Zwei Tonnen Nutzlast, 1.500 Kilometer Reichweite, 300 km/h Reisegeschwindigkeit und eine Startstrecke von maximal 250 Metern – natürlich auch auf unbefestigten Pisten. Die Rahmendaten für das Baikal-Flugzeug LMS-901 sind schon lange klar gesetzt. Doch grau ist alle Theorie, denn ein echtes Flugzeug zu diesen Daten gibt es bislang nicht. Das dürfte sich aber bald ändern, denn in einer Halle des Staatlichen Luftfahrtinstituts in Moskau nimmt der Nachfolger der Antonow An-2 endlich auch körperlich Gestalt an. Der erste Prototyp der LMS-901 soll noch in diesem Jahr zum Jungfernflug starten – und Ende Juli in Schukowski beim Avia-Salon MAKS im Static Display sein Debüt in der Öffentlichkeit geben.
Enge Zusammenarbeit
Dass der Prototyp in Moskau entsteht, ist nicht nur aus diesem Grund kein Zufall: Das Flugzeug sei von Beginn an in enger Zusammenarbeit mit dem Luftfahrtinstitut entwickelt worden, schreibt das russische Ministerium für Industrie und Handel in einer Pressemitteilung. "Ingenieure und Forscher, Lehrer und Studenten der Universität waren aktiv an der Entwicklung der Konstruktionsdokumentation, der Erstellung mathematischer Modelle, der Durchführung von Feldversuchen und der Herstellung des Prototypen beteiligt." Zudem seien zahlreiche kleine, innovative Unternehmen aus ganz Russland in das Projekt involviert. Ihr Ziel: Ein Flugzeug zu bauen, das "sicher, erschiwnglich und vielseitig" ist, günstiger als die Rivalen aus dem Westen und genauso robust wie der unverwüstlich scheinende Doppeldecker An-2.
Große Fußstapfen
Als deren rechtmäßiger Erbe wird das Baikal-Flugzeug in Russland vielerorts sehnsüchtig erwartet. Dem neunsitzigen Kurzstrecken-Turboprop kommt in der künftigen Verbindung der oft abgelegenen Dörfer in Russlands Weiten eine zentrale Rolle zu. Denn noch immer füllt die An-2 in vielen Teilen des Landes beharrlich diese Rolle aus – und das seit fast 70 Jahren. Der "Traktor der Lüfte" mit seinem ölspuckenden, brabbelnden Schwezow ASch-62-Sternmotor ist hierzulande ein gern gesehener Gast auf Oldtimer-Flugtagen, in Russland dagegen bis heute ein elementar wichtiges Verkehrsmittel. Doch auch an dem fliegenden Fossil geht die Zeit nicht spurlos vorbei.
Hart und zäh – ganz wie der Vorgänger
Alle Hoffnung liegt deshalb auf dem Ganzmetall-Neuentwurf LMS-901, nachdem Alternativen auf Carbon-Basis wegen sanktionsbedingter Bedenken verworfen wurden. Die LMS-901 ist als Eindecker in Aluminiumbauweise ausgelegt. Das ihr zugedachte Einsatzprofil bedingt eine hochliegende Tragfläche. Sie besitzt, wie die An-2, ein Spornradfahrwerk, kann aber dank Turboprop-Antrieb deutlich schneller und weiter fliegen. Als Triebwerk ist das russische VK-800 von Klimow vorgesehen. Kurzstart- und landeeigenschaften sind selbstredend ebenso Teil der DNA des Baikal-Flugzeuges wie die Bereitschaft, sich auch bei Wind, Wetter und sibirischer Kälte ohne schützenden Hangar im Freien aufzuhalten. Die betont einfache Konstruktion soll nicht nur Temperaturen von minus 55 bis plus 50 Grad Celsius trotzen, sondern auch Wartungsarbeiten auf entlegenen Flugplätzen erlauben.
Serienbau am Ural
Zwar entsteht der Prototyp nun in Moskau, in Serie gebaut werden soll die LMS-901 aber von Ural Works in Ulan-Ude, wo in Lizenz auch die Let 410 entsteht. Das Ministerium für Industrie und Handel peilt den Start der Serienfertigung für 2023 an. Neben der Passagierausführung sind auch Varianten für den Frachttransport sowie für Such- und Rettungseinsätze, die Agrarfliegerei und das Militär angedacht. Einer der ersten Abnehmer wird wohl die fernöstliche Airline Aurora sein, die seit Kurzem mehrheitlich der Regionalregierung von Sachalin gehört und mit der LMS-901 das Netz "sozial bedeutender Routen" im Fernen Osten weiter ausdehnen will.