Horst Seehofer: Die Bilanz des scheidenden CSU-Chefs - WELT
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Deutschland Scheidender CSU-Chef

Die Freiheit loszulassen, bekam Seehofer ausgerechnet von Merkel

„Inhaltlich habe ich die Partei vor dem Irrweg des Neoliberalismus bewahrt“

CSU-Chef Horst Seehofer blickt im Interview mit WELT AM SONNTAG auf seine politische Laufbahn zurück. Als einen seiner größten Erfolge nannte er die Verhinderung von neoliberalen Reformen.

Quelle: WELT/ Laura Fritsch

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Die CSU wählt einen neuen Vorsitzenden. Nach zehn Jahren hört Horst Seehofer auf. Für einen schönen Rücktritt als Parteichef war es am Ende zu spät. Das lag auch an einer folgenschweren Ankündigung aus dem Jahr 2013.

Horst Seehofer tritt wieder ein bisschen von der politischen Bühne ab. Nachdem er seit einem Dreivierteljahr nicht mehr bayerischer Ministerpräsident ist, gibt er am Samstag nun das Amt des CSU-Chefs auf, Bundesinnenminister bleibt er bis auf Weiteres. Sein wahrscheinlicher Nachfolger ist Bayerns Regierungschef Markus Söder. Schon wollen manche in der CSU das Aufblühen einer Horstalgie erkennen. Wen sie packt oder wer sich von ihr packen lassen will, für den hat WELT die zehnjährige Amtszeit von Horst Seehofer bilanziert.

Erfolge und Errungenschaften

Länger als sie

Seehofer war etwas mehr als zehn Jahre im Amt. Am 25. Oktober 2008 wurde er mit 90,3 Prozent von einem CSU-Sonderparteitag gewählt. Ein besseres Ergebnis erreichte er nur noch einmal – 2013, nach der gewonnenen Landtagswahl.

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Am Ende hat Seehofer zwar nicht so lange amtiert wie Angela Merkel, die es auf immerhin 18 Jahre als CDU-Vorsitzende brachte. Aber er hat gefühlt sozusagen länger durchgehalten: Es ist auffallend, dass Seehofer erst zu seinem Amtsverzicht bereit war, nachdem Merkel Ende Oktober 2018 erklärt hatte, als CDU-Chefin abzutreten. Die Aussicht, Merkel, wenn auch nur um wenige Wochen, aber doch immerhin überhaupt als Vorsitzender zu überleben, habe Seehofer erst die Freiheit gegeben loszulassen. Diese Lesart vertreten in der CSU viele. Seehofer war der einzige Politiker, der Merkels Entscheidung mit „schade“ kommentiert hat. Er will das nicht ironisch gemeint haben. Als habe da jemand sein Gegenüber verloren.

Der Letzte seiner Art

Seehofer hat 2013 eine Wahl gewonnen. Ja mei, könnte der Nichtbayer den Bayern nachäffen. Doch Seehofer hat etwas hinbekommen, was vor ihm keiner schaffte und womöglich nach ihm keiner mehr schaffen wird: Er hat für die CSU eine absolute Mehrheit zurückerobert. Seehofer begann 2008 als bayerischer Regierungschef einer Koalition aus CSU und FDP. Das war so ziemlich das Schlimmste, was sich die Schwarzen bis dahin vorstellen konnten. Eine Koalition! Seehofer aber, der es als Bundespolitiker gewohnt war, in Koalitionen zu agieren, meisterte die Regierungsarbeit ohne viel Aufheben.

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Beinahe hatte es den Anschein, als käme es ihm, der in das Amt des Ministerpräsidenten eher hineingestolpert war, sogar entgegen, in dieser Situation zu landen. Das Austarieren von Interessen, aber auch das Tricksen, das alles lag ihm. Die Eitelkeiten einer übermächtigen CSU-Landtagsfraktion zu befriedigen, das lag ihm weniger, wie sich später erweisen sollte. Seine fünfjährige Regierungsarbeit wurde 2013 von den Wählern als so erfolgreich bewertet, dass die glatt den Beitrag der FDP völlig übersahen und der CSU wieder eine absolute Mehrheit verschafften. Im Wahlkampf hatte Seehofer zuvor tunlichst verschwiegen, dass er wieder allein regieren wolle. Ausgetrickst.

Vom Nothelfer zum Landesvater

Im Interview mit WELT AM SONNTAG bezeichnete sich Seehofer als „Schutzpatron“ seiner Partei. Unstrittig ist sein Beitrag zur Wiederaufrichtung der CSU nach der Wahlschlappe 2008. Viele wagten nicht mehr, sich als CSUler zu bekennen. Ihnen gab Seehofer neues Selbstvertrauen. Er kreierte die „Mitmachpartei“, von der zwar keiner so recht wusste, was daraus werden sollte, es hörte sich aber gut an. Das einfache Mitglied fühlte sich wieder ernst genommen.

