Martin Kušej im AZ-Interview über München: Sehr speziell | Abendzeitung München

Martin Kušej im AZ-Interview über München: Sehr speziell

Martin Kušej verlässt nach acht Jahren das Residenztheater, im AZ-Interview spricht er über die Schwierigkeit, Theater in München zu machen und rechnet mit einem Kollegen ab. 
| Mathias Hejny
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Martin Kusej im Bühnenbild seiner Inszenierung "Don Karlos", die das Burgtheater vom Residenztheater übernehmen wird.
Reinhard Werner Martin Kusej im Bühnenbild seiner Inszenierung "Don Karlos", die das Burgtheater vom Residenztheater übernehmen wird.

Der Kärntner hatte einst den Ruf eines Theaterberserkers. Aber er hat seit 2011 das Residenztheater skandalfrei geleitet. Martin Kušej ist noch bis zur Abschiedsparty auf dem Marstallplatz am Mittwoch Intendant in München. Er hat seinen Vertrag vorzeitig aufgelöst und folgt einem Ruf des Wiener Burgtheaters. Dort eröffnet er die kommende Saison mit "Die Bakchen" des Euripides, inszeniert von Ulrich Rasche, dessen spektakuläres Maschinentheater in "Die Räuber" und "Elektra" das Resi-Publikum faszinierte.

AZ: Herr Kušej, hatten Sie am Beginn Ihrer Theaterkarriere den Traum, eines Tages Burgtheaterdirektor zu werden?
MARTIN Kušej: Nein. Es ist ein harter und verantwortungsvoller Job. Warum sollte man davon träumen?

Der Mythos Burgtheater lockt nicht?
Doch, es gibt natürlich eine Tradition des Burgtheaters, die mich mit Respekt erfüllt. Aber das ist nicht der Grund, warum ich das schlussendlich angenommen habe. Mich interessiert, dem Theater, dieser Institution als solcher, eine Zukunft zu verschaffen. Diese Institution in Wien ist ja eine Säule der Behauptung, Österreich sei eine Kulturnation. Das ist die Herausforderung: Mittel- und langfristig zu schauen, was wir tun können, um Theater in 30, 40 Jahren weiter gesellschaftlich relevant und unverzichtbar zu machen.

Was muss das Theater tun?
Es gibt drei Fragen, die das Theater beantworten muss: Wo bekommen wir unseren Publikumsnachwuchs her? Dazu müssen wir uns intensiv mit den Schulen, Jugendclubs und Institutionen der Stadt beschäftigen und auch ein Programm für diese Zielgruppe machen. Das haben wir hier in München ganz erfolgreich angefangen.

Die zweite Frage?
Steht das Theater als analoge Kunstform in Konkurrenz zur digitalen Welt und Gesellschaft? Da bin ich old school und behaupte, dass die Qualität des Theaters eben ist, nicht in Konkurrenz mit 3D-Projektionen, Video und all diesen technischen Möglichkeiten zu treten. Der Schauspieler, die Geschichte, die Emotion, das Lebendige auf der Bühne: Dieses Zusammenspiel ist meine klare Antwort. Das dritte Thema ist, dass die Gesellschaft in einer großen Stadt sich nicht ausschließlich über nur eine Sprache definiert, und alle die verschiedenen Ethnien und Sprachen der Stadtbevölkerung sollten sich in einem großen Theater abbilden.

"Furchterregend, abenteuerlich oder einfach bescheuert"

Ihr Kollege Matthias Lilienthal ist einen solchen Weg gegangen. Sind die Münchner Kammerspiele da Vorbild?
Nein. Ich habe einen gewissen Respekt vor dieser Art des Theaters und ich glaube, dass manche Bereiche im postdramatischen oder dekonstruktivistischen Theater sehr interessant sein können, wenn sie gut gemacht sind. Aber so leid es mir tut: Ich habe in vielen Fällen einen Grad an Dilettantismus und Selbstüberschätzung erlebt, der furchterregend, abenteuerlich oder einfach bescheuert war.

