Prof. Wehner geht in Ruhestand, Föhl übernimmt | marktforschung.de

Interview mit Prof. Wehner und Prof. Föhl, Hochschule Pforzheim Christa Wehner geht in Ruhestand, Ulrich Föhl übernimmt

28 Jahre lang stand Prof. Dr. Christa Wehner dem Studiengang Marktforschung und Konsumentenpsychologie an der Hochschule Pforzheim vor. Jetzt übergibt sie an Prof. Dr. Ulrich Föhl, der 2013 aus der betrieblichen Marktforschung bei Daimler an die Hochschule wechselte. Wir sprachen mit beiden über die aktuelle Studierendengeneration, die Veränderungen an der Hochschule durch KI und über die Ruhestandsplanung von Christa Wehner. Außerdem gibt es eine Bilderstrecke mit Bildern von Frau Wehner zu bestaunen, auf der viele bekannte Gesichter der Marktforschungsbranche zu entdecken sind.

2014: Christa Wehner (rotes Kleid) inmitten der Mafo-Studienkommission mit Julia Reusert, Dennis Schulz, Prof. Gabriele Naderer, Carolin Plumbaum, Prof. Dr. Werner Hagstotz und Prof. Dr. Ulrich Föhl (vorne rechts) (Bildrechte: Hochschule Pforzheim).

1995 war Helmut Kohl noch Bundeskanzler und Roman Herzog Bundespräsident. Die Bundesbürger boykottierten Shell-Tankstellen, weil Shell die Ölplattform „Brent Spar“ im Atlantik versenken wollte. Das Reichstagsgebäude wird nach Plänen der Künstler Christo und Jeanne Claude verhüllt. Steffi Graf gewinnt zum sechsten Mal Wimbledon. Borussia Dortmund wird unter Trainer Ottmar Hitzfeld Deutscher Fußballmeister und Christa Wehner wird auf die Professur für Marktforschung an der Hochschule Pforzheim berufen.

Frau Wehner, Sie waren seit 1995 verantwortlich für den Studiengang "Marktforschung und Konsumentenpsychologie" an der Hochschule Pforzheim und geben jetzt den Staffelstab an Professor Föhl weiter. Wie hat sich der Studiengang seit 1995 verändert? Was sind die größten Unterschiede zu damals?

Christa Wehner: Unsere Hochschule ist vor allem digitaler, internationaler und interdisziplinärer als damals. 1995 hatten die allerwenigsten von uns eine eigene E-Mailadresse, erst 10 Jahre später gingen YouTube und Google Maps online.

Im März 2020 haben wir unseren kompletten Lehrbetrieb an einem einzigen Wochenende in 200 virtuelle Hörsäle verlegen können. Die „Corona-Semester“ haben erstaunlich gut funktioniert, die Digitalisierung hat zweifellos viele Vorzüge, aber die unmittelbare Kommunikation mit den Studentinnen und Studenten im Hörsaal und auf dem Campus ist unvergleichlich….

Deutlich zugenommen hat die Weltoffenheit unserer Studierenden: Nahezu 50% verbringen inzwischen mindestens ein Semester an einer unserer rund hundert Partnerhochschulen. Pforzheim ist die einzige Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Deutschland, die mit AACSB und EFMD gleich zwei der begehrten internationalen Akkreditierungen erreicht hat: das öffnet Türen zu Top-Universitäten in aller Welt.

Zugenommen hat auch die Wertschätzung für Interdisziplinarität: die Zusammenarbeit zwischen unseren drei Fakultäten für Gestaltung, Technik, Wirtschaft und Recht hat sich in den drei Jahrzehnten deutlich intensiviert. Engagierte Studentinnen und Studenten nutzen die Chancen zum Perspektivenwechsel über das eigene Fachgebiet hinaus und arbeiten in Teams mit angehenden Ingenieuren und Designern zusammen. Wir würden gerne künftig noch deutlich mehr PERSPECTUM-Zertifikate für interdisziplinäre Projekte vergeben.

An welche Erlebnisse erinnern Sie sich in Ihrer Amtszeit besonders gerne zurück?

