In diesem Kapitel wird ein nicht vollständiger Einblick in die Sicherheitspolitik verschiedener Staaten erarbeitet. Auch diese, hier nur unvollständig vorgestellten Zusammenhänge in dieses Themenfeld, könnten einen Anstoß zu weiterführenden Überlegungen und Diskussionen geben. Vor dem Hintergrund der Suche nach dem Räderwerk, dem Uhrwerk, zur Entwicklung des gesellschaftlichen Klimas bzw. dem sich über 30 Jahre entwickelnden Zeitgeist der Klimawandelthematik sind die von Staaten definierten Sicherheitsüberlegungen ein wesentlicher und ganz zentraler Teil der öffentlichen Meinungsbildung. Der Zeitgeist bestimmt die Richtung einer gesellschaftlichen Entwicklung. Damit ist jedoch auch eindeutig definiert, dass es keine zentrale Leitstelle für die Entwicklung eines gesellschaftlichen Themas gibt. Prinzipiell entsteht ein ZeitgeistFootnote 1 („Zeitgeist, in einer bestimmten Zeit vorherrschende Ausprägung geistiger Orientierungen, Lebensstile und gesellschaftlich geteilter Ideen und Werte.“Footnote 2) in einem Kulturraum durch teilweise zufällige Strömungen von öffentlichen Meinungen, Nachrichten oder Ereignissen. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass heute jede politische Partei mit großem Aufwand versucht, für ihre Interessen und Ideale/Ideologie die öffentliche Mehrheitsmeinung zu gewinnen, somit den Zeitgeist im Interesse ihrer politischen Agenda zu lenken (siehe auch: Stiftungen der deutschen politischen Parteien und ihre ArbeitFootnote 3). Noch bis Ende der 1980er Jahren war die offizielle Leitlinie der damaligen Westdeutschen Politik aller Parteien, eine Leitmeinung/Meinungsführerschaft in der Gesellschaft vorgeben zu müssen. Auf Basis dieser Grundüberlegungen habe ich dieses Kapitel geschrieben, um die Mechanismen zur Lenkung des Zeitgeistes in unseren westlichen Gesellschaften besser zu verstehen, in denen das Thema Klimawandel und „wie gehen wir damit um“ ein Teil dieser Strömung ist.

„Der Klimawandel als globaler Trend beeinflusst bereits heute die Lebensbedingungen von Hunderten von Millionen Menschen. Klimatische Veränderungen haben zudem signifikante und existenzbedrohende Folgen für zahlreiche Staaten und ihren Bevölkerungen“, heißt es bereits im Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der BundeswehrFootnote 4. Dabei wird insinuiert, dass es sich bei den Auswirkungen der durch den Klimawandel begründeten Änderungen im Wesentlichen um abhängige Menschen oder Betroffene handelt. Im Umkehrschluss sind jedoch genau diese Staaten mit dem heutigen Wissen, sowie den technischen Möglichkeiten in der Lage, einen bewussten Einfluss zum Schutz ihrer Völker auf den anstehenden Wandel ausüben zu können. Damit ist aber die Sichtweise, dass wir diesem Prozess schutzlos ausgelieferter sind, unbegründet. Alleine das Wissen in unserer heutigen Zeit um einen Klimawandel ist in der gesamten Menschheitsgeschichte einmalig.

In dem vorherigen Kapitel 3 wurde auch die Problematik der Förderungen/Extraktionen der fossilen Energien, vor dem Hintergrund von wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Staaten und ihrer Instrumentalisierung durch Regierungen, behandelt. Dabei konnte aufgezeigt werden, dass diese Abhängigkeiten sicherheitsrelevante und politische Aspekte haben. Diese Aspekte gelten für Förderländer/Exportländer wie auch für Importländer. Das Problem der weltweit größten Förderländer ist, dass sie ihr staatliches Geschäftsmodell zu wesentlichen Teilen auf den Verkauf fossiler Energieträger ausgelegt haben und ihr Wohlstand damit von dem Verkauf ihrer „Produkte“ abhängt. Die Änderung dieses Geschäftsmodells ist eine sicherheitsrelevante Frage globalen Zuschnitts, weil auch die Importländer erhebliche strategische Abhängigkeiten vom Import fossiler Energien entwickelt haben. Eine mögliche Auflösung dieser beidseitigen Abhängigkeiten hat globale Folgen, die in diesem Kapitel betrachtet werden.

Auch die Importländer sind vom Import fossiler Energien direkt in ihrer Wohlstandsentwicklung abhängig. Das gilt für die industrielle, wirtschaftliche Ebene, wie für die staatliche Einnahmen. Die über die Steuern erhobenen staatlichen Einnahmen auf fossile Energien machen einen nicht unwesentlichen Teil des BIP in den Importländern aus, so auch vor allem in der Eurozone. Somit sind auf beiden Seiten der fossilen Energiekette (Förderung, Export, Transport, Import) erhebliche wirtschaftliche und fiskalische Abhängigkeiten gegeben, die bei einer „Zero Kohlendioxidemission“ direkt zum Tragen kämen. Die Energiewende, als global etablierter Begriff zur Verdrängung der fossilen Energien aus den nationalen Energiemärkten, gibt jedoch auf diese grundlegenden Probleme auf der Export- und Importseite keine Antworten. Solange diese Antworten fehlen, ist heute die Energiewende auf vielen gesellschaftlichen und internationalen Ebenen eine höchst gefährliche Strategie für die Staaten und bedarf deshalb einer dringenden Reform.

In den sicherheitspolitischen Überlegungen der letzten 30 Jahre breitete sich vor allem die Erkenntnis über die Abhängigkeit militärischer Fähigkeiten von fossilen Energieimporten bzw. ihren Zugängen im Konfliktfall aus. Deutschland als rohstoffarmes Land ist in einem militärischen Konfliktfall, unabhängig von der Größe seiner Armee und seinen Rüstungsausgaben (deutscher Bundeskanzler Olaf Scholz: 100 Mrd. € zusätzliche MilitärausgabenFootnote 5), wesentlich von den Importen fossiler Energien abhängig. Das gilt für (fast) alle anderen EU-Staaten ebenfalls. Dadurch ist die EU als Wirtschaftsgemeinschaft, unabhängig von ihren Militärausgaben und Armeegrößen, strategisch vermutlich nicht in der Lage, längere Militärkonflikte durchhalten zu können, sofern der Import fossiler Energien unterbrochen würde. Strategisch ist deshalb für die Sicherheitsarchitektur der EU eine verlässliche Bündnistreue zwischen der EU und den USA – oder einem anderen Land mit eigenen ausreichenden fossilen Energien – von zentraler Bedeutung, eine militärische Auseinandersetzung über einen längeren Zeitraum durchhalten zu können. Zu diesen strategischen Reserven und Absicherungen gehören auch die nationalen Kohle- und Gasvorkommen, sowie ihre Erreichbarkeit/Abbaubarkeit. Die EU wäre vermutlich in einer Sicherheitsanalyse ein interessantes Objekt für andere Staaten, weil ein großer Reichtum in diesem Staatenbund vorhanden ist, zurzeit jedoch strategisch eine sehr geringe eigene militärische Verteidigungsfähigkeit gegeben ist (wirtschaftlicher Riese mit geringen eigenen Verteidigungsfähigkeiten). Die sehr hohen Abhängigkeiten vom Import fossiler Energien wären dabei nur ein Faktor.

Ein Grundsatz bei dieser Beobachtung ist, dass alle an die Oberfläche geförderten, fossilen CO2-Bestände irgendwann in die Atmosphäre gelangen. Deshalb kann eine vom IPCC und der IEA geforderte globale CO2-arme oder sogar CO2-freie Zukunft nur eine erhebliche Reduktion der globalen fossilen Energieträger in ihren Fördermengen bedeuten (passive CO2-Reduktion), was bei einer zu kurzen Zeitspanne des Reduktionsprozesses in seiner Konsequenz zu einer Destabilisierung ganzer Regionen führen könnte. Bei den Importländern führt diese Forderung zu der Konsequenz, dass ihre Armeen zukünftig nicht mehr mit fossilen Energien versorgt werden sollen bzw. könnten. Die strategische Konsequenz dieser Entwicklung wäre auch eine stetige Verknappung der Energieträger auf der Förderseite, was neue und weitere Entwicklungseffekte in der Versorgung von Armeen in den anderen Staaten initiiert. Die Folge davon ist eine vollständige Umstellung aller Armeen der Welt auf Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe (und weitere Kraftstoffe), zumindest bei den Ländern, die fossile Energien importieren müssen. Aus der heutigen Sicht erscheint die Umstellung auf synthetische Kraftstoffe der plausibelste aber auch teurere Weg zu sein. Die Folge dieser Entwicklung wäre dann eine neue Abhängigkeit von dem Herstellungsprozess dieser synthetischen Kraftstoffe, der Ressourcen und ebenfalls Energie benötigt. Der Aspekt der wirtschaftlichen Kosteneffizienz bei der Nutzung dieser Ressource als ein kriegsentscheidender Faktor, der vor allem bei einer Umstellung der zivilen Wirtschaft auf eine Kriegswirtschaft zum tragen kommen würde, wird hier nicht weiter verfolgt und soll an dieser Stelle den Hinweis an die Ökonomen geben, dieses Themenfeld im Rahmen einer Energietransformation genauer zu untersuchen. Diese Kausalität an Kosten (ggf. von Importkosten bzw. von Produktionskosten) im Verteidigungsfall von CO2-freien Energien für die Verteidigung, die Nutzbarkeit eigener fossiler Energiereserven zur Versorgung der Bevölkerung bzw. zum Betrieb einer Kriegswirtschaft, der Zugang zu Energieimporten im Krisenfall und den damit einhergehenden Abhängigkeiten, sowie die gesamtheitliche Umstellung der Energiebasis für den zivilen UND militärischen Bereich im Rahmen einer Energietransformation, auch vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte der fossilen Energien als Machtinstrument verschiedener Staaten, führt zu der Frage, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Sicherheitspolitik von Ländern hat und welche Verschiebungen sich dabei ergeben könnten. Ebenfalls stellt sich die Frage, welche Szenarien verschiedene Staaten entwickeln werden, um mithilfe des Klimawandels Vorteile für ihre Vormachtstellungen bzw. Volkswirtschaften zu erhalten.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz sagte im Jahr 2021 der Vorsitzende Wolfgang Ischinger: „Wir tun noch so, als ob wir von Panzern und Nuklearwaffen bedroht werden. Im 21. Jahrhundert entscheidet aber die Herrschaft über Daten und technologische Systeme den Wettbewerb. Da fällt schon auf, dass China in der Klimatechnologie die Führung übernimmt.“ Dieser Hinweis hat nur seine Gültigkeit, wenn keine Kriege geführt werden und damit das real vorhandene Kriegsgerät nicht als politisches Instrument zum Einsatz kommt. In den Krisenzeiten eines Kriegs gelten dann andere Grundsätze. Der zweite Einwand dieses Gedankens wäre, dass die real vorhandenen Kriegsgeräte natürlich eine Bedrohung darstellen und – das ist der zentrale Widerspruch – ein globalisierter Wettbewerb von Firmen aus unterschiedlichen Staaten nur in Friedenszeiten funktioniert. Der Hinweis von Wolfgang Ischinger ist jedoch für das Verständnis zur Entwicklung des Zeitgeistes, in dem der Klimawandel über das letzte Jahrzehnt eine dominierende Bedeutung eingenommen hat, bedeutsam. Für das öffentliche Framing von Nachrichten ist die Herrschaft der Daten von zentraler Bedeutung. Das Framing gibt auch eine Erklärung zu der gesellschaftlichen Stellung des Themas Klimawandel und der damit verbundenen Emotionalisierung, die vor allem in den letzten Jahren in ihrer thematischen Entwicklung an Bedeutung zugenommen hat.

Erweitern wir den Analyseraum mit weiteren wichtigen Abhängigkeiten u. a. zur energetischen Transformation der EU-Staaten bzw. auch Deutschlands. Zu dem Spektrum zählen u.a. die genannten „Daten“ u.a. aus Satellitensystemen, auf die im Krisenfall uneingeschränkt zugegriffen werden muss, der Import und die Produktion von Energie zur Versorgung der Verteidigung bzw. des Militärs, der Zugang zu wichtigen Rohstoffen zur Produktion von Waffen und Munition, sowie zur Versorgung der Bevölkerung, die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser, und vieler weiterer energieabhängiger Elemente. Bei der Kontrolle z. B. von seltenen Erden, die für neue Technologien (Windenergieanlagen, Chipfertigung, Digitalisierung etc.) benötigt werden, belegt China den ersten Platz. Damit wird deutlich, dass fossile Energien und andere Rohstoffe in unserer ökonomisch vernetzten Welt generell ein Potenzial für machtpolitische Einflussnahmen haben und so auch von der Politik eingesetzt werden. Die Einflussnahme auf all diese energieabhängigen bzw. in der Energietransformation eingebetteten Faktoren erfolgt, je nach Kulturhintergrund der jeweiligen Regierung, mehr oder weniger verdeckt in lang-, mittel- oder kurzfristige Strategien eingebettete Handlungen (vom Projekt Neue Seidenstraße bis zu sofortigen verhängten Sanktionen gegen verschiedene Staaten), um dem eigenen Volk in der globalisierten Welt einen Vorteil zu verschaffen. Das führt uns zu der Frage, was Sicherheit und in diesem Kontext auch Sicherheitspolitik eigentlich bedeuten. Bei dieser Fragestellung liegt der Fokus auf der Einbettung in die Klimathematik, die global und unabhängig von politischen Landesgrenzen ist. Bei all den Recherchen zu diesem Buch, sind mir keine konkreten Planungen zur Umstellung eines Militärs, hier vor allem in Deutschland und der EU, auf CO2-freie Kraftstoffe und ihre militärische Versorgung (Umstellung der Logistik) bekannt geworden.

