Besonderheiten der russischen Sprache (aus deutscher Sicht)

Russisch Unterricht

Besonderheiten der russischen Sprache
(aus deutscher Sicht)

Wer beginnt, sich mit der russischen Sprache zu beschäftigen, sieht oft schon ganz am Anfang viele Schwierigkeiten auf sich zukommen: Da ist die fremde Schrift, die für Ausländer schwer zu erfassenden Aspekte der russischen Verben, eine anfangs fremde Lexik mit wenig Parallelen zu den in der Schule verbreiteten Sprachen wie Englisch oder Französisch. Tatsächlich muss man viele Dinge neu lernen, aber das ist alles halb so wild. Einige kuriose Besonderheiten der russischen Sprache werden euch jedoch garantiert um den Schlaf bringen.
Besonderheiten im Russischen

Ein Gastbeitrag von Karsten Packeiser von rhein-wolga.info

Ein Laut, sieben Buchstaben?

Das geht schon beim Erlernen des kyrillischen Alphabets los. Alle slawischen Zischlaute haben da ihren eigenen Buchstaben. Das wäre weiter gar nicht mal so schlecht, wäre da nicht dieser eine eigentümliche Laut, den die Deutschen nicht besser zu transkribieren wissen, als mit sieben (!) lateinischen Schriftzeichen: Das Щ (Schtsch). Wer gelernt hat, den russischen Rote-Beete-Eintopf Borschtsch korrekt auszusprechen, hat leider nur die erste Hürde überwunden. Denn auf Fortgeschrittene warten solche Wort-Monster wie „die sich Schützenden“ (защищающиеся, saschtschischtschajuschtschijesja ).

Und erst die Namen...

Ausländische Namen sollten ja eigentlich keine besondere Schwierigkeit beim Erlernen einer Sprache darstellen. Nicht so bei den russischen: Eigentlich jeder Vorname existiert in verschiedenen Koseformen – so ähnlich, wie wir das bei Stefanie und Steffi kennen. Nicht zwingend müssen die Kurzformen russischer Vornamen kürzer sein als die offizielle Version, so wird eine Marta zum Beispiel zur Marusja verlängert. Manchmal wird es auch ganz kompliziert. Denn Anna, Anja, Anjuta und Annetschka können ein und die selbe Person sein. Und bei einigen Namen , etwa Schenja, kann es sich entweder um einen Mann (Jewgeni) oder auch um eine Frau (Jewgenija) handeln. Jeder, der erstmals einen großen, dicken Roman der russischen Klassiker zur Hand nimmt, ertrinkt mit ziemlicher Sicherheit in diesem endlosen Namens-Wirrwarr.
Besonderheiten in der russischen Sprache Verneinung

Die Mehrfachverneinung

Um auf Russisch eine Ablehnung zu formulieren, muss man viel beharrlicher verneinen als im Deutschen. Es reicht beispielsweise nicht zu sagen: „Ich habe niemandem etwas verraten.“ Auf Russisch würde man diesen Sachverhalt mit den Worten ausdrücken: „Ich habe niemandem nichts nicht verraten.“ („Я никому ничего не говорил.“ „Ja nikamu nitschewo nje gawaril.“) Das klingt aus Sicht eines Deutschen ziemlich überflüssig, ist aber essentiell, wenn Russisch-Sprecher euch verstehen sollen.

Tote Seelen

Eine kuriose Besonderheit der russischen Sprache ist der Umstand, dass bei der Deklination von Substantiven zwischen „beseelten“ und „unbeseelten“ Begriffen unterschieden wird. Grundsätzlich wird Menschen und anderen Lebewesen bis hin zu Quallen und den primitivsten Krabbeltierchen eine Seele zugesprochen, Pflanzen hingegen nicht. Ganz so einfach, wie man vermuten könnte, ist die Abgrenzung allerdings nicht. So gelten aus Sicht der russischen Grammatik auch Roboter, Schachfiguren oder Matrjoschka-Holzpuppen als beseelt. Perfekt wird die Verwirrung bei den russischen Begriffen für Leichnam, von denen einer – „труп“ („trup“) – unbeseelt ist, zwei Synonyme hingegen – „мертвец“ und „покойник“ („mertwets“, „pakoinik“) – angeblich noch eine Seele besitzen. Das ist ganz schön gruselig!

Besonderheiten in der russischen Sprache Seelen

Einzahl, Mehrzahl und Dinge dazwischen

Einer für Ausländer extrem komplizierten Logik folgt die Bildung des Plurals russischer Substantive, wenn auch Zahlen im Spiel sind. Denn dann steht das Substantiv normalerweise nicht im Nominativ Plural, sondern im Genitiv Plural. Freilich gilt das nur, wenn es eine richtig große Zahl ist. Bei einer kleinen Gruppe von zwei, drei oder vier erfordert das Zahlwort zwingend den russischen Genitiv Singular. Selbst zehn- oder hundertstellige Zahlen mit der Ziffer 1 am Ende haben hingegen immer zur Folge, dass der Nominativ Singular verwendet wird.  Am Beispiel „стол“ („Tisch“, Mehrzahl „столы“ ) würde es heißen: 1 стол, 3 стола, 5 столов, 971 стол. Immerhin: Diese skurrile Form der Mehrzahl verwenden auch andere slawische Sprachen. Als ich vor einigen Jahren einen Anfänger-Volkshochschulkurs in Kroatisch belegte und Mitschüler dem Dozenten an den Kopf warfen, das sei ja wohl die idiotischste Grammatikregel, von der sie je gehört hätten, konnte ich schon müde darüber lächeln.

Im Dschungel der Abkürzungen

Eine ewige Dauerbaustelle für Russisch-Lernende, aber auch für Muttersprachler bilden lange Abkürzungen, von denen es in der russischen Sprache nur so wimmelt – und zwar nicht nur in der geschriebenen! Den technischen Zustand seines Autos lässt man in Russland beispielsweise von der Stadtteilübergreifenden technischen Prüfstelle der zur Innenbehörde gehörenden Straßenverkehrspolizei bescheinigen – der MOTOTRER GIBDD UWD. Manche Abkürzungen sind so unverständlich, dass nicht einmal Einheimische verstehen, was damit gemeint ist. Man fragt sich beispielsweise bei manchen Straßenschildern, was dahinterstecken könnte, wenn es heißt: „Parken verboten außer für Beschäftigte des KGOBU WKSchI“. Oder „Willkommen im OIIG UIIGiOOS BGP GU NIPTs GP SPb P RF“ Andere Abkürzungen sind nicht absurd lang, aber unfreiwillig komisch. Letzteres gilt beispielsweise für das altehrwürdige Allrussische Geologische Forschungsinstitut in St. Petersburg WSEGEI. Dessen Abkürzung klingt laut gelesen genauso wie die lakonische Feststellung „Alle schwul hier“.
WSEGE

Zum Autor: Karsten Packeiser ...

hat im Gymnasium Russisch als dritte Fremdsprache gelernt, ist nach dem Abitur zum Studium nach Moskau gezogen und letztlich elf Jahre dort geblieben. Mittlerweile berichtet er als Redakteur einer Nachrichtenagentur aus Rheinland-Pfalz und schreibt in seiner Freizeit für seinen Russland-Blog „Rhein-Wolga-Kanal“. Am heimischen Esstisch spricht die vierköpfige Familie noch immer überwiegend Russisch. 

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