SPD-Fraktionschef Mützenich: „Putin darf seine Ziele nicht erreichen“
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SPD-Fraktionschef Mützenich im FR-Interview: „Putin darf seine Ziele nicht erreichen“

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Bis aufs Fundament: Ein russischer Treffer hat ein Gebäude im Dorf Bogojawlenka im Süden der Oblast Donezk zerstört. Im Keller ist Regenwasser gefroren.
Bis aufs Fundament: Ein russischer Treffer hat ein Gebäude im Dorf Bogojawlenka im Süden der Oblast Donezk zerstört. Im Keller ist Regenwasser gefroren. © AFP

Rolf Mützenich spricht im Interview mit der Frankfurter Rundschau über die SPD in Zeiten des Krieges, die Zukunft der Ukraine und Attacken gegen ihn persönlich.

Frankfurt - Ein Pazifist ist er nicht. Doch der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich fällt im Berliner Politikbetrieb auf, weil er im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg mahnt, den Weg zum Frieden und mögliche Verhandlungen nicht aus dem Auge zu verlieren. Derzeit aber sei die Zeit dazu nicht gekommen, sagt er im Interview der FR in Frankfurt.

Herr Mützenich, ist die SPD noch eine Friedenspartei?

Ja, in ihrer ganzen Breite und mit Herz und Verstand. In Zeiten des Krieges redet man jedoch zwangsläufig darüber, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden kann und wie man schrittweise zu einem Frieden oder zumindest einem Waffenstillstand kommt. Unter den gegenwärtigen Bedingungen scheint mir das leider noch sehr weit entfernt zu sein.

Wie weit entfernt?

Moskau will zurzeit noch keinen Waffenstillstand oder Frieden. Es war dennoch gut, dass der türkische Präsident Erdogan, UN-Generalsekretär Guterres, aber auch andere Länder und internationale Organisationen versucht haben, im Rahmen der Diplomatie wenigstens zwischenzeitlich zu Verabredungen zu kommen – etwa über Getreidelieferungen, den Austausch von Gefangenen oder den Schutz von Atomkraftwerken. Da dürfen wir auch nicht locker lassen. Ich bin manchmal überrascht, welche Reaktionen ich hervorrufe, wenn ich den Begriff der Diplomatie in den Mund nehme. Das wird auf Verhandlungen mit Putin reduziert, aber das ist nicht der Fall. Diplomatie kann den Weg bereiten, später zu Verhandlungen zu kommen.

Was ist denn die Voraussetzung? Dass Putin Verhandlungsbereitschaft zeigt?

Beide Seiten müssen einen Sinn in Verhandlungen sehen. Völlig klar ist, dass das nicht über die Köpfe der Ukraine hinweg geschehen darf. Und auf der anderen Seite gibt es noch zu wenige Länder, die auf Russland Einfluss ausüben wollen und auf Diplomatie setzen. Vielleicht schafft die jüngste Äußerung des brasilianischen Präsidenten ein neues Momentum. Deshalb bleibt es so wichtig, dass der Bundeskanzler auch in die Länder reist, die sich in der UN-Generalversammlung bei der Resolution über den Krieg enthalten haben. Die Reise nach Peking gehörte dazu.

Mützenich im FR-Interview: Scholz hat wiederholt seine Haltung zu Panzer-Lieferungen erläutert

Die deutsche Debatte ist sehr auf Kampfpanzer fokussiert. Warum ist es dem Kanzler so schlecht gelungen, zu erklären, was er da tut?

Ich glaube schon, dass man den Bundeskanzler verstehen konnte. Immer wieder hat er darauf hingewiesen, dass Waffenlieferungen nur mit den Partnern abgestimmt erfolgen, insbesondere mit den USA. Das war auch eine wichtige Bedingung bei der Lieferung von Schützenpanzern oder der Flugabwehr oder auch der Einsatzfähigkeit von Artillerie, die die Aggression Russlands zurückdrängt. Aber eines ist auch klar: Deutschland und die Nato dürfen nicht selbst Kriegspartei werden.

