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Religion / Theologie

Thema des 1917 erschienenen religionsphilosophischen Werkes ist die Frage nach Struktur und Inhalt des religiösen Erlebnisses. Otto will durch Abgrenzung der von der Vernunft und vom Gefühl vermittelten Einsichten das „Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen“ bestimmen. Für den eher unscharfen Begriff des „Heiligen“ verwendet er den exakteren Begriff des „Numinosen“. Er versteht darunter eine apriorische Kategorie, die sich nicht definieren, aber erörtern lässt. Während Schleiermacher das religiöse Erlebnis als Gefühl der menschlichen Abhängigkeit vom Unendlichen zu erklären sucht, sieht Otto darin die subjektive Begegnung mit einem objektiv Seienden, das als das „ganz Andere“ erlebt wird und dadurch charakterisiert ist, dass es gleichzeitig anzieht und abschreckt. Diese doppelte Wirkung wird damit erklärt, dass das Göttliche mit der Seele verwandt sei, zugleich jedoch in seiner Übermächtigkeit alle menschlichen Kategorien sprenge.

Das Heilige äußert sich zunächst in seiner Erhabenheit und konfrontiert den Menschen mit seiner Nichtigkeit angesichts eines begrifflich nicht fassbaren „Übermächtigen“. Dieses Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem als Offenbarung erlebten Göttlichen nennt Otto „Kreaturgefühl“. Alle göttliche Offenbarung vollziehe sich im Mysterium eines Wunderbaren, das, weil der menschlichen Erkenntnis entzogen, „ganz anders“ sei; es setze der Erkenntnis Grenzen und sei dem menschlichen Wesen „inkommensurabel“. Die Erfahrung des „ganz Anderen“ widerfahre dem Menschen vor allem im „Gefühl des schauervollen Geheimnisses“, das in der Bibel etwa Hiob und Moses vor der Majestät Gottes empfinden. Ein drittes Moment des Numinosen sei seine Lebendigkeit, die das Gefühl des Menschen aktiviere und ihm Dynamik verleihe. Das Heilige wirke deshalb nicht nur als Tremendum, das den Menschen erzittern lässt, sondern zugleich als Faszinosum, das ihn mit einem Gefühl von Liebe, Hoffnung und Glück erfüllt. So hat das Erleben des Numinosen immer den Charakter einer personalen Beziehung zwischen Gott und Mensch.

Aus der systematischen Erörterung folgert Otto, dass das Heilige eine der endlichen Form entäußerte Kategorie im Kant'schen Sinne eines Apriori ist und dass seine Momente und die diesen antwortenden Gefühle „reine Ideen“ bzw. „reine Gefühle“ sind. Diese Gefühle entstünden aus dem „tiefen Erkenntnisgrunde der Seele selber“, und zwar auf dem Weg über die aus sinnlich erfahrbaren Gegebenheiten resultierenden Reize.

Darüber hinaus gibt Otto auch einen geschichtlichen Abriss der Erscheinungsformen des Numinosen in christlichen und nichtchristlichen Religionen. Auch dieser Weite der Untersuchung, die sich nicht auf die christliche Definition des Heiligen beschränkt, verdankt Ottos Werk seinen Ruhm und seine Verbreitung.