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Quelle: Reuters

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Hinzu kam, dass er in Bayern zeigte, dass man mit den Liberalen recht geräuscharm regieren konnte, während es gleichzeitig in der schwarz-gelben Koalition in Berlin an unschönen Geräuschen überhaupt nicht mangelte. Seehofer wurde ein geachteter Parteichef und Landesvater. Letzteres war in Anbetracht des anfänglichen Fremdelns mit dem Münchner Kosmos vielen als sehr unwahrscheinlich erschienen.

Ein Mann, (k)ein Wort

Seehofer hat die deutsche Sprache um mindestens ein Wort bereichert: Schmutzeleien. Mit diesem Attribut versah er auf einer Weihnachtsfeier die Methoden seines Nachfolgers Markus Söder. In „Schmutzeleien“ kommt eine Gabe zum Ausdruck, die ihn vor vielen anderen Politikern auszeichnet: Ironie, manchmal Sarkasmus. Bisweilen entgleiste Seehofer, etwa als er die Abschiebung von 69 Afghanen an seinem 69. Geburtstag pries und verkündete, er habe das nicht so bestellt.

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Auch aus dem Wissen um die eigene Unkalkulierbarkeit mied er Talkshows. Sein Bonmot „Das können Sie alles senden!“ bezog er nie auf Talkshows. Nur einmal war er in all den Jahren Gast, bei Sandra Maischberger 2018. Ansonsten vertritt er die Auffassung, dass noch nie eine Talkrunde dazu beigetragen habe, irgendein Problem zu lösen. Andere Parteiführer scheinen das völlig anders zu sehen. Man denke nur an den Grünen Robert Habeck, der gerade zum Talkshowkönig 2018 gekürt wurde.

Öko auf vier Rädern

Seehofer ist als Parteichef unzählige Male zwischen Berlin und München gependelt. Dabei wählte er in der Regel das Auto. Die vier, im Staufall wesentlich mehr Stunden auf der Autobahn nutzte er nämlich gern, um aus dem Fenster zu sehen und seine Gedanken kreisen zu lassen. Was da wohl alles ausgeheckt wurde? Wenngleich sein BMW mit einem Ausstoß von 303 Gramm Kohlendioxid pro gefahrenem Kilometer die größte Drecksschleuder in der Regierungsflotte ist, ist die Öko-Bilanz besser als im Flugzeug. Auf der einfachen Strecke pufft Seehofer im Auto 145 Kilogramm aus. Würde er fliegen, wären es nach dem CO2-Rechner von „Naturefund“ 178 Kilo.

„Ich bin ein kleiner Leut“

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Eines kann man Seehofer sicher nicht nachsagen: die Bodenhaftung verloren zu haben. Seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen blieb ihm Auftrag, zeit seines politischen Lebens. Die CSU als Partei der kleinen Leute war ihm nie peinlich. Als Herz-Jesu-Sozialist bezeichnete er sich selbst. Betreuungsgeld, Mütterrente, Baukindergeld, Nicht-Einführung von Kopfpauschale in der Krankenversicherung und manches mehr schreibt sich Seehofer auf sein Haben-Konto.

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Tatsächlich profitieren bei aller Kritik viele Bürger von diesen Segnungen des Sozialstaats, der unter dem Parteichef Seehofer gewiss nicht geschrumpft ist. Als ein Gericht das Betreuungsgeld für die häusliche Kinderbetreuung im Bund wieder kippte, zahlte es Seehofer kurzerhand in Bayern weiter. Bockigkeit ist manchmal auch eine gute Eigenschaft.

Misserfolge und Versäumnisse

Allzu streitbar

Nicht selten aber hat Seehofer mit seiner Bockigkeit sich und seiner Partei geschadet. Sein jahrelanges Beharren darauf, dass Angela Merkel vermeintliche Irrtümer in der Flüchtlingspolitik anerkennen solle, hat der Republik fruchtlose Auseinandersetzungen beschert. Legendär, wie er die Kanzlerin auf dem CSU-Parteitag 2015 abkanzelte. Zuletzt kam der Parteichef Seehofer auch immer weniger mit den Medien zurecht. In der Presse fühlt er sich grundsätzlich unvollständig zitiert oder ganz falsch verstanden. Auch in seiner Partei ging Seehofer keinem Streit aus dem Weg und zettelte manchen an. Seine letzte Rede auf dem Parteitag könnte er gut mit einem Satz des Komponisten Johannes Brahms beschließen: „Falls es hier jemanden gibt, den ich noch nicht beleidigt habe, den bitte ich um Entschuldigung.“

War es Liebe?

Nein, Liebe war es nie. Was Seehofer mit vielen in seiner Partei verband, war allenfalls Respekt. Vor allem die Landtagsfraktion in München fühlte sich nie recht von ihm verstanden. Anfangs war sich Seehofer ja auch zu schade, Bänder durchzuschneiden und Umgehungsstraßen zu eröffnen. Das sollten die Landtagsabgeordneten machen. Solcher Dünkel wurde in München nie vergessen.

