Im dritten Anlauf gelang ihm endlich die Wahl in ein bedeutendes politisches Amt. Am 11. Juni 1981 kandidierte Richard von Weizsäcker als Regierender Bürgermeister von West-Berlin, nachdem er sich bereits 1974 erfolglos um die höchste Position im Staat, das Amt des Bundespräsidenten, bemüht hatte und 1979 als Spitzenkandidat der Berliner CDU vergeblich nach der Leitung des Senats gegriffen hatte.
Dabei hatte der 61-Jährige an diesem Donnerstag keine sichere Mehrheit auf seiner Seite. Zwar bildete die CDU mit 65 der insgesamt 132 Mitglieder des Abgeordnetenhauses eindeutig die stärkste Fraktion, war ja auch mit 48 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen nur haarscharf an der absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt.
Doch wenn sich die drei anderen Fraktionen, die SPD, die FDP und die in West-Berlin besonders linken Grünen, die sich hier Alternative Liste nannten und von Stasi-Spitzeln wie Dirk Schneider mindestens beeinflusst wurden, geschlossen gegen den Politimport gestellt hätte: Auch Weizsäckers dritter Anlauf wäre misslungen.
Doch mindestens vier Abgeordnete, mutmaßlich aus den Reihen der FDP, stimmten für ihn, ebenso wie für seine Vorschläge als Senatoren; damals sah die Berliner Landesverfassung noch die Wahl jedes einzelnen Senators durch das Parlament vor. Fortan wirkte der Weizsäcker-Effekt und brachte die West-Berliner Politik zum Glänzen.
Der gebürtige Freiherr, Enkel des letzten Ministerpräsidenten des Königreichs Württemberg und jüngstes Kind des Diplomaten Ernst von Weizsäcker, hatte seine Kindheit und Jugend außerhalb Deutschlands verbracht: Die Familie lebte in Basel, Kopenhagen, Oslo und Bern; erst mit 16 Jahren kam Richard auf eine Berliner Schule, das Bismarck-Gymnasium im Stadtteil Wilmersdorf, wo er schon 1937 mit knapp 17 Jahren das Abitur absolvierte.
Bevor er wie geplant zu studieren beginnen konnte, musste er den verpflichtenden Reichsarbeitsdienst und dann die Wehrpflicht ableisten, letzteres beim gesellschaftlich elitären Infanterieregiment 9 in Potsdam. Aus dem Wehrdienst wurde am 1. September 1939 Kriegsdienst. Zwei Tage später fiel sein älterer Bruder Heinrich, der im selben Regiment diente, in unmittelbarer Nähe des Jüngeren. Richard barg ihn, hielt Totenwache und sorgte für seine Bestattung.
Er machte die für einen Offiziersanwärter übliche Karriere, war mal als Frontoffizier, dann wieder in Stabsfunktionen tätig. Richard von Weizsäcker gehörte zum weiteren Umfeld des militärischen Widerstandes und wusste von den Staatsstreichplänen, hatte aber keine aktive Rolle. Gegen Ende des Krieges, nachdem er noch das Menschenmögliche für die Flucht von Soldaten nach Westen getan hatte, setzte er sich selbst an den Bodensee ab. So entging er der Kriegsgefangenschaft und konnte noch 1945 endlich zu studieren beginnen, Rechtswissenschaft, wie vor dem Krieg geplant.
Sein Berufspraktikum war allerdings ungewöhnlich: Richard von Weizsäcker unterstützte als Assistent den Verteidiger seines Vaters Ernst, der als ehemaliger Staatssekretär des Auswärtigem Amtes 1938 bis 1943 in Nürnberg angeklagt war. Das Urteil, sieben Jahre Haft, wurde auf effektiv dreieinviertel Jahre reduziert. Die Verstrickung seines Vaters blieb lebenslang für Richard von Weizsäcker eine politische wie persönliche Belastung.
Nach Staatsexamen und Promotion wechselte Richard von Weizsäcker zunächst in die Wirtschaft; erst Ende der 1960er-Jahre zog es ihn in die aktive Politik. Hier erwies sich Richard von Weizsäcker, seit 1954 Mitglied der CDU, als Naturtalent: Seine rhetorische Brillanz, seine Unabhängigkeit und sein stets monarchisch elegantes, selbstverständlich repräsentatives Auftreten, das allerdings intern durchaus mit Arroganz und Unduldsamkeit gepaart war, ließen ihn rasch in hohe Funktionen aufsteigen, z. B. als stellvertretender Oppositionsführer.
West-Berlin war für ihn, niemand hatte es anders erwartet, auch nur eine Durchgangsstation: Nach knapp drei Jahren im Schöneberger Rathaus kandidierte er als Bundespräsident, gewann und füllte das höchste Amt im Staate ein Jahrzehnt lang so überzeugend aus, dass er bis heute vielen als das beste Staatsoberhaupt gilt, das die Bundesrepublik bisher hatte. Anfang 2015, nach einem zwei Jahrzehnte langen aktiven Ruhestand, starb Richard von Weizsäcker im Alter von fast 95 Jahren.
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Dieser Artikel wurde erstmals im Juni 2021 veröffentlicht.