Ryan Gosling: Die neue Lustfeindlichkeit im Actionfilm „The Gray Man“ - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Ryan Gosling: Die neue Lustfeindlichkeit im Actionfilm „The Gray Man“

Kultur Neuer Actionfilm „The Gray Man“

Ein Herz für Ryan Gosling

Redakteurin im Feuilleton
Stoischer Held: Ryan Gosling in „The Gray Man“ Stoischer Held: Ryan Gosling in „The Gray Man“
Stoischer Held: Ryan Gosling in „The Gray Man“
Quelle: 2022 Netflix, Inc.
James Bonds Tod wurde als Untergang der Männlichkeit gedeutet. Jetzt zeigt Ryan Gosling in „The Gray Man“, wie ein moderner Held der Gegenwart aussieht. Was kann die teuerste Netflix-Produktion aller Zeiten? Vor allem strotzt sie vor Lustfeindlichkeit.

Ryan Gosling ist einer jener wenigen Schauspieler, denen es gelingt, jenseits privater Skandale allein mit seinen Rollen für Schlagzeilen zu sorgen. Er meistert seit Jahren einen Slalomlauf durch die Blockbuster-Genres, von Kitsch („Wie ein einziger Tag“) über Komödie („Crazy, Stupid, Love“) und Musical („La La Land“) bis hin zu Actionthriller („Drive“) und Science-Fiction („Blade Runner 2049“). Im kommenden Jahr wird er als Barbie-Freund Ken auf der Leinwand strahlen, der platinblondierte Schönling mit gebräuntem Sixpack, neon-pinker Weste und knallgelben Rollschuhen. Seine aktuelle Rolle ist wiederum vollkommen anders. In „The Gray Man“ spielt Gosling einen Profi-Killer.

So glatt und markant Goslings Körperhülle in vielen Filmen erscheint, so prägend ist sein Stilwille. Von der satinglänzenden Skorpion-Jacke in „Drive“ musste die Designerin angeblich 13 Versionen anfertigen, bis Gosling zufrieden war. Die rote Motorrad-Jacke in „The Place Beyond the Pines“ prägte den Zeitgeschmack ebenso, wie seine Jeansweste in „Barbie“ schon jetzt den „Barbiecore“-Trend auf den Plan ruft.

Im weinroten Smoking wird Gosling, der Inbegriff modischer Verpanzerung, in „The Gray Man“ von Ana de Armas als Dani Miranda mit dem Kommentar „Schicker Anzug“ begrüßt. Seine Antwort („Ich ziehe an, was die wollen“) dürfte ebenso Kultstatus erlangen wie Daniel Craigs Bond-Bonmot auf die Frage, ob er seinen Wodka Martini geschüttelt oder gerührt wolle: „Sehe ich so aus, als ob mich das interessiert?“ Gosling ist erst 41 Jahre alt und wirkt längst als Nostalgiemarker.

Lesen Sie auch

Joe Russo, der den Film wie fast immer gemeinsam mit seinem Bruder Anthony gedreht hat (die Russo-Brüder filmten etwa „Avengers: Endgame“), kündigte „The Gray Man“ als den Beginn eines neuen Filmuniversums an. Der Auftaktfilm hatte ein selbst für Netflix-Verhältnisse außergewöhnliches Budget von über 200 Millionen Dollar. Die Geschichte basiert auf einem Roman von Mark Greaney, der 2009 erschien. Gosling als „namenloser Attentäter mit begrenzter Moral“ trägt den Namen „Sechs“, denn – eine Anspielung, die man in ihrer Explizitheit nicht benötigt hätte – „007 war schon vergeben“. Als Killer wird er aus dem Gefängnis rekrutiert, um im Gegenzug lebenslang für die CIA-Organisation „Sierra“ zur Verfügung zu stehen.

„The Gray Man“ ist ein Film, der womöglich gar nicht viel mehr will, als saubere Action zu liefern. Die Kamera fegt aus einer magischen Perspektive über Flüsse und Schlösser hinweg, die an die Zauberwelt von Hogwarts erinnern, die Bilder sind in Marvel-Farben getaucht, und der Soundtrack unterstützt die Gefechtschoreografie präzise. Rückblenden manövrieren den Helden in abwechslungsreiche Landschaften und scheinbar ausweglose Situationen.

Wenn es eine Botschaft gibt, dann die, dass es immer weitergeht, auch wenn der Stein, den man unablässig den Berg hinaufrollt, droht einen selbst unter sich zu begraben. Das ausufernde Kampfgeschehen wird durch etwas Slapstick und philosophische Einsprengsel aufgelockert – Schopenhauer spielt sich aufdringlich in den Vordergrund, mal direkt („Meistens belehrt uns erst der Verlust über den Wert der Dinge“), mal indirekt („Es heißt, dass das Leben in seiner schlichtesten Form eine Schlacht der Willenskraft ist“).

Moderner Roboter und Sisyphus

Ryan Gosling als Sierra Sechs und Chris Evans als Lloyd Hansen erscheinen als Gegenspieler, die trotz ihrer Nähe als ehemalige Kollegen unterschiedliche Prinzipien verkörpern. Weil Sechs in den Besitz sensibler Informationen gelangt, wird er von Lloyd verfolgt, der ihn umbringen soll. Dabei liefern sie sich eine referenzreiche Verfolgungsjagd durch London, Prag und Wien, die einige Höhepunkte bereithält: einen Fall aus dem Flugzeug mit anschließender Luftschlacht („Mission: Impossible – Fallout“), einen cleveren Schusswechsel in der sich um die Ecke biegenden Straßenbahn („Snowpiercer“), improvisierte Foltermethoden, einen unerwarteten Verrat und schließlich einen Zweikampf im Brunnen bei Sonnenuntergang („La Dolce Vita“), der so romantisch gerahmt und sexuell aufgeladen ist, dass er von den gesamten 128 Minuten die erotischsten Züge trägt.

