Differenzierung statt falschem DDR-Bild mit fake News zu Mosambik – Vertragsarbeit Mosambik-DDR

Vertragsarbeit Mosambik-DDR

Madjermanes: Trabalhadores Moçambicanos contratados na RDA

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Differenzierung statt falschem DDR-Bild mit fake News zu Mosambik

Kritische Anmerkungen zu:

Ulrich van der Heyden: „DDR-Geschichte mal wieder negativ und falsch dargestellt: Neue Ausstellung im HKW Berlin“ vom 14.03.2024, Link: DDR-Geschichte mal wieder negativ und falsch dargestellt: Neue Ausstellung im HKW Berlin (berliner-zeitung.de) und Maritta Tkalec: „Zwang die DDR schwangere Mosambikanerinnen zur Heimkehr? Ein Faktencheck.“ vom 01.04.2024, Link: Zwang die DDR schwangere Mosambikanerinnen zur Heimkehr? Ein Faktencheck (berliner-zeitung.de)

Es ist sehr zu begrüßen, dass die Berliner Zeitung die Debatte zu den Beziehungen der DDR zu Mosambik, zu den vielfältigen Erinnerungen und den bis heute nicht geklärten offenen, wie schmerzenden Fragen und zu dem von den VertragsarbeiterInnen erfahrenen Unrecht aufnimmt. Die Debatte ist erneut überfällig. Dafür ist der Ausstellung „Echos der Brüderländer“ zu danken, auch wenn sie eine eigene kritische Würdigung verdient.     

Ob sich diese Debatte tatsächlich dazu eignet, die „Spaltung der deutschen Gesellschaft…auch zwischen Ost und West immer deutlicher“ werden zu lassen, wie Ulrich van der Heyden es dargestellt hat, ist zu hinterfragen. Als (ostdeutsche) Zeitzeugen und Autoren[1] setzen wir unsere auf konkrete Quellen sowie eigene Erfahrungen gestützte Darstellung dagegen und hoffen auf eine breite Diskussion.

Einige Aussagen aus den beiden veröffentlichten Artikeln haben wir einem Faktencheck unterzogen.

Es ist richtig, dass es inzwischen eine Fülle von Publikationen, Forschungen, Berichte, Interviews, Filme zu diesem Thema gibt, worauf v.d. Heyden zu Recht hinweist. Doch erläutert er nicht, warum er entscheidende Dokumente nicht einbezieht.

Es ist richtig, dass die Erfahrungen der jungen Arbeiterinnen und Arbeiter in der DDR außerordentlich unterschiedlich sind. Pauschalurteile werden der Realität nicht gerecht. Die einen erlebten gute kollegiale Verhältnisse im Betrieb und freundschaftliche Beziehungen zu Familien, andere erlebten Diskriminierungen und Ausgrenzungen bis hin zu fremdenfeindlichen, rassistischen Äußerungen, Angriffen und strukturellen Zurücksetzungen.  Die einen konnten Erwachsenenqualifizierungen (zusätzlich zur Schichtarbeit) im Betrieb nutzen, andere litten darunter, statt der erhofften Ausbildung Hilfsarbeiten ausführen zu müssen.

Es ist richtig, dass die DDR- Gesellschaft nicht „durch und durch rassistisch“ gewesen ist, wie M. Tkalec zu Recht feststellt.

Aber es ist genauso richtig, dass in der DDR – Gesellschaft, wie in den allermeisten anderen Gesellschaften auch, Rassismus in den verschiedensten Facetten aufgetreten ist. Dies zeigte sich nicht nur in tätlichen Angriffen, die es auch gab und für die sich konkrete Beispiele nennen ließen, sondern äußerte sich viel häufiger in Einstellungen und Umgangsweisen mit Menschen anderer Hautfarbe und Kultur. Die üblichen Benennungen von Vietnamesen als „Fidschis“ oder Mosambikanern als „Braunkohle“ sind nicht „lustig“, wie es später gern dargestellt wurde, sondern sprechen den Menschen ihre Würde ab.

Der Schriftsteller Landolf Scherzer führte bereits Anfang der 980er Jahren in Suhl und Umgebung viele Gespräche mit VertragsarbeiterInnen und deutschen KollegInnen oder Einwohnern geführt. Die Protokolle durften in der DDR nicht veröffentlicht werden, im geeinten Deutschland sind einige dann erschienen.[2] Nur wenige Zitate daraus: „Die landläufige Meinung war: die Buschmenschen kommen. Vorher waren zwar schon Algerier hier, … Aber der Algerier is’n anderer Mensch. Der Algerier schlägt ja nun mal mehr ins Europäische“.  – „Man müsste sie wirklich separat halten. Oder in anderen Ländern ausbilden, wo die Leute auch so sind, in Bulgarien vielleicht…(Aber) ich schätz‘, die würden das nicht mitmachen. Die sind nicht so zu Gehorsam erzogen wie wir in der DDR“ – „Ich find, ‚ne deutsche Frau gehört nicht zu den Schwarzen, absolut nicht…das gehört sich nicht. Eine einzelne Person, die würdest du vielleicht umerziehen, der Umerziehungsprozeß, der würde sich immer vom Weißen aus vollziehen, die Schwarzen würden sich anpassen“. Beispiele aus Suhl in den achtziger Jahren, die man auch in vielen anderen Orten hätte aufschreiben können. Diese europäisch – überheblichen und rassistischen Einstellungen schlossen zwar nicht eine fürsorgliche Betreuung aus, verhinderten aber in vielen Fällen Begegnungen und Kommunikation auf Augenhöhe, sowie Verständnis.

Spätestens ab 1987 nahmen rassistische Übergriffe in der DDR derart zu, dass sogar die Staatssicherheit vermerkte, dass die rassistische Gewalt „den Bereich der Ausnahme bzw. des Einzelfalles bereits verlassen“[3] hat.

Schickte die DDR schwangere Mosambikanerinnen heim?

Maritta Tkalec verwies in ihrem Beitrag diese Aussage in den Bereich der Fake-News-Storys (ebenso wie v.d.Heyden), negiert damit Festlegungen innerhalb des Regierungsabkommens und ignoriert, was Frauen erlebt haben.

Denn: ja, die DDR schickte schwangere Mosambikanerinnen heim.

Im Jahresprotokoll 1981, Art.2 zum Regierungsabkommen wird von Mosambik und der DDR in gemeinsamer Übereinkunft festgelegt, dass bei Schwangeren „deren unverzügliche Rückführung in die Volksrepublik Mozambique zu erfolgen hat“, denn durch eine Schwangerschaft waren sie „an der Erfüllung der im Regierungsabkommen enthaltenen Prinzipien behindert und ihre Qualifizierung in den Einrichtungen der Erwachsenenbildung außerhalb der produktiven Tätigkeit konnte nicht gewährleistet werden.“ Dass dies auch noch Ende 1988 so gehandhabt wurde, kann die Autorin bezeugen, die damals eine junge mosambikanische Vertragsarbeiterin, die im 7. Schwangerschaftsmonat zurückgeschickt werden sollte, zuhause aufgenommen und dann in einer Entbindungsklinik untergebracht hat. Mehrfache Versuche des Betriebes, sie dort herauszuholen, sind dank des couragierten Auftretens des Oberarztes verhindert worden. Die Frau konnte hier, in der DDR, entbinden, bekam nach längeren Auseinandersetzungen dann auch eine Wohnung und einen Krippenplatz.

Sicher wird es einzelne Fälle gegeben haben, wo Frauen die Bestimmungen umgehen und hierbleiben konnten. Sicher hat es auch einzelne Frauen gegeben, die trotz des Verbots der mosambikanischen Regierung und der Botschaft eine Abtreibung vornehmen ließen, die in ihrer Heimat nicht erlaubt und auch DDR – Ärzten untersagt war – im Unterschied zu Vietnamesinnen, denen es erlaubt war. Sie konnten also nicht einfach den „Ausweg über das liberalste Abtreibungsrecht der Welt wählen“ (M. Tkalec)

Aber solche Ausnahmen rechtfertigen keine generelle Aussage, dass die DDR keine schwangeren Frauen nachhause schickte. Diese Problematik wurde eindrucksvoll in der Installation „Daffodils for feast day“ (2023/24) der Künstlerin Sarah Ama Duah in der Ausstellung „Echos der Bruderländer“ dargestellt.

