putin an öffentlichen Orten. Und in meinen Gesprächen mit den Menschen, mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, mit staatlichen Vertreterinnen und Vertretern.

Der Außenminister der Putschregierung in Burkina Faso, Karamoko Jean Marie Traoré, hat seine Sicht auf Russlands Engagement bei meinem Besuch so ausgedrückt: „Es geht um Angebot und Nachfrage. Darum, was zueinander passt.“

Dass die Kern-Sahelländer inzwischen in Russland den passenderen Partner sehen, ist nichts Neues. Und auch dass Russland entstehende Lücken sofort füllt, ist bekannt.

Angesichts dieser Tatsachen müssen wir als Deutschland, als EU, mit den Sahelländern klären, wie unsere Zusammenarbeit weitergehen kann.

Und unsere Interessen benennen, warum wir uns dort weiter engagieren sollten.

Ich möchte mit dem Warum anfangen.

Eigentlich müsste es reichen zu sagen, dass das ein Gebot der Menschlichkeit ist. In einer der ärmsten Regionen der Welt, wo ein viel zu großer Teil der Menschen hungert, wo Kinder nicht in die Schule gehen können, wo es kaum Perspektiven für die vielen jungen Menschen gibt, muss die Weltgemeinschaft unterstützen. Oder, wie wir es als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, sagen: Da müssen wir solidarisch sein und gegen diese Ungleichheiten in den Gesellschaften kämpfen. Und auch gegen die Ungleichheit zwischen den Ländern – der Kampf für Gerechtigkeit ist etwas, das die Sozialdemokratie von je her antreibt.

Aber die öffentlichen Debatten zeigen, dass dieses Argument nicht reicht. Auch für diejenigen, die diese Perspektive nicht teilen und die sich fragen, was nutzt uns das denn in Deutschland, gibt es gute Argumente.

Erstens: Deutschland hat ein Interesse an einem stabilen Nachbarkontinent.

Wir brauchen verlässliche Partnerschaften in der Welt, weil Deutschland jeden zweiten Euro mit dem Export verdient.

Weil wir auf alternative Energiequellen angewiesen sind, um hier in Deutschland die Energiewende zu schaffen.

Weil wir stabile Lieferketten benötigen, für unseren morgendlichen Kaffee genauso wie für die Produktion von Elektroautos.

Deshalb ist es wichtig, dass sich Krisen nicht weiter ausbreiten. Dass verhindert wird, dass weitere Regionen destabilisiert werden und Menschen wegen Hunger, Armut und Terror ihre Heimat verlassen müssen. So wie es derzeit im Sahel der Fall ist.

Zweitens: Wir in Deutschland haben ein Interesse daran, relevante Player im internationalen Gefüge zu bleiben. Nur wenn wir geopolitische Bedeutung behalten, können wir uns für unsere Werte und Interessen einsetzen und antidemokratischen Tendenzen etwas entgegensetzen. Insbesondere im Sahel dürfen wir Russland aus strategischen Gründen nicht das Feld überlassen. Denn die Region ist Drehkreuz für Migrantinnen und Migranten und energiepolitisch wichtig. Wir müssen verhindern, dass Russland Europa – durch seinen Einfluss im Sahel – unter Druck setzen kann, indem es Menschen auf der Flucht als Waffe einsetzt oder Energielieferungen aus Afrika kontrolliert.

Wie kann das gelingen? Wie kann deutsches, wie internationales Engagement im Sahel weitergehen, nachdem sich immer mehr Militärregierungen an die Macht geputscht haben?

Als Entwicklungsministerin sehe ich drei Kernelemente für wirksames Engagement, die so auch aus der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung hervorgehen: menschliche Sicherheit, mehr Kooperation und eine neue Haltung.

Sicherheit bedeutet mehr als die Abwesenheit von Gefahr oder die körperliche Unversehrtheit. Sicherheit bedeutet, die Möglichkeit zu haben, ein selbstbestimmtes und gutes Leben zu führen. Ein Leben ohne Hunger, ohne Armut. Ein Leben in einer sozial gerechten Gesellschaft, die demokratisch verfasst ist. Ein Leben mit gleichen Rechten und Chancen für Frauen und Männer. Ein Leben in Gesellschaften, die offen sind für unterschiedliche Lebensentwürfe. Das bedeutet menschliche Sicherheit.

Menschliche Sicherheit ist eine Voraussetzung dafür, dass Krisen und Konflikte gar nicht erst entstehen oder dass sie abgemildert werden.