In vielen Staaten werden grundsätzliche Ausrichtungen im Bereich der Innen-, Außen- und Militärpolitik – heute auch als Verteidigungspolitik bezeichnet – in DoktrinenFootnote 6 festlegt. Diese Doktrinen können von verschiedenen Staaten öffentlich nachgelesen werden (z. B. USAFootnote 7, RusslandFootnote 8, EU-Staaten, NATO, …). Sie enthalten die Prinzipien, nach denen die entsprechenden politischen Handlungsfelder bearbeitet werden. In Deutschland galt nach dem Zweiten Weltkrieg lange das Prinzip der Landesverteidigung, das zunächst von den damaligen Siegermächten mit aller politischen Vorsicht für den Aufbau der deutschen Bundeswehr erlaubt wurde. Über die folgenden Jahrzehnte änderten sich die globalen Verhältnisse und der Eiserne Vorhang verschwand als Konfliktgrenze zwischen zwei großen „Völkerblöcken“. In den 1990er Jahren wurden neue Doktrinen in Deutschland, den europäischen Ländern, der NATO, den USA, Russland und anderen Ländern entwickelt. Sie wurden in den folgenden Jahrzehnten immer wieder den sich wandelnden globalen Verhältnissen angepasst und weiterentwickelt. Sie sind heute die Grundlage für eine Strategieentwicklung zur energetischen Transformation der Streitkräfte auf CO2-neutrale Energieträger. Die energetische Transformation der Streitkräfte in einem Land erzwingt bei jedem Militär neue Technologien, enorme Kosten und in den Armeen neue Strukturen. Diese Übergangsphase ist per se ein Risikofaktor in den jeweiligen Armeen. Ob aus diesen oder anderen Gründen deshalb eine Energietransformation von Streitkräften auf CO2-freie oder CO2-neutrale Kraftstoffe bzw. Energieversorgung erfolgen wird, ist unklar. Damit relativieren sich aber die politischen Forderungen zu einer gesellschaftlichen Klimaneutralität bis 2045, weil die Transformation dann nur eine Teilumstellung eines Staates betreffen würde.

4.1 Was ist Sicherheit?

Aber was ist nun eigentlich eine „Sicherheit“ für einen Staat in den Zeiten des beginnenden Klimawandels? Am Beispiel Deutschland kann nachvollzogen werden, dass aus der reinen Landesverteidigung, die in der jungen Bundesrepublik den Aufbau der Bundeswehr mit Soldaten und Waffen begründete, eine exterritorial handelnde Armee ab dem Jahr 1999 (Kosovokrieg vom 28. Februar 1998 bis zum 10. Juni 1999. NATO Einsatz vom 24. März 1999 bis zum 9. Juni 1999 im Rahmen der Operation Allied Force) und 2001 entwickelt wurde. Diese Wandlung des nationalen Sicherheitsbegriffs Deutschlands wurde von dem damaligen Verteidigungsminister Peter Struck in den berühmten Satz zur Rechtfertigung des exterritorialen Bundeswehreinsatzes in Afghanistan gekleidet: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“Footnote 9 In Bezug auf unsere heutige Zeit gleichen sich die öffentlichen Darstellungen u. a. zu umfangreichen Waffenexporten und Militärhilfen, wie z. B. zum Ukrainekrieg von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP, MDB): „In der Ukraine werden auch unsere Werte verteidigt“Footnote 10, vom 19. September 2022; oder von Annalena Baerbock (Die Grünen, MDB, Außenministerin ab 2022): „Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit, unsere Friedensordnung“Footnote 11 in der Tagesschau vom 28. August 2022. Ab dem Jahr 2002 (zum Ereignis 9/11 am 11. September 2001) wurden zugleich neue Begriffe wie hybrider Krieg, Cyberwar, abstrakte Bedrohung und viele andere Begriffe entwickelt, die alle dem öffentlichen Zweck einer verbesserten „Sicherheit“ und dem Schutz der eigenen Bevölkerung dienen sollten. In demselben Zeitraum änderten sich die Militärdoktrinen von Deutschland, verschiedenen EU-Staaten, der NATOFootnote 12, den USA und zahlreichen anderen Staaten grundlegend. Unter dem neuen staatlichen Verständnis von „Sicherheit“ konnten nun Angriffskriege irgendwo auf der Welt geführt werden, Drohnen über fremde Länder fliegen und ohne Kriegsgrund gegen ein Land deren Menschen töten (siehe auch: Veröffentlichungen von Edward SnowdenFootnote 13). Diese Doktrinen sind heute die Grundlage von Ländern, die fossile Energien exportieren (signifikante Mengen aus USA, Türkei und Norwegen) und im wesentlichen importieren (im wesentlichen Staaten der EU und des NATO Verbundes).

Die heutigen Risiken werden auch unter dem Sammelbegriff Instabilität zusammengefasst. Mit dem Begriff der Sicherheit vor Risiken konnten somit auf den Nationalstaat bezogene Sicherheitsanforderungen, die in der Regel einen Gegner von außen annahmen, in exterritoriale oder auch innerstaatliche Szenarien umgewandelt werden. Mit dem neuen Sicherheitsbegriff wurde die frühere nationalstaatliche Sicherheitsstrategie den globalisierten Märkten angepasst und Einsätze in anderen Staaten wie auch im Inneren (auf dem eigenen Territorium) legitimiert. Im Nordatlantikvertrag wurden diese Einsätze als „Out of Area“ im Jahr 1992 definiert, weil sie außerhalb der Gebiete der Unterzeichnerstaaten stattfinden. Mit dieser fundamentalen Neuausrichtung der Doktrin der NATO änderte sich der Charakter des ehemaligen reinen Verteidigungsbündnisses grundsätzlich.

Die neuen Risiken werden nicht mehr, wie noch bei der früheren Bedrohung, an konkreten Akteuren festgemacht. Als Risiken können alle Entwicklungen wahrgenommen werden, deren Ausgang offen ist und aus denen irgendwann eine Störung des globalen Kapitalverwertungsprozesses bzw. eine Störung im Funktionieren des Wirtschaftsmodells entstehen kannFootnote 14. Mit diesem weitgefassten Sicherheitsbegriff ist im Prinzip alles, was in einer Gesellschaft, der Politik und der Ökonomie weltweit passiert, für den Zugriff des Militärs interessant, da die prinzipielle Offenheit aller Veränderungen in einem Staat, zwischen Staaten oder durch allgemeine Entwicklungen hervorgerufen (z. B. Klimawandel), ein mögliches Risiko darstellt. In diesem neuen strategischen Ansatz entfällt der Bezug zu einem konkreten Gegner. In der Konsequenz entfällt die Option zu Verhandlungen, die deeskalierend wirken können. Mit einem abstrakten Risiko lassen sich keine Verhandlungen führen, etwa im Rahmen von vertrauensbildenden Maßnahmen oder Abrüstungskonferenzen.

In der Logik dieser Sicherheitsstrategie/Sicherheitspolitik kann gegen Risiken nur eine Risikovorsorge eingesetzt werden. Anders als früher nimmt das Militär daher nicht mehr die Rolle des letzten Mittels ein, sondern wird als eines von vielen, als normales Instrument zum Krisenmanagement angesehen. Der Einsatz von Militär gegen die eigene Bevölkerung wird wieder legitim (salonfähig). Damit dringt aber das militärische Handlungsfeld auch in soziale Bereiche der eigenen Bevölkerung ein, die traditionell nicht als militärischer Handlungskontext, vor allem in DeutschlandFootnote 15, angesehen wurden. Im internationalen Kontext wird mit dieser Entwicklung die Krisenprävention mit zivilen Mitteln zurückgedrängt und durch völkerrechtlich nicht gedeckte militärische Präventivkriegsführungen ersetzt.

4.2 Globale Kommunikationsinfrastruktur und Daten

Mit dem geänderten Sicherheitsbegriff, vor dem Hintergrund der Globalisierung und der parallel dazu verlaufenden Entwicklung der Kommunikationsmedien ab Anfang der 1990er Jahre (Ende des ARPANET), entstanden auch vollkommen neue strategische Überlegungen, die zu neuen strategischen Szenarien wie „Cyberwar“ oder „Information Warfare“ geführt haben (siehe auch: Think Tank RAND Corporation). Die Folge war die Gründung der „School of Information Warfare and Strategy“ an der National Defense University in Washington. Die hier entwickelten Strategien wurden in die Strategiepapiere des US-Generalstabs „Joint Vision 2010“ und „Joint Vision 2020“ aufgenommen. Als Standardwerk wurde das Buch „War and Anti-War“ von Alvin und Heidi Toffler angesehen, in dem eine neue Form des Kriegs vorhergesagt wurde, die auf der Beherrschung der Information basiert. Im Rahmen dieser Entwicklungen ist auch der Begriff der „Full Spectrum Dominance“ geprägt worden. Die Ausprägungen dieser Strategie kann u.a. heute, ca. 30 Jahre nach den ersten Überlegungen zu diesem Themenfeld, in der Klimabewegung und anhand des Gesellschaftsthemas Klimawandel analytisch beobachtet werden. Andere Beispiele einer Informationsdominanz bzw. Meinungsmanipulation großer Bevölkerungsteile konnten bei den Wahlen von Donald Trump, USA, beobachtet werden. Viele weitere Beispiel in der Nutzung dieser Strategie sind heute, den Jahren 2022 und folgend, präsent.

Wenn jedoch in den Kriegen der Zukunft nicht mehr die Feuerkraft, sondern die Informationsvorherrschaft entscheidend ist, dann zielt die Krisenstrategie nicht mehr auf die Hardware des Gegners – seine Infrastruktur und Produktionskapazitäten, sein Militär –, sondern auf den Geist der Menschen in einer anderen Volkswirtschaft. Dabei soll die Selbst- und Umweltwahrnehmung des Gegners so strukturiert werden, dass er dem Willen des Angreifers folgt, ohne mit Gewalt gezwungen zu werden (George Stein). „Das Angriffsziel des Informationskrieges ist dann das menschliche Denken, speziell das Denken derer, die die Schlüsselentscheidungen über Krieg und Frieden treffen“ (Information Warfare [8], in: Airpower Journal, Nr. 1), so Prof. George Stein am Army War College. Auf dieser Basis wurden weitere Konzepte für weitergehende Formen der Kriegsführung entwickelt, die unter den Leitbildern „Netwar“ oder „Neocortical War“ zusammengefasst werden. Sie beinhalten eine Ausweitung des Kriegsbegriffs auf alle Konfliktformen in der Gesellschaft, die mit öffentlichen Mitteln ausgetragen werden (Beispiel 1 siehe auch: Entwicklung der öffentlichen Informationen zum Russland-Ukraine-Krieg in verschiedenen MedienFootnote 16; siehe auch: die Rolle der Medien in der öffentlichen Wahrnehmung von Ereignissen in „Die Vierte Gewalt“, Precht & Welzer, S. Fischer). Informationen gelten dabei zunehmend als Waffe. Die Vordenker in den Universitäten, Colleges und amerikanischen Think Tanks sind der Überzeugung, dass in der gezielten konzertierten Zusammenarbeit zwischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), parteinahen Wissenschaftsinstituten und Stiftungen, Journalisten, Medienkonzernen und Social-Media-Konzernen einerseits sowie diese Zusammenarbeit steuernden, staatlichen Informationsstellen eines Landes andererseits, ein gewaltfreies Äquivalent für militärische Macht gefunden wurde. Mithilfe von Theorien der Medienforschung (MedienreichhaltigkeitstheorieFootnote 17, Social-Presence-TheoriesFootnote 18) und der Sozialforschung (Impression-ManagementFootnote 19, Self-Disclosure-TheoriesFootnote 20) entwickelten die Forscher Kaplan und Haenlein im Jahr 2010 eine Klassifikation, die soziale Medien in sechs unterschiedliche Gruppen einteilt: Kollektivprojekte (z. B. Wikipedia), Blogs und Mikroblogs (z. B. Twitter), Content Communities (z. B. YouTube), soziale Netzwerke (z. B. Facebook), MMORPGs und soziale virtuelle Welten (Virtual Game Worlds und Virtual Social Worlds). Diese Überzeugungen wurden in fast allen Staaten der EU, besonders in Deutschland und England, übernommen.

Staatliche Sicherheit ist damit zu einem weit gefassten Begriff geworden und nicht nur auf die eigene Landesverteidigung bezogen. Er rechtfertigt heute zahlreiche staatliche Maßnahmen, die nach innen und nach außen vor den 1990er Jahren nicht denkbar gewesen waren. Durch diese weite Auslegung und die damit implizit vorausgesetzte Legitimation entsprechender Handlungen werden zukünftig auf den Klimawandel „sicherheitsbezogene“ Handlungen zur Krisenprävention einen neuen Risikofaktor zwischen den Staaten, aber auch innerstaatlich darstellen. Im neuen Kontext der von staatlichen Stellen definierten Werte entsteht eine hybride Legitimation auf staatlicher Ebene, militärische Mittel u. a. bei der Verletzung dieser Werte einsetzen zu können. Insofern liegt in der heutigen politischen Auslegung des Sicherheitsbegriffs eines jeden EU- und NATO-Staates und zugleich der von der Politik bzw. durch Deutschland vorangetriebenen Verdrängung fossiler Energien in der EU ein reales extremes Risiko, was mit einer weiteren Annäherung an die politisch definierten Dekarbonisierungszeitpunkte 2035, 2045, 2050 ansteigt.

