FormalPara Sprache

deutsch

FormalPara Hauptgattung

Sachliteratur

FormalPara Untergattung

Philosophie

Das Motiv für die Themenwahl dieser als Habilitationsschrift entstandenen und 1962 erschienenen Studie lässt sich lebensgeschichtlich erklären: Habermas wuchs in der Zeit des Nationalsozialismus auf und ist – wie er selbst sagt – als „hoffentlich nicht allzu negatives Produkt der ‚reeducation‘“ davon überzeugt, „daß der bürgerliche Verfassungsstaat [...] eine historische Errungenschaft ist“. Dennoch habe es ihn irritiert, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft einerseits das durch die Aufklärung Erreichte in der Verfassung garantiere, andererseits aber ein kapitalistisches System mit all seinen Fehlern und Schwächen darstelle. Er habe das Buch Strukturwandel der Öffentlichkeit geschrieben, um sich selbst Klarheit über die Schattenseiten und Fehler unseres politischen Systems zu verschaffen, dessen Vorzüge er aber nicht bezweifle. Sein Lehrer Theodor W. Adorno, der Habermas zur kritischen Gesellschaftsanalyse inspirierte, lehnte die Studie als Habilitationsschrift ab. Wolfgang Abendroth aus Marburg, dem die Publikation „in Dankbarkeit“ gewidmet ist, nahm sie an.

Im Mittelpunkt der analytischen Betrachtung steht der Begriff der ‚Öffentlichkeit‘, der nach Habermas für den bürgerlichen Verfassungsstaat so zentral ist, dass sich an ihm der strukturelle Wandel der Gesellschaft explizieren lässt. Im Anschluss an Kant unterscheidet Habermas öffentliche und private Meinung. Private Meinung zu gesellschaftlichen Fragen habe es in der Geschichte immer gegeben, öffentlich werde sie erst dann, wenn es ein räsonierendes Publikum gebe. Diese Art der Öffentlichkeit habe sich gegen die Arkanpolitik der Monarchen durchgesetzt. Sie sollte die demokratische Kontrolle der Staatstätigkeit garantieren. Erst in dem Moment, in dem die Ausübung politischer Herrschaft der demokratischen Öffentlichkeitskontrolle unterstellt werde, gewinne sie auf dem Weg über die gesetzgebenden Körperschaften einen institutionalisierten Einfluss auf die Regierung. Habermas zeichnet die historische Entwicklung der Öffentlichkeit ausführlich nach: Sie begann um die Mitte des 17. Jh.s in England mit der Gründung der Kaffeehäuser. Gegenstände des Räsonnements waren zunächst Kunst und Literatur, bald aber erweiterten sich die Gespräche um ökonomische und politische Inhalte. In Frankreich bildeten sich zur gleichen Zeit die ‚Salons der Damen von Welt‘: „Der Salon hielt gleichsam das Monopol der Erstveröffentlichung: ein neues Opus, auch das musikalische, hatte sich zunächst vor diesem Forum zu legitimieren.“

In Deutschland entstanden in dieser Zeit die gelehrten Tischgesellschaften, die aber weniger wirksam und verbreitet waren als Kaffeehaus und Salon. Diese Kreise waren die Kristallisationspunkte der Öffentlichkeit, in der eine auf Vernunft basierende öffentliche Meinung entstand. In der Öffentlichkeit setzte sich das bessere Argument durch. Die Öffentlichkeit wurde zum „Organisationsprinzip des bürgerlichen Rechtsstaates mit parlamentarischer Regierungsform“. Auch die im Parlament unterlegene Minderheit konnte sich erneut an die Öffentlichkeit wenden. Auf diese Weise seien – ganz im Sinne Kants – gerechte Gesetze zustande gekommen. Der Prüfstein für gerechte Gesetze war für Kant die prinzipielle Zustimmung durch das ganze Volk. Im Laufe der Zeit wurde das Öffentlichkeitsprinzip auf Parlamentsverhandlungen und Gerichtsverfahren ausgedehnt. Allein die Verwaltung stand dem Gebot der öffentlichen Diskussion ihres Handelns ablehnend gegenüber. Hier befindet sich nach Habermas der Kristallisationspunkt für den Strukturwandel der Öffentlichkeit.

Aufgrund der Eigentumsverhältnisse im Kapitalismus gibt es – so Habermas – unterschiedliche Interessen, die die jeweils betroffene Seite politisch durchzusetzen trachtet. Die aus der Privatsphäre stammenden Interessenkonflikte können nicht mehr in der Privatsphäre ausgetragen werden, sondern nur mit Hilfe des Staatsinterventionismus. Auf diese Weise findet eine Verschränkung von öffentlicher und privater Sphäre statt. Die Öffentlichkeit wird zu einem Feld der Interessenkonkurrenz. Öffentlich werden Kompromisse zwischen den streitenden Privatparteien geschlossen. Das Publikum wird von der Aufgabe, kritische Öffentlichkeit zu repräsentieren, „durch andere Institutionen weitgehend entlastet: einerseits durch Verbände, in denen sich die kollektiv organisierten Privatinteressen unmittelbar politische Gestalt zu geben suchen; andererseits durch Parteien, die sich, mit Organen der öffentlichen Gewalt zusammengewachsen, gleichsam ‚über‘ der Öffentlichkeit etablieren, deren Instrumente sie einst waren“.

Der Prozess des politisch relevanten Machtvollzugs und Machtausgleichs spielt sich direkt zwischen den privaten Verwaltungen, den Verbänden, den Parteien und der öffentlichen Verwaltung ab; das Publikum als solches wird in diesen Kreislauf der Macht sporadisch und auch dann nur zu Zwecken der Akklamation einbezogen.« Öffentliche Instanz wird mehr und mehr die Verwaltung, die sich schon zu Beginn der Entwicklung gegen das Publizitätsprinzip erfolgreich wehrte. Die Entscheidungen der Exekutive stehen unter dem Vorwand des Sachverstandes und sind für den Bürger nicht durchschaubar und nicht kritisierbar. Kritik kann – fährt Habermas fort – im Übrigen mit dem Argument der Unsachlichkeit zurückgewiesen werden. So kehrt die Exekutive unter dem Deckmantel einer Öffentlichkeit, die zur bloßen Publicity degeneriert ist, zur Arkanpolitik zurück. Kritische Öffentlichkeit kann nach der Veränderung im Pressewesen auch nicht mehr durch Zeitungen gewährleistet werden. Sie ist unter den Einfluss des Anzeigengeschäftes geraten, und die Presseagenturen sind staatlich geworden.

Habermas kommt zu dem Schluss, dass sich Öffentlichkeit im Sinne der Aufklärung auf die tatsächlichen Verhältnisse von industriell fortgeschrittenen Massendemokratien zwar nicht mehr anwenden lasse, das Modell selbst, als normativer Anspruch gesehen, dennoch lehrreich sei. Heute sei es „nur noch zu verwirklichen als eine Rationalisierung der sozialen und politischen Machtausübung unter der wechselseitigen Kontrolle rivalisierender, in ihrem inneren Aufbau ebenso wie im Verkehr mit dem Staat und untereinander auf Öffentlichkeit festgelegten Organisationen“ (Kultur und Kritik, 1973).

Die Schrift fand nicht nur in akademischen Kreisen Resonanz, sondern auch bei politisch engagierten und in Parteien organisierten jungen Leuten, die in den 1960er Jahren zur Gesellschaft eine kritische Einstellung fanden. Diese gewandelte Einstellung äußerte sich später u. a. im studentischen Protest.