„Daffodils for feast day“ (2023/24) der Künstlerin Sarah Ama Duah in der Ausstellung „Echos der Bruderländer“ im HKW Berlin, Foto: Annette Berger

Mythos Berufsausbildung für Vertragsarbeiter

Es ist richtig, dass die jungen Frauen und Männer sehr gern die Chance eines Aufenthaltes in der DDR wahrnahmen, wo es ihnen natürlich besser ging als Altersgenossen zum Beispiel in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Mosambik oder Familienmitgliedern in den Kohleminen Südafrikas.

Es ist aber nicht richtig, dass die jungen Leute zu einer Berufsausbildung in die DDR geholt wurden. Ihre „Abkommen gemäße“ Bestimmung war keine für Mosambik angepasste Berufsausbildung[4], sondern Aneignung von Anlerntätigkeiten für die Großbetriebe und die akute Produktion. Nach einer „Übersicht zu den in der DDR ausgebildeten Mosambikanern bis zum 31.12.1988“, die Ulrich van der Heyden selbst vorlegte[5], wurden von den ca. 17.100 Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern in zehn Jahren lediglich 601 zu Facharbeitern und 70 zu Lehrmeistern ausgebildet.  Das entspricht weniger als 4 % aller eingereisten VertragsarbeiterInnen. Die Ausbildungsabsichten wie -leistungen der DDR gegenüber Mosambik waren und sind ein Mythos. Das „Abkommen zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der Volksrepublik Mocambique über die zeitweilige Beschäftigung mocambiquanischer Werktätiger in sozialistischen Betrieben der DDR“ formulierte die tatsächlichen Ausbildungsziele exakt wie folgt: „Beschäftigung bei gleichzeitiger Vermittlung praktischer Berufserfahrung… und beruflicher Aus- und Weiterbildung im Rahmen der betrieblichen Erwachsenenqualifizierung“. Das war keine Vollausbildung, welche die jungen hoch motivierten VertragsarbeiterInnen gern absolviert hätten. Nur wenige schafften es, neben der rollenden Schicht-Arbeit noch an einer Erwachsenen -Qualifizierung teilzunehmen und sie mit Zertifikat abzuschließen.

Der große Unterschied: Mosambik lag im US-Dollar-Handelsraum

Weder Ulrich van der Heyden noch Maritta Tkalec verweisen auf die substanzielle Bedeutung der Kredite der DDR gegenüber Mosambik, die auf US-Dollar-Basis abgeschlossen waren und praktisch mehrfach wertvolle Devisen-Guthaben für die DDR darstellten. Diese Tatsache war das Hauptmotiv für das sprunghafte und überproportionale Engagement der DDR in Mosambik. Dieser Fakt begründet den Unterschied z. B. zu den vietnamesischen VertragsarbeiterInnen. Wird er nicht beachtet, führt es immer wieder zu Missverständnissen und Verwirrung und erklärt nicht die unterschiedliche Praxis bei der Ausgestaltung der Regierungsabkommen beider Großkontingente staatssozialistischen Arbeitsmigration. Die vietnamesischen Arbeiterinnen und Arbeiter kamen aus einem sogenannten „Weichwährungsraum“. In ihm wurde auf Rubel verrechnet. Rubel-Bilanzen spielten für die internationale Kredit- oder Verschuldungslage der DDR keine gravierende Rolle. Die jungen MosambikanerInnen aber kamen aus einem „Hartwährungs- oder Dollar-Land“.  Alle VertragsarbeiterInnen oder ausländischen Werktätigen (wie sie in der DDR hießen) sollten einen Beitrag zur prekären Arbeitskräftesituation der DDR leisten. Die Arbeitskräfte aus Mosambik mussten zusätzlich einen substanziellen Beitrag zum Schuldenabbau von Krediten auf US-Dollar-Basis bei der DDR leisten. Wegen der Dollar-Kredite-Anbahnungen und Devisenfragen wurden alle maßgeblichen Verträge und Maßnahmen mit Mosambik von Anfang an vom Bereich Kommerzielle Koordinierung (KOKO) unter Leitung des SED-Chef-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski konzipiert und kontrolliert. Damit war ein gänzlich anderes Regime für die Praxis der Abkommen gegeben. Die MosambikanerInnen waren in den Bereich der Devisenbeschaffer geraten, der auch für Waffen- und Häftlingsverkäufe, den Antikhandel, somit die Abwendung der DDR-Überschuldung in „Westwährungen“ und weitere „Notlagen“ zuständig war.  Es ging dabei primär nicht mehr um internationale Solidarität und Völkerfreundschaft, sondern um das Überleben der DDR, maßgeblich mit völkerrechtlich illegitimen Mitteln. Dieser Auftrag des Politbüros der SED an Schalck und seinen Bereich KOKO veränderte den Charakter der Solidarität mit Mosambik, wie er bis 1977 bestand. Es setzte Verrat an den propagierten Idealen der internationalen Solidarität ein und brachte am Ende Unrecht für die ca. 17.100 VertragsarbeiterInnen aus dem ostafrikanischen „Bruderland“. Um damit  die Aufdeckung dieser Praxis zu verhindern, wurde verdeckt und mit Desinformation bis in die Verträge hineingearbeitet. Diese Desinformationen setzen die o.g. Beiträge in der Berliner Zeitung leider fort. Dabei sind den AutorInnen die Forschungslage, die Dokumente wie auch die verdeckten Zusammenhänge bekannt.