Um die politischen Fundamente der heutigen Sicherheitspolitik der wichtigsten Staaten dieser Welt noch besser verstehen und die Einordnung in zukünftige, möglicherweise durch den Klimawandel begründete, kriegerische Auseinandersetzung zur Krisenprävention erkennen zu können, sind die nach dem Fall der damaligen Sowjetunion entstandenen neuen Doktrinen in zahlreichen Staaten der Welt, ihre Auslegung und ihre innere Logik von besonderer Bedeutung. Normaler Weise hat ein Staat ein fundamentales Interesse, sich gegen Angriffe auf sein eigenes Territorium zu verteidigen. Dazu unterhalten die Staaten eigene Armeen, produzieren oder beschaffen Waffen und stellen Kapital aus ihrem BIP zur Verfügung. Mit dem Wandel der technischen Möglichkeiten, der datentechnischen Vernetzung der Welt, dem in den 1990er Jahren politisch eingeführten globalen Welthandel, der daraus folgenden globalen Arbeitsteilung und der damit einhergehenden wachsenden Abhängigkeit von Staaten, entstanden neue Bedrohungsmöglichkeiten basierend auf sehr unterschiedlichen staatlichen Interessen. Heute kommen zu diesen staatlichen Interessen in ihrer Bestimmung volatile staatliche Werte hinzu, wie sie u. a. im Koalitionsvertrag der deutschen Regierung nach der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag im Jahr 2021 verankert worden sind. Ähnliche Erweiterungen der staatlichen Sicherheitsinteressen können auf der EU-Ebene festgestellt werden. Mit den Lissabon-VerträgenFootnote 21 wurden auf EU-EbeneFootnote 22 die Werte als politische Grundlage der Staatengemeinschaft neu eingeführt.

Eine der bekanntesten neuen Bedrohungen, die ausschließlich durch die Entwicklung der modernen digitalen Technologien entstanden ist, ist der Cyberwar oder Cyberkrieg. Ich möchte an diesem sehr gut nachvollziehbaren Komplex etwas tiefer in die Sicherheitsinteressen von Staaten eintauchen, damit etwas später auf diese neuen Sicherheitsinteressen im Rahmen eines Klimawandels eingegangen werden kann. An dem Beispiel des Cyberwar kann das Prinzip aufgezeigt werden, wie die staatlichen Interessen und ihr Sicherheitsbegriff verbunden sind und welche neuen, komplexen Bedrohungen zusätzlich zu den mit dem Thema der realen Klimaveränderungen entstehen. Diese neuen staatlichen Sicherheitsinteressen, die mit der Thematisierung des Klimawandels aufkommen, sind bisher nicht definiert und multidimensional. Sie können aber als eine Linie eines Entwicklungsprozesses ab Anfang der 1990er Jahre verstanden werden, in dem sich der rein präventive Charakter des Sicherheitsbegriffs (z. B. eigene Landesverteidigung) in eine neue und sich ausweitende Interpretation auf vielen weiteren Feldern entwickelt.

Der Begriff „Cyberwar“ ist bis heute nicht eindeutig definiert. Daraus folgt auch, dass es im völkerrechtlichen Sinn schwierig ist, den Cyberkrieg offiziell als kriegerische Handlung zu deklarieren. Unter dem Begriff versteht man im Allgemeinen eine Manipulation von verschiedenen, über das Internet erreichbaren Unternehmen, Einrichtungen oder staatlichen Stellen unter Zuhilfenahme moderner Informationstechnologie mit kriegerischen Merkmalen. Was jedoch diese kriegerischen Merkmale sind, ist nicht klar definiert. Werden z. B. in mehreren KrankenhäusernFootnote 23 durch einen Cyberangriff die Computer so manipuliert, dass ein üblicher und normaler Betrieb der Häuser nicht mehr möglich ist, kombiniert mit einer Forderung nach einer Geldzahlung für die Freigabe von Daten, kann das als kriegerischer oder terroristischer Akt verstanden werden. Es kann auch als krimineller Akt eingestuft werden. Dasselbe gilt auch für die Manipulation von Stromnetzen, Kraftwerken oder die Manipulation der Kommunikationsinfrastruktur des Deutschen BundestagesFootnote 24, wie sie tatsächlich erfolgte. So wurde z. B. das Kommunikationsgerät (Mobiltelefon) der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel von einem „befreundeten Staat“, der CIA der USA, manipuliert, sodass die Gespräche bzw. Verbindungen zu anderen Kommunikationsteilnehmern der Kanzlerin mitgelesen werden konnten. Keines dieser Beispiele wurde bisher als kriegerischer Akt eingestuft oder führte zu einer militärischen Intervention.

Führt ein Land als „militärische Aktivität“ (auch dieser Terminus ist nicht eindeutig definiert, was u. a. Drohnenangriffe legitimiert) einen Cyberangriff aus, ist er zunächst auf den virtuellen Raum, den Cyberspace, ausgerichtet. Dieser virtuelle Raum ergibt sich durch über das Internet erreichbare andere Rechner und andere technische Systeme, die heute datentechnisch ohne Kontrolle an politischen Landesgrenzen einfach weltweit angesprochen werden können. Insofern ist es eigentlich kein Raum, sondern eine sehr große Zahl von vernetzten technischen Geräten in unterschiedlichen Ländern an unterschiedlichen Orten, deren Funktion reale Dinge wie die Wasserversorgung oder die Stromproduktion ausführt. Das Ziel eines „Cyberangriffs“ ist zunächst, informationstechnische Einrichtungen und Netzwerke so zu stören, dass wichtige Funktionen wie die Kommunikation, das Finanzsystem oder die Energie- und Wasserversorgung nicht mehr möglich sind bzw. in ihrer Funktion beeinflusst/kontrolliert werden. Dadurch kann einem Land oder einer Gesellschaft ein Schaden zugefügt werden, so wie ein realer Angriff mit Kanonen oder Raketen. Cyberwar kann auch begleitend zu konventionellen kriegerischen Handlungen durchgeführt werden, um deren Erfolgsaussichten zu steigern (Beispiele sind u.a. der Irak-Krieg und der Ukraine-Krieg).

Cyberangriffe werden heute von fast allen modernen Staaten ausgeführt. Ihre Ziele sind das Ausspionieren der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Politik oder des Militärs, vor allem aber der Bevölkerung über soziale digitale Medien. Sie sind heute Teil der Spionagemaßnahmen von Staaten. Ein Merkmal eines Cyberwars sind Angriffe auf die genannten Teile eines Staates. In einem nächsten Schritt findet das Infiltrieren von informationstechnischen Einrichtungen mithilfe von Schadsoftware wie Viren, Würmern oder Trojanern statt. Die Systeme lassen sich mithilfe dieser Schadsoftware manipulieren oder stören. Diese Attacken werden heute vor allem in Staaten durchgeführt, in denen ein anderer Staat freie Wahlen manipulieren will. Die damit einhergehenden Desinformationen wurden bereits in den letzten 15 Jahren häufig beobachtet und auch von Wahlkandidaten für ihre eigenen Ziele eingesetzt. Wie zu beobachten ist, erfolgen diese Angriffe auf die Sicherheitsinteressen eines Staates nicht nur von außen, sondern auch von innen. Eine genaue, tatsächliche und nachgewiesene Zuordnung dieser Informations- und Meinungsmanipulation (hybride Angriffe) zu einem anderen Staat, oder durch „meinungsmanipulative“ Aktivitäten innerhalb eines Landes wird heute immer undeutlicher. Als ein Beispiel, von vielen weiteren hybriden Angriffs auf die öffentliche Meinung in Deutschland können u.a. die als „Klimakleber“ bekannt gewordenen Aktionen der Gruppe „Letzte Generation“ (Deutscher Teil von ähnlichen Gruppen mit anderen Namen in anderen EU-Ländern) benannt werden. Sie werden durch Spenden, jedoch vor allem durch den amerikanischen Climate Emergency Fund finanziert, wie zahlreiche Recherchen renommierter Journalisten ermittelt haben (Zeit Online, Merkur, Fokus und Andere).

Die Waffen des Cyberkriegs entstehen durch Software und Programmierung. Sie werden zur Entwicklung entsprechender Schadsoftware verwendet, die dann über Angriffs- bzw. Verbreitungsszenarien mithilfe der digitalen Netze zu den Zielgeräten transportiert wird. Die moderne digitale Informationstechnik ist damit ein neues Sicherheitsrisiko, das lange so nicht eingestuft wurde.

Die moderne Destabilisierung einer Gesellschaft erfolgt heute durch das gezielte Verbreiten von Fehlinformationen. Sie kann ein Ziel eines Cyberwars sein. Da in vielen Fällen die Urheber einer Cyberattacke nicht zu identifizieren sind und häufig keine offiziellen militärischen oder staatlichen Institutionen zugeordnet werden können, wird häufiger der Begriff des Cyberterrorismus verwendet.

Abwehrmaßnahmen eines Cyberkriegs oder anderer Cyberangriffe sollen wichtige Kommunikations- und Kommandostrukturen sowie Versorgungssysteme schützen. Damit stellt sich die Frage der Abgrenzung, welche Handlungen eines anderen Staates oder einer in dem Staat handelnden Gruppe als kriegerischer Akt erkannt werden und zu entsprechenden Gegenmaßnahmen führen. Heute befindet sich ein moderner Staat in zahlreichen direkten oder indirekten Abhängigkeiten. All diese Abhängigkeiten sind potenzielle Möglichkeiten anderer Staaten, Einfluss ausüben zu können.

4.3 Fundamentale Sicherheitsbereiche

Neben den externen Abhängigkeiten, zu denen auch der Cyberspace gehört, gibt es fundamentale Elemente eines Staates, die seine Existenz begründen oder erhalten. Sie sind zugleich in einer Sicherheitsarchitektur auch die Elemente mit höchster Aufmerksamkeit und Wichtigkeit. Zu diesen zählen sein eigenes Territorium, seine eigenen Rohstoffe, seine landeseigene Infrastruktur, die Versorgung der Menschen mit Wohnen, Energie, Wasser und Nahrung, seine landesweite Informationshoheit sowie seine soziale und politische Stabilität. Wohnen erscheint in dieser Aufzählung vermutlich als ein bisher unbekanntes Element. Das Sicherheitselement Wohnen hat jedoch über die letzten Jahrzehnte gezeigt, dass bei einer größeren Verdrängung der einheimischen Bevölkerung aus ihren Wohnungen durch z. B. den Verkauf an ausländische Investoren eine langfristige Destabilisierung von bestimmten Teilen der Bevölkerung einsetzt (Gentrifizierung). Als ein bekanntes Beispiel für den bewussten Missbrauch dieses Sicherheitselements „Wohnen“ im Rahmen und als Element eines hybriden Angriffs kann das Beispiel in den palästinensischen Gebieten unter dem Begriff „Siedlungspolitik“Footnote 25 der israelischen Regierung angesehen werden. Abgemilderte Beispiele können in verschiedenen Großstädten der EU wie Paris, London, Berlin, München etc. untersucht werden, die auch unter dem Begriff der GentrifizierungFootnote 26 zusammengefasst werden. Diese indirekte Destabilisierung wird heute gesellschaftlich vor allem in Deutschland durch Begriffe wie bunte Gesellschaft oder offene GesellschaftFootnote 27 teilkompensiert. Der Verlust an Wohnen durch ausländische Aktivitäten schafft jedoch bei der betroffenen Bevölkerung langfristig ein Binnenklima gegen den eigenen Staat, weil die vertriebene Bevölkerung ihre Heimat an nicht einheimische, neue Eigentümer abgeben muss und ihr eigener Staat sie nicht vor diesem Verlust schützt.

Tritt der Klimawandel in Zukunft stärker in das Bewusstsein wohlhabender Menschen aus besonders betroffenen Regionen wie z. B. dem Nahen Osten oder afrikanischen Ländern, kaufen sich diese Bewohner irgendwo in der EU zahlreiche Wohnungen, Häuser, ganze Quartiere oder Straßenzüge (zahlreiche Beispiele können bereits heute genannt werdenFootnote 28), sodass häufig die dort ehemals ansässige Bevölkerung schrittweise verdrängt wird. Der durch den freien Markt unkontrollierte, rein private Handel mit Wohneigentum ist vor dem Hintergrund des sich entwickelnden Klimawandels und dem Sicherheitsanspruch eines Staates bedarf einer kritischen Analyse. Das gilt jedoch auch für landwirtschaftliche Flächen, die für die lokale Versorgung eines Staates wichtig sind. Auch der heute unkontrollierte Handel mit diesen Kernressourcen wie dem eigenen Grund und Boden eines Landes ist vor dem Hintergrund des Klimawandels ein erstrangiger Einflussfaktor anderer Staaten und insofern nicht mehr zeitgemäß. Die Anpassung der Sicherheitsdoktrin an diese modernen innerstaatlichen Gefährdungspotenziale ist dringend notwendig. Bereits im Mittelalter wurden Staaten mithilfe von Provokateuren destabilisiert, soziale Unruhen inszeniert und eine innere politische Stabilität torpediert, um anschließend von einem anderen Staat ausgeplündert oder übernommen zu werden. Damit wird deutlich, dass diese Elemente eines Staates seit Langem Angriffsziele von anderen Mächten darstellen. Mithilfe der modernen, digitalen, vernetzten Systeme, aber auch heutiger Gesetze, können besonders diese klassischen Angriffsziele eines Staates ohne direkte kriegerische Konsequenzen angegriffen werden, wie bereits weiter oben beschrieben wurde.

