Thomas Bernhards Gedichte: Teresa Präauer über eine Begegnung in New York - WELT
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Literatur Unbekannte Gedichte

Als Thomas Bernhard wie Georg Trakl klang

Der Schriftsteller Thomas Bernhard im Jahr 1971 Der Schriftsteller Thomas Bernhard im Jahr 1971
„In einen Teppich aus Erde / sticke ich meine Vergängnis.“: Schriftsteller Thomas Bernhard
Quelle: picture-alliance / brandstaetter images/Barbara Pflaum
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Im berühmtesten Bookstore von New York sitzt jemand und liest: „Thomas Bernhard’s Collected Poems“. Die Schriftstellerin Teresa Präauer kommt mit dem Leser ins Gespräch – und erfährt von einer Lebensgeschichte, zu groß für einen Small Talk am Nachmittag.

Immer, wenn ich während dieser Zeit hier in der Bleecker Street zur Post im East Village spaziere, komme ich am berühmten Strand Book Store vorbei, an dem man nicht vorbeikommt, ohne hineinzugehen. Draußen auf der Straße sind die Secondhandbücher in Rollwägen einsortiert, beim Eingang sind die Bestseller und Neuerscheinungen ausgelegt, gefolgt von den Empfehlungen des Verkaufspersonals, danach den Graphic Novels und Comics. Postkarten, Baumwolltaschen mit Aufdruck, Tassen und Klimbim finden sich im Kassenbereich auf der linken Seite der ersten Etage.

Im hinteren Verkaufsraum auf der rechten Seite ist ein kleiner Coffeeshop, der hauptsächlich aus einem Tresen und vier Hochstühlen besteht, aus einer italienischen Espressomaschine und einem Wasserspender, aus einem Behälter für Cookies und aus den üblichen Tafeln, auf denen verschiedene Teesorten und Angebote des Tages mit Hand notiert sind.

Nachdem ich ein bisschen um den Coffeeshop herumgeschlichen bin, von Roz Chasts „I must be dreaming“ zu Virgina Woolfs „Oh, to Be a Painter!“ bis Maylis de Kerangals schönem Büchlein „Eastbound“ im quadratischen Format, zum Kauf entschlossen allein wegen des Umschlags, bestelle ich dort einen Cappuccino. „A very dry Cappuccino.“ Es hat zwei Wochen und einige Versuche bei Coffee Joe oder Bagel Bob’s gedauert, bis das Geheimwort für besseren Kaffee in New York gefallen ist. Denn ‚dry‘ heißt im Fall von Cappuccino: mit wenig Milch.

Berühmte Adresse: Der Strand Bookstore in New York
Berühmte Adresse: Der Strand Bookstore in New York
Quelle: Getty Images

Ich trinke meinen Cappuccino aus dem Pappbecher, während der zweite Gast im Coffeeshop, einen Stapel Bücher vor sich, konzentriert liest. „Thomas Bernhard’s Collected Poems?“, rufe ich erstaunt. Dass jemand in New York gerade Thomas Bernhard liest! Noch dazu die Gedichte, die schon im deutschsprachigen Raum kaum bekannt sind. Und im übrigen auch nicht für seine besten Texte gehalten werden. Anders als die Prosaarbeiten, anders als die Dramen. In den Gedichten ist der Autor, wie wir ihn später kennen lernen, kaum zu erkennen. Der Ton ist pathetisch, die Metaphern kühn. Die frühe Nachkriegszeit und die alten Vorbilder, wie Trakl beispielsweise, klingen noch nach: „Das blanke Eisen des Mondes / wird dich töten und der starre / Fuß eines Riesenvogels / dem du / deine Trauer anvertraut hast / im Winter.“

„Er hat in der falschen Zeit gelebt“, konstatiert der Gast neben mir, der offensichtlich bereits zwei Espressos getrunken hat. Die leeren Becher stehen neben dem Bücherstapel. „In einer dunklen Zeit.“ Ich nicke halbherzig. „Er hatte auch Humor und hat sich in seinen Texten ziemlich lustig gemacht über seine Umgebung“, erwidere ich dann. „Die Menschen haben ihn nicht verstanden“, bleibt der treue Leser bestimmt. „Naja“, widerspreche ich sanft, „er wird heute im deutschsprachigen Raum doch sehr viel gelesen.“

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Mein Gesprächspartner möchte jetzt wissen, ob ich ständig in New York lebe. Ich sage, ich bin für zwei Monate hier, als ‚visiting writer‘ an der New York University. „Die New York University ist gut“, antwortet der Mann. „Ja“, sage ich, obwohl ich mit der New York University, bis auf meine Wohnadresse und die Gastgeberinnen, bisher nur wenig zu tun habe.