Ich will Ihnen ein Beispiel dafür nennen: Ich war sehr beeindruckt von Edit Konat. Sie ist eine junge Landwirtin, die ich vor zwei Wochen in Burkina Faso getroffen habe. Sie nimmt dort an einer Fortbildung zu klimaresistenten Anbaumethoden teil, um ihre Gemüseproduktion zu verbessern. Damit trotzt sie der Perspektivlosigkeit, die Terrorismus nährt, und sie bekämpft den Hunger. Denn indem sie ihre Ernten optimiert, ohne die Böden auszulaugen, sichert sie nicht nur die Versorgung ihrer Familie, sondern kann zusätzliche Gewinne erwirtschaften und Arbeitsplätze schaffen.

Projekte wie diese kurbeln die Landwirtschaft an und tragen direkt zur Ernährungssicherheit bei. Gleichzeitig sorgen die daraus entstehenden, zusätzlichen Einnahmequellen für die Familien dafür, dass sich die Erfolgschancen von Terroristen verringern, neue Anhänger zu rekrutieren. Denn wer sich dort Terrorgruppen anschließt, tut das meist nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil es häufig für Familien und ganze Dörfer die einzige Einnahmequelle ist.

Natürlich lässt sich Terror nicht mit Gemüseanbau bekämpfen. Natürlich sorgt Entwicklungspolitik nicht allein für Sicherheit. Aber: Es geht nicht ohne sie. Die Menschen brauchen ein Einkommen, sie brauchen eine Perspektive. Menschliche und militärische Sicherheit gehören zusammen. Sie sind zwei Seiten einer Medaille.

Der Verteidigungsminister und ich arbeiten daher sehr eng zusammen.

Den Konflikten im Sahel kann nur wirksam begegnet werden, wenn grenzüberschreitend zusammengearbeitet wird. Denn der Terrorismus macht nicht an Grenzen halt. Es gilt, ein Übergreifen der Konflikte aus den Sahel-Ländern auf die westafrikanischen Küstenstaaten zu vermeiden, sogenannte Spillover-Effekte zu verhindern.

Dafür setze ich mich auch als Präsidentin der Sahel-Allianz ein, einem Geberzusammenschluss bestehend aus 12 Ländern und sechs internationalen Organisationen, die insgesamt ein Portfolio von 28 Milliarden im Sahel haben. Ich treibe dort eine enge Abstimmung der vielseitigen Unterstützung voran, damit so mehr Wirkung erzielt werden kann. Und damit wir als internationale Partnerinnen und Partner mit einer Stimme sprechen und so ein sichtbares Gegengewicht zu Russland bieten können.

Die Aufgabe ist jetzt: Wir passen unsere Arbeit in der Region laufend an den politischen Kontext an. Dazu arbeiten wir auf kommunaler Ebene, mit zivilgesellschaftlichen Gruppen, mit UN-Organisationen zusammen. Nur mit mehr Zusammenarbeit, nicht mit weniger, kann verhindert werden, dass sich Kriege und Krisen weiter ausbreiten.

Dazu müssen Deutschland und die EU Angebote machen, von denen beide Seiten langfristig profitieren und die keine neuen Abhängigkeiten schaffen.

Um mitgestalten zu können, müssen wir die besseren Partner sein. Hier kommt es auch auf unsere Haltung an, denn unserer Partnerinnen und Partner haben das besserwisserische, koloniale Gehabe westlicher Staaten satt.

Gefragt ist deutlich weniger Zeigefinger und mehr ausgestreckte Hand.

Gefragt ist eine Beziehung, die sowohl die Interessen und Bedürfnisse der Partnerländer als auch unsere Interessen und Werte berücksichtigt. In der wir einen Dialog darüber führen, und das auch offen machen.

Dafür brauchen wir eine ehrliche Kommunikation. Gerade im Sahel, wo sich die drei Länder Burkina Faso, Mali und Niger immer mehr von westlichen Kooperationen entfernen. Ihre Entscheidungen, wie etwa ihren Austritt aus den regionalen Verbünden ECOWAS und G5, müssen wir akzeptieren und mit ihnen umgehen. Zu einer offenen Kommunikation gehört auch ein Perspektivwechsel.

Bei meiner Reise nach Burkina Faso habe ich mich deshalb mit Vertretern der Militärregierung getroffen. Ich finde es wichtig, Gesprächskanäle offen zu halten, zuzuhören, im Dialog zu bleiben. Auch das ist Entwicklungspolitik.

Meine Damen und Herren,

im Sahel zeigt sich ganz deutlich: Entwicklungspolitik ist nachhaltige Sicherheitspolitik. Und es ist deshalb auch ganz zentral für uns hier in Deutschland und in Europa, dass wir in diesen Bereich investieren.

Vielen Dank.