Als Schauspielerin muss Sandra Borgmann flexibel und wandelbar sein. Mal ermittelt sie, mal mordet sie. Vielen ist sie aber auch als flippige Rosalie aus der Serie „Berlin, Berlin“ bekannt, zu der es erst in diesem Jahr mit dem alten Cast einen gleichnamigen Film gab. Dass Sandra Borgmann nicht nur in andere Charaktere schlüpfen kann, sondern sich auch äußerlich immer mal wieder für eine Rolle verändert, ist vom 14. Oktober an in der neuen sechsteiligen ZDF-neo-Dramaserie „Breaking Even“ zu sehen.
Rund eineinhalb Stunden saß die 46-Jährige dafür immer am Set in der Maske: andere Haare, eine neue Nase und ein paar Narben im Gesicht, dazu altmodisch wirkende und übergroße Kleider. Das Ergebnis erzielte den gewünschten Effekt – viele Kollegen haben sie während der Dreharbeiten Ende vergangenen Jahres verblüfft gefragt: „Wie siehst du denn aus?“.
Für die Wahlhamburgerin ein gutes Zeichen: „Das hat mir geholfen, in die Rolle reinzukommen.“ In der Serie ist sie Teil einer Familie, die in einen Skandal verwickelt ist und diesen versucht zu vertuschen. „Ich spiele eine zurückgezogene, verrückte, sehr spezielle große Schwester, die lieber mit ihren Raubvögeln zusammen ist als mit Menschen“, sagt Sandra Borgmann. Um das authentisch rüberzubringen, hat sie zusammen mit einem Falkner trainiert. So landete etwa ein Adler oder Uhu auf ihrem Arm. Eine neue Erfahrung, die Eindruck gemacht hat: „Das waren wahnsinnig schöne Momente, die mich richtig berührt haben. Zuvor war ich noch nie so nah dran gewesen an einem wilden Tier.“
Begebenheiten wie diese machen ihren Job so besonders, erzählt Borgmann. Der Schauspielerei verdanke sie, viele Orte kennenzulernen, neue Erlebnisse zu sammeln und auf unterschiedliche Menschen zu treffen. Dabei sah ihr Berufswunsch in Kindheitstagen ganz anders aus. Aufgewachsen in Mülheim an der Ruhr strebte sie an, Chirurgin zu werden. Mit Vorliebe blätterte sie daher auch im medizinischen Nachschlagewerk Pschyrembel und schaute sich mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu Fotos diverser Krankheitsbilder an. Bei der Erinnerung daran lacht Sandra Borgmann: „Das hatte schon etwas Morbides.“
Alles andere als ein morbides Gefühl überkam sie an ihrem zwölften Geburtstag, da ging es ins Theater. Ein Schauspieler lag während der einen Szene in einem Netz, das von der Decke hing, und spielte Saxofon. „Bei dem Anblick dachte ich: Wow, das will ich auch“, sagt Borgmann. Seitdem stand für sie fest, Schauspielerin zu werden. Wie es der Zufall im Leben manchmal so will, wurde jener Saxofonspieler, nämlich Reinhard Virchow, später ihr Lehrer an der Folkwang Hochschule in Essen, wo sie Schauspiel studierte. Das war 1994 bis 1997, inzwischen lebt sie seit 2005 in Hamburg, hat einen elfjährigen Sohn und ist eine feste Größe auf der Leinwand.
Dennoch ist Sandra Borgmann eher selten auf Events zu sehen. Öffentlichkeit mache sie nervös. „Bei der Premiere eines eigenen Filmes gehe ich gerne über den roten Teppich. Ansonsten ist das eher nicht mein Habitat.“ Ein Mittelding aus Privatperson und Schauspielerin in solchen Momenten zu sein, verwirre sie. Aussagen wie diese zeigen, dass Sandra Borgmann sich nicht leicht in eine Schublade stecken lässt. Vielleicht ist es auch gerade diese Eigenschaft, die sie so wandelbar macht und weshalb sie am liebsten Rollen spielt, die ambivalent sind – so wie das echte Leben.
Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.