Simon Verhoeven: „Mein Vater ist nie zu meinen Fußballspielen gekommen“

Simon Verhoeven: „Mein Vater ist nie zu meinen Fußballspielen gekommen“

Und doch hat der Regisseur ihm viel zu verdanken. Ein Gespräch über den FC Bayern, Ernst Lubitsch, Elyas M‘Barek und den brutalen Kino-Stopp.

Renzo (Frederick Lau, vorn) und Milo (Elyas M'Barek) in einer lustigen Tagszene von „Nightlife“
Renzo (Frederick Lau, vorn) und Milo (Elyas M'Barek) in einer lustigen Tagszene von „Nightlife“Warner Bros. Ent.

Berlin-Um einige Monate versetzt, findet am Dienstag in der Astor Filmlounge in Berlin die Verleihung des Ernst-Lubitsch-Preises 2021 statt. Die Auszeichnung geht auf eine Anregung des Regisseurs Billy Wilder zurück und ehrt die beste komödiantische Leistung im deutschen Film. Der Preisträger in diesem Jahr ist der Regisseur Simon Verhoeven, ein Komödienspezialist seit „Männerherzen“ (2009). Geehrt wird er für seinen Film „Nightlife“, der ein paar Tage später auch beim Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wird. Über beides wollen wir sprechen.

Herr Verhoeven, womit wollen wir anfangen, mit dem Ernst-Lubitsch-Preis oder der Lola für den besucherstärksten Film?

Mit der Dokuserie über den FC Bayern, die am 2. November auf Amazon prime startet.

Haben Sie die gemacht?

Ja, und seit heute darf ich darüber sprechen. Wir haben die Mannschaft eine Saison lang begleitet, kamen ihr so nah wie noch nie, auf dem Platz und in der Kabine, in einer turbulenten Zeit. Also, falls Sie fragen wollten, was mein Projekt im vergangenen Jahr war, jetzt wissen Sie es.

Ich bin einigermaßen erschrocken: Sie haben doch lange bei 1860 München Fußball gespielt. Das wäre, wie wenn ein Unioner einen Hertha-Film dreht. Konnten Sie die Bayern überhaupt sympathisch darstellen?

Das war der Running Gag bei den Dreharbeiten: Dir können wir eh nicht trauen. Aber ich komme aus einer Bayern-München-Fanfamilie. Mit drei Jahren war ich zum ersten Mal im Olympiastadion mit meinem Vater. Als ich dann bei 1860 gelandet bin, ist er kein einziges Mal zu einem Spiel gekommen. Und es ging ja nicht darum, die Bayern sympathisch darzustellen, aber wir zeigen sie menschlich – was am Ende vielleicht doch sympathisch ist.

Konnten Sie dabei den berühmten Lubitsch-Touch anwenden, den speziellen Humor des Namensgebers des Preises?

Na, ein bisschen schon. Der Humor von Ernst Lubitsch ist von einem sehr zärtlichen Blick auf unser aller Dasein getragen: auf unsere Mühen, Anstrengungen und Verletzlichkeiten. Sein Witz ist nie zynisch. Einen solchen Blick kann man in einer Dokumentation durchaus gebrauchen.

Der Club der Filmjournalisten teilt mit, dass Sie zur Preisverleihung am Dienstag von Ihren Eltern Senta Berger und Michael Verhoeven begleitet werden. Wenn Sie am 1. Oktober den Deutschen Filmpreis bekommen, erhält Ihre Mutter den Ehrenpreis. Sie sind längst selbst Vater, selbst Drehbuchautor und Regisseur – und werden doch ständig noch mit Ihren Eltern in Verbindung gebracht. Ist das nicht seltsam? Jetzt geben Sie mir auch noch den Hinweis mit dem Fußball.

Was soll ich machen? Mein Vater war nicht immer Arzt und Regisseur, er war auch mal Torwart beim FC Bayern. Diese Fußballbegeisterung kommt von ihm. Er hat mit mir früher viel Fußball gespielt. Ich glaube, die Disziplin, die ich im Leistungssport gelernt habe, das Wieder-Aufstehen und der Teamgeist haben mich beim Filmemachen begleitet. Sogar der Wettkampfcharakter. Und natürlich ist das komisch, ich mache den erfolgreichsten Film des Jahres...