Aber wenn der Kanzler, so wie Sie sagen, gut und richtig kommuniziert hat: Wodurch entsteht der Eindruck des Zauderns und Zögerns?

Solche Abstimmungen und Verhandlungen werden nicht in der Öffentlichkeit ausgebreitet. Manches muss vertraulich besprochen werden. Leider erschweren manche vorlauten und respektlosen Äußerungen diesen Rahmen, gewollt oder ungewollt. Derartige Debatten tragen mit dazu bei, dass die Abwägungen des Bundeskanzlers oft in einem anderen Licht erscheinen. Das ist leider ein sehr deutsches Phänomen.

Mützenich im FR-Interview: Frau Strack-Zimmermann (FDP) ist nicht meine erste Ansprechpartnerin

Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann ist innerhalb der Ampelkoalition zur schärfsten Kritikerin des Kanzlers geworden und hat Sie als „Sinnbild aller zentralen Verfehlungen deutscher Außenpolitik“ bezeichnet. Wie kann man da zusammenarbeiten?

Der Fraktionsvorsitzende arbeitet sehr eng mit den anderen Fraktionsvorsitzenden zusammen, aber auch mit den Vorsitzenden der Koalitionspartner. In diesem Rahmen ist Frau Strack-Zimmermann nicht meine erste Ansprechpartnerin.

Aber auch in Ihrer Partei gab es ja fordernde Stimmen, Michael Roth zum Beispiel.

Das ist kein Alleinstellungsmerkmal von Frau Strack-Zimmermann. Das gibt es auch bei den Grünen, bis hinein in Regierungskreise, wo manche Wortmeldung für mich überraschend ist. Wie zum Beispiel die Diskussion, ob wir bereits im Krieg mit Russland sind oder die öffentlichen Ratschläge an den Kanzler vor seiner Peking-Reise.

Mützenich im FR-Interview: Russische Propaganda greift kontroverse Haltungen in der Ampel-Regierung auf

Sie spielen auf Außenministerin Annalena Baerbock an, die Scholz vor seiner Peking-Reise öffentlich Ratschläge gemacht hat oder die Diskussion um das Wort „Kriegspartei“ geführt hat. War das von ihr ungeschickt?

Jedenfalls werden solche Äußerungen in der russischen Propaganda nur allzu gern aufgegriffen und als Beleg angeführt, dass Deutschland bereits Kriegspartei ist. Deshalb ist es gut, dass der Kanzler bei Waffenlieferungen unmissverständlich Stoppschilder aufgestellt hat.

Sie meinen die Diskussion über Kampfjets. Wird das Stoppschild des Kanzlers in wenigen Wochen noch stehen?

Der Bundeskanzler hat eine klare Aussage gemacht, die von der Bundesregierung insgesamt geteilt wird.

Wie groß ist die Eskalationsgefahr des Krieges zum gegenwärtigen Zeitpunkt?

Man muss versuchen, die Eskalationsdominanz Russlands einzuschränken. Dazu hat der Besuch des Bundeskanzlers in Peking beigetragen. Präsident Xi hat sich öffentlich dafür ausgesprochen, das nukleare Tabu zu stärken, trotz seines Narrativs, dass eigentlich die USA schuld an diesem Krieg seien. Das hat in Russland schon Wirkung gezeigt und ist ein wichtiger Beleg dafür, dass es möglich ist, die Eskalationsrisiken mit Hilfe anderer einzuschränken.

Was ist das Ziel der Waffenlieferungen? Russland an den Verhandlungstisch zu zwingen oder gar Russland zu besiegen?

Es geht darum, die Ukraine in die Lage zu versetzen, ihr Selbstverteidigungsrecht aus der Charta der Vereinten Nationen auszuüben. Russland muss klargemacht werden, dass es diesen Krieg nicht gewinnen kann. Putin darf seine Ziele nicht erreichen, den Sturz der gewählten Regierung in Kiew oder die Kontrolle von Gebieten, die über die Grenzen des 24. Februars hinausreichen.