Ein weiteres Ziel der Sicherheitspolitik eines Staates ist der Schutz der national arbeitenden und international arbeitsteiligen Wirtschaft, bzw. seine exterritoriale Infrastruktur wie Pipelines und Seekabel. Sie ist heute in der Regel global vernetzt und damit per se ein Angriffsziel. Über nationale Gesetze versuchen andere Staaten, diese globale Arbeitsteilung so zu konstruieren, dass ein Know-how-Abfluss an die lokalen Beteiligungspartner erfolgen muss, wenn von einem Unternehmen mit Sitz in dem einen Staat eine Tochtergesellschaft in dem anderen Staat gegründet wird (siehe Gründungsbedingungen von Tochterunternehmen in u. a. China, …). Vor dem Hintergrund eines gesellschaftlich thematisierten Klimawandels ist vor allem der Bereich Wirtschaft zukünftig vermutlich das bedeutendste Angriffsziel in einem Staat bzw. seine exterritorialen Infrastrukturen. Verliert ein Staat seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (Gefährdungspotenzial ab dem Jahr 2022 in der EU und Deutschland durch EnergieembargosFootnote 29/Energieverknappung, sehr hohe Energiepreise und Inflation) oder verliert ein Staat sein Know-how in Kernbereichen seiner Wirtschaft an einen anderen Staat (Aufkauf von Unternehmen in DeutschlandFootnote 30 durch chinesische Investoren), wird er langfristig sein Wohlstandsniveau verlieren und damit nach innen über einen längeren Zeitraum destabilisiert. Diese Form der modernen Kriegsführung ist der optimale Fall, weil damit bei der angreifenden Partei erhebliche Ressourcen eingespart werden und der eigene Wohlstand bzw. der globale Einfluss stark durch den Wirtschaftsaufschwung wachsen kannFootnote 31. Damit schließt sich diese kritische Auseinandersetzung an die Analyse aus dem vorherigen Abschnitt an. Die Analyse hat gezeigt, dass das heutige Geschäftsmodell vom Verkauf fossiler Energien unter dem strategischen Thema Klimawandel zusätzliche Verluste an Wohlstand in den betroffenen Staaten durch bisher wenig beachtete Entwicklungen hervorbringen wird und langfristig zu einer Destabilisierung dieser Staates führen könnte.

4.4 Weitere sicherheitsrelevante Elemente

Heute stellt die territoriale Integrität einen wesentlichen Stabilitätsfaktor in einer eng verwobenen Welt dar. Wie in dem vorherigen Kapitel analysiert, wird damit zugleich deutlich, dass durch den Klimawandel ein wichtiges Element staatlicher Sicherheitsinteressen (Wanderungsbewegungen von ganzen Völkern, Flüchtlingsbewegungen aus von Klimakriegen ausgelösten Konflikten, Wanderungsbewegungen durch Wohlstandsgefälle und andere Faktoren, …) höchst gefährdet ist. Das Gleiche gilt für weitere oben genannte, fundamentale Elemente eines Staates. Verfügt z. B. ein Staat wie China, USA oder Russland über eine große Anzahl von eigenen Rohstofflagern oder verfügen diese Staaten über eine große territoriale Fläche zum Anbau von Nahrung, zur Um- oder Neuansiedlung von eigenen Bewohnern wegen klimatischer Änderungen, haben diese Staaten gegenüber anderen Staaten zukünftig im Rahmen eines Klimawandels erhebliche Vorteile. Mit diesen Vorteilen wurden und werden Abhängigkeiten geschaffen. Würde in diesem Kontext z. B. in der EU, beispielhaft in Deutschland, die Witterungslage sich in den nächsten 30 Jahren so ändern, dass nur noch 1/3 bis 1/4 der bisherigen Niederschläge (Stichjahr 2020) vorhanden wären, würden sich die Landwirtschaft, die Landschaft und das Leben der Menschen dramatisch ändern. Viele Menschen würden aller Voraussicht nach dann in andere EU-Länder ausweichen, was erhebliche Konsequenzen für den Staat und seine Wirtschaft hätte, jedoch auch Auswirkungen auf die anderen Länder im EU-Staatenverbund mit sich bringen würde (siehe auch innerafrikanische Migrationsbewegungen aus ähnlichen Gründen, wie Dürren, Wassermangel, Bodenerosionen).

Nicht direkt von anderen Staaten angreifbare Elemente im Rahmen von Klimaänderungen sind die Infrastruktur innerhalb eines Landes, mit Ausnahme von exterritorialen Installationen (siehe Pipeline Nordstream), und bisher das Wohnen. Heute wird jedoch das staatliche Sicherheitselement Wohnen durch die Öffnung als internationale Handelsware zur gesellschaftlichen Disposition gestellt und schafft damit im Rahmen eines Klimawandels einen neuen erheblichen innerstaatlichen Unsicherheitsfaktor, der bisher noch nicht in seiner besonderen Bedeutung erkannt wird. Wie bereits weiter oben beschrieben, werden zusätzlich zu den unter verstärkten klimatischen Änderungen in der EU wandernden Menschen die wohlhabenden Bürger aus den durch den Verkauf fossiler Energien reich gewordenen Nationen in klimatisch bewohnbaren Staaten Immobilien kaufen und die einheimische Bevölkerung mit ihrem Kapital verdrängen (Modell der Gentrifizierung). Die Migration aus diesen Staaten der Erde kann bereits heute in Anfängen beobachtet werden, wobei kühlere europäische Staaten bei diesen Personen offenbar besonders beliebt sind. Damit ist Wohnen ein Sicherheitselement im Rahmen des Klimawandels in einem Staat, das heute indirekt angreifbar ist.

Das Element Energie ist über die noch heute gängige Abhängigkeit durch fossile Energieimporte direkt beeinflussbar. Würde ein Staat eine vollständige Autonomie durch regenerative Energie erzielen können, wäre die Umstellung seiner Armee auf diese nationale, autarke Energiequelle zwingend notwendig, da sonst in der eigenen Landesverteidigung kein strategischer Vorteil vorhanden wäre. Im Krisenfall würde sich die energetische Autonomie im zivilen Bereich durch starke Abhängigkeiten von fossilen Energieimporten umkehren. Das gilt nicht für Länder mit großen eigenen fossilen Energielagern. Sie werden auch in Zukunft ihre Armeen im Friedens- und Kriegsfall mit eigenen fossilen Energien versorgen können, zugleich auch eine energetische Unabhängigkeit und Dekarbonisierung im zivilen Bereich erreichen können. Wie im vorherigen Abschnitt analysiert, sind die meisten Staaten der EU von fossilen Energieimporten fundamental abhängig. Die EU hat eine Transformation ihrer auf fossilen Energien basierenden Industrieproduktion beschlossen. Eine Transformation ihrer gesamten Streitkräfte auf nichtfossile Energieträger ist bisher nicht bekannt. Dekliniert man dieses sehr zentrale Sicherheitsfeld weiter durch und betrachtet dieses große strategische Versäumnis der letzten 30 Jahre, kann man nur mit einem gewissen Sarkasmus darauf hinweisen, dass es zukünftig vermutlich (hoffentlich) keine „Batteriepanzer“ und die dann dafür notwendigen Ladesäulen im Schlachtfeld geben wird.

Die postulierte Zeitenwende ist mit dem Einmarsch der russischen Armee am 24. Februar 2022 in die Ukraine eingeläutet worden. Sie überdeckte ab Anfang März 2022 vorhersagbar die öffentlichen Diskussionen vor allem in Deutschland um den Klimawandel. Diese Zeitenwende hat starke Auswirkungen auf die Energieimporte der EU und die angestrebte globale CO2-Reduktion. Als Reaktion auf den Einmarsch wurde die Russische Föderation mit sehr starken wirtschaftlichen, finanziellen, organisatorischen und imagetragenden (Ausschluss aus zahlreichen Vereinigungen, Organisationen, Arbeitskreisen, Gremien etc.) Sanktionen durch eine Allianz von StaatenFootnote 32 belegt. Dazu ist anzumerken, dass über die letzten 30 Jahre zahlreiche andere Staaten mit ebenfalls starken Sanktionen belegt wurden und keine dieser Maßnahmen zu einem Sturz der jeweiligen Regierungen geführt haben. Die Maßnahmen wurden öffentlich immer als eine wichtige Bestrafung der Regime publiziert und damit moralisch legitimiertFootnote 33. In diesem Kontext steht u. a. auch der Krieg gegen den Irak, Krieg gegen Afghanistan etc. In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Kapitel 4, Abschnitt 4.2 (Globale Kommunikationsinfrastruktur und Daten) verweisen, in dem die Mechanismen der öffentliche Meinungsgestaltung analysiert werden.Footnote 34

Analysiert man jedoch den Anfang 2022 ausgebrochenen Konflikt Russland-Ukraine unter der Perspektive der Konkurrenz der Nationen vor dem Hintergrund einer notwendigen globalen Zusammenarbeit zur Verhinderung einer Klimakrise ist auffällig, dass weder China noch die USA ein Interesse an einer engen Verbindung zwischen Russland und der EU entwickelt haben. In der hier vorgelegten Analyse kann in den folgenden Zeilen nur sehr oberflächlich auf diese Zusammenhänge verwiesen und der interessierte Leser zu eigenen Nachforschung zu diesem Themenkomplex ermuntert werden. Diese Länder (USA und China) haben vollkommen unterschiedliche Absichten und Motivationen, eine zu starke Bindung beider Teile des geografischen Europas (westlicher und östlicher Teil) aufkommen zu lassen. Der geografisch westliche Teil Europas verfügt über wenige Bodenschätze, ist ein relativ dicht besiedeltes Gebiet (EU-Raum) und ist einer der stärksten Wirtschaftsräume der Welt. Der geografisch östliche Teil Europas (vor allem Russland) verfügt über große Bodenschätze, große fossile Energievorkommen und eine große, unbesiedelte Landfläche u. a. zum Anbau von Lebensmitteln ebenso wie mögliche Flächen zur Energieerzeugung durch Wind und Sonne – zusammen besonders strategisch wichtige Elemente in der Konkurrenz von Nationen und einer Wohlstandssicherung unter den kommenden klimatischen Änderungen. Eine Orientierung Russlands nach Westen würde die Unabhängigkeit der EU gegenüber den USA stärken, in dessen Folge die NATO strategisch vermutlich geschwächt würde. Langfristig könnte aus diesem Zusammenschluss (EU und Russland) eine von zahlreichen Ressourcen unabhängige neue Weltmacht in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht entstehen, die dann als neuer politischer Faktor auf der Welt in Konkurrenz zu den USA und China sich entwickeln würde. Eine Orientierung Russlands nach Osten würde China in seinem Expansionsstreben unterstützen (dazu im Jahr 2023 die Grundlagen geschaffen worden). Ein Zusammenschluss der EU mit Russland würde einen neuen globalen Machtfaktor in Konkurrenz zu den USA und zu China schaffen sowie eine hohe Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit der wirtschaftlich starken EU-Länder auf zahlreichen Ebenen für die Zukunft begründen.

Diese mögliche neue Konkurrenz auf zahlreichen Ebenen (wirtschaftlich durch die EU, militärisch durch Russland, strategisch durch die große Landfläche und ihre großen Bodenschätze) wollen beide Großmächte, USA und China, nicht. Eine entscheidende Frage stellt sich jedoch aus der Sicht von Russland mit seiner heutigen Regierung: Welche Interessen verfolgt dieses Land für seine eigene Zukunft und in welcher Richtung tendieren diese Vorstellungen wirtschaftlich, gesellschaftlich, strategisch? Aus der heutigen Perspektive ist zu vermuten, dass sich die drei größten Länder auf dem eurasischen Gebiet wie Russland, Indien und China zu einer neuen interessenbasierten Staatengemeinschaft zusammenschließen werden und im Wandel des Klimas aus diesem Zusammenschluss für sich die besten strategischen Voraussetzungen entwickeln könnten. Mit dem Angriffskrieg der russischen Regierung gegen die Ukraine wurde als Reaktion der EU mit umfassenden Sanktionen faktisch Russland als ein europäisches Land politisch und wirtschaftlich ausgeschlossen. Strategisch könnte sich infolge dieser Entwicklungen mit der territorialen Grenze Russlands eine politische eurasische Linie zu den europäischen Anrainerstaaten entwickeln.

Aus der analytischen Sicht liefert rational der Angriffskrieg Russlands auf sein Nachbarland eine für andere Staaten strategisch nutzbare Komponente, die nach innen und außen auf unterschiedlichen Feldern nutzen werden (siehe beispielhaft IndienFootnote 35: „Indien kauft russisches Öl und verkauft es teuer nach Europa“Footnote 36). Betrachten wir vor diesem Hintergrund die möglichen strategischen Optionen des transatlantischen Bündnisses etwas genauer. Diese Betrachtung der möglichen Optionen ist deshalb von großem Interesse, weil bei einer zukünftigen neuen Blockbildung, auf die später noch eingegangen wird, eine auf globaler Ebene notwendige Zusammenarbeit zur CO2-Reduktion erheblich erschwert werden wird. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs Ende der 1990er Jahre (Ende des Warschauer Paktes) entfielen zudem wichtige strategische Aspekte der westlichen Militärdoktrinen, die in dem Satz zusammengefasst werden können: „Prinzipiell ist der NATO bei Auflösung des Warschauer Paktes 1991 der Gegner und damit der ursprüngliche Daseinszweck abhandengekommen. Seitdem sucht die Allianz nach neuen Aufgaben.“Footnote 37 Mit einem Eisernen Vorhang 2.0 quer durch Europa wäre der Einfluss der USA auf die EU und das strategische Ziel eines neuen/alten Nukleargegners auf Augenhöhe, Russland, auf einem weit entfernten Schlachtfeld außerhalb der USA, dem westlichen Europa, ein Meilenstein im Ausbau ihrerglobalen Vorherrschaft mithilfe der von den USA dominierten/angeführten NATO. Aus Sicht der USA wäre dann eine weitestgehende Eigenständigkeit der EU oder sogar eine weitere eigenständige Konkurrenz auf den globalen Märkten obsolet und unter Kontrolle. Mit dem sich neu entwickelnden Eisernen Vorhang 2.0 kann die EU unter die transatlantische Kontrolle gebracht werden. Die Energieabhängigkeiten von Russland kann nun gegen die neue/alte Energieabhängigkeiten durch die USA installiert wird, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts so dominant war, dass große Bestrebungen Deutschlands vorgenommen wurden, dieser Abhängigkeit zu entfliehen (siehe Kapitel 5, Abschnitt 5.3 „Die Ablösung der Kohle als Hauptenergieträger und die Entwicklung der Erdöl- und Gasmärkte“). Mit diesem neuen Einfluss der USA auf die EU und der NATO würden auch neue Absatzmärkte für die US-amerikanische Wirtschaft langfristig erschlossen und von ihr dominiert werden sowie eine geeinte Allianz gegen China langfristig aufgestellt werden könnte.