Christa Wehner: Es gab eine Fülle wunderbarer Unternehmungen in meinem Traumjob: unsere gelungenen Exkursionen nach Hamburg, Köln, Berlin, Frankfurt, München, Wien oder Zürich mit weit mehr als 100 spannenden Besuchen der attraktivsten Unternehmen und Institute fallen mir da ein. Oder die vielen interessanten Begegnungen mit unseren Absolventinnen und Absolventen – immer wieder auch bei der jährlichen Research & Results-Messe in München, zu der wir von Beginn an mit unseren Studierenden eingeladen waren. So schön zu sehen, was aus unseren Alumni geworden ist, die sich auf diesem Branchenevent der INSIGHTS Industrie treffen.

Gibt es Projekte und Ideen, die Sie gerne noch umgesetzt hätten, aber die Zeit fehlte?

Christa Wehner: Ich habe die Gestaltungsfreiheiten unseres schönen Berufes von Anfang an sehr geschätzt und vieles haben wir in einem kongenialen Team auch hinbekommen, was mir wichtig schien im Lifecycle unserer Studierenden: von der Kommunikation mit Bewerbern des Studiengangs über Buddy-Programme für mehr Erfolg und Spaß im Studium, Plattformen für vielfältige Kontakte auch mit der Praxis bis hin zu systematischen Absolventenbefragungen in allen Fakultäten.

Es gibt weiterhin viel zu tun, die Herausforderungen haben ja eher zugenommen, sind aber bei Gabi Naderer, Uli Föhl, Dirk Frank, Kerstin Klär und unserer neu berufenen jungen Kollegin Margarita Bidler in den allerbesten Händen.

Wie wird sich der Studiengang in den nächsten Jahren verändern? Welche Entwicklungen in der Marktforschungsbranche werden das Curriculum beeinflussen?

Ulrich Föhl: Themen rund um Digitalisierung und KI haben natürlich auch große Auswirkung auf die Ausbildung unserer Studierenden. So haben wir gemeinsam im Team erst kürzlich ein neues Curriculum verabschiedet. Gestärkt wird dort etwa das Themenfeld User Experience; die wachsende Bedeutung der Verarbeitung großer Datenmengen schlägt sich in einem Fach zu Big Data Research nieder.

Die Möglichkeit, neben klassischer Statistiksoftware auch Programmiersprachen wie Python kennenzulernen, besteht heute schon im Rahmen von Wahlfächern.

Wichtig ist uns aber auch, die Kompetenzen zu stärken, die in Zeiten von KI nach wie vor eher unter menschlicher Kontrolle stehen.

Mit einer Veranstaltung zu Data Storytelling wollen wir unsere Studierenden für die wichtige Aufgabe, zunehmend komplexeres Datenmaterial anschaulich aufzubereiten und ihren künftigen Auftraggebern vermitteln zu können, noch umfassender vorbereiten. Auch innerhalb der Veranstaltungen zu klassischen empirischen Verfahren wie Fragebögen oder Inhaltsanalyse von qualitativen Daten binden wir zunehmend KI-basierte Tools ein, so dass für die Studierenden erlebbar wird, welche Ergebnisse KI bereits zu liefern vermag und wo menschliche Expertise gefragt ist.

So werden unsere Absolventinnen und Absolventen später im Job manches nicht mehr selbst machen müssen. Umso wichtiger ist es daher, Tool-generierte Ergebnisse kritisch zu bewerten und deren Einsatzmöglichkeiten realistisch einschätzen zu können. Klassische Tugenden und Gütekriterien der Marktforschung sind dabei wichtiger denn je.

Für diejenigen Absolventinnen und Absolventen aus dem Bachelor, die sich noch stärker in Richtung Data Analytics vertiefen möchten, um später beispielsweise als Data Scientist zu arbeiten, haben wir vor einigen Jahren den Masterstudiengang Marketing Intelligence eingerichtet.

Neben KI, Technologie und Daten wollen wir aber auch weiterhin den Menschen nicht vergessen: Um Menschen zu verstehen, erscheinen uns möglichst umfassende Kenntnisse des menschlichen Erlebens und Verhaltens fundamental. Deshalb wird die Konsumentenpsychologie auch weiterhin einen wichtigen Platz im Curriculum einnehmen.

