F�r den zehnten „Spreewaldkrimi“ hat sich Autor Thomas Kirchner etwas ganz Besonderes ausgedacht. Ein Anschlag auf Kr�ger verbannt den Kommissar in eine Zwischenwelt. Mit einem Toten geistert er durch den Spreewald – und versucht, sich zu erinnern an seinen letzten Fall, den er bereits zu Ende ermittelt hatte. Mehr denn je erweckt die Struktur dieser Jubil�umsepisode den Eindruck eines Puzzles, ger�t die Form zum Erkenntnisinstrument. Die subjektiven Zug�nge zur Geschichte sind in „Zwischen Tod und Leben“ (ZDF / Aspekt Telefilm) vielf�ltiger, wieder komplexer als in den letzten „Spreewaldkrimis“, komplizierter wahrzunehmen und schwerer zu verstehen sind sie aber nicht. Mehr als nur ein Gag: Einige Darsteller aus den fr�heren Filmen der Reihe haben Kurzauftritte. Die Bildgestaltung und der lautmalende Score sind phantastisch. Falls die Erinnerung nicht tr�gt, ist Wessels dritter Beitrag zu der Reihe, was Dramaturgie & �sthetik angeht, das bisherige Meisterst�ck.
Foto: ZDF / Hardy SpitzWeil Kommissar Kr�ger (Christian Redl) bei inoffiziellen Ermittlungen offenbar zu viel Brisantes herausbekommen hat, geht sein Wohnwagen in Flammen auf. Kollege Fichte (Thorsten Merten) kann ihn retten – und nimmt eigene Ermittlungen auf.
„Ich kenn’ Sie.“ Kommissar Kr�ger (Christian Redl) hat Orientierungsprobleme. Der Mann, mit dem er da auf einem Kahn durch den Spreewald gleitet, ist Hellstein (Kai Scheve). Aber der hat sich doch das Leben genommen. „Wenn Sie tot sind, was bin ich dann?“ Kr�gers graue Zellen scheinen noch zu funktionieren. Der Kommissar ist Opfer eines Brandanschlags geworden; zuvor wurde er offenbar niedergeschlagen. Dass er jetzt durch die magische Welt zwischen Leben und Tod geistert, hat er Dorfpolizist Fichte (Thorsten Merten) zu verdanken. Der hat ihn aus den Flammen geholt und hat gerettet, was zu retten war. Rechtsmedizinerin Marlene (Claudia Geisler) wacht eisern am Krankenbett des komat�sen Freundes. Hellstein, der von Kr�ger gerufen wurde, �bernimmt die Rolle des F�hrmanns, macht ihm aber auch klar, dass er dieses Zwischenreich verlassen k�nne: „Ihre Entscheidung.“ Noch hat der Kommissar keine Eile. Er will sich erinnern, will aus seinem Unterbewussten das hervorholen, was sich die Tage zuvor ereignet hat. Da waren Hellsteins Sohn Knut (Tom Gramenz) und dessen Freundin Jackie (Jasna Fritzi Bauer), die ihn verzweifelt um Hilfe gebeten haben. Einem Ex-Knacki, der einige Wendeh�lse aus den fr�hen 90er Jahren erpresst hat, wollten sie austricksen und das erpresste Geld vor ihm abgreifen. Die Aktion ging schief, jetzt ist das junge Paar in Gefahr. Weil Kr�ger eine Mitschuld am Selbstmord von Hellstein senior versp�rt, hilft er dessen Sohn – und st��t dabei auf eine Reihe unangenehmer alter Bekannter. Kollege Fichte versucht seinerseits, Kr�gers letzten Alleingang zu rekonstruieren.