...nicht zum ersten Mal. „Willkommen bei den Hartmanns“ 2017 war das auch schon.

Ich werde im nächsten Jahr 50 und doch immer als der Sohn angesprochen. Früher hat mich das schrecklich gestört. Als ich 20, 25 war, dachte ich, ich komme nie aus diesem Schatten raus. Jetzt sehe ich das anders, meine Eltern sind 80 und 83, ich bin froh, dass ich beide noch habe. Aber sagen wir es so: Es wäre schön, wenn wir das Interview nicht nur über meine Eltern machen.

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Zur Person
Simon Verhoeven, 1972 in München geboren, hat Schauspiel, Filmmusik und Regie studiert. Für seinen ersten Spielfilm als Regisseur, „100 Pro“, schrieb er sowohl die Musik als auch das Drehbuch – wie auch bei „Männerherzen“ (2009) sowie für „Männerherzen ... und die ganz große Liebe“ (2011). „Willkommen bei den Hartmanns“ (2016; Regie und Buch) erhielt zahlreiche Auszeichnungen, etwa den Friedenspreis des Deutschen Films.

Der Ernst-Lubitsch-Preis, den Simon Verhoeven nun für „Nightlife“ erhält, ehrt die beste komödiantische Leistung im deutschen Film. Er wird seit 1958 jährlich vom Club der Filmjournalisten Berlin e.V. verliehen.

Fangen wir also noch einmal an. Sie bekommen ja die Lola für den besucherstärksten Film und vorher den Ernst-Lubitsch-Preis. Wertet die künstlerische Auszeichnung die eher kommerzielle auf?

Oh, ich glaube schon, dass dieser Preis für den besucherstärksten Film auch sehr ernst gemeint ist. Die Deutsche Filmakademie zeigt damit, wie wichtig ihr das Publikum ist. Denn ohne Zuschauer gibt es uns alle nicht als Filmemacher. Einige der Filme, die nominiert sind, kennt das breite Publikum gar nicht, so gut sie auch sind.

Nun teilten das Nachtleben, das Ihr Film „Nightlife“ feiert, und das Kino das Schicksal, durch die Corona-Pandemie fast erstickt worden zu sein. Die meisten Clubs sind immer noch zu. Kinos öffnen mit Einschränkungen. Wie sehen Sie diese Parallele?

Es ist eine seltsame Zeit. Manchmal denke ich, die Leute haben das Kino vergessen. Oder sie haben es verlernt, seit sie alles auf dem Sofa gucken. Ich habe die Hoffnung, dass sich das wieder ändert. Es ist unvergleichlich, in einem großen Saal gemeinsam mit anderen Leuten sich etwas anzuschauen und lachend, weinend Abenteuer zu erleben. Dafür ist es auch wichtig, dass es Publikumsfilme gibt, die nicht für eine Akademie oder das Feuilleton gemacht werden, sondern für die Leute da draußen, die die Kinos am Leben halten. Dass nun auch die Bars zu hatten, war eine fast schon komische Koinzidenz. Als wir als Stream und DVD rauskamen, konnten die Leute in meinem Film wenigstens noch ein bisschen davon sehen, was sie verpassten. Vom Timing her war es für uns trotzdem brutal.

Brutal?

Wir waren drei Wochen im Kino und hatten schon über eine Million Zuschauer. Was hätte daraus werden können? Aber andere haben es gar nicht ins Kino geschafft. Ich werde das bei der Gala sagen: Ich finde, dass dieser Publikumspreis allen Filmen gilt, die so hart getroffen wurden.

Sehen Sie „Nigthlife“ auch als Chiffre für etwas anderes? Steht dieser Satz „Ich kenne dich aus dem Nachtleben“ für eine bestimmte Gruppe von Leuten?

Erst einmal gibt oder gab es das durchaus, dass man manche Menschen in bestimmten Clubs, Bars oder in einem Viertel immer wieder trifft. Man erwartet dieselbe Art von Musik oder mag den Barkeeper. Insgesamt ist der Film eine Allegorie nicht auf eine spezielle Gruppe, sondern auf den Wunsch, aus dem Alltag auszubrechen. Darauf, was alles passieren kann, wenn man sich auf ein Date oder ein Abenteuer einlässt. Mir hat neulich ein Kollege, mit dem ich zusammen studiert habe, gesagt, dass „Nightlife“ eigentlich mein Abschlussfilm ist.

