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Kultur Scott Walker †

Wird jemals wieder die Sonne scheinen?

Redakteur Feuilleton
FILE - MARCH 25, 2019: Singer-songwriter Scott Walker has died at the age of 76 UNSPECIFIED - CIRCA 1970: Photo of Walker Brothers Photo by Michael Ochs Archives/Getty Images FILE - MARCH 25, 2019: Singer-songwriter Scott Walker has died at the age of 76 UNSPECIFIED - CIRCA 1970: Photo of Walker Brothers Photo by Michael Ochs Archives/Getty Images
Der Tod wartet im Doppelbett: Scott Walker (1943 bis 2019)
Quelle: Getty Images
Mit den Walker Brothers sang er Welthits, als Scott Walker machte er sich auf die Suche nach den letzten Klängen. Nun ist er gestorben. Über einen Sänger, der schon immer wusste, wie der Tod klingt.

Warum macht der Mensch Musik? Um Menschen zu beeindrucken, um sie zu unterhalten oder anzurühren? Für den Lebensunterhalt? Zum Zeitvertreib? Für die Unsterblichkeit? Scott Walker hat schon 1967 in „My Death“ über den eigenen Tod gesungen: Er, sein Tod, warte auf ihn wie eine Bibelstelle zum Begräbnis seiner Jugend, wie ein blinder Bettler, eine Hexe in der Nacht, zwischen Blumen und Blättern, hinter Türen und im Doppelbett.

Am Sonntag oder Montag, so genau weiß es noch niemand, ist Scott Walker nun gestorben, wie die für ihn zuletzt zuständige Plattenfirma mitteilt. Man kann ihn in einem Video von 1966 sehen, als er noch einer der Walker Brothers war und Hits sang wie „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“ und Lieder von Burt Bacharach: Die beiden anderen Walker Brothers sagen im Gespräch, der Mensch mache Musik für Geld. Scott Walker sagt: „Ich mache das aus anderen Gründen. Geld ist mir egal. Es geht mir darum, etwas zu erschaffen.“ Er meint es todernst.

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Der junge Scott, geboren als Noel Scott Engel in Ohio, war ein reizendes Wunderkind, das in New York in Musicals auftrat, Songs wie „When Is A Boy A Man?“ sang und in Kalifornien die Walker Brothers gründete, von denen keiner Walker hieß. Brüder waren sie auch nicht. Sie gingen nach London und lösten im Windschatten der Beatles ihre eigene Hysterie aus, die Scott Walker auf die Isle of Wight ins Kloster trieb, um seine Stimme am Choral zu schulen, zu sich selbst zu finden und zu seiner eigenen Musik. Über ein Groupie stieß er auf die Hymnen von Jacquel Brel, woraufhin er vier Alben mit versponnenen Chansons veröffentlichte, „Scott“ von 1967 bis „Scott 4“ von 1969.

Bereits auf „Scott 3“ verabschiedete er sich konsequent vom handelsüblichen 4/4-Takt der Popmusik. „Scott 4“ nahm dann alles vorweg, was von ihm in den folgenden 50 Jahren kommen und ihn in den musizierenden Kauz verwandeln sollte, für den das Musikgeschäft ihn halten würde. Himmlische Gesänge über irritierenden Klanglandschaften. Dass die Konsumenten ihm dorthin nicht folgen mochten, jedenfalls nicht mehr in Scharen, machte ihm allerdings auch zu schaffen. Um sie wieder einzufangen, nahm er Folksongs auf und zog sogar wieder in eine Wohngemeinschaft mit den Walker Brothers.

1978 auf dem Album „Nite Flights“ durfte jeder der drei Walker Brothers noch einmal jeweils ein Drittel mit Musik füllen. Scott Walkers anspruchsvolle Suite begeisterte im Kater nach dem Punk die orientierungslose Popmusik. Brian Eno, David Bowie, Julian Cope schwärmten von einer neuen Avantgarde, die unter Richard Branson eine Heimat fand, bei Virgin Records. 1984 war „Climate Of Hunter“ fertig, eine Platte mit Stücken, die statt Titeln nur noch Nummern trugen und sich auch so anhörten.

Scott Walker ließ sich Zeit mit seinen Werken. Jedes neue Album brauchte sein Jahrzehnt. Nach „Tilt“ von 1995 nahm er Abschied von der Bühne, auch das kann man sich im Video ansehen: Sein Gastgeber im Fernsehen, Jools Holland, sagt, Scott Walker sei kein Popstar mehr und dafür umso mehr an künstlerischen Werten interessiert. Der Sänger singt seine Ballade, „Rosary“, es ist ein Wimmern zur Gitarre, das nach drei Minuten in den Worten mündet: „Jetzt höre ich auf.“ 2006 folgte „The Drift“, 2012 das allerletzte Soloalbum „Bish Bosch“.

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Es war aber auch nie so, wie die Romantiker der untergehenden Popkultur ihn und sein Œuvre, das Genie und sein dem Wahnsinn abgerungenes Werk so gern für sich beansprucht hätten. Er brachte die Zeit nie damit zu, als musizierender Mönch verzweifelt seine flüchtigen Musen anzurufen. Er spielte mit populären Bands wie Pulp und Sunn O))), kuratierte Festivals und komponierte Filmmusik.

In „30 Century Man“, einem Porträtfilm von 2006, erscheint Scott Walker zwar als nachdenklicher aber geistesgegenwärtiger Maestro, der genau weiß, warum seine Schlagwerker den Takt auf Steaks zu schlagen haben und er selbst die ekelhaftesten Geräusche aufnimmt, zu denen die Menschen fähig sind, wenn sie sich selbst als Instrument betrachten. Er machte Musik, weil er ein Mensch war, der es tun musste. Scott Walker wurde 76 Jahre alt.

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