4.5 Wertebasierte Außenpolitik im Zeichen des Klimawandels

Mit Ernennung des 46. Präsidenten Joseph Robinette Biden am 20. Januar 2021 wurde eine relativ unbemerkte, aber zentrale Änderung in der amerikanischen Außenpolitik vorgenommen. Sie wurde von Joe Biden mit den Worten in seiner Rede vom 4. Februar 2021 beschrieben: „America is back“ und wird wieder eine „moralische Führungskraft“Footnote 38 werden. Er versprach in Zukunft eine von moralischen Werten geleitete Außenpolitik zu verfolgen. Der deutsche Kanzler Helmut Schmidt sagte: „Das Entscheidende ist nicht das moralische Argument, sondern die moralische Grundlage der eigenen Politik.“ Ein weiterer diplomatischer Hinweis auf eine Abspaltung der EU von Russland mithilfe der NATO verbarg sich in einer Rede mit der Ankündigung von US-Präsident Biden: „Wir werden unsere Bündnisse wieder aufbauen.“Footnote 39 Das „wir“ bezog sich im Wesentlichen auf die in der NATO versammelten Staaten. Ende 2021 wurde die alte Regierung unter Angela Merkel in Deutschland abgewählt und eine neue Koalition verankerte im KoalitionsvertragFootnote 40 eine „wertegeleitete“ AußenpolitikFootnote 41. Damit übernahm sie die Doktrin der amerikanischen Administration in einen deutschen Koalitionsvertrag, offenbar ohne Reflexion auf deren Auswirkungen. Mit der Unerfahrenheit und Unwissenheit der neu ernannten Minister der deutschen Regierung im Dezember des Jahres 2021 und einer Abspaltung Russlands von der EU unter einer „wertegeleiteten“ Außenpolitik Deutschlands sowie einer „moralischen Führung“ der USA wurden die Grundlagen für eine neue „Blockbildung“ auf lange Zeit gelegt, die zu einer Dominanz der USA über alle NATO-Staaten und damit über die EU führt.

In der logischen Folge erhält die NATO als Verteidigungsbündnis ihr strategisches Feindbild zurück und damit vor allem durch ihre europäischen Staaten auch historisch begründete Existenzgrundlage. Die wesentliche Zukunftsfrage ist, ob sich in dieser neuen Konstellation das Handlungsgebiet der NATO im Sinne des sich gewandelten Sicherheitsbegriffs und der neuen Doktrin der Verteidigung von Werten auch außerhalb des Bündnisgebiets der EU-Staaten, für Asien in Verbindung mit Japan und Australien, in AfrikaFootnote 42 (z. B. für „humanitäre“ oder friedenserzwingende Einsätze in verschiedenen Ländern zur Verhinderung von Flüchtlingsströmen), den Nahen Osten (Irak, Iran, Syrien, …) oder Lateinamerika, unter Einsatz durch den Klimawandel hervorgerufenen „Krisensituationen“ oder dadurch notwendige „friedenserzwingende“ Maßnahmen ausweiten wird (Out-of-Area-Einsätze unter Leitung der NATO). Würde sich diese Entwicklung über die nächsten Jahrzehnte etablieren, könnte sich die NATO unter der Führung der USA zu einem weltweit operierenden Staatenverbund aufstellen, der sich u. a. auch gegen China positionieren könnte und im Interesse der USA die eigene Vormachtstellung unterstützen würde. Die Grundlagen dazu wurden bereits geschaffen, auf die weiter unten noch genauer eingegangen wird. Insofern entwickeln die strategische Partnerschaften von China und Russland, in der China als mächtigster Repräsentant des Comprehensive Economic PartnershipFootnote 43 (RCEP, größte Freihandelszone, 15 Asien-Pazifik-Staaten, 1/3 der Weltbevölkerung, 30 % des globalen Bruttoinlandsprodukts) sowie der BRICSFootnote 44-Staaten auftritt, eine neue globale Lage, die sich erst in den nächsten Jahrzehnten auswirkt und damit zeitlich parallel die durch die Klimaziele begründete wirtschaftliche und energetische Transformation der EU-Staaten begleiten wird.

Anfang der 1990er Jahre beschlossen die Mitgliedsstaaten der NATO mithilfe eines neuen strategischen Konzepts das Bündnis neu auszurichten. Zu diesem neuen Konzept gehörten vier zentraleFootnote 45 Elemente: 1) die Ausweitung und Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa, 2) die „Europäisierung“ der Allianz, 3) die Bereitschaft, als Mandatsnehmer der Vereinten Nationen bzw. der OSZE aufzutreten, und schließlich 4) die Bereitschaft, notfalls auch ohne UN-Mandat zu intervenieren.

Die Bereitschaft von NATO, Vereinten Nationen und der OSZE, Einheiten für sogenannte Peace-keeping-MaßnahmenFootnote 46 zur Verfügung zu stellen, stellt eine drastische Veränderung im Aufgabenfeld der NATO dar. 1992 erklärte der NATO-Rat seine Bereitschaft, „Friedensoperationen“ auch außerhalb des eigenen Bündnisgebiets zu unterstützen („Out-of-Area-Einsätze“). Ein unter dieser neuen Ausrichtung erfolgter Einsatz fand im Bosnienkrieg 1992 statt. Die bis dahin größte Militäraktion des Bündnisses fand Ende August 1995 statt, als Kampfflugzeuge in der Operation Deliberation Force serbische Stellungen in Bosnien-Herzegowina bombardierten. Im Dezember 1995 ermächtigte der UN-Sicherheitsrat die NATO, den Waffenstillstand in Bosnien notfalls mit militärischer Gewalt zu sichern. Im Jahr 1998 engagierte sich die NATO erstmals ohne Mandat der UN im Kosovokonflikt. Nach dem 11. September 2001 setzten die USA zum ersten Mal den Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages in Kraft. Im „Kampf gegen den Terrorismus“ konnten sich jedoch die NATO-Mitglieder nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Unter diesem Titel entschlossen sich die USA 2003, den Irak in Zusammenarbeit mit NATO-Staaten, jedoch offiziell ohne NATO Beteiligung anzugreifen. Deutschland und Frankreich beteiligten sich nicht an den Kampfhandlungen des von den USA geführten Angriffskriegs. Eine große Zahl von NATO-Staaten bildete, gemeinsam mit den USA, die sogenannte „Coalition of the Willing“, die gemeinsam den Angriffskrieg im Oktober 2001 gegen Afghanistan begannen. In Afghanistan leitete die NATO die „International Security Assistance Force“ (ISAF) sowie die Antiterrormission „Enduring Freedom“. Unter Leitung der NATO oder den Vereinigten Staaten wird künftig eine schnelle NATO-Response-Force-Truppe in „Krisensituationen“ an „friedenserzwingenden“ Maßnahme (Peace Enforcement) eingesetzt werdenFootnote 47 können.

Die öffentlich im Wesentlichen moralisch begründete Abkehr der EU von Russland in der Energieversorgung ersetzt bestehende Abhängigkeiten durch neue. Die strategischen Abhängigkeiten in der Verteidigungsfähigkeit der EU sind damit erheblich gestiegen und entwickeln die EU weg von einer politisch unabhängigen Entscheidungsfähigkeit. Prinzipiell ist eine wertegeleitete Außenpolitik, und für einen Staatenverbund nach innen gerichtete wertegeleitete Politik, eine höchst gefährliche Doktrin, da (konkurrierende) Werte auch von anderen Staaten als unverhandelbar angesehen werden können. Wenn sich diese Werte wie z. B. von Demokratien und Autokratien nicht vereinbaren lassen, bleib nur noch Krieg als Konfliktlösung, weil ein diplomatischer Ausweg versperrt ist. Beispiel: Vor dem Hintergrund der analytischen Konsequenz aus dem vorherigen Absatz könnte zukünftig – ab 2050 globale Klimaneutralität aller Staaten – wegen der Verletzung einer moralischen Wertenorm, z.B. dem Verstoß gegen das Pariser Klimaabkommen oder die in einem seiner Folgeabkommen vereinbarte „Klimaneutralität“, die Einhaltung dieses „moralischen“ Wertes westlich geprägter Staaten mit „friedenssichernden Maßnahmen“ gegen erdöl- oder erdgasfördernde Länder (passive CO2-Emittenten) durchgesetzt werden.

Werte können als individuelle, mit einer zeitlichen Verfallszeit versehene Standpunkte einer Regierung oder Administration angesehen werden. Sie können sich auch von Regierung zu Regierung oder in Demokratien von Legislaturperiode zu Legislaturperiode ändern oder in ihren Auslegungen variieren, was aus Sicht von anderen Staaten eine verlässliche Außenpolitik erschwert oder verunmöglicht. Interessen von Staaten können als universelle politische Werkzeuge angesehen werden und öffnen damit auch für schwierige diplomatische Fälle einen Ausweg, ohne in kriegerische Handlungen verfallen zu müssen. Grundlage der deutschen Regierungsbildung, die sich am 8. Dezember 2021 neu bildete (Ampel-Koalition), war die im Koalitionsvertrag der Ampelparteien (SPD, Die Grünen, FDP) verankerte „wertebasierte“ Politik. Mit diesem neuen Konzept der Innen- und Außenpolitik – auch wenn es moralisch erstrebenswert erscheint – hat sich Deutschland über die nächsten Jahre in eine diplomatische Sackgasse manövriert, was sich langfristig auf klimapolitische Ziele auf internationaler Ebene wie auch auf internationale Beziehungen mit anderen Staaten negativ auswirken kann. Wie in den vorherigen Absätzen beschrieben, ist das wertebasierte politische Grundkonzept in eine militärische Stärke der NATO Allianz mit weitreichenden, global ausgerichteten Handlungsoptionen eingebettet. Mit der energetischen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern im Verbund der NATO bzw. EU, unter der in der Energieversorgung zukünftigen Vorherrschaft durch die USA, ist die EU im Militärischen strategisch – unabhängig von ihren Militärausgaben – sehr verletzlich und eigenständig kaum selbst handlungsfähig. Ein energetischer Ersatz fossiler Energien durch Windparks und Sonnenkollektoren im Rahmen einer Energiewende ist keine realistische Zukunftsperspektive für die Energieversorgung einer Landesverteidigung im Krisenfall.

Der wesentliche Unterschied zwischen einer wertebasierten Politik und einer interessenbasierten Politik besteht also vor allem in den Prinzipien der Universalität der Interessen und der Individualität von Werten. Ein weiterer Nachteil einer wertebasierten Diplomatie als Werkzeug in der globalen Reduktion fossiler Energien in den nächsten 25 Jahren ist eine über lange Zeit konsistente Umsetzung der eigenen Werte. Kann diese Konsistenz über die Zeit nicht durchgehalten werden, verliert damit die Außenpolitik eines Staates erheblich an Glaubwürdigkeit. Zusätzlich entsteht bei der internationalen Durchsetzung der eigenen Wertvorstellung eines Staates oder Staatenverbundes gegenüber anderen Staaten implizit eine Missionierung anderer, was als „koloniales Gebaren“ oder „unangemessenes“ Verhalten von den anderen Staaten interpretiert werden könnte (siehe auch: Kritik zum Besuch US-Außenminister BlinkenFootnote 48). In Bezug auf den Klimawandel mit seinen weitreichenden, globalen Folgen ist analytisch das in dem neuen Prinzip der wertebasierten Außenpolitik ein latentes Problem, was einer globalen Zusammenarbeit der Staaten zur Überwindung fossiler Energienutzung entgegenstehen könnte.

Beispiel: Die EU (ab 2017) und das deutsche Parlament thematisierten seit Jahren die Pipeline Nord Stream 2Footnote 49 als ein Instrument für mögliche Einflussnahmen gegen das ExportlandFootnote 50 Russland, was in den ersten Jahren gegen die Interessen von Deutschland stand (Vereinbarung von Deutschland und Russland zum Bau einer Erdgaspipeline zwischen beiden Ländern, die Planung der Pipeline begann 2011, die Realisierung wurde 2015 begonnen). Die USA brachten im Jahr 2017 ein Gesetz gegen das Pipelineprojekt mit dem Namen CAATSA (Countering America’s Adversaries Through Sanctions ActFootnote 51), was mit „Amerikas-Gegner-durch-Sanktionen-bekämpfen-Gesetz“ übersetzt werden könnte. Im Dezember 2019 folgte im US-Senat ein gegen das Pipelineprojekt gerichtetes zweites Gesetzt mit dem Namen PEESA (Protecting Europe’s Energy Security ActFootnote 52), was mit „Gesetz-zum-Schutz-der-europäischen-Energieversorgungssicherheit“ übersetzt werden kann. Interessant an diesem Vorgang ist, dass hier ein Staat, in dem Fall die USA, über eine unabhängige andere Staatengruppe (EU) Gesetze zur Einflussnahme, unwidersprochen von der EU als betroffener, beschließt. Dazu wurde im öffentlichen Raum im Wesentlichen die Argumentation der Energieabhängigkeit von Deutschland und der EU thematisiert. Diese Abhängigkeit hätte auch von beiden Seiten der Nord-Stream-Pipeline gesehen werden können, weil in diesem Fall die Abhängigkeiten Deutschlands und der EU auf der Energieimportseite lagen und bei den Staatseinnahmen auf der Exportseite, also bei Russland.

