Verpasster Hitler-Stopp – Bei NSDAP wurden alle Warnzeichen ignoriert
  1. Startseite
  2. Kultur
  3. Gesellschaft

Der verpasste Hitler-Stopp: Bei NSDAP wurden alle Warnzeichen ignoriert

KommentareDrucken

Heute steht die AfD im Fokus, doch auch in der Weimarer Republik wurde über ein Partei-Verbotsverfahren diskutiert. Doch alle Warnzeichen hinsichtlich der NSDAP wurden ignoriert.

Es ist in der deutschen Geschichte nicht neu, dass über das staatliche Vorgehen gegen eine starke rechtsextreme Partei gestritten wird. Heute wird darüber diskutiert, ob ein Verbotsverfahren gegen die zumindest in Teilen rechtsextreme AfD beschlossen werden soll. Deren bekanntester Anführer Björn Höcke scheut nicht vor NS-Anspielungen zurück.

Wenig bekannt ist, dass Anfang der 1930er Jahre, vor der Machtübernahme Adolf Hitlers und seiner NSDAP 1933, ebenfalls eine solche Diskussion in Deutschland geführt wurde – auf höchster politischer Ebene. In zwei Denkschriften trug die preußische Staatsregierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun Material zusammen, das aus ihrer Sicht ein Betätigungsverbot für die NSDAP rechtfertigte.

Sitzung des Brüning-Kabinetts im Garten des Reichskanzlerpalais, Foto von Erich Salomon. Artikoloro/Imago
Sitzung des Brüning-Kabinetts im Garten des Reichskanzlerpalais, Foto von Erich Salomon. © imago images/Artokoloro

Ergebnis zu Parteiverbot der NSDAP war eindeutig - und wurde dennoch abgelehnt

Das Ergebnis war eindeutig: „Danach ist die NSDAP eine staatsfeindliche Verbindung (…), die die Bestrebung verfolgt, die verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform zu untergraben. Ihre Betätigung stellt sogar ein hochverräterisches Unternehmen (…) dar“, hielten die Autoren am Ende ihrer Ausführungen fest. Mitglieder der NSDAP machten sich durch „Kenntnis und Billigung des Endziels“ strafbar.

Die Reichsregierung und Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum) lehnten es jedoch ab, gegen die Nazi-Partei und ihre Anführer vorzugehen. Monatelang antworteten sie auf Nachfragen der preußischen Regierung, dass die Frage noch geprüft werden. Dann ließen sie die Angelegenheit im Sande verlaufen.

„Adolf Hitler und seine Nazi-Partei wären nie an die Macht gekommen“

„Die Ermittlungsverfahren gegen Hitler, Goebbels und die NSDAP wegen Verletzung der Strafbestimmungen über Hochverrat, staatsfeindliche Organisationen etc. wurden dadurch abgeschlossen, dass die Oberreichsanwaltschaft sie in Übereinstimmung mit dem Reichsjustizministerium im Juni 1932 einstellte“, fasste einer der Autoren der Denkschrift zusammen. Es war der preußische Jurist Robert Kempner, der nach dem Zweiten Weltkrieg zu den US-Anklägern in den Nürnberger Prozessen zählte und sich später als Rechtsanwalt in Frankfurt am Main niederließ.

Die Entscheidung gegen das Parteiverbotsverfahren war ein gravierender Fehler mit schwerwiegenden Folgen, wie Kempner ausführte. „Adolf Hitler und seine Nazi-Partei wären nie an die Macht gekommen, das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg hätte es nie gegeben“, war er überzeugt.

Bedingungen für Parteiverbotsverfahren bei AfD erfüllt?

Das Grundgesetz der Bundesrepublik ermöglicht es dem Bundesverfassungsgericht heute, auf Antrag von Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung eine Partei zu verbieten. Voraussetzung dafür ist, dass diese Partei nicht nur die Werte der Verfassung und der demokratischen Grundordnung angreift, sondern ihre Position zudem aktiv-kämpferisch durchsetzen will.

