Schuldenbremse: Die Abschaffung der Schuldenbremse wäre ein ungeheuerlicher Vorgang
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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Schuldenbremse
Die Abschaffung der Schuldenbremse wäre ein ungeheuerlicher Vorgang

Der Vorstoß des Kanzleramts zur Schuldenbremse mag ökonomisch diskutabel sein. Politisch war er ein fataler Fehler.

Über Sinn und Unsinn der deutschen Schuldenbremse lässt sich unter akademischen Ökonomen trefflich streiten. Und genau das geschieht ja auch seit fast zehn Jahren, als der renommierte Volkswirt und bekennende Marktwirtschaftler Carl-Christian von Weizsäcker seine Theorie des Trends zu niedrigen, zum Teil negativen Realzinsen in der Öffentlichkeit präsentierte. Er sah schon damals eine Knappheit von sicheren Anlagen im Markt, also eben auch von Bundesanleihen höchster Bonität. Und er identifizierte ein strukturelles Ungleichgewicht innerhalb der Europäischen Union zwischen Ländern mit chronischen Überschüssen der Leistungsbilanz wie Deutschland und den Niederlanden sowie solchen mit chronischen Defiziten wie Frankreich und Italien. Aus dieser Perspektive mag es ökonomisch ernst zu nehmende Argumente gegen eine rigide Anwendung der Schuldenbremse geben.

Soweit, so gut – jedenfalls in der Theorie. In der politischen Praxis stellt sich allerdings die Frage, ob bisher der Kampf gegen große makroökonomische Ungleichgewichte ernsthaft unter der Schuldenbremse gelitten hat. Zweifel sind angebracht: Sowohl im Kielwasser der Weltfinanzkrise nach 2008/9 als auch der aktuellen Corona-Krise fanden sich Wege und Mittel, das Korsett des Haushaltsausgleichs massiv zu lockern, was die Schuldenbremse ja mit Kanzlermehrheit im Bundestag ausdrücklich erlaubt. Auch für die Haushalte 2022 und ggf. 2023 lassen sich auf diese Art – falls nötig – die politischen Hürden überwinden.

Verfassungsänderung wäre ein Vertrauensbruch

Eine Verfassungsänderung wäre dagegen ein spektakulärer Akt des Vertrauensbruchs. Denn die Schuldenbremse ist noch nicht einmal 12 Jahre alt. Sie wurde geschaffen aus der Erkenntnis heraus, dass es den Finanzministern ungeheuer schwerfällt, bei strukturellen Haushaltslücken den Druck auf ihre Kabinettskollegen zu verschärfen, um die traditionelle Regel einer Nettokreditaufnahme in maximaler Höhe der Investitionen durchzusetzen. Der Grund liegt auf der Hand: Am ökonomischen Sinn der Aufteilung von Staatsausgaben in „Investitionen“ und „Staatskonsum“ lässt sich mit Fug und Recht zweifeln, wenn im Ergebnis die Finanzierung der Bau von Straßen als Investition gilt, die Finanzierung von Schulunterricht aber als schnöder Konsum. Es war auch diese Fragwürdigkeit der althergebrachten Regel, die der Reform ihre zukunftsweisende Einfachheit und Modernität verlieh. Hinzu kam, dass die finanzpolitische Erfahrung bis Mitte der 2000er Jahre mit dem Maastricht-Sündenfall der rot-grünen Bundesregierung 2003 und 2004 deutlich machte, wie sehr der Staat ohne verfassungsrechtliches Korsett in die Verschuldung gelockt wurde.

Es gab also hervorragende Gründe, dem Staat durch die Schuldenbremse Fesseln anzulegen. Bis heute sind diese Gründe aktuell. Mehr als das: Gerade in finanzpolitischen Krisenzeiten zeigt sich, ob die Fesseln wirken. Deshalb ist es ein so gewaltiger Vertrauensbruch, wenn gerade jetzt dafür plädiert wird, sie abzuschaffen. Das politische Signal ist eindeutig: Wir packen die Konsolidierung nicht. Und wir wollen die parlamentarische Demütigung vermeiden, um eine weitere Sondergenehmigung zu erwirken. Und wir wollen in der Zukunft freie Hand haben, nach Gutdünken die Staatsausgaben zu erhöhen und politische Prioritäten zu setzen, auch zu Lasten künftiger Generationen.

Was für ein jämmerliches Bild des Staates und der Politik! Wenn es ernst wird, ändert man die Regeln, die gerade erst eine Dekade Praxis hinter sich haben. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der nur von jenen politischen Kräften verantwortet werden kann, die auf finanzpolitische Solidität und Generationengerechtigkeit der Belastung keinen Wert legen. Jedenfalls würde er, wenn es dazu käme, das Vertrauen in den Staat massiv untergraben. Und all dies zu einer Zeit, in der das Vertrauen in die Coronapolitik drastisch schwindet, wie jüngste Umfragen von Allensbach zeigen. Man kann sich nur wundern über so viel Verantwortungslosigkeit eines Staatsministers im Kanzleramt Helge Braun. Oder gar seiner Chefin Angela Merkel?


Dieser Beitrag erschien erstmals am 30. Januar 2021 bei Capital.de.