figure afigure a

Marie Curie (© INTERFOTO / Friedrich)

Sie prägte den Begriff der Radioaktivität und wurde trotz ihres über Jahrzehnte ungeschützten Umgangs mit hoch radioaktiven Substanzen fast 67 Jahre alt: Marie Curie. Ihre Leidenschaft für die Wissenschaft bezahlte sie mit einem hohen Preis. Bereits mit Anfang 30 war sie chronisch strahlenkrank.

Die Umstände, unter denen die Physikerin und Chemikerin Marie Skłodowska Curie (1867–1934) und ihr Mann Pierre Curie (1859–1906) erst das Polonium und später das Radium entdeckten, das sie in 4-jähriger körperlich wie geistig harter Arbeit chemisch isolieren konnten, sind legendär. Dem Forscher-Ehepaar war 1898 ein Laboratorium zugewiesen worden, das diesen Namen nicht verdiente: Eine Bretterbaracke mit Glasdach, das „nur mangelhaft vor Regen schützte“, wie Marie später schrieb, in dem es im Winter eiskalt, im Sommer tropisch warm war.

Auch einen Abzug hatte das „Laboratorium“ nicht. In den 4 Jahren von 1898–1902 verarbeiteten Marie und Pierre Curie dort 8 Tonnen Pechblende (Uranpecherz: Uran(IV)-oxid), um das erste Zehntelgramm reinen Radiumchlorids isolieren und das Atomgewicht bestimmen zu können.

Marie Curie berichtete später:

„Ich habe manches Mal bis zu 20 kg Materie auf einmal behandelt … Es war eine aufreibende Arbeit, die großen Gefäße hin- und herzuschaffen, die Flüssigkeiten umzugießen und stundenlang mittels eines Eisenstabes die siedende Masse in einem Schmelztiegel umzurühren.“

Täglich hohen Radon-Dosen ausgesetzt

Die Mahlzeiten nahm das Paar gleich in einem Nebenraum ein. Damit gelangten wahrscheinlich Unmengen strahlender Materie in ihre Körper. Beide litten aufgrund des Umgangs mit dem stark radioaktiven Material unter schmerzhaften Entzündungen der Fingerspitzen mit Schuppungen und Verhärtungen. Sie fühlten sich ständig erschöpft.

1903 sah die Mittdreißigerin abgemagert, müde und blass aus. Unter Freunden und Verwandten löste ihr Gesundheitszustand Entsetzen und große Besorgnis aus. Marie und ihr Mann waren täglich hohen Konzentrationen radioaktiven Gases in ihrem Laborschuppen ausgesetzt, nämlich des damals noch unbekannten Radons. Seine Konzentration in der Luft des Schuppens war wahrscheinlich einige hundert Mal größer als heute erlaubte Grenzwerte, vermutet die Physikerin und Autorin Brigitte Röthlein. Die Curies erfreuten sich an den in der Dunkelheit fluoreszierenden Fläschchen und Phiolen: „Die glühenden Röhrchen sahen wie winzige Zauberlichter aus“, schrieb Marie. Das ausgesandte Licht sei manchmal so stark, dass man in der Dunkelheit lesen könne. Welche Gefahr von den „Zauberlichtern“ ausging, war niemandem bewusst.

Zwar bemerkten Pierre und Marie Curie sehr schnell, dass die Radioaktivität „ansteckend“ ist, dass sie die Laborluft elektrisch leitend macht, die Kleidung strahlen lässt. Sorgen machten sie sich jedoch nur um die Präzision ihrer Messungen, nicht um ihre Gesundheit. Auch nicht, als Pierre Curie eine radioaktive Probe 10 Stunden lang an seinem Arm befestigte, um die Auswirkungen zu testen. Er dokumentierte akribisch die resultierende tiefe Wunde sowie deren wochenlangen Heilungsverlauf.

Als im Dezember 1903 die Akademie der Wissenschaften in Stockholm verkündete, dass der noch junge Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der Radioaktivität zur Hälfte an Henri Becquerel (1852–1908) und zur Hälfte an Pierre und Marie Curie verliehen werden soll, fühlen sich die Curies nicht kräftig genug, die beschwerliche Reise von Paris nach Stockholm anzutreten. Der französische Gesandte nimmt stellvertretend den Preis entgegen.

„Die tödliche Blässe und Starrheit meiner Mutter“

Ein Arzt diagnostizierte bei Curie Blutarmut. Sie leidet unter lästigem Husten, den sie auf eine überstandene Grippe zurückführt. Ihre Tochter Eve schreibt später über den permanent angespannten Gesundheitszustand ihrer Mutter: „Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen ist der Anblick meiner ohnmächtig zu Boden stürzenden Mutter, ihre tödliche Blässe und Starrheit.“ Marie Curie selbst bezweifelt, dass sie noch das Erwachsenenalter ihrer jüngsten Tochter erleben wird, so erschöpft fühlt sie sich.