Einige Abgeordnete wie der Christdemokrat Marco Wanderwitz sehen diese Bedingungen bei der AfD als erfüllt an. Diese Partei sei „durchradikalisiert an Haupt und Gliedern“, sagte Wanderwitz der Frankfurter Rundschau.

„Der verpasste Nazi-Stopp“: Denkschrift offenbarte Charakter der NSDAP

Im Jahr 1930 hatten Kempner und seine Kollegen im preußischen Innenministerium ähnliche Kriterien bei der NSDAP angelegt. Die politische Gruppe der Polizeiabteilung des Ministeriums zeichnete ein klares Bild davon, wie Hitler die demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen zerstören würde.

Die 97-seitige Denkschrift vom August 1930 zeigte nach Auffassung ihrer Verfasser „die NSDAP als staats- und republikfeindliche, hochverräterische Verbindung“. Die Denkschrift hat Kempner, der 1993 starb, in den 1980er Jahren veröffentlicht unter dem Titel „Der verpasste Nazi-Stopp.“ Das Buch ist vergriffen. Die Frankfurter Rundschau konnte es in der Bibliothek des „Studienkreises Deutscher Widerstand“ in Frankfurt einsehen.

Hitler kündigte in „Mein Kampf“ bereits an, was er vorhatte

Die Dokumentation ähnelt Materialsammlungen, wie sie der Verfassungsschutz heute über seine Beobachtungsobjekte anlegt. Sie stützte sich auf Äußerungen führender Parteifunktionäre, auf Auszüge aus Schriften wie Hitlers „Mein Kampf“ und auf die Partei-Satzung der NSDAP.

So hatte Hitler in „Mein Kampf“ bereits angekündigt, dass er die demokratische Staatsform beseitigen wolle. Der von ihm angestrebte „völkische Staat“ habe „keinen Vertretungskörper, der etwas durch Majorität beschließt“, sondern „nur Beratungskörper, die dem jeweilig gewählten Führer zur Seite stehen“.

Wer ist Robert Kempner?

Robert M.W. Kempner, geboren 1899 in Freiburg im Breisgau, wurde 1928 als junger Jurist in das preußische Innenministerium berufen. „Mit dem Ziel, ein Verbot der NSDAP zu erreichen, erhält Kempner den Auftrag, Beweise für die verfassungsfeindlichen Aktivitäten der Partei zu sammeln“, schildert die Berliner Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannsee- Konferenz“. In der Polizeiabteilung des Innenministeriums erarbeitete Robert Kempner mit seinen Kollegen die Materialsammlung, die die Rechtswidrigkeit der NSDAP nachwies.

Die Nazis entließen Kempner aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ nach der Machtübernahme 1933 als „politisch unzuverlässig“ und wegen „fortgesetzten Judentums“ aus dem preußischen Staatsdienst. Er emigrierte nach seiner Entlassung aus der Gestapo-Haft 1935 zunächst nach Italien sowie über Frankreich 1939 in die USA. Nach dem Krieg kehrte er zurück und gehörte zu den US-Anklägern in den Nürnberger Prozessen.

In Frankfurt ließ sich Kempner 1951 als Rechtsanwalt nieder. 1993 starb er in Königstein. pit

NSDAP wollte Demokratie ausnutzen, um sie abzuschaffen

Die Autoren der Denkschrift – allesamt Männer – machten auch klar, dass die NSDAP die parlamentarische Demokratie nur ausnutzen wollte, um sie abzuschaffen. „Unsere Beteiligung am Parlament bedeutet nicht Stärkung, sondern Unterhöhlung des parlamentarischen Systems, nicht Verzicht auf unsere antiparlamentarische Einstellung, sondern Bekämpfung des Gegners mit seinen eigenen Waffen“. So zitierte die Denkschrift aus dem „Nationalsozialistischen Jahrbuch 1927“ den Nationalsozialisten Wilhelm Frick. Er war 1930 zum ersten Minister der NSDAP zu Zeiten der Weimarer Republik geworden – als Innenminister in Thüringen, jenem Land, in dem sich die AfD heute anschickt, stärkste Kraft zu werden.