Inwieweit ändert Chat GPT auch das Studierendenleben? Wie wird zukünftig geprüft, wenn die KI ganze Hausarbeiten schreiben kann?

Ulrich Föhl: Der Einsatz von generativer KI gerade bei der Produktion längerer Texte wie Abschluss- oder Hausarbeiten dürfte einen großen Einfluss auf die Prüfungsformen an Hochschulen haben und wird derzeit intensiv diskutiert. Diese Hilfsmittel, die ja auch bereits von Unternehmen genutzt werden, auszublenden oder zu verbieten, ist gewiss nicht zielführend. Vielmehr wird es darum gehen, Chat GPT und andere Tools für bestimmte Prozessschritte bei studentischen Arbeiten zuzulassen.

Dabei muss aber transparent dargestellt werden, für welche Teilschritte sie eingesetzt wurden, so ähnlich, wie das bislang schon bei der Nutzung von Literaturquellen der Fall war. Begleitende mündliche Präsentationen und Diskussionen könnten als zusätzliche Instrumente eingesetzt werden, um sicherzustellen, dass das jeweilige Thema wirklich durchdrungen wurde und selbstständig kritisch reflektiert werden kann.

KI kann und darf Werkzeug sein, bei der Erarbeitung eines komplexen Themas zu unterstützen, sollte aber die tiefgehende intellektuelle Auseinandersetzung und die Kompetenz, Inhalte kritisch zu reflektieren, nicht ersetzen.

Darüber hinaus erscheint es mir wichtig, dass die Studierenden im Verlauf des Studiums vielfältige Erfahrungen mit KI machen können und dadurch einen Eindruck bekommen, wo sie tatsächlich verlässliche Ergebnisse generiert und wo der Mensch nachjustieren und weiterdenken muss.

Es gibt aktuell etliche Studien zur Generation Z, die diese unter anderem als „arbeitsscheu“ bezeichnen. Sie haben in ihrer täglichen Arbeit Berührungspunkte. Welche Unterschiede sehen Sie zu früheren Generationen?

Christa Wehner: In jeder Kohorte gab und gibt es herausragende und besonders engagierte Studentinnen und Studenten.

Tatsächlich scheint – auch zu unserem Bedauern – der Anteil derer zuzunehmen, die eher minimalistisch unterwegs sind.

Soziologen sehen die Verallgemeinerung von Charakteristika der Gen Z ja durchaus kritisch und sehen die Veränderungen von Arbeitsmarkt und Zeitgeist als stärkere Einflussfaktoren auf die Einstellungen junger Menschen als deren Geburtsjahr. Bewerberinnen und Bewerber können heute aus einer siebenmal größeren Anzahl offener Stellen wählen als in den 90er Jahren: womöglich verlocken auch diese guten Aussichten dazu, nach den Vorlesungen oder Seminaren lieber zu chillen, statt sich in einer studentischen Initiative zu engagieren, wofür es keine „Credits“ gibt, oder sich einen spannenden Vortrag im STUDIUM GENERALE anzuhören.

Ulrich Föhl: Ich erlebe es auch so, dass unsere Studierenden nach wie vor gerade bei den sehr aufwändigen Projektarbeiten große Einsatzbereitschaft zeigen und regelmäßig Ergebnisse erarbeiten, die ihre Auftraggeber aus Unternehmen beeindrucken. Gewiss hat sich manches, zum Beispiel bei Werten und Vorstellungen rund um die Arbeitswelt, zumindest bei einem Teil verändert. An der Hochschule beobachte ich schon, dass generell mehr kritisch hinterfragt und hinsichtlich seiner Sinnhaftigkeit überprüft wird, als das vielleicht noch zu meiner Studienzeit der Fall war.

Generell plädiere ich aber auch dafür, diese Veränderungen differenziert zu betrachten. Studien zeigen ja auch, dass bezüglich bestimmter Merkmale innerhalb einer Generation sehr große Varianz besteht. Je besser wir durch Forschung verstehen, welche Merkmale genau (neben dem Geburtsjahr) sich verändert haben, desto besser lässt sich auch die Zusammenarbeit zwischen den Generationen gestalten.