Mützenich im FR-Interview: Über die Zukunft der Ukraine muss die Ukraine entscheiden - nicht Deutschland

Wenn Sie die Grenzen des 24. Februars ansprechen, wäre die Krim kein Teil der Ukraine. Wie soll die Zukunft der Krim aussehen?

Ich glaube, die Frage nach der Zukunft der Krim werden wir in Deutschland nicht beantworten können. Wahrscheinlich wird sie auch nicht direkt am Beginn von Verhandlungen zu regeln sein.

Wie sehr hat Sie dieses Kriegsjahr ganz persönlich geprägt auch in Ihren Überzeugungen?

Ich bin dankbar, dass Sie mich nicht als Pazifist bezeichnen, denn das bin ich nicht. Viele, die das tun, sagen es übrigens in einem abfälligen Tonfall. Dabei ist der Pazifismus ein ethisch und politisch respektabler Standpunkt. Ich würde mich im internationalen Feld als Realpolitiker sehen. Aber als einer, der an der gesamten Bandbreite von Diplomatie bis zu Abrüstung und Rüstungskontrolle, aber auch der wirtschaftlichen und humanitären Hilfe anknüpfen will. Gleichwohl hat der Krieg natürlich auch mich verändert und gefordert, körperlich und mental.

Wie gehen Sie damit um, wenn Sie persönlich attackiert werden, aus der deutschen Politik heraus, aber auch vom früheren ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk?

Sowas geht natürlich nicht spurlos an einem vorbei.

Der Ukraine-Krieg habe ihn verändert und gefordert, körperlich und mental, sagt Rolf Mützenich.
Der Ukraine-Krieg habe ihn verändert und gefordert, körperlich und mental, sagt Rolf Mützenich. © Michael Schick

Zur Person

Rolf Mützenich (63) entstammt einer Kölner Arbeiterfamilie, war bei den Falken und trat mit 16 in die SPD ein. Er studierte unter anderem Politikwissenschaft. 1991 promovierte er mit einer friedenspolitischen Arbeit.

Während seines Studiums schon arbeitete er als Wahlkampforganisator in NRW und wurde dann Referent im Landtag. Seit 2002 sitzt er im Bundestag und ist Fraktionschef seit 2019. FR

Mützenich im FR-Interview: Wir brauchen ein überzeugendes Rüstungskontrollgesetz

Was meint der Kanzler, wenn er davon spricht, dass die Bundeswehr die modernste Armee Europas werden soll? Reden wir dann auch über Atomwaffen?

Atomwaffen sind Massenvernichtungswaffen und ihr Einsatz humanitär und völkerrechtlich unzulässig. Die SPD will eine Welt frei von Atomwaffen schaffen. Das, was der Bundeskanzler beschreibt, ist vollkommen richtig: Wir werden uns noch stärker auf den europäischen Pfeiler stützen müssen. Dafür ist das deutsch-französische Verhältnis essenziell und existenziell. Dabei dürfen wir uns aber nicht nur auf die Streitkräfte konzentrieren. Wir müssen uns auch eng abstimmen in Europa, was die außenpolitischen Maximen betrifft.

Wie geht Deutschland künftig mit dem Export von Rüstung um? Partnerländer wie Frankreich haben dort weniger strikte Regelungen.

Es wird sehr darauf ankommen, ein überzeugendes Rüstungsexportkontrollgesetz auf den Weg zu bringen. Ich war immer jemand, der sehr restriktiv umgehen möchte mit Rüstungsexporten in Länder, die weder der Nato noch der EU angehören noch mit diesen gleichgestellt sind. Das bleibt auch im Grundsatz so.

Also keine Waffen mehr für Saudi-Arabien oder Katar?

Solange im Jemen dieser Krieg anhält, muss das Konsequenzen haben, auch für Rüstungsexporte. Man muss allerdings auch feststellen, dass gerade die saudische Führung händeringend nach einem Ausweg aus diesem von ihr geschürten Konflikt sucht. Man merkt endlich, dass man falsch gehandelt hat und ein großer Teil der Staatengemeinschaft diesen Krieg missbilligt.

Interview: Pitt von Bebenburg, Martin Benninghoff und Andreas Schwarzkopf

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