Ein so riesiger wie gefräßiger Haifisch terrorisiert den Badeort Amity an der US-Ostküste. Nachdem mehrere menschliche Todesopfer zu beklagen sind, muss ausgerechnet der wasserscheue Polizeichef Brody mit dem Wissenschaftler Hooper und dem Haijäger Quint auf dessen Boot in See stechen, um den Hai zu erlegen. Doch der Raubfisch erweist sich als ebenbürtiger Gegner.
Mit diesem vergleichsweise simplen, aber spannungsreichen Plot gelang dem Schriftsteller Peter Benchley im Jahr 1974 ein Bestseller. Noch vor Veröffentlichung des Buchs erkannten Hollywood-Produzenten dessen Potenzial für eine Verfilmung und lieferten sich einen Bieterwettstreit. Das Duo Richard D. Zanuck und David Brown sicherte am 1. Mai 1973 die Rechte für Universal Pictures.
Doch in die Freude über den Zuschlag mischte sich bald Sorge. Denn die Umsetzung des Stoffs vom Papier auf die Leinwand würde alles andere als einfach sein. Schließlich musste man einen Weg finden, die Angriffe des großen Weißen Hais überzeugend zu inszenieren, ohne dabei Menschenleben zu gefährden. Außerdem spielten etliche Szenen auf hoher See, und um dies authentisch darzustellen, sollte tatsächlich im Meer gedreht werden, anstatt zu versuchen, diese Aufnahmen im Studio nachzustellen. Beides sollte sich als sehr viel schwieriger erweisen als ohnehin befürchtet.
Als Regisseur wurde Steven Spielberg engagiert, der damals noch kein weltbekannter Star war, sondern ein erst 26 Jahre alter Newcomer. Unter anderem mit dem TV-Thriller „Duell“ (1971) hatte er allerdings bereits sein außerordentliches Talent und Können unter Beweis gestellt und den Spitznamen „Regie-Wunderkind“ weg.
In „Duell“ ging es um einen immer weiter eskalierenden Kampf eines ganz normalen Autofahrers mit einem monsterartigen Lkw, der ihn immer wieder ohne wirklichen Grund auf dem Highway angriff. „Der weiße Hai“ sollte nun so etwas wie eine inoffizielle Fortsetzung von „Duell“ werden – der Kampf von Monster gegen Mann, nur diesmal auf dem Meer statt auf der Autobahn. Für die Rolle des Brody wurde Roy Scheider verpflichtet, Richard Dreyfuss spielte Hooper, Robert Shaw gab den verschrobenen Seebären Quint.
Alles startete vergleichsweise harmlos und nach Plan im Frühjahr 1974. Eine Second-Unit-Crew machte einige Aufnahmen von echten Weißen Haien, um diese später an einigen Stellen in den Film zu schneiden. Ab Mai begann Spielberg auf Martha‘s Vineyard mit den Szenen, die an Land spielten. Diese drehte er ohne größere Probleme ab. Aber dann wechselte die Crew aufs Meer – und der Alptraum begann.
Da waren die Enge auf dem schwankenden Boot, häufige Wetterwechsel und andere Widrigkeiten, welche die Laune der oft durchnässten Beteiligten schnell auf den Nullpunkt trieben und die tägliche Ausbeute an brauchbarem Filmmaterial (das sich bisweilen als ruiniert erwies, wenn die Kamera mal wieder Salzwasser abbekommen hatte) schrumpfen ließen. Tauchte etwa ein anderes Schiff am Horizont auf und war im Bild zu sehen, musste man das eigene Boot drehen, die Kameras neu ausrichten, oder ungeduldig abwarten, bis der Störenfried verschwunden war. Denn die drei Protagonisten sollten laut Drehbuch ja einsam und allein auf hoher See gegen den Fisch kämpfen.
Anders als heute konnte man störende Objekte oder einen mal wolkigen, mal sonnigen Himmel nicht einfach später aus den Aufnahmen heraus-photoshoppen. Oft setzte nach stundenlanger frustrierender Warterei schon wieder die Dämmerung ein und der Tag war gelaufen. Einige Crew-Mitglieder stellten die Autorität des 26-jährigen Spielbergs infrage, taten ihn als „Milchgesicht“ ab und wollten sich von ihm nichts sagen lassen. Oft konnte er sich nur mit Mühe mit seinen Vorstellungen durchsetzen. Alle waren halb im Streit, halb seekrank. Keine gute Kombination.
Ein weiterer großer Störenfried war die riesige mechanische Hai-Attrappe mit dem Spitznamen „Bruce“. Die Apparatur sah zwar beeindruckend aus, wenn sie funktionierte, sich aus dem Meer erhob und das Maul bedrohlich aufriss. Das Problem war aber, dass Bruce eben nur ganz selten und mit enormem Wartungsaufwand funktionierte.
Seine Bauweise und Mechanik waren anfällig und vertrugen sich nicht mit dem salzigen Meerwasser; ständig gab es zeitraubende Reparaturarbeiten, die den Frust-Level aller Beteiligten weiter anfachten. Bis man endlich alles im Kasten hatte, waren 159 Drehtage vergangen statt der ursprünglich avisierten 55. Und das Budget hatte sich mehr als verdoppelt.
Doch am Ende waren es paradoxerweise auch die beschwerlichen Umstände der Dreharbeiten, die den Film zum Meisterwerk werden ließen. Gerade weil es nicht machbar war, den Hai ausgiebig und in allen Einzelheiten zu zeigen, gerade weil die technischen Möglichkeiten so beschränkt waren, musste Spielberg kreative und originelle Lösungen finden, um dessen Präsenz zu signalisieren und Spannung zu erzeugen.
So sieht man im Film oftmals, was der Hai anrichtet – doch nicht ihn selbst. Etwa, als Angler zu Beginn mit einem großen Köder versuchen, den Fisch aus dem Meer zu ziehen. Der Hai beißt an, zieht die am Bootssteg befestigte Kette mit der Fleischbeute ins Meer. Doch das Tier ist so stark, dass es ein großes Stück des Bootsstegs einfach wegreißt und die Holzplanken an der Kette hinter sich her ins Meer zieht.
Dann wenden die Steg-Trümmer, halten auf einen der Angler zu, der ins Wasser gefallen ist, die Musik schwillt an – eine äußerst spannungsgeladene Szene. Obwohl man nur die Holzteile im Wasser sieht und der Hai in der Tiefe unsichtbar bleibt, genauer gesagt: gerade deswegen brillant. Denn was man nicht sehen kann, ist oft viel gruseliger als das, was gezeigt wird.
Überaus geschickt spielte Spielberg mit den Urängsten des Publikums, der Angst in der Dunkelheit, der Furcht vor der Tiefe und was in ihr lauert. Das ließ den Film im Rückblick viel effektiver werden, als er gewesen wäre, hätte Spielberg ständig mit der Kamera auf den Hai draufhalten können.
Die wenigen Sequenzen, in denen das Monster tatsächlich ins Bild kam, waren dadurch ein umso größeres Ereignis. Im Vergleich zu heutigen, mit Computeranimationen überfrachteten Produktionen, an deren inflationär eingesetzten Effekten man sich schnell sattsieht und die auch häufig eher künstlich wirken, kann „Der weiße Hai“ mühelos als überlegener Klassiker bestehen.
Neben den Leistungen der Schauspieler war es vor allem John Williams‘ kongeniale Musik (für die er mit einem Oscar ausgezeichnet wurde), die entscheidend dazu beitrug. Sein düsteres Hai-Thema, basierend auf nur drei Noten, war ein perfekter Spannungs-Steigerer. Ebenso der Schnitt von Cutterin Verna Fields, die dafür ebenfalls mit dem Oscar prämiert wurde.
An den Kinokassen wurde „Der weiße Hai“ 1975 weltweit ein riesiger Hit, wozu auch eine Marketingkampagne beitrug, mit deren Umfang die Produktionsfirma Universal neue Maßstäbe setzte. Der Film gilt als der Prototyp der modernen Hollywood-Blockbuster – von denen Steven Spielberg neben seinen Regiearbeiten in anderen Genres mit Klassikern wie „E.T.“, „Indiana Jones“ und „Jurassic Park“ noch etliche weitere inszenieren sollte.