Foto: ZDF / Hardy SpitzHellsteins Ausflugslokal, das er selbst abgefackelt hat, um seinem Leben ein Ende zu bereiten, steht noch. Kr�ger beginnt, langsam zu verstehen. Christian Redl & Scheve
F�r den zehnten „Spreewaldkrimi“ hat sich Autor Thomas Kirchner etwas ganz Besonderes ausgedacht. Das Spiel mit den Zeit- und Wahrnehmungsebenen ist seit jeher eines der wesentlichen Alleinstellungsmerkmale der ZDF-Ausnahmereihe, die mit dem Einzelst�ck „Das Geheimnis im Moor“ (2006) begann und sich trotz der Vorbehalte im Sender zu einer bei Kritik wie Publikum gleicherma�en erfolgreichen Qualit�tsmarke entwickelt hat. „Zwischen Tod und Leben“ arbeitet mit mehr als nur jenem dramaturgisch reizvollen Verschachtelungs-Prinzip, das den Zuschauer im Gegensatz zum klassischen Krimi-M�rderraten aktiv beteiligt am Entschl�sseln der Geschichte(n). �ber diese (auch wahrnehmungs-psychologisch interessante) Dynamik hinaus, die die narrative Montage mit sich bringt, erf�hrt das Erz�hlte mit der Fahrt durch das Zwischenreich noch eine Steigerung von Mystik und Magie, die diese Reihe ja ohnehin auszeichnet. Neben dieser surrealen Welt, gibt es noch die beiden „Ermittlungsebenen“, die aktuelle von Fichte und die von Kr�ger, das, woran er sich an der Schwelle zum Totenreich erinnert. Au�erdem gibt es Exkursionen, die dem toten F�hrmann Aufschluss dar�ber geben, was geblieben ist von ihm, wie die Lebenden auf seinen Tod reagiert haben. In Szenen von HellsteinsTrauerfeier & Beisetzung geben sich Hauptdarsteller fr�herer Episoden, Sebastian Blomberg, Anna Loos und Anja Kling ein kurzes, pr�gnantes Stelldichein. Wie weitere Szenen mit R�ckkehrerfiguren, gespielt von Herman Beyer, Christian Grashof und Ulrike Krumbiegel, sind sie aber mehr als nur eine verspielte gegenseitige Hommage der Reihe und seiner gro�artigen Schauspieler; so transportiert zum Beispiel die Friedhofsszene eine psychologische Nuance, die Kr�gers sp�teres Verhalten motiviert.
Foto: ZDF / Hardy SpitzHellsteins Sohn (Tom Gramenz) ist in Schwierigkeiten. Weil Kr�ger (Christian Redl) glaubt, eine Mitschuld an dem Tod dessen Vaters zu haben, hilft er ihm – inoffiziell.
„Allen Spreewaldkrimis gemeinsam sind vielschichtige, verwobene Geschichten, flie�ende Erz�hlweisen und virtuose Spiele mit Zeit- und Wahrnehmungsebenen. Aus heutiger Sicht mag das vielleicht nur noch in der einzigartigen Kombination au�ergew�hnlich sein, vor 13 Jahren aber, als wir den Spreewaldkrimi erfanden, war jedes dieser Merkmale ein krasser Bruch mit den damals vorherrschenden Erz�hlweisen und Sehgewohnheiten.“ (Wolfgang Esser, Produzent)
„Nahtoderfahrung, Wahnzustand, Projektion, Spiegel der Erkenntnis, Jenseits-Erscheinung, M�rchen? Dieser phantasievoll umgesetzte Koma-Zustand Kr�gers ist jedenfalls Klammer und Katalysator der Handlung, die um Wiedergutmachung und Wahrheitsfindung kreist.“ (Pit Rampelt, ZDF-Redakteur)
„In diesem Film wollten wir au�ergew�hnliches zusammenbringen: Historie, augenzwinkernder Humor, ein Spiel mit der Mythologie und Phantasie und einen spannenden Krimi.“ (Kai Wessel, Regisseur & „Spreewaldkrimi“-Experte)
Foto: ZDF / Hardy SpitzAuch die alleinerziehende Jackie (Jasna Fritzi Bauer), Tochter der B�rgermeisterin, hat eine zweite Chance verdient. Hat sie Kr�ger (Redl) alles gesagt, was sie wei�?
Die subjektiven Zug�nge zur Geschichte sind in „Zwischen Tod und Leben“ also vielf�ltiger, sind wieder komplexer als in den letzten „Spreewaldkrimis“, komplizierter wahrzunehmen und schwerer zu verstehen sind sie allerdings nicht. Denn daf�r ist diesmal das Hauptpersonal sehr �berschaubar (Kr�ger, seine Bezugspersonen, der tote Hellstein, sein Sohn, dessen Freundin & einige alte Bekannte), und die Situationen sind klar und markant, h�ufig existentiell und fast universell: Da ist der Mordanschlag auf den Kommissar, die Nahtoderfahrung, dargestellt als komat�ses Zwischenreich, ein Toter im Flie�, eine Verfolgungsjagd durch die Pampa, eine Beerdigung, Erpressung, Bedrohung, ein Besuch im Seniorenheim, zwei alte Haudegen beim politischen Plausch, ein Mann im Todeskampf... Die Situationen bekommen durch die Ausschnitthaftigkeit der Erz�hlung – das Nebens�chliche wird „weggeschnitten“ – eine Aura des Essenziellen, sie bekommen fast etwas Abstraktes, Allgemeing�ltiges. Und mehr denn je