Liebe Frau Wehner, wie sehen Ihre Pläne für den Ruhestand aus?

Christa Wehner: Zum ersten Mal im Leben habe ich keine konkrete Agenda. Sollte mir langweilig werden, studiere ich Kunstgeschichte. Bis dahin: noch mehr Literatur, moderne Kunst, Konzerte, Tanztheater… einfach: „mehr Mut zur Muße“.

An welchen Stellen werden wir Ihnen zukünftig noch begegnen?

Christa Wehner: Ganz sicher bei der succeet in Wiesbaden Ende Oktober. Auf dieses „Familientreffen“ mit Kollegen und Kolleginnen und vielen unserer Alumni freue ich mich jedes Jahr.

Die Marktforschungsbranche geprägt wie kaum jemand anderes

Christa Wehner war vor ihrem Ruf nach Pforzheim mehrere Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA), von wo aus sie als Projekt- und Studienleiterin zur GfK und zu RSG Marketing Research auf die Institutsseite wechselte. Anschließend war Christa Wehner an der Hochschule Hannover im Bereich Medienmangement / Angewandte Medienwissenschaft tätig. 2010 wurde sie vom Berufsverband der Marktforscher, BVM, als „Forscherpersönlichkeit des Jahres“ geehrt.

In 28 Pforzheimer Dienstjahren hat sie mit ihrem Engagement deutliche Spuren an der Hochschule hinterlassen, wofür sie vor kurzem als erste Frau überhaupt mit der Verdienstmedaille der Hochschule ausgezeichnet wurde. Es gibt kaum ein Institut in Deutschland, in dem nicht ein Alumni des Pforzheimer Studiengangs arbeitet. Viele betriebliche Marktforschende studierten in Pforzheim. Auch die Entwicklung von marktforschung.de hat sie als Gründungsmitglied des Beirats mitbeeinflusst.

Übernehmen Sie, Professor Föhl!

Große Fußstapfen, die sie ihrem Nachfolger Prof. Dr. Ulrich Föhl hinterlässt. Ulrich Föhl ist seit 2013 Professor für psychologische Marktforschung an der Hochschule Pforzheim. Davor war er 10 Jahre in der Automobilbranche bei Mercedes-Benz im Bereich der Usability- und Konsumentenforschung tätig. An der Hochschule Pforzheim leitete er bislang den Studiengang Betriebswirtschaft/Media Management und Werbepsychologie und baute den Masterstudiengang Marketing Intelligence auf. Zum Wintersemester 2023 übernimmt Prof. Föhl das Amt von Christa Wehner an der Hochschule und tritt auch ihre Nachfolge im Beirat von marktforschung.de an.

 

Über die Personen

Holger Geißler ist Geschäftsführer und Mitgründer des Smart News Fachverlag, der die beiden Branchenportal marktforschung.de und CONSULTING.de betreibt. Er ist außerdem Mitglied in der Geschäftsführung der succeet GmbH, Veranstalter der Leitmesse der Insight Industry.

Dr. Christa Wehner ist Professorin an der Hochschule Pforzheim und leitet den Studiengang Marktforschung und Konsumentenpsychologie. Nach einer Journalistenausbildung studierte sie Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Soziologie und Literaturwissenschaften an der Universität Münster. Berufserfahrung in der empirischen Marketingforschung sammelte sie bei ZUMA/Gesis, der GfK und RSG Marketing Research. Ihrer Assistententätigkeit an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover... mehr

Ulrich Föhl ist seit 2013 Professor für psychologische Marktforschung an der Hochschule Pforzheim. Davor war er 10 Jahre in der Automobilbranche bei Mercedes-Benz im Bereich der Usability- und Konsumentenforschung tätig. An der Hochschule Pforzheim leitete er den Studiengang Betriebswirtschaft/Media Management und Werbepsychologie und baute den Masterstudiengang Marketing Intelligence auf.

Holger Geißler ist Geschäftsführer und Mitgründer des Smart News Fachverlag, der die beiden Branchenportal marktforschung.de und CONSULTING.de betreibt. Er ist außerdem Mitglied in der Geschäftsführung der succeet GmbH, Veranstalter der Leitmesse der Insight Industry.

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