Eigentlich brauchen wir gar nicht zu argumentieren. Wir brauchen nur ein wenig zu zitieren und einzuordnen.

1977: Die antisolidarische Wende in den Mosambik-Beziehungen der DDR

In der ersten Devisen-Überschuldungskrise der DDR 1976/77[6] (ein Symptom war die bekannte Bohnenkaffee-Krise 1977) beschließt der engste Kreis um Erich Honecker mit Günter Mittag, Werner Lamberz und Alexander Schalck ein Sofortprogramm zur Erwirtschaftung von konvertierbaren Devisen (KD) u.a. mittels Waffenverkäufen ohne Zustimmung der Sowjetunion, Spekulationen an westlichen Börsen und einer Offensive zu Entwicklungsländern in der „Hartwährungs- sprich US-Dollar-Handelssphäre“. Der Politbüro-Sprech dafür lautete „ausgewählte junge progressive Nationalstaaten mit sozialistischer Orientierung“. Im Dezember 1977 wird eine Kommission des Politbüros der SED für Entwicklungsländer gegründet – ausschließlich Staaten, die im US-Dollar-Raum wirtschafteten. Für die Umsetzung werden spezielle Sonderbeauftragte eingesetzt. Die Aufgaben definiert Schalck-Golodkowski wie folgt:

–             Kurzfristig wirksame Zusammenarbeit mit dem Ziel der Sicherung der Versorgung der DDR und des Importes wichtiger ausgewählter landwirtschaftlicher und minimalischer Rohstoffe…durch Bezahlung der Importe mit DDR-Erzeugnissen (d.h. DDR-Erzeugnisse, die auf dem übrigen „Westmarkt“ nicht gegen Devisen abgesetzt werden konnten).

–             Realisierung KD-wirksamer Kredite (KD = konvertierbare Devisen) in für die Zahlungsbilanz der DDR nützlichen Formen aus den Entwicklungsländern…  

Dabei sei – in Abstimmung mit dem Botschafter – „die maximale Nutzung guter politischer und ideologischer Beziehungen für optimale und effektive ökonomische Ergebnisse der Zusammenarbeit“ zu erzielen.

Die Interessen der DDR rückten massiv an die erste Stelle. Aus einer „solidarischen und weltrevolutionären Interessen- und Bestandgemeinschaft“ wurden Territorien der Devisenerwirtschaftung. Dies traf besonders intensiv das verletzliche Mosambik.[7] Der antikoloniale Ansatz wandelte sich in abenteuerliche Großprojekte mit unrealistisch kurzfristigen Rechnungseffekten für die DDR und zum Schaden Mosambiks.     

Der Sonderbeauftragte für Mosambik war Dieter Uhlig, engster Vertrauter von Alexander Schalck, der neben dem Mosambik-Geschäft unter anderem auch den Antik – Handel mit dem Verkauf von Pflastersteinen oder Kunstsammlungen leitete und die Waffenhändlerfirma IMES, die u.a. im 1. Golf-Krieg in den 1980er Jahren Kriegsgerät in großem Umfang an den Iran verkaufte. Den Charakter der speziellen Beziehungen zu Mosambik gibt exemplarisch ein IM-Bericht über die Chef-Etage vom 17.05.1982 wieder. Als die RENAMO – Truppen im Bürgerkrieg unmittelbar vor Maputo standen und Maputo zu fallen drohte, berichtet der Mosambik-Beauftragte Uhlig, IMS- „Henry“ seinem Führungsoffizier vom Ministerium für Staatssicherheit: „Mosambik: benötigt dringend Panzerabwehrwaffen; in größeren Teilen Mosamb. Bandentätigkeit“; Antwort A. Schalck lt. Uhlig: ‚Mosamb. bekommt solche Waffen nur gegen KD (konvertierbare Devisen). Es geht primär um die Existenz der DDR.‘ “[8] Die Dollar-Devisen waren fest im Blick.  Nach dem frühen Ansatz des gegenseitigen Vorteils wurde nun der einseitige  Vorteil konsequent gesucht.