Der Grund für das Projekt war ein von Deutschland und Russland interessengeleitetes Vorgehen, unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in einer Regierungskoalition mit Bündnis 90/Die Grünen, von Oktober 1998 bis November 2005 (Kabinett Schröder IFootnote 53 und IIFootnote 54). Dieses interessengeleitete Vorgehen der damaligen Koalition war zugleich eine Annäherung von Deutschland und der EU an Russland sowie umgekehrtFootnote 55 (Rede 2001 im Bundestag vom Präsidenten der Russischen Föderation, Putin). Die nationalen Interessen Deutschlands wurden von der Nachfolgeregierung unter Angela Merkel am Dezember 2005 offiziell übernommen und bis zur Abwahl Ende 2021 fortgeführt. Mit der darauffolgenden Regierung, der „Ampel“ (SPD, Die Grünen und FDP), änderte sich das „diplomatische Konzept“ Deutschlands grundsätzlich. An diesem Beispiel kann der Wandel von der interessenbasierten Diplomatie hin zu einer wertebasierten Diplomatie nachvollzogen werden, in dem die „Werte“ als politisches Instrument von Staaten bereits eingesetzt wurden und werden. An dieser Stelle kann keine weitergehende Analyse zu dem Projekt Nord Stream 2 mit seinen umfassenden geopolitischen Zusammenhängen vorgenommen werden. Jedoch muss angemerkt werden, dass ein erheblicher Einflussfaktor auf die Entwicklungen zu diesem Projekt mit Beginn des Kriegs Russlands gegen die Ukraine aufgetreten ist. Hier kann lediglich der Mechanismus im Wandel der diplomatischen Strategie an einem Beispiel dargestellt werden, wobei heute die mittel- und langfristigen realen Auswirkungen dieses Strategiewandels im Verbund von Deutschland, den europäischen Staaten und den USA nicht absehbar sind und damit ein neuer Unsicherheits- und Risikofaktor in der internationalen Energiepolitik eingeführt wurde.

Der Präzedenzfall ist mit der Realisierung des Energieimports als Sanktionsinstrument gegen ein Energieexportland nun eingetreten, sodass zukünftig auch andere Staaten, die sich nicht den Werten der EUFootnote 56 unterordnen, energiewirtschaftlich sanktioniert werden könnten. Da es weitere Exportländer fossiler Energien an die europäischen Staaten gibt, die nicht die Werte der EU teilen, sind diese Länder in Zukunft einem höheren Sanktionsrisiko ausgesetzt. Mit diesem Präzedenzfall in der politischen Instrumentalisierung der Struktur von fossilen Energieströmen auf beiden Seiten der Kontrahenten wandelt sich das abstrakte Risiko der Energieabhängigkeit, auf der Seite der Förderung und seinem Verkauf, sowie auf der Seite des Imports und dem Konsum, in ein reales Szenario mit neuen zukünftigen Dimensionen.

Die Kehrseite dieser neue Außenpolitik ist, dass zukünftig auch Lieferstaaten fossiler Energien bzw. andere Staaten dieses neue Werteparadigma für sich entdecken und stark abhängige Energieimportstaaten wie die EU damit beeinflussen. Aus dieser prinzipiellen beidseitigen Gültigkeit und Anwendbarkeit einer politischen Doktrin für alle weltweiten, politischen Akteure kann in kurzer Zeit eine unüberwindbare Positionierung verschiedener Kontrahenten entstehen. In dieser Situation wäre ein diplomatischer Ausweg über Verhandlungen blockiert, weil Grundwerte eines Staates oder Staatenverbundes nicht verhandelbar sein können. Dieses neue Paradigma der wertebasierten Politik nach innen und nach außen schafft neue internationale Realitäten im Energiebereich, die andere Staaten analysieren, verstehen und für sich nutzen werden. Welche Folgen diese neuen politischen Realitäten für die globalen CO2-Reduktionsziele haben werden, ist nicht abschätzbar. Es entfällt zukünftig ein diplomatisches Ausbalancieren von Interessen zwischen Staaten, ersetzt durch eine den Werten der EU bzw. den „westlichen“ Staaten entsprechende Verhaltensweise (als wertebasierte Staatengemeinschaft), sofern nicht andere Staaten (z. B. China, Katar, Saudi-Arabien, Brasilien, Indien, Algerien etc.) ihre Werte als ihre eigenen außenpolitischen Leitlinien entdecken bzw. einsetzen.

In Bezug auf die EU und ihre heutige sehr große Abhängigkeit von Energieimporten sowie anderen Rohstoffimporten wäre eine mögliche Konsequenz der neuen wertebasierten politischen Doktrin, eine kurzfristige (ca. zehn Jahre) vollständige Energieunabhängigkeit von Energieimporten zu erlangen. Um einer zukünftigen Kontraposition an „Werten“ von energieexportierenden Staaten nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, hätte dieses Ziel zwangsläufig Vorrang vor CO2-Reduktionszielen. Diese Kausalität der neuen politischen Doktrin und ihrer Folgen in der Energieversorgung der EU hin zu einer Energieautarkie sowie einer globalen Zusammenarbeit der Staaten für eine globale Reduktion fossiler Energienutzung ist bisher nicht öffentlich formuliert oder diskutiert worden.

4.6 Energetische Abhängigkeiten

Auf der anderen Seite erscheint im energetischen Sektor eine langfristige Zusammenarbeit zwischen Russland, dem größten Flächenland der Erde und einem großen Exporteur fossiler Energie (passiver CO2-Emittent), sowie Europa in mehreren Dimensionen dringend wünschenswert, um eine auf längere Sicht globale Zielerreichung in der CO2-Reduktion zu erreichen und einen stabilen Kontinent über die nächsten Jahrzehnte bzw. für Generationen vor dem Hintergrund eines globalen Klimawandels zu gewährleisten. Zwischen Russland und der EU existieren heute zahlreiche Pipelines, über die die EU und Deutschland (Nord Stream 1 und 2 [nicht genehmigt], NEL [BBL], Jamal, Jagal, Opal, Soyuz und Transgas, TAG, Bruderschaft, Turkstream, Blue Stream) mit Gas versorgt werden könnte. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Nutzung von Pipelines immer zu Abhängigkeiten auf beiden Seiten der Röhren führt und deshalb in einen Kontext gestellt wird. Entfällt dieser Kontext durch neue politische Entwicklungen, die in der Regel sich über Jahrzehnte abzeichnen, kann jede Pipeline zu unerwünschten Effekten auf beiden Seiten der Röhre führen. Deshalb ist eine Pipeline als solche nicht das Thema einer Auseinandersetzung, sondern ihr Kontext, in den eine Pipeline gestellt wird (als wirtschaftliches Instrument oder/und als politisches Instrument).

Diese Instrumentalisierung von Energieströmen als politische Waffe zur Durchsetzung eigener „Werte“ oder zur „Bestrafung“ anderer Staaten, unabhängig, ob sie per Pipeline oder per Schiff organisiert sind, ist das eigentliche Thema. Insofern ist die EU, wie weiter oben beschrieben, insgesamt im Energiebereich erheblich von anderen Staaten abhängig und damit auch beeinflussbar, unabhängig davon, ob sich der Lieferstaat in einem aktuellen Zeitraum als akzeptabler Partner aufstellt oder sich als ein „befreundeter“ Staat anbietet. Durch die weitergehende Instrumentalisierung der Energieströme im Rahmen der neuen wertebasierten Doktrin verschiedener Staaten wird ein Paradigmenwechsel in der Handelsware Energie und ihrer Anbieter eingeleitet, deren Auswirkung langfristig vor allem für energieimportierende Länder nicht eingeschätzt werden kann, mit Sicherheit aber neue Risiken für die Importländer schafft. In dieser Konsequenz könnte zukünftig ein neues Verhandlungsinstrument zur globalen CO2-Reduktion in Form einer „Wasserstoffdiplomatie“ eingeführt werden. Sie sollte von Werten unabhängig und interessengetrieben sein sowie im Kern eine hohe Verlässlichkeit ausweisen. Folgen andere Staaten den neuen wertebasierten Doktrin der EU, wird eine wertebasierte Energiepolitik auf globaler politischer Ebene uns eher in kriegerische Auseinandersetzungen führen, als in eine CO2-freie Zukunft.

Technologisch hätten Deutschland und die EU mit der Pipeline Nord Stream 2 eine weltweit einmalige kontinentale Infrastrukturbasis geschaffen und die Möglichkeit einer global beispiellosen vorbildlichen Klimaschutzzielsetzung, sowie der Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft zugunsten einer globalen CO2-Reduktion in relativ kurzer Zeit realisieren können. Mit dieser Infrastruktur wäre eine grüne Energieversorgung (Energieimport) nach Europa und Deutschland in ausreichender Menge für die Zukunft gesichert gewesen. Für das Exportland des grünen Wasserstoffs wäre erstmalig ein internationales Beispiel geschaffen worden, wie sich ein fossile Energien exportierendes Land in seinem Geschäftsmodell langfristig durch eine kontinentale Energiepartnerschaft zur Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft gewandelt hätte. Für das Klima wäre dieses pragmatische, an Klimazielen und damit an globalen Interessen orientierte Vorgehen ein Vorteil gewesen. Das weiter oben beschriebene Beispiel zeigt jedoch eindrücklich, dass im globalen Konkurrenzkampf der Nationen die Reduktion der globalen CO2-Konzentration in der Atmosphäre heute anderen Interessen untergeordnet ist.

Insofern ist die Energieabhängigkeit eines Landes oder Staatenverbundes nur ein Element von einer Reihe weiterer externer Einflussfaktoren. Eine Unabhängigkeit eines Staates von Energieimporten zu fordern oder voranzutreiben ist deshalb zwar medienwirksam, vor allem in Krisenzeiten, löst aber das Problem von externen Abhängigkeiten in einer global arbeitsteiligen Welt nicht.

4.7 Quersubvention der NATO durch fossile Energien konsumierende Staaten

Die energetische Abhängigkeit von fossilen Energieträgern hat jedoch noch eine weitere, viel interessantere Dimension. In der folgenden Analyse wird der Fall untersucht, in dem fossile Energien fördernde Länder (Energieexportländer, kurz Exportländer/Exportland genannt) ihre Produkte den fossile Energien importierenden Ländern (Energieimportländer, kurz Importländer/Importland genannt) über die Börsen, den globalen Handelsplätze verkaufen. Der Fall, in dem ein Exportland sich selbst mit fossilen Energieträgern versorgt, wird hier nicht betrachtet, wäre jedoch eine genauere Analyse wert. Die Förderung der fossilen Energieträger, und hier vor allem das Erdöl, wird mithilfe von Infrastruktur (Extraktion/Förderung > Lagerung > Transport > Raffinerie) aus den prähistorischen Lagerstätten geholt und verkauft. Sie endet in der Regel bei den Raffinerien, die aus dem Erdöl zahlreiche Mineralölprodukte herstellen. Ab diesem Verteilpunkt werden zwei große Verbrauchsbereiche versorgt: der zivile und der militärische Konsumbereich. Beide Konsumbereiche/Nutzungsbereiche verbrauchen unterschiedliche Mengen dieser Mineralölprodukte zu unterschiedlichen Zeiten und Konsumphasen. Im zivilen Bereich werden weltweit großen Mengen an fossilen Mineralölprodukten zu Friedenszeiten verbraucht/verbrannt. Im militärischen Bereich werden in der gleichen Zeit relativ geringe Mengen der Mineralölprodukte verbraucht. Das Verbrauchsverhältnis kehrt sich in Kriegszeiten um. In dieser Zeit konsumiert der zivile Bereich erheblich weniger Mineralölprodukte als der militärische Bereich. Bei einem normalen wirtschaftlichen Verhältnis von Importländern und Exportländern wird der Verkauf der Mineralölprodukte u. a. zur Finanzierung der Infrastruktur zur Förderung der Mineralölprodukte genutzt. In Friedenszeiten übernimmt die wesentliche Finanzierung dieser Infrastruktur der zivile Bereich durch seinen Verbrauch. In Kriegszeiten erfolgt die Finanzierung dieser Infrastruktur mit dem Einkauf der Mineralölprodukte durch den importierenden, kriegführenden Staat und andere keinen Krieg führende Importstaaten, an die geliefert wird. Steigen für den kriegsführenden Staat die Importpreise zum Einkauf der fossilen Energien erheblich, kann es zu einer Zahlungsunfähigkeit des Importlandes kommen. Mit einer Zahlungsunfähigkeit oder einem Abschneiden im Zugang des fossilen Energiestroms wäre eine Kriegsteilnahme des kriegsführenden Importlandes beendet, weil die Versorgung der Streitkräfte mit Treibstoffen nicht mehr möglich wäre (Teilthema im Zweiten Weltkrieg in der Versorgung der deutschen Truppen: MineralölsicherungsplanFootnote 57). Der sich in einer kriegerischen Auseinandersetzung befindliche Importstaat hat andererseits die Option, den Exportstaat zu annektieren, um die Öl- bzw. Energieversorgung seiner Armeen zu sichern (z. B. USA, NATO), was in der Regel eine weitere kriegerische Auseinandersetzung mit sich bringen würde (Problem der Prioritätensetzung und Abwägung von Zielerreichungen im Krisenfall).