Die faszinierenden physikalischen Eigenschaften des Radiums überwältigten Forscher wie Laien. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich weltweit eine Radium-Euphorie. Man setzte Radium nicht nur zur Krebsbekämpfung ein. Man konnte radioaktives Haartonikum kaufen, radioaktive Salben für die „jugendliche Haut“, Radium-Kompressen, Badesalze, Zäpfchen, Zahnpasta, ja sogar Schokoladenbonbons mit Radium. Man war völlig arglos. Wer heute die Originalschriften der Curies in der französischen Nationalbibliothek einsehen will, muss eine Erklärung unterschreiben, dass man dies auf eigene Gefahr tut, so stark strahlen sie noch. Nach Angaben Röthleins schätzen Fachleute, dass sich das Ehepaar pro Woche einer durchschnittlichen Strahlendosis von 10 Millisievert (mSv) ausgesetzt hat. Zum Vergleich: In Deutschland liegt laut Strahlenschutzverordnung der Grenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen pro Kalenderjahr (!) bei 20 mSv, für die Durchschnittsbevölkerung bei 1 mSv pro Jahr.

Anfang der 1920er-Jahre machten sich Strahlenschäden an den Augen Curies bemerkbar. Sie litt beidseits am grauen Star und wurde erstmals 1923 operiert, danach noch weitere drei Male. Das Sehvermögen blieb jedoch dauerhaft geschwächt. Allmählich wurde klar, dass Radium Gesunde schwer schädigen kann. Im Radium-Institut in Paris starben 1925 zwei junge Ingenieure an „schwerer Anämie“ und „Leukämie“, so die Diagnosen. Es gab weitere Unfälle und Tote.

Zwar wurden nun Sicherheitsvorschriften wie Schutzschirme und Abzugshauben eingeführt. Curie wie andere wohl ebenfalls, hielten sich nicht daran, etwa die Tuben mit den radioaktiven Substanzen mit Zangen anzufassen oder sich mit Bleiplatten vor der Strahlung zu schützen. Curies Blutuntersuchungen fielen „nicht normal“ aus, so die vagen Berichte. Die verbrannten Hände mit teilweise eiternden Wunden versuchte sie zu ignorieren. Bis ins Jahr 1931 fielen bei 7 von 20 Mitarbeitern des Radium-Instituts abnorme Blutbildveränderungen auf. Doch noch immer glaubte man, mit einem Erholungsurlaub auf dem Lande würde sich das bessern.

Mit Mitte 60 täglich noch 12–14 Stunden im Institut

Obwohl es ihr gesundheitlich immer schlechter ging, sie über zunehmende Müdigkeit, Schulterschmerzen und Ohrensausen klagte, arbeitete Marie Curie auch mit Mitte 60 noch täglich 12–14 Stunden in ihrem Institut. 1934 musste sie eine Erholungsreise mit dem Auto durch Frankreich, gemeinsam mit ihrer Schwester Bronia, wegen Entkräftung und Schüttelfrostanfällen abbrechen. Ärzte sprachen ihnen gegenüber von Grippe, Bronchitis und Überarbeitung. Marie Curies Temperatur war ständig leicht erhöht, die Schüttelfröste wurden heftiger. Die behandelnden Ärzte kamen jedoch zu keiner Diagnose, verordneten Packungen und Schröpfungen. Man vermutete einen alten tuberkulösen Prozess und empfahl den Aufenthalt im Gebirge.

Curie wurde trotz hohen Fiebers ins Sanatorium Sancellemoz in der französischen Gemeinde Passy gebracht. Dort stieg ihre Körpertemperatur auf über 40 Grad. Ein Genfer Arzt stellte eine drastische Verminderung roter und weißer Blutkörperchen fest und sprach von perniziöser Anämie.

Nachdem Marie Curie am 4. Juli 1934 gestorben war, hieß es im Bericht des Sanatoriums: „Das Knochenmark hat nicht reagiert, anscheinend weil es durch andauernde Einwirkung der Strahlungen Veränderungen erlitten hatte.“ Es war allen Beteiligten also durchaus klar, dass nicht ein Vitamin-B12-Mangel die Anämie ausgelöst, sondern Radioaktivität das Knochenmark zerstört hatte.

Strahlensyndrom

Ionisierende Strahlung verursacht direkt oder durch sekundäre Reaktionen Gewebeschäden wie Entzündungen, Atrophien, Fibrosierungen oder Nekrosen. DNA-Veränderungen können zu chronischen Krankheiten oder zu genetischen Defekten bei Nachkommen führen. Symptome sind zu Beginn ein allgemeines Schwäche- und Krankheitsgefühl, Appetitlosigkeit, Übelkeit und gegebenenfalls unstillbares Erbrechen mit der Folge einer Dehydrierung. Nekrosen des Darms lösen Bakteriämien aus. Es kann eine Phase relativen Wohlbefindens folgen, später treten Fieber, Infektionen, Durchfälle und Blutungen, Haarausfälle und oropharyngeale Ulzerationen auf. Weitere verzögert auftretende Symptome sind Amenorrhö, verminderte Libido bei Frauen, Anämie, Leukopenie, Thrombozytopenie und Katarakt. Somatische und genetische Spätschäden münden zum Beispiel in Leukämien, Schilddrüsen-, Haut- oder Knochenkrebs. Die biologischen Mechanismen der onkogenen Strahlenwirkung sind nicht vollständig geklärt.