Bisschen spät, oder?

Ich habe wirklich mit 27 an der Uni ein Drehbuch entwickelt, das um eine Begegnung im Nachtleben ging, die in eine Geschichte ausartet, wo die beiden um ihr Leben und ihre gerade begonnene Liebe kämpfen müssen. Davon konnte ich damals nur eine Szene machen, mehr Budget gab es nicht. Nun frage ich mich, wie muss ich das psychologisch deuten, wenn ich mit „Nightlife“ dahin zurückkomme? Ist es die Sehnsucht nach der eigenen Jugend? Manchmal muss man vielleicht älter werden, um einen jungen Film zu machen.

Heißt das: Gerade die Komödie braucht Erfahrung?

Man muss schon ein Händchen dafür haben. Aber man muss auch wie ein Verrückter daran arbeiten. Um zu Ernst Lubitsch und Billy Wilder, der ihn bewunderte, zurückzukommen: Die Dialoge in deren Drehbüchern haben eine Rhythmik, ein Timing, das ist wie Musik. Daran wurde geschliffen. Die Komik entsteht nicht so frei und improvisiert, wie es aussieht, sondern braucht ein präzises Uhrwerk, das ineinandergreift, auch später im Schnitt. Wie lange steht ein Close-up, bis man zur Reaktion schneidet?  Wie lang ist eine Pause? Wie wird ein Satz genau gesagt? Wenn man ein Wort ändert, verändert sich alles. So akribisch arbeite ich auch an den Drehbüchern. Ich habe eine Leidenschaft dafür, denn mit solchen Filmen bin ich aufgewachsen.

Wirklich mit Ernst Lubitsch?

Na klar, mit Lubitsch und Billy Wilder, auch mit Chaplin-Filmen. Später habe ich Woody Allen gesehen und Filme, die so richtig albern waren wie „Die nackte Kanone“. Diese Albernheit, die man auch bei Lubitsch findet, kann eine Befreiung sein. Und danach suchen oft Menschen, die trauriger, melancholischer oder nachdenklicher sind als andere Zeitgenossen. Das kann eine Komödie leisten, einen vom Schweren des Lebens lösen.

Was bedeutet die Arbeit an einer Komödie für das Team?

Eine lange und gründliche Vorbereitung. Am Drehbuch schreibe ich eine Weile, ein halbes Jahr ist schnell, es können zwei, drei Jahre sein. In der konkreten Pre-Production vor dem Dreh schauen wir auch Filme zusammen oder bestimmte Szenen. Das Wichtigste sind Gespräche und Proben, damit man die Figuren immer tiefer versteht. Sonst schafft man die Arbeit in den Drehtagen nicht.

In meiner Lieblingsszene bricht Frederick Lau in eine Hütte ein und Elyas M’Barek soll mit einem „Uhu, uhu!“ warnen. Klappt so etwas gleich oder braucht es viele Takes?

Ich wusste schon beim Schreiben, dass das eine besonders lustige Szene werden kann. Und ich wusste glücklicherweise auch,  dass ich für diese speziellen Darsteller schreibe. Da kann man natürlich alles haargenau auf sie zuschneiden. Und sie haben dann das Maximum am Set rausgeholt. Dazu gehört auch enorme Konzentration. Es braucht eine große Ernsthaftigkeit, um lustig zu sein. Haben Sie gesehen, dass diese Szene auch aus Stummfilmzeiten stammen könnte?

Das wird mir jetzt klar: die ulkige Verfolgungsjagd auf dem Wasser. Ist das eine Variante des Lubitsch-Humors?

Da dachte ich an die gute alte Screwball-Komödie. Die beiden wollten nur einen schönen Abend verbringen und müssen dann auf chaotische Art vor Verbrechern fliehen. Das meine ich bewusst als eine Hommage an diese albernen Duos wie Stan und Ollie oder Jack Lemmon und Tony Curtis oder Bud Spencer und Terence Hill. Solche Unglücksraben gibt es heute leider kaum mehr. Und kaum diese Art von Filmen.