Da heute die internationalen Börsen einen wesentlichen Einfluss auf die Preisgestaltung der fossilen Energieträger haben, wäre eine genauere Analyse für ein Importland über die Preisabhängigkeit ihrer zu importierenden Mineralölprodukte in Kriegszeiten essenziell (additive Betrachtung der Versorgung mit fossiler Energie im Krisenfall außerhalb von vertraglichen Sonderbedingungen mit anderen Staaten). Diese Preisabhängigkeit von Dritten (Börsen, Tradern, …?) könnte in einem Krisenfall eine kriegsentscheidende Dimension im Zuge der Energietransformation Deutschlands und anderer EU-Staaten entwickeln. Damit ist nicht nur der Zugriff auf die Mineralölquellen (physische Abhängigkeit), sondern auch die Preisgestaltung ein Analyseobjekt für einen Kriegsfall eines Importlandes. Im Fall der EU bzw. der NATO-EU-Mitgliedsstaaten wäre eine genauere Analyse über die Importabhängigkeiten von fossilen Energieträgern insofern wichtig, da sie über die tatsächliche Einsatzfähigkeit einer Streitkraft eines Landes bzw. eines Staatenverbundes über einen noch zu definierenden Versorgungszeitraum Aufschluss geben könnte (verfügbarer Bezugszeitraum = Versorgungszeitraum = Einsatzzeitraum). Sie könnte auch zu dem Ergebnis führen, dass trotz einer erheblichen Ausstattung an Kriegsgerät eines Landes keine längere Einsatzfähigkeit der Armee besteht, weil die langfristige Versorgung mit fossiler Energie für das Kriegsgerät im Krisenfall durch die zivilen Transformationsanstrengungen unsicher geworden sind. Bei einem längeren Konfliktfall wäre eine ständige Versorgung des Importlandes durch die Exportländer mit fossilen Energien notwendig, die dann durch eine Kriegswirtschaft oder eine Verschuldung bezahlt werden müssten. Wie dieser Fall sich stabil über Jahre aufrechterhalten ließe, wäre eine andere analytisch zu klärende Frage. Bei einem größeren Konflikt ist die Abhängigkeit der in die Schlacht ziehenden Streitkräfte von den Importleistungen, den Importpreisen und ggf. Störmanövern (vulnerable Logistik, politische Einflussnahmen etc.) auf beiden Ebenen ein Kriterium der fossilen Energieabhängigkeiten. Ich möchte mit diesem Hinweis verdeutlichen, dass eine rein physische Abhängigkeit der Importländer von fossilen Energieträgern im Zivilbereich nicht isoliert vom militärischen Bereich betrachtet werden darf. Die Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern eines Staates sind multidimensional und verschieben sich je nach Konsumzeit (Friedenszeit und Krisenzeit).

Aus diesem Hinweis ergeben sich jedoch für eine gesellschaftliche Energietransformation, wie sie in Deutschland vorangetrieben wird, besondere und sehr weitreichende Konsequenzen. Die Zielsetzung von Deutschland ist im Wesentlichen, die CO2-Reduktion der gesamten Gesellschaft zum Klimaschutz. Diese gesellschaftspolitische Zielsetzung ist ebenfalls auf alle anderen Länder anwendbar, die in einer ähnlichen Versorgungsabhängigkeit von fossilen Energien wie Deutschland sind, was für viele EU-Staaten zutrifft. Deutschland verfolgt das Ziel, bis 2030, 2038 bzw. 2045 seine Energie im zivilen Bereich vollständig aus Wind und Sonne zu beziehen (nationale Energiewende). Die geplante Transformation der Energieproduktion sieht zurzeit keine Transformation des militärischen Bereichs vor bzw. ist sie öffentlich nicht bekannt.

Im Friedensfall, Übungsfall und Krisenfall würde die Versorgung des Militärs über importierte fossile Energien erfolgen. Die benötigten Mengen wären zu den jeweiligen Ereignissen unterschiedlich. Da sich Deutschland im Verbund der NATO befindet, ist heute ein rein deutscher Konfliktfall fast ausgeschlossen. Deshalb hat die folgende Analyse real eine wesentliche größere Dimension, als an dem folgenden Einzelbeispiel Deutschland gezeigt wird. Mit dem Beispiel können jedoch die Mechanik, die Abläufe und Abhängigkeiten aufgezeigt werden. Im Friedensfall wären die Verbrauchsmengen an fossilen Energien beim Militär gering. Das Gleiche gilt auch für den Übungsfall, auch im NATO-Verbund. Der deutsche Steuerzahler würde die Finanzierung der fossilen Energien für das nationale Militär aufbringen und damit einen Teil der Infrastruktur zur Produktion fossiler Energien in den Exportländern finanzieren. Bei einer Umsetzung der Zielvorgaben der EU ist bis 2050 eine Vollversorgung mit „Non-fossil Fuels“ aller EU-Staaten vollbracht. Bei diesem Szenario wird davon ausgegangen, dass das Militär der EU bzw. der NATO nicht auf erneuerbare Energien transformiert wurde, sondern auch über das Jahr 2050 eine Versorgung der Streitkräfte mit fossilen Energien erfolgen wird, so wie es heute der Standard ist. Eine zum zivilen Bereich parallele energetische Transformation der NATO-Streitkräfte ist vermutlich zeitlich und finanziell undurchführbar.

In dem hier skizzierten Szenario stellt sich jedoch die Frage, ob zukünftig genügend fossile Energien exportierende Staaten noch am Weltmarkt für langfristige kriegerische Auseinandersetzungen von energetisch transformierten Importstaaten zur Verfügung stehen werden und wer bei den Exportstaaten die Infrastruktur zur Erdölproduktion, die für eine Versorgung der Streitkräfte in den dann ehemaligen Importstaaten benötigt wird, finanziert. Werden energetisch transformierte EU-Staaten nach 2050 den Erdölexportstaaten einen Preis dafür zahlen, dass sie ohne Lieferung von fossilen Energieträgern ihre Infrastruktur für einen möglichen Krisenfall in den Importstaaten funktionssicher erhalten? Die im zivilen Bereich energetisch transformierten NATO-Staaten würden in Friedenszeiten von den Exportstaaten sehr wenig fossile Energien abnehmen, weil der zivile Bereich keine fossilen Energien mehr nachfragt und damit vermutlich eine Vorhaltung an Erdölförderungsinfrastruktur bei den Exportstaaten nicht rechtfertigen würde. Die erste Konsequenz ist, dass die heutigen erdölexportierenden Staaten auch in Zukunft ihr Geschäftsmodell zur Förderung fossiler Energien beibehalten müssten. Das würde jedoch der weltweiten Reduktion an CO2-Emissionen widersprechen. Die zweite Konsequenz ist, dass die erdölexportierenden Länder genügend zahlende Kunden weltweit auch nach der energetischen Transformation der NATO-Staaten (EU-Staaten) haben müssten, damit ihre Produktionsinfrastruktur für fossile Energieträger weiter aufrechterhalten werden kann. Nur damit würden andere Länder außerhalb der EU bzw. der NATO, die fossile Energien verbrauchen und von den Exportländern abkaufen, die Infrastruktur der Ölförderung zur Versorgung der Militärs der NATO-Staaten mit fossilen Kraftstoffen indirekt finanzieren. Würden alle Staaten der Welt auf erneuerbare Energien umstellen (vollständige Dekarbonisierung, keine CO2-Emissionen nach 2060), würden die Exportländer fossiler Energien ihre Ölproduktionsinfrastruktur abbauen müssen, weil keine ausreichende Finanzierung für deren Erhalt und Betrieb im Friedensfall vorhanden wäre, um für einen Krisenfall die Streitkräfte eines anderen Landes mit Treibstoff versorgen zu können. Es müssen somit immer genügend Staaten vorhanden sein, die fossile Energien von den Exportländern im Friedensfall zivil verbrauchen (konsumieren und global CO2 emittieren), damit weiterhin für andere Staaten mit vollzogener nationaler Energiewende im Zivilsektor die Ölversorgungsinfrastruktur der Exportstaaten für die Versorgung des Militärsektors in den transformierten Importstaaten zur Verfügung stehen kann (siehe Abb. 4.1).

Abb. 4.1
figure 1

Abhängigkeit der Energiewende von der militärischen Energietransformation, Quelle: Eigene Darstellung

Die Folge aus dieser Entwicklung wäre jedoch, dass die zivile „Energiewende“, wie heute sie global verfolgt wird, nur wenige Staaten tatsächlich durchführen dürften, damit bei diesen Staaten die Energieversorgung im militärischen Bereich auch in Zukunft gewährleistet ist (Quersubventionierung der Infrastruktur in den Exportstaaten durch energetisch nicht transformierte Staaten). Die dann von der Nutzung der Energiewende ausgeschlossenen Staaten müssten weiter fossile Energien konsumieren und damit indirekt die Aufrechterhaltung der Infrastruktur bei den fossile Energien exportierenden Staaten gewährleisten. Ebenfalls dürften sich die Geschäftsmodelle der Exportstaaten zum Verkauf fossiler Energien nicht ändern, was jedoch eine Grundforderung zur Einhaltung der globalen Klimaziele wäre und die Anstrengungen Deutschlands und anderer Staaten zur Umstellung/Dekarbonisierung ihrer Gesellschaft erst zum Erfolg führen würde. Im Ergebnis würden global keine signifikanten Mengen an fossilen Energieförderungen und ihr Konsum verhindert werden und damit auch keine CO2-Emissionen, sodass die Energiewende eine für sehr wenige reiche Staaten privilegierte nationale Entwicklung auf Kosten anderer Staaten ist, wie in unserem Beispiel Deutschland bzw. die EU-Staaten. Aus globaler Sicht ist für das Naturphänomen Klimawandel die heutige Energiewende keine sinnvolle Maßnahme der Energietransformation von fossilen Energieträgern hin zu Non-fossil Fuels (in der Atomenergie enthalten ist), sondern eine zukünftige Abgrenzungsstrategie mit zahlreichen Konsequenzen für wenige privilegierte Staaten, sowie hohen Risiken.

Andere Staaten werden in Zukunft diese Zusammenhänge mit einer nationalen Energiewende und der Versorgung des militärischen Bereichs mit fossilen Treibstoffen erkennen und die daraus neu entstehende strategische Abhängigkeit in politische Forderungen oder in neue Strategien umsetzen. Der Ausweg aus dieser Kausalität der zivilen und militärischen Energietransformation ist, dass eine Energietransformation einer Zivilgesellschaft mithilfe der nationalen Energiewende ursächlich auch die eigene Landesverteidigung, sein Militär, betrifft, unabhängig von seiner Einbindung in ein Bündnis oder nicht.

Somit muss bei einer funktionierenden Energiewende im zivilen Bereich eine vollständige Umstellung der militärischen Energieversorgung sichergestellt werden, was besondere Konsequenzen vor allem im Verbund der NATO hat. Plant man jedoch die Nutzung synthetischer Kraftstoffe als Ersatz fossiler Kraftstoffe auf dem nationalen Territorium, müssten Anlagenkapazitäten für einen Krisenfall bereits in Friedenszeiten aufgebaut und ständig unterhalten werden. Die Abhängigkeiten von diesen Anlagen/Technologien bzw. Produktionskapazitäten im Krisenfall wären neu zu analysieren (Ort, Dimension, Logistik, …), was hier den Rahmen sprengen würde. Insofern wäre eine zivile Nutzung synthetischer Kraftstoffe wünschenswert, um damit die Rechtfertigung für den nationalen Aufbau und den Betrieb dieser Anlagen im Friedensfall darstellen zu können. Die Realität ist jedoch die Entwicklung der Batterietechnologie für die Mobilitätswende. Vor dem Hintergrund der hier vorgestellten Einflussfaktoren erscheint mir die Energietransformation der deutschen Gesellschaft, mithilfe der nationalen Energiewende, vollkommen undurchdacht, sowie strategie- und planlos, infolgedessen sich für unsere Zivilgesellschaft mit höchst gefährlichen Perspektiven, unabhängig vom Klimawandels zu entwickeln.

Die heute gedachte Energiewende zeigt damit auf der strategischen Sicherheitsebene keine Vorteile, sondern provoziert durch den nationalen Verdrängungswettbewerb von fossilen Energien in den Importländern Interessenkonflikte mit den fossile Energien exportierenden Ländern, die im Rahmen des Klimawandels ihre strategischen Vorteile nutzen werden. Die Elemente Energie, Wasser und Nahrung können durch die Importabhängigkeiten eines Landes als Sicherheitselemente generell angegriffen werden. Mit dem sich weiterentwickelnden Konkurrenzkampf der Nationen zeigt der Klimawandel als zukünftig nutzbares politisches Instrument klare Vorteile zugunsten der fossile Energien exportierenden Länder und zuungunsten der fossile Energien importierenden Länder. Industrienationen wie Deutschland, mit einer hohen Fähigkeit, Rohstoffe in Produkte zu veredeln, jedoch dazu fast alle notwendigen Ressourcen zu importieren, müssten durch die politische Zielsetzung motiviert werden, endlich Strategien zu entwickeln, die die erheblichen multidimensionalen Gefahren (CO2-Ziele, Schutz der Wirtschaft, Schutz der eigenen Bevölkerung, Transformationen auf verschiedenen Ebenen etc.) einer Energiewende beseitigen.

4.8 Wettbewerb der Staaten und der Wirtschaft

Der Wettbewerb der Staaten untereinander ist zum prägenden Merkmal der internationalen Politik geworden. Wird sich die heutige internationale Ordnung durch den Klimawandel ändern und welche Haupteinflüsse werden diesen Wandel antreiben? Wie wirkt sich der Klimawandel auf den zunehmenden Systemwettbewerb zwischen demokratischen und autokratischen Systemen aus? Das heutige geopolitische Umfeld ist zunehmend vom Wettbewerb der Staaten und ihrer (benötigten/notwendigen) globalen Kooperation geprägt. Wie wird sich dieser Wettbewerb auf die Kooperationsbereitschaft bzw. diese Bereitschaft im Wettbewerb der Staaten mit dem Klimawandel entwickeln? Welche heutigen Abhängigkeiten beeinflussen den Wettbewerb der Staaten und werden sich mit dem Klimawandel an Dominanz oder abschwächendem Einfluss ändern? Die EU stellt seit einigen Jahren ihre Werte in dem Mittelpunkt eines gemeinsamen Fundaments seiner Mitgliedsstaaten. Werden diese Werte zukünftig als Grund eines Zusammenschlusses von Staaten ausreichend sein, wenn der Klimawandel neue herausfordernde Anpassungen in den europäischen Staaten an sich ändernde Umweltbedingungen (Wasserverteilung, Landwirtschaft, Landverfügbarkeit, Binnenwanderbewegungen von EU-Einwohnern etc.) notwendig macht? Gibt es eine „westliche Antwort“ auf wachsende Großmachtrivalitäten vor dem Hintergrund eines wachsenden Klimawandels?