Ihre erste Saison vor acht Jahren war mit "Rešistance" überschrieben. Das war einerseits ein Spiel mit "Residenz" und dem Hatschek aus "Kušej", andererseits signalisierten Sie Widerstand. War er erfolgeich und gegen wen oder was richtete er sich?
Wenn man auf die acht Jahre zurückblickt, war das ein politischeres Theater als man es im aktualitätsheischenden Sinn begreifen würde. In einer reichen und sicherheitsorientierten Gesellschaft ist der Feind nicht immer gleich sichtbar. Er ist tatsächlich erst im Lauf der Jahre konkret aufgetaucht: aus der rechten Ecke. Da ist unsere Haltung ganz klar. Mit der Überschrift "Rešistance" hatten wir ein sehr lautes Schlagwort gewählt, uns für die Umsetzung im Spielplan aber für eine feine Weise entschieden. Theater und Kunst sollten auf eine viel komplexere Weise auf die Dinge reagieren und versuchen, die Bedrohungen oder Irritationen, die den Menschen betreffen, zu diskutieren.

Was war Ihr Bestseller?
"Die bitteren Tränen der Petra von Kant". Vor wenigen Tagen war die letzte Vorstellung und es waren um die 120 Vorstellungen. Obwohl es im Marstall lief, der kleinen Nebenspielstätte, zog sich das Stück wie eine wichtige rote Linie durch das Ganze von der ersten bis in die letzte Spielzeit. Ein Bestseller in jedem Bereich: künstlerisch, ästhetisch und bei den Verkaufszahlen. Im großen Haus waren es erwartbar die Klassiker, "Faust", "Die Räuber", "Don Karlos" –, und dann noch dazu "Der nackte Wahnsinn". Das war permanent ausverkauft und wir hätten es noch 100-mal spielen können. Ich erwähne das deshalb gern, weil die gut gemachte Komödie ein wichtiger Bestandteil ist, weil der unterhaltsame Moment im Theater eine wichtige Rolle spielt.

Gibt es umgekehrt Produktionen, die nicht den angemessenen Zuspruch fanden?
Da fällt mir sofort etwas ein, was mich richtig geärgert hat: "In Agonie" von Miroslav Krleža. Das war eine Koproduktion mit den Wiener Festwochen. Wir haben das in Wien fünf Mal vor ausverkauftem Haus gespielt. Es war ein dreiteiliger, sechsstündiger Abend über die Epoche um den Ersten Weltkrieg herum – unzweifelhaft super gespielt, auch eine Herausforderung, ästhetisch interessant und hat hier keine Sau interessiert.

Wie misst man Erfolg?
Wir haben 1,78 Millionen Zuschauer erreicht und zum Ende dieser Spielzeit eine prognostizierte Auslastung von über 82 Prozent. Ein weiterer Parameter für mich ist, jetzt in der Öffentlichkeit viel Zuspruch zu bekommen. Das war in den vorigen Jahren nicht der Fall. Erst jetzt, wenn man weggeht, sprechen einen Leute an, die sagen, dass es schade ist, dass man weggeht. Die Frequenz dieser Gespräche ist enorm gestiegen. Da hat sich in der Stadt doch etwas festgesetzt, woran man acht Jahre lang gearbeitet hat. Das Münchner Publikum ist ein sehr spezielles, das man erst überzeugen muss. Das war auch bei mir so. Die ersten zwei Jahre waren recht herausfordernd.

Publikumslieblinge wie Bibiana Beglau oder Franz Pätzold werden Ihnen nach Wien folgen. Warum nicht auch Ihre Lebensgefährtin Sophie von Kessel?
Sophie von Kessel ist eine wunderbare Schauspielerin, die natürlich nach Wien gepasst hätte. Aber aus familiären Gründen bleibt sie dem Münchner Publikum noch ein wenig erhalten.    
 

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