Freilich gab es auch das Solidaritätskomitee der DDR. Es spielte keine unwichtige Rolle, war aber bei Entwicklungsländern im „Hartwährungsraum“ wie Mosambik Befehlsempfänger und nicht Impulsgeber und war dem Durchgriffsrecht der Sonderbeauftragten untergeordnet.          

Dieses Personenset aus der KOKO-Chef-Etage bereitete die Verträge der DDR mit Mosambik vor, die beim Staatsbesuch von Erich Honecker vom 22.-24.02.1979 in Mosambik abgeschlossen wurden, darunter auch das Abkommen über den Einsatz von mosambikanischen Werktätigen in der DDR.[9]  

Der sog. Nettolohntransfer – zum „transferieren“ und verrechnen – Das Unrecht bis heute   

Maritta Tkalec interpretiert das Abkommen falsch, wenn sie schreibt, „Die wichtigste Regelung lautete: zuständig waren stets die Einsatzbetriebe.“ Die Betriebe hatten gute, nachvollziehbare Interessen an einem gedeihlichen Einsatzklima, auch wegen der Produktion. In den Arbeitskollektiven gab es in der Regel eine gute Atmosphäre, auch wenn vereinzelt von Streikversuchen der VertragsarbeiterInnen wegen der einbehaltenen Lohnanteile berichtet wurde. Die wichtigsten – bis heute Unruhe und Unrecht erzeugenden – Regelungen des Abkommens waren die Artikel 6 und 14. Artikel 6 räumte ein, VertragsarbeiterInnen könnten bis zu 25 % des Nettoarbeitslohnes in die Volksrepublik Mocambique transferierten. `Können` assoziiert eine Wahlmöglichkeit, auch wenn es schnell zur Pflicht wurde. Zwischen 1986 und 1988 wurde ein Pflichtanteil von 60 % des Nettoarbeitslohnes oberhalb eines Selbstbehaltes von 350 Mark der DDR einbehalten. Dafür gab es personenbezogene Verträge und Konten zwischen den Einsatzbetrieben und den mosambikanischen Werktätigen.[10] Der Artikel 14 legte dann fest, „Alle mit dem Einsatz der mocambiquanischen Werktätigen verbundenen Zahlungen und Überweisungen erfolgen … zur technischen Abwicklung der Verrechnung von gegenseitigen Warenlieferungen und Leistungen.“ Damit wurde – verdeckt formuliert – die Einbehaltung von privaten Mitteln für staatliche Zwecke ermöglicht. Den VertragsarbeiterInnen wurde diese Regelung nicht mitgeteilt. Die ihnen monatlich abgezogen Nettolohnanteile wurden durch die DDR nicht – oder nicht vollständig – nach Mosambik überwiesen, sondern zur Verrechnung von DDR-Leistungen herangezogen und von der DDR einbehalten.

Der ebenfalls von Maritta Tkalec zitierte „Kronzeuge“, weil langjähriger Mitarbeiter im Staatssekretariat für Arbeit und Löhne (SAL) der DDR Ralf Straßburg sagte 2019 auf der Tagung „Respekt und Anerkennung“[11] : „Die von den Vertragsarbeitern „transferierten“ Beträge wurden von Anfang an im gegenseitigen Einvernehmen beider Regierungen nicht nach Mosambik überwiesen, sondern in die zwischenstaatliche Verrechnung mit einbezogen, um zum Schuldenabbau beizutragen.“[12]