Die hier vorgestellten Ausführen können nur ein Ausschnitt dieses Themenbereichs darstellen und Hinweise, Fragen und Anregungen liefern. Über die letzten 20 Jahre konnte eine rasante Entwicklung bzw. Auslegung/Erweiterung/Überdehnung des Sicherheitsbegriffs festgestellt werden, der im Kontext des sich entwickelnden Klimawandels, einer globalen Zusammenarbeit von Staaten in der Reduktion der Klimagase und einer globalen Transformation verschiedener Gesellschaften hin zu klimagasneutralen Staaten steht. Im Rahmen einer Bilanzierung einer Energiewende über die letzten Jahrzehnte sind diese interessanten Entwicklungen mit der zunehmenden öffentlichen Thematisierung des Klimawandels zu sehen, sodass er (Klimawandel) nun auch für die weitere Entwicklung der staatlichen Sicherheitsdoktrin in verschiedenen Staaten interessant wird. Dabei bedrohen uns langfristig global durchaus auch das Artensterben, die Abholzung riesiger, für das Weltklima wichtiger Waldgebiete, der zunehmende Ressourcenverbrauch oder die Vermüllung großer Flächen der Meere. Insofern sind die Sicherheitsanforderungen eines Staates im Rahmen der global sich etablierenden Themensetzung Klimawandel eine rein zufällige und dem Zeitgeist entsprechende Entwicklung, die auch anders verlaufen könnte. Der Klimawandel wird deshalb über die letzten 30 Jahre zunehmend auf staatlicher Ebene sowie im Konkurrenzkampf der Nationen als politisches und gesellschaftliches Instrument entwickelt und eingesetzt. Dazu werden Verbindungen zum Klimawandel geschaffen (Aufbau eines politischen oder gesellschaftlichen Kontextes), die auch unter anderen Überschriften angesiedelt werden könnten. Somit stellen sich die folgenden Fragen: Könnte der Klimawandel als strategische Waffe im Konkurrenzkampf der Nationen von einzelnen Staaten genutzt werden und, wenn ja, wie? Unter welchen Umständen kann ein Staat sich zukünftig an den Klimawandel besser anpassen als ein anderer Staat? Kann der Klimawandel von Staaten als Vorteil genutzt werden, um ihren Einfluss global ausbauen zu können?

Auf dieser gedanklichen Linie folgend sind die folgenden ausgesuchten Fragen im Rahmen der Sicherheitspolitik formuliert, die sich in Bezug auf das heutige Militär, ihrer Energiebasis und einer Energietransformation stellen. In diesem Zusammenhang entstehen zwangsläufig Fragen über die Wandlung der heute erdölexportierenden Staaten des Nahen Ostens und anderer Staaten, welche zukünftige Rolle sie im internationalen Handel einnehmen werden. Die Liste der folgenden Fragen kann hier nur ein Teilspektrum des Themenfeldes abdecken und zu einer Weiterentwicklung anregen:

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die militärischen Streitkräfte, die heute hauptsächlich ihre Energie aus Erdöl beziehen? Im Rahmen einer Transformation der Streitkräfte stellt sich die Frage, ob die energetische Effizienz zukünftiger CO2-freier/neutraler Militärtechnik im Vordergrund steht, um die mitgeführte Energie pro Gerät optimal nutzen zu können? Wie hoch ist die Abhängigkeit der Sprengstoffproduktion eines Landes vom Import von Erdöl oder anderer notwendiger Rohstoffe? Welche chemischen Produkte werden zukünftig alternativlos durch Erdöl produziert werden müssen, ohne dass mögliche Ersatzstoffe genutzt werden können? Wird zukünftig Rohöl (nach 2050) noch am Markt gehandelt werden, oder wird die Produktion von Halbfertigwaren/Vorprodukten der chemischen Industrie in den Staaten erfolgen, die heute Rohöl verkaufen (Änderung des Geschäftsmodell zum Export von fossiler Energie in daraus handelbare Vorprodukte für eine chemische Industrie in anderen Ländern)? Wandeln sich die heute rohölexportierenden Staaten zu Exportstaaten von chemischen Vorprodukten aus Rohöl in großen Chargen, die in die Importstaaten von der dort ansässigen chemischen Industrie anstatt von Rohöl importiert werden? Was könnte diese neue Abhängigkeit durch die Produktion von Schlüsselprodukten aus Erdöl für die Zugänge zu Erdölreserven für die heutige Industrie in den Importstaaten bedeuten (Verlagerung, Abwanderung, ...)? Wandeln sich die heute großen Erdölkonzerne wie BP, Shell, Agip etc. in Chemiekonzerne für rohölbasierte Vorprodukte?

Wie können sich die Auswirkungen aus Sicht des Kapitals darstellen?

Der gesellschaftliche Übergang von der heutigen Wirtschaft in eine dekarbonisierte Wirtschaft dauert Zeit und kostet hohe Investitionen. Wie können diese Mittel im internationalen Feld für zahlreiche Staaten zukünftig aufgebracht werden und wer gewinnt mit diesen Investitionen an Einfluss? Ist der Einfluss über die Investitionen auf eine Dekarbonisierung der Wirtschaft internationalisierbar (Beschaffung von Investitionen am Kapitalmarkt bzw. über internationale Investoren) und was hat das für Konsequenzen für den Umstellungsprozess/Transformationsprozess? Hier werden neue Einflussbereiche sowie strategische Abhängigkeiten sichtbar und auch von verschiedenen Staaten bereits stark ausgebaut.

In Bezug auf die Nahrungsmittelproduktion könnten sich folgende Fragen im Bereich der Sicherheitspolitik entwickeln:

Stehen Daten/Modelle über die Regionen der heutigen wesentlichen „Kornkammern“ der Welt zur Verfügung, die eine Prognose über Temperatur, Niederschläge und Windaufkommen in den nächsten zehn, 20 und 30 Jahren zu den jeweiligen Regionen geben können? Können fundierte Abschätzungen oder Modelle über Temperatur-, Niederschlags- und Windentwicklungen zukünftiger Anbaugebiete von Nahrungsmitteln bis 2050 entwickelt werden? Welche Folgen wird der Klimawandel auf die heutige globale Nahrungsmittelproduktion und ihren Handel haben? Welche Länder entwickeln in dieser Hinsicht besondere Abhängigkeiten? Welche Wanderungstendenzen werden sich aus dem Klimawandel für die globale Nahrungsmittelproduktion ergeben (Anpassung der Logistik zur Verteilung muss mitwandern)? Welche Auswirkungen werden die Wanderungen auf die globalen Nahrungsmittelmärkte und an anderen Börsen ausgehandelte Preise haben?

Der Klimawandel als gesellschaftliches Thema entwickelt eine außergewöhnliche, globale Wirkung auf zahlreiche gesellschaftliche, politische und ökonomische Felder, die heute noch nicht ganz überschaut werden können. Über die letzten 30 Jahre hat sich der Klimawandel als Begriff und öffentliches Thema weltweit etabliert. Waren noch Anfang des Millenniums sicherheitspolitische Themen wie Terror, Terrorabwehr und Cyberwar auf der staatlichen Agenda, so wächst der Klimawandel langsam in die Aufmerksamkeit der Staaten und ihrer Regierungen, vor allem als zukünftiges Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen. Dazu werden die bereits von den Staaten und Staatenbünden ausgefertigten Sicherheitsdoktrinen weiterentwickelt. In diesem Zusammenhang kann sich die analytische Betrachtung von Transformationsszenarien der Streitkräfte, parallel zu dem zivilen Bereich, auf nichtfossile Energien, zu einem neuen globales Themenfeld entwickeln.

4.9 Ergänzungen und Anmerkungen

Der staatliche und gesellschaftliche Umgang mit dem weltweit gesetzten Thema Klimawandel kann zu einem neuen globalen Wohlstand in verschiedenen Staaten führen. Welche Staaten sich in diesem lange ablaufenden und fundamentalen Umweltwandel behaupten werden, steht heute noch nicht fest. Das steigende politische und wirtschaftliche Risiko der sich weiterentwickelnden Machtverschiebungen des heutigen globalen Status quo unter den Bedingungen einer sich ändernden Umwelt stellt eine globale Herausforderung dar. Im Kapitel 9 „Gesellschaftspolitische Entwicklungen“ wird das Thema „Klimawandel“ aus gesellschaftlicher Perspektive betrachtet.

Um die bisherige Bilanz der deutschen Energiewende besser verstehen zu können, werden beginnend mit dem folgenden Kapitel 5 die Fundamente des Themas Klimawandel etwas genauer betrachtet. Sie passen hervorragend zu dem gerade beschriebenen Thema der sicherheitspolitischen Entwicklung. Zusammen mit den Kapiteln 6 und 7 bilden beide Themenbereiche Klimawandel und Sicherheit das Fundament zum Kapitel 9 „Gesellschaftspolitische Entwicklungen“.

Die Themensetzung und Fokussierung des Klimawandels als gesellschaftliches Topthema, und nicht die eines anderen globalen Themas (u. a. Artensterben, Waldverlust, Meeresverschmutzung, Plastifizierung, …), ist ein Teil einer Entwicklung, die vor allem in den letzten 30 Jahren aus den Industriestaaten, vorwiegend fossile Energien importierende Länder, heraus vorangetrieben wurde. Mit dieser Themensetzung eröffnen sich vor allem für die Industriestaaten neue Zukunftsperspektiven, auf wirtschaftlicher Seite und der damit verbundenen Wohlstandsentwicklung, auf der Innovations- und Produktseite, auf der sicherheitspolitischen Seite und in vielen anderen Bereichen, dem andere Staaten erst einmal in ihren eigenen Entwicklungen folgen müssen. Insofern kann die globale Thematisierung des Klimawandels und ihre mit Hilfe von den international aufgestellten Klimawissenschaften stark unter einen öffentlichen Zeitdruck gesetzte Transformationsgeschwindigkeit, hin zu einer globalen Klimaneutralität, auch als eine in die Zukunft gerichtete Wohlstandabsicherung der heutigen Industriestaaten gegenüber anderen Staaten angesehen werden, sofern die genannten Risiken minimiert werden. Die Dimensionen und verschiedene Kernfragen, welche gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Risiken auf welchen Feldern dabei die Industriestaaten eingehen, wurden in den vorherigen Kapiteln analytisch aufgegriffen.

In der Konsequenz wird eine vollständige nationale Energiewende hin zu einer CO2-freien Gesellschaft nur für wenige wohlhabende Staaten in der Welt möglich sein. Diese Staaten werden ihre militärischen Geräte, die auf Basis fossiler Energien ihre Sicherheit garantieren, nur sehr langsam auf eine andere, CO2-freie Energiebasis umstellen. Im Wesentlichen fehlen heute die Strategien und Technologien, einen derartigen Wandel im militärischen Bereich durchführen zu können. Deshalb müssen die fossile Energie importierenden Staaten (Energiewendestaaten) genügend andere Staaten ohne Energiewende am Markt halten (globale Kohlendioxidemissionen), damit die Infrastrukturen in den fossile Energien exportierenden Staaten durch einen weiteren Verkauf (ziviler Konsum) ihrer Produkte finanziert werden. Staaten wie z. B. Deutschland und die EU-Staaten treiben den Aufbau von Non-fossil Fuels (erneuerbare Energien, Atomkraft, Wasserkraft, Wasserstoff) voran, damit sie ihren zivilen Sektor ab einem bestimmten Jahr als CO2-freie oder CO2-neutrale Gesellschaft definieren können und den moralischen Wert wie „Klimaneutralität“, „Klimawirksamkeit“ etc. für sich in Anspruch nehmen können. Im Kontext einer neuen, den Werten verpflichteten Außenpolitik, entwickeln die Energiewendestaaten ein neues politisch-strategisches Instrument, was jedoch noch nicht vollständig „ausformuliert“ scheint.

Mit der Energiewende werden aus dem zivilen Sektor die fossilen Energien verdrängt, sodass die Infrastruktur zur Produktion fossiler Energien in den Exportstaaten nur noch von Staaten ohne Energiewende finanziert wird. Im Kriegsfall von Staaten mit vollzogener Energiewende (= CO2-freie Zivilgesellschaft, jedoch fossile Energien abhängiger Militärsektor) werden die Armeen in diesen Staaten von den Exportstaaten mit fossilen Treibstoffen vollständig versorgt. Ein Staat mit vollzogener nationaler Energiewende ist in dieser Folge im Militärsektor zu 100 % abhängig von fossile Energien exportierenden Staaten, sodass die Exportstaaten im Krisenfall von den Energiewendestaaten zuallererst annektiert werden müssten, damit sie ihre eigene Verteidigungsfähigkeit ausüben könnten (genauere Analyse in Form einer Strategieanalyse notwendig).

Die Profiteure dieser Entwicklung in Friedenszeiten werden die wenigen Staaten sein, die eine im zivilen Sektor vollzogene Energiewende durchgeführt haben, solange andere fossile Energien konsumierende Staaten diese Querfinanzierung der Ölinfrastruktur dulden oder akzeptieren werden, oder über einen moralischen Wert sich selbst verpflichten eine Energietransformation mit Produkten aus den Industriestaaten durchzuführen. In Summe erscheint die Energiewende ein Projekt von Industriestaaten zur Absicherung ihres eigenen Wohlstands, eines neuen globalen moralischen Imperativs der Politik der CO2-Neutralität, eines durch die Energiewende vorangetriebenen, nationalen, positiven Images der CO2-freien Gesellschaft, der Entwicklung neuer „grüner“ Produkte für den Weltmarkt (Alleinstellung) mit einer wertebasierten Marktdurchsetzung und der Entwicklung neuer technologischer und informationstechnologischer Abhängigkeiten anderer Staaten zu sein. Somit sind jedoch auf dem heute erkennbaren eingeschlagenen Weg zur Verfolgung von globalen Klimazielen (Pariser Klimaabkommen) bisher nicht erkennbare Vorteile für das globale Klima oder einer global wirksamen CO2-Reduktion real vorhanden.