erweckt die Struktur dieses zehnten „Spreewaldkrimis“ den Eindruck eines Puzzles. Die assoziativ zeitlich versetzten Szenen, die mitunter aus verschiedenen Blickwinkeln wiederholt werden, ergeben nach und nach ein Gesamtbild inklusive einer sich immer klarer abzeichnenden Chronologie der dramatischen Ereignisse. Nicht ohne Grund war der Arbeitstitel des Films: „Die Summe der Teile“. Es sind Wow-Effekt, wenn beim Sehen immer wieder diese kleinen Knoten platzen. Dieses pl�tzliche „Erkennen“ der Struktur ist nicht weniger aufregend als die kriminalistische Aufl�sung. Und auf der Zielgeraden zieht dann die Spannung noch mal richtig an: Kr�ger hat sich an den M�rder erinnert; es fragt sich nur, ob er schnell genug aus dem Koma erwacht, um einem erneuten Mordanschlag entgehen zu k�nnen. Dass der Kommissar es in letzter Sekunde schafft, darf schon verraten werden, schlie�lich wird die Reihe ja – mit Christian Redl – weitergehen. Fragt sich, wie. Die Schlusspointe (und nicht nur die) zielt jedenfalls �berraschend & ungewohnt ins Komische.�
Der Anschlag auf Kr�ger und sein komat�ser Zustand sind zu viel f�r Marlene (Claudia Geisler), die selbst gesundheitliche Probleme hat. Thorsten MertenTRAILER zum zehnten "Spreewaldkrimi – Zwischen Tod und Leben" (2017)
Der Anschlag auf Kr�ger und sein komat�ser Zustand sind zu viel f�r Marlene (Claudia Geisler), die selbst gesundheitliche Probleme hat. Thorsten Merten
Dieser Artikel stammt von http://www.tittelbach.tv/programm/reihe/artikel-4769.html
Auch ein bisschen gesellschaftspolitische Kritik hat Autor Kirchner der Geschichte geschickt beigemengt. Die unmoralischen Machenschaften der Nachwendezeit – Stichwort: Stromdeal 1990, mit dem sich westdeutsche Energiekonzerne den Osten unter den Nagel gerissen haben – werfen moralische Schatten auf den dieses Mal sommerlich sonnigen Spreewald. „Wenn wir’s nicht gekauft h�tten, h�tten es andere gekauft“ – Wessi Kr�ger h�rt sich das alles altersmilde an und denkt sich seinen Teil. Die gewiss radikalere Meinung von Ossi Fichte zu den privatisierten Gewinnen und vergesellschafteten Kosten wird dem Zuschauer vorenthalten, denn der ist an Kr�gers inoffizieller Ermittlung nicht beteiligt. Das ist vielleicht auch ganz gut so, dadurch schwingt das politische Thema vergleichsweise leichtf��ig durch diesen „Spreewaldkrimi“ und st��t einem nicht moralinsauer auf. Ohnehin bestimmt das Surreale die Tonalit�t von „Zwischen Tod und Leben“. Damit verbunden ist eine entsprechende filmsprachliche Umsetzung. �sthetisch geh�rt die Reihe ohnehin zum Besten, was das deutsche Fernsehen zu bieten hat. Kai Wessel, der zum dritten Mal die Regie �bernommen hat, ist ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk gelungen. In „Das Geheimnis im Moor“ etablierte er das entschleunigte Landschaftserz�hlen im TV-Krimi, in „M�rderische Hitze“ holte er Sonne und Licht in den Spreewald und zauberte damit zeitweise einen coolen amerikanischen Look. Jetzt kombinieren er und Kameramann Nicolay Gutscher Hell und Dunkel, Licht und Schatten, Tag und Nacht, Sonne und Finsternis – passend zu dieser Geschichte zwischen Leben und Tod. Die K�pfe von Kai Scheve und vor allem von Christian Redl wirken in den Gro�einstellungen wie gemalt auf schwarzem Hintergrund. Und in der Halbtotalen haben die Szenen etwas von einem Theaterst�ck vor schwarzer Wand (erfreulicherweise sind die Texte – anders als oft im Theater – knapp und verst�ndlich!). �berragend auch der kraftvolle, h�ufig lautmalerische Score, zum Teil eingespielt mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg, der stimmungsvoll die Landschaft belebt, nie wohlfeil das Geschehen dramatisiert, sondern Situationen akzentuiert und gelegentlich sogar mit den Charakteren zu kommunizieren scheint. Die Geschichte zu Wessels zweitem „Spreewaldkrimi M�rderische Hitze“ ist zwar ergiebiger; falls die Erinnerung aber nicht tr�gt, ist „Zwischen Tod und Leben“ film�sthetisch & dramaturgisch das Meisterst�ck dieser meisterlichen Reihe.
Foto: ZDF / Hardy SpitzDramaturgisch und vor allem film�stetisch ein Highlight der Reihe: Die Zwischenwelt besticht durch seine kunstvolle Bildgestaltung und seinen lautmalerischen Score.
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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