Diese DDR-Praxis war der Einstieg in einen jahrzehntelangen Betrug. Die Auszahlungslast lag auf dem vom Bürgerkrieg geschundenen Mosambik und in der Willkür der korrupten Dauerregierungspartei FRELIMO. Nach der Rückkehr der VertragsarbeiterInnen waren viele Transfer-Konten in Mosambik nicht mehr vorhanden, oft leer oder verfügten über nicht nachvollziehbare niedrige Bestände.  Die erhofften Gelder für einen Neustart oder die Unterstützung der Familien fehlten. Die VertragsarbeiterInnen erfuhren schwere Zurücksetzungen oder Schikanen beim Versuch, an ihr Geld zu kommen[13]. Manchen gelang es, viele gingen leer aus.  Die Umrechnungsverhältnisse blieben bis heute intransparent.  Die Wut stieg, als sie erkennen mussten, dass auf Grund einer innerstaatlichen Komplizenschaft zwischen der DDR und Mosambik große Anteile ihrer Arbeitsleistung verloren gegangen sind. Das ist – neben den gescheiterten Großprojekten, für die nicht nur der Bürgerkrieg verantwortlich gemacht werden kann – der schwelende Untertext für die vielen offenen Fragen bei der Beurteilung der Beziehungen zu Mosambik.

1988: Die neue Dimension des Schuldenabbaus durch zusätzliche Arbeitskräfte   

Knapp 10 Jahre nach dem Start des Arbeitskräfteprogrammes, als die Großprojekte aus dem Hause Schalck und Uhlig für Mosambik schon längst begraben waren, wurde 1987 eine zweite Welle der Einreise vorbereitet und beschlossen.  

In der Vorlage für das ZK der SED vom 28.05.1987 „Maßnahmen zur Sicherung der Neueinreise von 4.500 mocambiquanischen Werktätigen und ihrem Einsatz in sozialistischen Betrieben der DDR im Jahre 1988“, begründete Genosse Schalck die hohe Zahl von Vertragsarbeiterinnen nicht mit entwicklungspolitisch akzeptablen Ausbildungszielen, sondern mit dem einzubehaltenden „Transfer“ von Lohnanteilen, der eine Reduzierung der jährlich entstehenden Aktivsalden zugunsten der DDR möglich mache. „Mit dem Einsatz von insgesamt 13.000 mocambiquanischen Werktätigen wird sich der Transfer wie folgt entwickeln (in Mio. Clearing-Dollar): 1986 – 4.6; 1987 – 13,5; 1988 – 19,7; 1989 – 1989; 1990 – 26,2“. Insgesamt, 89,7 Mio. Clearing-Dollar.“[14]

Diese systematisch auf die Eigeninteressen abzielenden wie asymmetrischen „Angebote“ der DDR kritisierte die von internationaler Hilfe abhängige Volksrepublik Mosambik mehrfach. So bei den Regierungsverhandlungen am 07.08.1988. Dieter Uhlig erklärte gegenüber dem Finanzminister Mosambiks, Abdul Magid Osman, dass die DDR Mosambik keine weiteren Stundungen von Guthaben der DDR vereinbaren wolle. Uhlig machte den Vorschlag: „die Guthaben über den erweiterten Einsatz von mocambiquanischen Werktätigen in der DDR bis 1995 weitgehend abzubauen.“

Laut Protokoll „entgegnete Genosse Magid, dass der Vorschlag der DDR für die Volksrepublik Mocambique aus finanziellen und moralischen Gründen unannehmbar sei.“ Mit der Mehrheit der Gläubigerländer und dem Pariser Club sei „Übereinstimmung erzielt worden, Mocambique 10 Jahre rückzahlungsfreie Zeit und weitere 10 Jahre für die Rückzahlung der Forderungen zu gewähren…“ Auf den konkreten DDR-Vorschlag (Schuldenabbau durch Arbeitskräfte d. A.) eingehend, stellte der VRM-Minister die Frage, weshalb die DDR das Recht für sich in Anspruch nehme, die Forderungen gegenüber Mocambique aus dem Transfer seiner Arbeitskräfte zu tilgen. Er machte darauf aufmerksam, dass die VRM das Recht habe, die Transferbeiträge zur Lösung innerer Probleme zu verwenden. Wenn man das Problem zuspitzt, so Genosse Magid, könne Mocambique auch die Forderungen erheben, einen Teil des Transfers der Arbeitskräfte in konvertierbaren Devisen zu Verfügung gestellt zu bekommen.“[15]  Das war grundlegende Kritik an der unsolidarischen Geschäftspraxis der DDR und ihrem Regime über das Abkommen von 1979.