Abgesehen von dieser eher entfremdeten Leidenschaftsbetätigung strotzt der Blockbuster nur so vor Lustfeindlichkeit. Ana de Armas als Dani Miranda, die schon im letzten „Bond“ die Erwartung einer Affäre mit dem Helden weckte und enttäuschte, bittet ihre Gegner gelassen, aus ihrer „Intimsphäre zu verschwinden“ – eine Aufforderung, der protestlos nachgekommen wird. Der einzige Satz von Sechs, der gerade noch so als Flirt durchgehen könnte, ist sein Eingeständnis: „Mein Ego ist etwas angeknackst. Ich würde dich gerne mal retten“, nachdem Dani ihn mehrmals knapp vor dem Tod bewahrt hat. Doch der Annäherungsversuch wird wie eine ins Wasser abgefeuerte Kugel abgebremst. Die Funktion der schluchzenden, flehenden und verängstigten Frau nimmt hier das Kind ein, zu dessen Schutz Sechs beauftragt wird.

Wie einfallslos der Film das moralphilosophische Trolley-Gedankenexperiment (das da lautet: Würden Sie als Weichensteller eine Bahn umlenken, wenn diese droht eine Menschengruppe zu überfahren, wenn sich auf dem anderen Gleis auch eine Person befindet?) durchexerziert und wie konsequent er die Lösung „Lieber acht namenlose Schergen umbringen als ein Kind“ präferiert, muss enttäuschen. Das Dilemma avanciert jedoch zum Entscheidungsprinzip, anhand dessen zwischen skrupellosen Killern, die selbst vor dem Töten unschuldiger Kinder nicht zurückschrecken, und warmherzigen Killern, für die das Umbringen von Kindern und älteren Frauen ein Tabu ist, unterschieden wird.

Schicker Anzug, angeknackstes Ego: Ana de Armas (l) und Ryan Gosling (r)
Schicker Anzug, angeknackstes Ego: Ana de Armas (l) und Ryan Gosling (r)
Quelle: 2022 Netflix, Inc.
Anzeige

Dass die Skrupellosen von der Universität Harvard und die Warmherzigen aus dem Gefängnis stammen, ist zwar ein witziger Dreh, aber verschärft die einseitige Gegenüberstellung nur. Sechs’ Zugehörigkeit zu den Guten wird zeitgemäß mit einem Kindheitstrauma wegerklärt: Schon als Junge musste er seinen Vater umbringen, weil dieser nicht aufhörte, seinen Bruder zu schlagen. Seitdem hat er sich der Rettung der Schwachen verschrieben. Dabei muss er sich wahrscheinlich noch glücklich schätzen, denn anderen Figuren wie Dani wird nicht einmal ein unterkomplexer Familienhintergrund beschert. Ihr Charakter verblasst im Rauch der Handgranaten.

Wo Daniel Craig den Bond-Charakter kurz vor dessen Ableben zum Familienvater umfunktionierte, der jeder Erotik abschwört, treibt Gosling das neue Heldenideal ins Extrem. Wie souverän es ihm gelingt, harte Autodachschale und weichen Stoffsitzkern zu verknüpfen, bewies er bereits in „The Place Beyond the Pines“ und „Drive“. Doch wer ist dieser Mann mit dem stoischen Sonnyboy-Gesicht, der mit 13 Jahren im „Micky Mouse Club“ entdeckt wurde und seitdem einen Treffer nach dem anderen landet? Der Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt verglich ihn mit ikonischen Diven wie Greta Garbo und Marilyn Monroe. Er fungiere als Projektionsfläche, die für nichts Eigenes stehe und daher für alles stehen könne.

Lesen Sie auch

In „The Gray Man“ ertönt Goslings Stimme auffällig oft aus dem Off: Wenn er spricht, sieht man ihn nicht, und wenn er nicht spricht, sieht man ihn. Innen- und Außenleben klaffen auseinander. Sechs gerät zu einer Mischung aus modernem „Roboter“, wie ihn sein junger Schützling liebevoll nennt, und antikem Sisyphos, dessen Namen er sich auf den Arm tätowiert hat. Mit der Anspielung im Titel überführen die Russo-Brüder den laut Hegel prosaisch grauen Alltag, in dem Tragödien, Dichtung und heroische Epen keinen Platz mehr finden, auf bemerkenswerte Weise ins Killer-und-Agenten-Genre.

Die Lösung, die sie anbieten, ist nicht etwa die romantische Liebe, die auf dem Boden einer entzauberten Gegenwart Fuß fasst, sondern die Vatersorge und eine zölibatäre Form des Heldentums. Im Abspann sieht man Sechs mit dem Kind in den muskulösen Armen zur Bronzefigur geronnen. Es ist auch ein Denkmal für die Gosling-Maschine, jenen gefühlvoll programmierten Automaten, dessen Emotionen sorgfältig eingehegt werden und dadurch umso stärker flimmern.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema