"Die Herrlichkeit des Lebens": Warum man diesen Kafka-Film unbedingt sehen muss | Abendzeitung München
Kritik

"Die Herrlichkeit des Lebens": Warum man diesen Kafka-Film unbedingt sehen muss

Georg Maas und Judith Kaufmann erzählen klassisch und elegant das letzte Lebens- und Liebesjahr des Schriftstellers
| Adrian Prechtel
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Sabin Tambrea als Franz Kafka und Henriette Confurius als Dora Diamant in "Die Herrlichkeit des Lebens".
picture alliance/dpa/Majestic Filmverleih 3 Sabin Tambrea als Franz Kafka und Henriette Confurius als Dora Diamant in "Die Herrlichkeit des Lebens".
Dora (Henriette Confurius) mt Franz Kafka (Sabin Tambrea).
Christian Schulz 3 Dora (Henriette Confurius) mt Franz Kafka (Sabin Tambrea).
Sabin Tambrea als Franz Kafka und Henriette Confurius als Dora Diamant in "Die Herrlichkeit des Lebens".
picture alliance/dpa/Majestic Filmverleih 3 Sabin Tambrea als Franz Kafka und Henriette Confurius als Dora Diamant in "Die Herrlichkeit des Lebens".

Am Strand  des Ostseebads Graal-Müritz  zwischen Badenden, Flaneuren und Handtuchlagern ist er der Kinderliebling. Sie scharen sich um seinen Strandkorb, weil Kinder sofort spüren, dass da einer anders ist als die sonstige Erwachsenenwelt. Denn dieser Mann wirkt in seiner ätherischen Art wie aus einer anderen Welt: zurückgenommen, edel, hochgewachsen, vergeistigt, mit einer sanften, aber klaren Stimme.

Kafka wird dem Kinderkreis um ihn spontan eine kleine Geschichte erzählen: "Die Parabel von der Maus", die sich von der Katze überreden lässt, von der Flucht nach vorne abzulassen, umzudrehen - und gefressen wird. Die Geschichte ist nur zwei Sätze lang, und im ersten reflektiert die Maus, dass man die anfangs ängstigende Freiheit der vielen Möglichkeiten als Glück empfinden sollte, weil sich - gegen Ende des Lebens - alles verengt. Die Kinder lächeln, staunen leicht verstört und laufen dann wieder auseinander.

Dora (Henriette Confurius) mt Franz Kafka (Sabin Tambrea).
Dora (Henriette Confurius) mt Franz Kafka (Sabin Tambrea). © Christian Schulz

Kraftvoll und optimistisch

Es ist Sommer 1923, Kafka wird ein Jahr später an Tuberkulose sterben, aber der Film von Georg Maas und Judith Kaufmann heißt - wie der zugrundeliegende Roman von Michael Kumpfmüller: "Die Herrlichkeit des Lebens".

Es ist ein schöner, kraftvoller, optimistischer Titel, den man mit Kafka so vielleicht nicht in Verbindung bringen würde. Man erwartet eher Angegriffenes, Tragikomisches, Auswegloses oder Surreales. Aber es geht in diesem romantischen Film um die letzte, wirklich gewordene Liebe für Kafka. Der wurde erst postum berühmt, weil sein Freund, der Schriftsteller Max Brod, einer Anweisung nicht nachkommt. Er solle alles verbrennen, hatte Kafka 1924 im Krankenhaus auf einen Zettel geschrieben, weil er durch die Krankheit, die da schon den Kehlkopf befallen hatte, nicht mehr sprechen konnte.

Aber jetzt ist noch Sommer, und für Dora Diamant wird sich Franz vom Vater emanzipieren und zu ihr nach Berlin ziehen. Denn bisher ist der knabenhafte Mann stark unter Aufsicht des Vaters, des Prager Kaufmanns, der aus einfachen böhmischen Verhältnissen stammte und seinen tuberkulösen Sohn nie loslässt, während Sohn Franz Geschichten und Romane schreibt, aber bisher - auch aus Selbstzweifeln - nur wenig veröffentlicht hat. Dass er bei alledem ein erfolgreicher Versicherungsangestellter war und von Schriftstellerkollegen bewundert wurde, wird dabei oft zu wenig gesehen.

Die Geschichte einer Befreiung

Die Herrlichkeit des Lebens zuzulassen, ist also eine teilweise späte Befreiung eines 40-Jährigen. Und weil sich Dora, eine vor  Pogromen nach Deutschland geflohene Jüdin, um jüdische Kinder im Ostsee-Ferienheim kümmert, wird Kafka hier während seines Sommerurlaubs fern von Prag öfter vorbeischauen. So sieht man ihn, den sonst immer leicht entrückten, sanft unbeholfenen Mann, auch mal am groben Großküchentisch Kartoffeln schälen - um sich nützlich zu machen und mit Dora im Gespräch zu bleiben.

Sabin Tambrea als Franz Kafka und Henriette Confurius als Dora Diamant in "Die Herrlichkeit des Lebens".
Sabin Tambrea als Franz Kafka und Henriette Confurius als Dora Diamant in "Die Herrlichkeit des Lebens". © picture alliance/dpa/Majestic Filmverleih

Mit Henriette Confurius als moderner, zupackender Frau hat der Film ein Gleich- und Gegengewicht zum später weltberühmt gewordenen Schriftsteller. Sie wird ihn ein Stück weit über sein gefangenes Selbst hinausführen. Ihn wiederum spielt Sabin Tambrea in einer Fragilität, die subtil atemlos ist. Was aber nie rein hinfällig wirkt, sondern aus einer schönen Vergeistigung stammt, die sich nach Gefühlen und - bei aller Zartheit - physischer Liebe sehnt.

Den sommerlichen Film prägen natürliche, aber kunstvoll gewählte Bilder der Landschaft und liebevolle Details - wie ein Liebesbändchen um eine Holzbank in den Dünen. Er konzentriert sich mit einer ansteckenden Leichtigkeit auf das Liebespaar. Und selbst der Kampf um Normalität im Niedergang der Krankheit und der Abschirmung vom Vater trübt die Liebe nie.

Der wiederum kommt gar nicht vor - nur als verzerrt murmelnde Akustik am Telefon. So dass wir ihn als Zuschauer nicht verurteilen, sondern nur die Auswirkung seines Patriarchats sehen: als ängstliche Nervosität beim Sohn, die von der Liebe zu Dora überwunden wird.

Diese Liebe umspielt auch noch wärmend die Bilder, als es zu Ende geht, winterlich fahl und doch von Freundschaft und Liebe wunderbar geborgen, so dass Kafka lächelt, wenn er verstummend seine Botschaften auf Zettel schreibt.

K: ABC, City, Monopol, Rio, R: Georg Maas, Judith Kaufmann (D, 98 Min.)

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  • Gelegenheitsleserin am 14.03.2024 15:12 Uhr / Bewertung:

    "Am Strand, wo die Müritz in die Ostsee mündet" - ??
    Nun spielt die genannte Szene zwar am Strand bei Graal-Müritz, aber dass dort "die Müritz in die Ostsee mündet" ist wohl ein Irrtum des Rezensenten, denn die Müritz ist ein See in der Mecklenburgischen Seenplatte.