Der trockene Cappuccino ist gut. Ich greife nach einen Plastikbecher für das Trinkwasser aus dem Wasserspender. Das Trinkwasser befeuchtet schlückchenweise die Trockenheit des Kaffees. Bald werde ich über die 12th Street zurück Richtung Fifth Avenue wandern und über den Washington Square Park nach Hause zu den Silver Towers in der Bleecker Street. „And you?“, frage ich den Mann höflichkeitshalber, auch wenn ich annehme, dass er aus New York ist. „Michigan“, antwortet dieser. Und dass er aus einem traurigen Grund hier sei. „Sorry to hear that“, versuche ich, eine Trauerformel auf Englisch abzurufen, die mir adäquat erscheint. Der Mann sei wegen eines Begräbnisses für ein paar Tage hier. „An old friend of yours?“, bohre ich nach. „My young daughter“, antwortet der Mann ohne aufzublicken. Ich schlucke.

Seine Tochter sei 22 Jahre alt gewesen. An einer Überdosis gestorben. Die Teenagerjahre seien schon schwierig gewesen, und ab dem Alter von 19 habe es so richtig angefangen mit den falschen Entscheidungen. Er und seine Frau, die noch in New York lebe, seien getrennt, die Tochter zu Besuch in Michigan gewesen. Zuerst habe das gut funktioniert. Irgendwann habe sie sich im Zimmer eingesperrt. Später habe man sie tot aufgefunden.

„Hm“, sage ich leise. Die Geschichte das Mannes ist viel zu traurig für ein kurzes Gespräch am Nachmittag im Coffeeshop eines Buchladens. „She must have been a sensitive young woman“, murmle ich dann. Der Mann nickt. Künstlerisch. Geschrieben habe sie. So talentiert sei sie gewesen. „Der Wald wird seine Knochen / in Unruhe wickeln, / und dich niederwerfen / der Wind / der aus dem weißen Versteck / zerfallener Rehe / zustößt.“ Die Gedichte Thomas Bernhards sprechen in diesem Moment zu diesem Mann, der seine Tochter verloren hat.

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„Ich muss schauen, wie ich jetzt zurechtkomme“, sagt der Mann noch. Er trägt eine Schildkappe, die sein Gesicht zur Hälfte verdeckt. Ich sitze auf einem der Hochstühle, er sitzt in einem Rollstuhl. Ich müsste mich bücken, um seine Augen sehen zu können. Um nachzusehen, ob er damit zurechtkommen wird. Seine Geschichte ist so unglaublich traurig, dass ich mich, während ich den Kaffee austrinke, auch frage, ob sie erfunden sein könnte. Aber warum sollte er eine solche Geschichte erfinden?

Ich sage noch, dass mir sehr leid tut, was passiert ist. Wir schweigen jetzt beide. Er beginnt wieder in den „Collected Poems“ zu lesen, übersetzt von James Reidel, erschienen bei Seagull Books. Dann fragt er mich nach meinem Namen. Und dass er John heiße. Wir geben uns die Hand. Es ist der typische Verlauf eines kurzen Gesprächs in Amerika, finde ich: Man nennt seinen Vornamen, auch wenn damit, zumal am Ende einer Konversation, keine Verbindlichkeit mehr hergestellt werden soll. Denn ich werde mich jetzt von John, der Gedichte liest, verabschieden. Ich überlege noch, ob es eine aufbauende Lektüre von Thomas Bernhard gibt, die ich ihm empfehlen könnte, halte eine Aufmunterung dann aber selbst für unangebracht. Mir wäre auch nichts eingefallen in diesem Moment.

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„I’ll carry your story with me for a little while“, sage ich zum Abschied. Ich trage seine Geschichte ein bisschen mit mir mit, soll das heißen. Ich hoffe, mein Englisch klingt in seinen Ohren nicht wie das Tragen einer Einkaufstasche. Ich reiche John noch einmal die Hand. Er umfasst sie mit beiden Händen und drückt sie dann für eine sehr kurze Weile an seine Wange, bevor er sie loslässt. Ich berühre ihn noch einmal an der Schulter und gehe durch den Strand Book Store nach draußen auf die Straße.

„In einen Teppich aus Erde / sticke ich meine Vergängnis. / Ich sticke meine Nacht hinein / und meinen Hunger, / meine Trauer / und das Kriegsschiff meiner Verzweiflungen, / das hinübergleitet in tausend Gewässer, / in die Gewässer der Unruhe, / in die Gewässer der Unsterblichkeit.“ Übersetzt ins Englische klingt das bestimmt noch etwas besser. Und es spricht zu John. Zu John, der in der falschen Zeit lebt. Traurig stapfe ich nach Hause und trage, wie versprochen, diese Geschichte mit mir.

Teresa Präauer, 1979 geboren, ist österreichische Schriftstellerin. Zuletzt erschien ihr Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“ (Wallstein Verlag), ausgezeichnet mit dem Bremer Literaturpreis.

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