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Aber auch umgekehrt fühlte sich Seehofer brüskiert. Dass die CSU-Abgeordneten ihm zum Ende seiner Zeit als Ministerpräsident eine Verabschiedung versprachen, aber dies nicht einhielten, kränkte Seehofer. Ebenso die Tatsache, dass er für das schlechte Wahlergebnis bei der Landtagswahl im vorigen Jahr verantwortlich gemacht wird. Der Erfolg hat viele Väter, der Misserfolg nur einen. Zu dieser Sichtweise trug aber auch bei, dass Seehofer sich mit den Jahren immer eigenbrötlerischer gab, sich einigelte, im Maximilianeum immer seltener anzutreffen war. Am Ende hieß es, keiner komme mehr an ihn heran.

Wo ist die Frauenpower?

Seehofer hat nie bewusst Truppen hinter sich geschart. Anfangs setzte sich Seehofer immerhin sehr stark für Frauen ein. Die CSU bekam eine Quote für Frauen in Führungszirkeln der Partei. Ein linker Sündenfall, unkten da einige. Doch Seehofer vertraute zu sehr darauf, dass dies ausreichte, um mehr Frauen nach vorne zu bringen. Aktuell sind unter den CSU-Abgeordneten in München und Berlin weniger Frauen zu finden als zu Beginn seiner Amtszeit. Viel weniger.

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Quelle: WELT

Sein Versuch, mit Ilse Aigner eine potenzielle Ministerpräsidentin zu fördern, ist ebenfalls misslungen, da Aigner sich nicht in den Konflikt mit Söder stürzen wollte. Der verspricht nun wie Seehofer vor zehn Jahren wieder eine bessere Frauenförderung. Wie die aussehen soll, bleibt einstweilen unklar.

Nach mir? Alle, nur der nicht

Der Fall Aigner zeigt, dass Seehofer auch dabei gescheitert ist, seine Nachfolge in seinem Sinn zu regeln. Sein Vorbild war der frühere Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Wolfgang Böhmer. Der bestimmte, als er noch im Amt war, Reiner Haseloff zu seinem Nachfolger. Der gewann dann auch die Wahl und übernahm.

Doch Seehofers kapitaler Fehler war, Bayern und Sachsen-Anhalt zu vergleichen, die CDU dort mit der CSU hier. Als er nach der Landtagswahl 2013 ankündigte, fünf Jahre später nicht mehr anzutreten, brach sofort eine Nachfolgedebatte los. In einem virtuosen Spiel, das mal mit einem Karten- mal mit einem Puppenspiel verglichen wurde, hielt er die Aspiranten auf Abstand und in Balance. Vor allem Markus Söder versuchte er immer zu verhindern. Das kostete viel Energie. Zu viel. Als er sich dann entschloss, doch 2018 wieder anzutreten, hatte er ein Glaubwürdigkeitsproblem; bei der Bevölkerung und in der Partei.

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Die Entscheidung bestätigte zudem einmal mehr das lange tradierte Urteil, dass Seehofer jeden außer sich selbst für einen Strategen minderer Befähigung hält. Seehofer hätte die Bundestagswahl glorios gewinnen müssen, um eine Revolte abzuwenden. Dass er vor der Wahl versprochen hatte, im Falle eines schlechten Ergebnisses Konsequenzen zu ziehen, diese dann aber doch nicht zog, erzürnte viele. Schon am Wahlabend im September 2017 war deshalb allen klar, dass er nicht mehr Spitzenkandidat für die Landtagswahl ein Jahr später werden konnte. Nur ihm nicht.

Wann ist es Zeit?

Bis Seehofer selbst zu dieser Einsicht kam, verging einige Zeit. So wurde er von der Landtagsfraktion im Frühjahr 2018 de facto gestürzt, als diese sich in der Mehrheit hinter Söder stellte. Seehofer hatte den besten Moment für den Abgang längst verpasst. Dass er seinen Rücktritt als Ministerpräsident noch bis April hinauszögerte, verärgerte dann wieder viele. Er leistete damit sogar der Legende Vorschub, allein schuldig für die Pleite bei der Landtagswahl zu sein. Schließlich habe Söder zu wenig Zeit gehabt, sich als Landesvater zu etablieren, so Seehofers Kritiker.

Nach der Landtagswahl stürzten sich wieder alle auf Seehofer. Für einen schönen Rücktritt als Parteichef war es wieder zu spät. Er wäre einem Schuldeingeständnis gleichgekommen, das schlechte Ergebnis tatsächlich allein zu verantworten. Diesen Gefallen wollte Seehofer seinen Leuten nicht tun. Am Ende, so kann man es auch sagen, wartete er dann sogar noch auf die CDU-Chefin, die ihm vormachte, wie ein guter Abgang aussehen kann.

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