Die preußischen Beamten belegten 1930 auch, dass die NSDAP seit ihrer Gründung den „gewaltsamen Umsturz als Ziel“ verfolgte. „Ohne Waffen sei nichts zu erreichen“, wurde Joseph Goebbels zitiert, der Propagandaleiter Hitlers. Dabei ließ Goebbels keinen Zweifel an der geplanten Willkürherrschaft „Wir wollen Deutschland frei machen, weiter nichts. Ist das deutsche Volk nicht damit einverstanden, dass es freigemacht wird, dann pfeifen wir auf dieses Einverständnis“, zitierte die Denkschrift aus der Goebbels-Publikation „Der Nazi-Sozi“.

„Hitler wäre als lästiger Ausländer aus dem deutschen Reich ausgewiesen worden“

Kempner schrieb im Vorwort, das 2011 von der Zeitschrift Das Blättchen nachgedruckt wurde und online verfügbar ist, „dass der verbrecherische Charakter des Hitlerregimes bereits 1930 einwandfrei feststand“. Die notwendigen Konsequenzen seien aber „bedauerlicherweise von der Reichsregierung nicht gezogen“ worden.

„Hitler wäre in einem rechtsstaatlichen Kriminalverfahren bereits im Jahre 1931 wegen hochverräterischer Unternehmen, Meineides und Gründung staatsfeindlicher Organisationen, wie der NSDAP, der SA und der SS, verurteilt und sofort als lästiger Ausländer aus dem deutschen Reich ausgewiesen worden“, mutmaßte Kempner.

Denn Adolf Hitler, geborener Österreicher und staatenlos, wurde erst durch einen Trick Deutscher – 1932, indem er sich von einem Genossen in Braunschweig zum Regierungsrat ernennen ließ. Nur dadurch konnte er 1933 Reichskanzler werden.

Reichskanzler schreckte vor Verbot der NSDAP zurück

Kempner beklagte „die völlige Fehlbeurteilung der politischen Lage durch die Reichsregierung und den Mangel an Initiative gegenüber der NSDAP“. Dies lasse sich nachträglich durch das Protokoll über eine Sitzung der Reichsregierung vom Dezember 1930 beweisen, bei der über die Frage der Legalität oder Illegalität der NSDAP gesprochen worden sei.

„Auf Grund dieser Erörterungen gelangte Reichskanzler Heinrich Brüning zu einer Schlussfolgerung, die geschichtlich äußerst verhängnisvoll war“, urteilte Kempner und zitierte: „Der Reichskanzler vertrat die Auffassung, dass das Reichskabinett jetzt noch nicht zu der Frage der Legalität oder Illegalität der NSDAP endgültig Stellung nehmen könne. Auf jeden Fall müsse die Reichsregierung sich davor hüten, dieselben falschen Methoden gegen die Nationalsozialisten anzuwenden, welche in der Vorkriegszeit gehen die Sozialdemokraten angewendet worden seien.“

Es gab noch einen Vorstoß zum Verbot der NSDAP – er verpuffte

Trotz all dieser entmutigenden Signale habe der preußische Ministerpräsident Otto Braun (SPD) im März 1932 nochmals beim Reichskanzler Brüning einen Vorstoß zur Rettung der Weimarer Republik vor einem befürchteten Regime Adolf Hitlers unternommen. „Eine ausführliche Denkschrift von 236 Seiten bewies die republikfeindliche, staatsgefährdende und dem Strafgesetzbuch zuwiderlaufende Tätigkeit der NSDAP“, notiert Kempner. Doch die Reichsregierung antwortete den Preußen nicht einmal – auf Wunsch Brünings, wie sich später nachvollziehen ließ.

Nach der Machtübernahme der Nazis wurde Kempner aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ als „politisch unzuverlässig“ aus dem preußischen Staatsdienst entlassen, konnte sich aber in die USA retten.

Nicht alle Mitstreiter aus dem preußischen Ministerium überlebten die Nazizeit. Der damalige Leiter der Polizeiabteilung, Erich Klausener, mittlerweile ins Reichsverkehrsministerium versetzt, wurde am 30. Juni 1934 von den Nazis in seinem Dienstzimmer erschossen.

Auch interessant

Kommentare