Fazit:

Es geht nicht primär um zeithistorische Aspekte und „letzte“ Schlachten. Es geht vor allem um Fragen des staatlichen Unrechts und des Betruges, welches die VertragsarbeiterInnen und Madgermanes, wie sie in Mosambik genannt werden, erfahren haben. Es geht um Respekt für ihren Lebensweg, der sie in das Räderwerk des Nord-Süd wie Ost-West-Konfliktes geführt hat und es geht um eine  gestufte Entschädigung  für die widerrechtlich einbehaltenen und verrechneten „Nettolohntransferleistungen“ sowie  Rentenansprüche, die sie in der DDR  erworben haben und in Mosambik nicht erhalten.[16] Darum demonstrieren  seit 30 Jahren die ehemals  jungen Menschen wöchentlich ausgehend vom Platz  „Jardim da Libertade“ (Garten der Freiheit) von Maputo, der heute „Jardim de Madgermanes“ genannt wird.  Dabei werden sie alt, viele sind krank und haben Angst um ihre Existenz. Die durchschnittliche Lebenserwartung  in Mosambik liegt bei 53 bis  55 Jahren. Am 26.04.2023 beschäftigte sich der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages mit der Verantwortung der Bundesregierung gegenüber den VertragsarbeiterInnen. VertreterInnen aller Fraktionen erkannten das Unrecht an den VertragsarbeiterInnen an.[17] „Die SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag, Evelyn Zupke, dringt auf eine Entschädigung der früheren mosambikanischen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter in der DDR. Viele der etwa 17.000 Frauen und Männer, die dort zwischen 1979 und 1989 unter anderem im Braunkohle- oder Kupferbergbau, in der Landwirtschaft oder Textilindustrie tätig waren, seien bereits verstorben. Tausende jedoch warteten noch auf zugesagte Leistungen und eine Anerkennung, so die Ombudsfrau für die Opfer der SED-Diktatur bei einem Gespräch im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Zupke appellierte an die Abgeordneten, sich gegenüber der Bundesregierung für baldige Lösung einzusetzen. Die Geschichte der Vertragsarbeiter sei ein Teil deutscher Geschichte.“

Die Geschichte der VertragssarbeiterInnen taugt nicht, die DDR zu beschönigen. Vielmehr tragen die Erfahrungen der VertragsarbeiterInnen dazu bei, ein differenziertes Bild von der DDR und den Abläufen des SED-Systems zu zeichnen. Vor allem aber können diese Geschichten zu Verantwortung, Empathie und Solidarität gegenüber dieser speziellen und spät erkannten Opfergruppe führen. Die mosambikanischen VertragsarbeiterInnen tragen den viel zu hohen Preis des Nicht-Erinnerns und die Kosten der politischen Amnesie und des kollektiven Vergessens. Seit Jahren engagieren sich MosambikanerInnen und Deutsche ehrenamtlich in einem paritätisch besetzten Gremium für die Belange der ehemaligen VertragsarbeiterInnen.[18]

Dem Haus der Kulturen der Welt ist mit der Ausstellung “Echos aus Brüderländern“ und der Berliner Zeitung mit ihrer besonderen Berichterstattung das Aufbrechen enger Echokammern gelungen. Beide sollten ihre Ressourcen wie ihre öffentliche Verantwortung nutzen und die Debatte fortsetzen und vertiefen, indem sie heutige Entscheidungsträger und Betroffene mit einbeziehen. Die Zeit drängt!

Almuth Berger    Hans-Joachim Döring


[1] Almuth Berger: evang. Theologin; Mitbegründerin der Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“, auf Beschluss des Zentralen Runden Tisches 1990 Berufung als Staatssekretärin und Ausländerbeauftragte des Ministerrats der DDR, 1991 bis 2006 Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg. Hans-Joachim Döring: Dr. phil.; 1982 Mitinitiator der Leipziger Friedensgebete in der Nikolai-Kirche; Geschäftsführer des ökumenischen Netzwerkes INKOTA; 1989 gemeinsam mit Walther Bindemann Initiator des Entwicklungspolitischen Runden Tisches; Mitarbeit in der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur des Deutschen Bundestages; Geschäftsführer der Stiftung Nord-Süd-Brücken, Beauftragter für Entwicklung und Umwelt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland;  Co-Vorsitzender des Fortsetzungsauschusses „Respekt und Anerkennung“.

[2] Landolf Scherzer (2002); Die Fremden, Berlin. Aufbau-Verlag

[3]   Übersicht über die Entwicklung von Vorkommnissen mit Beteiligung von Bürgern der VR Mocambique, die gemäß Regierungsabkommen zeitweilig in der Volkswirtschaft der DDR zum Einsatz kommen, 27.6.1988, MfS HA XVIII, BStU0220.

[4] Die Autoren kennen allein drei Vertragsarbeiter, die zu Heizungsmonteuren ausgebildet wurden.  

[5] Ulrich van der Heyden (2019). Das gescheiterte Experiment – Vertragsarbeiter aus Mosambik in der DDR-Wirtschaft (1979-1990), Leipzig. Dokument 16, S. 603. Die hier dokumentierten Zahlenangaben sehen die Autoren als zu niedrig an. 

[6] Vgl. Hans-Joachim Döring (1999): Es geht um unsere Existenz. Die Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Mosambik und Äthiopien. Berlin. S. 44-61,142-165.  

Link: https://vertragsarbeit-mosambik-ddr.de/wp-content/uploads/2021/02/Doering_Es-geht-um-unsere-Existenz.pdf

[7] So weilten Ende 1983 gleichzeitig über 1200 DDR-Bürger als Experten und Spezialisten in Mosambik.

[8] Döring (1999): Dokument 3, S. 315-316. Treffbericht des MfS vom 17.Mai 1982 IMS „Henry“, Vgl. Bericht des Schalck-Untersuchausschusses,   Bundesdrucksache 12/760, S. 1268f.

[9] https://vertragsarbeit-mosambik-ddr.de/wp-content/uploads/2020/12/abkommen-alt.pdf

[10] Die Musterverträge finden sich in: Birgit Neumann-Becker / Hans-Joachim Döring (2022): Für Respekt und Anerkennung. Die mosambikanischen Vertragsarbeiter und das schwierige Erbe der DDR. S. 236-240. Sowie unter: Transferordnung.pdf (vertragsarbeit-mosambik-ddr.de) und Nr.-3-Bl.1-Hinweise-zur-Durchfuehrung-des-Transfers-von-SV-und-Lohnanteilen-vom-08.05.1987-Archiv-Doering.pdf (vertragsarbeit-mosambik-ddr.de)

[11] Tagungsband: Birgit Neumann-Becker / Hans-Joachim Döring (2022): Für Respekt und Anerkennung. Die mosambikanischen Vertragsarbeiter und das schwierige Erbe der DDR. LINK: Günter Mittag 1988 an ZK (vertragsarbeit-mosambik-ddr.de). Vgl. van der Heyden (2019), Dokument 14, S. 598-601.

[12] Neumann-Becker/ Döring (2022) ebenda:  S. 72.

[13] Zeugnisse der Betroffenheit, ebenda S. 47-71.

[14] Ebenda: S. 245. Günter Schürer, Büro des Vorsitzenden, Nr. 25071, Vorlage Günter Mittag für das Sekretariat des ZK der SED, Betreff:  Maßnahmen zur Sicherung der Neueinreisen von 4.500 mocambiquanischen Werktätigen und ihres Einsatzes in sozialistischen Betrieben der DDR im Jahre 1988, vom 29. Mai 1988.

[15] Quelle: BSTU MfS AJM 7735/91, Bd. 6, Bl.16-18. Bericht über die Verhandlungen der DDR, Sonderbeauftragter des ZK der SED, Genossen Dieter Uhlig mit dem Finanzminister der VRM, Genossen Abdul Magid, zum Abbau des Guthabens der DDR vom 08. bis 11. Juli 1988. In: Döring (1999): S. Dokument 6, S. 328-330.

[16] Zur Vertiefung für Entscheidungsträger: Uta Rüchel (2022): Darstellung der offenen Fragen in Bezug auf den Einsatz mosambikanischer Vertragsarbeiter:innen in der DDR. LINK:  https://vertragsarbeit-mosambik-ddr.de/2022/08/28/neues-gutachten.

[17] https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-945228

[18] Über diese Arbeit, sowie Hintergründe und aktuelle Entwicklungen informiert ausführlich die Homepage awww.vertragsarbeit-mosmbik-ddr.de